Es war eine APA-Aussendung, mit der der Ex-Grüne Parteichef van der Bellen den heißen Wahlkampf um die Präsidentschaft begonnen hat. Und dieser Text mit dem Titel – „Flüchtlinge – Grenzkontrollen für Van der Bellen ’nachvollziehbar'“, wohl platziert am 23.2., widmet sich der Flüchtlingspolitik, dem zentralen Thema in Österreich derzeit. Er ist ein Dokument der Unterwerfung unter den herrschenden Diskurs.
Flüchtlinge – Grenzkontrollen für Van der Bellen „nachvollziehbar“
Bundespräsidentschaftskandidat: „Nach den Erfahrungen des letzten Jahres ‚ja'“ – Ex-Grünen-Parteichef gegen „Blauäugigkeit in Flüchtlingspolitik“ =
[Überschriften sollen den Inhalt zuspitzen und „greifbar“ machen. Diese hier tun dies augenfällig. Die Schlüsselwörter sind „Grenzkontrollen“ und Blauäuigkeit“. Beides sind technisch gesehen Andockstellen an den sogenannten „Interdiskurs“ (Jürgen Link), also an das organisierte herrschende Gerede zum Thema Geflüchtete. Und diese wiederum richtet sich seit Herbst 2015 systematisch gegen die Willkommenskultur vieler Österreicherinnen und Österreicher. Damit ist die soziale Bewegung an den Grenzstationen, an den Bahnhöfen und im Kleinen gemeint, die aktive Solidarität ausüben. Diese praktizierte Unterstützung wird seit Monaten medial attackiert, und sie wird nun vom Präsidentschaftskandidaten als „blauäugig“, also als naiv klassifiziert.]
Wien/Innsbruck (APA) – Bundespräsidentschaftskandidat und Ex-Grünen-Parteichef Alexander Van der Bellen hat wegen der anhaltenden Flüchtlingskrise Verständnis für Kontrollen an Europas Binnengrenzen. „Nach den Erfahrungen des letzten Jahres“ seien diese „nachvollziehbar“, sagte Van der Bellen am Dienstag im Gespräch mit der APA in Innsbruck. Er warnte auch davor, in der Flüchtlingspolitik „blauäugig“ zu sein.
[Grenzkontrollen ja oder nein? Das ist im vereinten Europa die Frage, ob das Schengen-Abkommen und damit die Freizügigkeit aller Menschen, die sich in der Europäischen Union aufhalten, gilt oder nicht. Bei der gleichzeitig geltenden Freizügigkeit für Waren und Dienstleistungen ist dies für nicht wenige Menschen der Kern der Europäischen Union. Wird Schengen durch Grenzkontrollen ausgesetzt, dann wird das Herz der Europäischen Union und damit diese selbst aufgegeben. Van der Bellen ist hier in tune mit dem Diskurs, den er im Video bereits eröffnet hat: moderat patriotisch, moderat nationalistisch, und für moderate Grenzkontrollen und damit aber für eine grundlegend andere Europäische Union.]
[Blauäugig. Warum praktizieren immer noch so viele Menschen Solidarität mit den Geflüchteten? Da schütteln diskursiv so viele den Kopf. Naives Gutmenschentum, dem der politische Weitblick und Realismus fehle, so trommeln gesellschaftliche Kräfte. An diesem Deutungsmuster arbeiten verschiedene Medien (von der Presse bis zu Kronenzeitung) und PolitikerInnen (von der FPÖ über den Gewerkschaftsflügel der SPÖ bis hin zur ÖVP). Das nennt man Kampf um Hegemonie, und eine solche bedeutet auf der Diskursebene, dass die herrschende Interpretation der Ereignisse für möglichst viele Menschen gelten soll. Die Helfenden haben ja nicht nur einfach gute Taten vollbracht, sondern sie haben staatliche Funktionen unternommen. Zu keinem Zeitpunkt haben die zuständigen Ministerien in Österreich ihren Job gemacht. Sie haben dies der Zivilgesellschaft überlassen, und das mit dem bewussten Kalkül, dass diese ausbrennen wird. Und genau hier setzt der ‚moderate‘ Professor sein Diskurs-Messer an. Er schneidet schmerzhaft und tief, indem er sich über die AktivistInnen erhebt. Er war ja niemals ein Teil der Bewegung, und mit der Bezeichnung „blauäugig“ kappt er Identifikationsmöglichkeiten – und eröffnet damit den ganzen neuen Interpretationsraum angeblich realistischer Politik, der nun gelten soll. Diese angeblich realistische Politik zerschlägt jedoch politische Grundsätze und bislang geltende Verfahrensweisen, die nicht nur für die grüne Partei gelten.]
Van der Bellen betonte am Rande des Starts der Unterschriftensammlung in der Innsbrucker Innenstadt gleichzeitig, dass Asylverfahren „mehrfach verfassungsrechtlich abgesichert“ seien. Er trete in diesem Zusammenhang für „Kontrolle und Registrierung“, aber gegen Abweisung ein. Er habe auch „prinzipiell“ Verständnis dafür, dass man an „irgendeiner Außengrenze registriert wer kommt“ – vorausgesetzt man erkenne, dass Griechenland allein damit überfordert sei.
[Diese Passage übertüncht den eigentlichen Konfliktfall. Denn mit der Abweisung an den Grenzen wird aktiv geltendes Verfassungsrecht gebrochen, wie der Sprecher von Amnesty International Heinz Patzelt just am selben Tag erläutert hat. Die Genfer Konvention mit Verfassungsrang in Österreich lässt keinen Interpretationsspielraum zu. Im Kontrast zu Patzelts Stellungnahme lesen sich die Vorschläge van der Bellens wie eine Verteidigungsrede der österreichischen Regierung. Und das ist deshalb eine Katastrophe, weil der Kampf um Hegemonie damit aktiv aufgegeben wird. Van der Bellen läutet damit die Niederlage der Zivilgesellschaft ein, in einem Moment, wo diese eine starke Stimme der Unterstützung gegen die rechtspopulistische österreichische Regierung brauchen würde.]
Zur Kritik Deutschlands an der von Österreich beschlossenen Obergrenze von bis zu 3.200 Flüchtlingen, die täglich in die Bundesrepublik durchreisen können, meinte der Ex-Grünen-Parteichef, er würde als Bundespräsident in einem solchen Fall mit Deutschlands Staatsoberhaupt Joachim Gauck Kontakt aufnehmen. Es stelle sich für ihn die Frage, welche Position Deutschland nun konkret einnehme und ob etwa Innenminister Thomas De Maiziere mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) überhaupt übereinstimme.
[So. Hier wäre nun die Gelegenheit gewesen, das Vorgehen der österreichischen Regierung zu kritisieren. Diese diskursive Anschlussstelle ist eröffnet. Und was tut der grüne Professor? Er unterstützt indirekt den österreichischen Nationalismus und seine unterschwelligen anti-deutschen Resssentiments, indem er auf Interessensgegensätze in der deutschen Regierung hinweist. Gibt es in der österreichsichen Regierung solche abweichenden Interpretationen nicht? Gilt die verkündete #Obergrenze nun nur in Spielfeld oder österreichweit? Welche diese Interpretationen, um nur zwei der vergangenen 24 Stunden zu nennen, soll denn nun die deutsche Regierung glauben? Nationalismus inklusive – das ist der grüne Präsidentschaftsdiskurs.]
Hinsichtlich der angekündigten Grenzkontrollen am Brenner erklärte Van der Bellen, dieser sei „nicht irgendeine Grenze“. Der Brenner habe eine „hohe Symbolkraft für das vereinte Europa“. „An dieser Grenze sollte man eigentlich nicht herumdoktern“, sagte der Präsidentschaftskandidat. Er hoffe, dass Grenzkontrollen dort „im Ernstfall nur wenige Monate“ andauern würden – „im Interesse von Nord- und Südtirol sowie Europa“.
[Diese Passage ist nun das Dokument der völligen Selbstaufgabe. Ausgerechnet die Grenzkontrollen zwischen Tirol und Südtirol als ‚im Ernstfall nur wenige Monate‘ dauernd zu rechtfertigen, ist argumentativ unschlüssig und passt in keinster Weise zum Europäer, der er ansonsten zu sein vorgibt.]
Angesprochen auf jüngste Aussagen seines Parteikollegen Peter Pilz, der ein „gewaltiges Integrationsproblem“ sah und sich für ein schärferes Vorgehen bei Integrationsunwilligkeit aussprach, meinte der 72-Jährige, er werde angesichts seines Hintergrundes als Flüchtlingskind „sicher nicht zum Scharfmacher und Gegner des Asylwsens“ werden. In der Flüchtlingspolitik nicht blauäugig zu sein, heiße aber auch zu erkennen, dass etwa Männer zuwandern würden, die „antiisraelisch aufgewachsen“ seien und „Antisemitismus mitbringen“ würden. Das seien „offenkundige Fragen“, denen man sich stellen müsse.
[Blauäugig. Die zweite. Und hinterher geschoben. Ich möchte nicht bestreiten, dass Menschen mit antisemitischer Einstellung nach Österreich kommen. Seit fast 20 Jahren arbeite ich mit MigrantInnen, und ich beobachte tatsächlich seit 2-3 Jahren, dass Antisemitismus offener artikuliert wird. Es stimmt nicht, dass dies seit Herbst 2015 passiert, sondern bereits früher. Aber das gilt ebenso für die österreichische Mehrheitsbevölkerung. Antisemitismus nun als von Geflüchteten importiert darzustellen, wie dies hier geschieht, ist eine aktive Verleugnung des tief sitzenden österreichischen Antisemitismus. Ist eine der Anfänge der grünen Bewegung, nämlich die Waldheim-Affäre, bereist vergessen?
Diese Presseaussendung ist ein Dokument der Unterwerfung und der Aufgabe jedweden Widerstands. Jede und jeder kann sich nun genau überlegen, ob und warum van der Bellen Präsident werden sollte.]
Fotocredit: Das Bild zeigt ein Bild meiner Kollegin und engagierten Deutsch-als- Fremdsprachelehrerin Andrea Schaufler-Juranyi.
1 Gedanke zu „Grenzkontrollen. Blauäugig. Der grüne Präsidentschaftskandidat unterwirft sich“