Hetze zum Frühstück

Foto des Autors

By Sebastian Reinfeldt

Irgendwo in Tirol, in einem Alpenhotel mit SPA am Frühstückstisch nebenan. Unser Autor Sebastian Reinfeldt verbringt dort ein Entspannungswochenende. Und hört zu.

Was er gehört hat, ist eins zu eins die rechte Erzählung über Migration, Sicherheit und ungebildete, bewaffnete Afghanen. Bei einem feinen Gläschen Sekt am Morgen. Die Zeitungslektüre zuvor war die Krone. Er stellt die Frage: Wie antworten?


Die Afghanenwiese in Wien

Mir ist morgens früh nicht nach politisieren zumute. Schon gar nicht, wenn ich mich etwas entspannen will. Irgendwo in Tirol, in einem Hotel, das sich die Mittelschicht leisten kann, entwickelt sich am Nebentisch ein Gespräch, das ich mitbekomme. Der eine Beteiligte, ein Pensionist aus Wien, hatte zuvor die Kronenzeitung eifrig studiert, die anderen – ein deutsch-englischsprachiges Paar in meinem Alter, wo die Frau aus den USA stammt – sind noch beim Frühstücken.

Der Kronenzeitungsleser beginnt ein Horrorbild des Lebens in Wien zu zeichnen. Und der Horror habe 2015 begonnen, als wir alle Flüchtlinge hereingelassen haben. Die seitdem in Hordne mit Messern bewaffnet die Stadt unsicher machen würden.

Da gab es am Praterstern, wo sich alles ballt, eine Wiese, die Afghanenwiese genannt wurde.

Seitdem fühle man sich nicht mehr sicher.

Als ich einwende, dass es diese Wiese schon lange nicht mehr gebe, dass dort ein Waffenverbot herrsche und man am Praterstern derzeit sicher sei, wendete er sofort ein, die seien einfach weiter gezogen. Nach Favoriten. Woraufhin ich auf das Waffenverbot dort verweise, und darauf, dass auch genug Österreicher Messer bei sich tragen würden.

Aber es kommt auf die Motivation an. Warum jemand Waffen trägt.

So entgegnet mir der pensionierte Herr Kronenzeitungsleser.

Ich verstumme

Fakten sind in dieser Welt nicht relevant. An diesem Punkt merkte die Frau am Nebentisch zwei Dinge an. Sie sei ja selbst Ausländerin, und ihr Sohn, der in Deutschland lebe, habe ihr am Telefon erzählt, er fühle sich dort auch nicht mehr sicher.

Mein Einwand wird übrigens von dem eifrigen Kronenleser, der sehr offensiv das Gespräch führt, mit dem Hinweis begegnet, er sei ja in Wien geboren und daher wisse er, wie es wirklich dort ist.

Ich verstumme.

Später recherchiere ich, dass der Ausdruck „Afghanenwiese“ am Praterstern, „die sie ja jetzt weg gemacht haben“ (so der Kronenzeitungsleser) von der FPÖ und vom Boulevard 2016 bis 1017 bis hin zum Wiener Gemeinderat popularisiert worden ist.

Das Diskurs-Bouquet entfaltet sich

Sofort sind die Gesprächsteilnehmer bei den Lachsbrötchen und beim nächsten Triggerpunkt, den die Kronenzeitung bereits hundert-tausendfach verbreitet hat: die Mindestsicherung in Wien. Die syrische Familie mit den sieben Kindern wird hergenommen, und eine Neid-Debatte über 500 Euro pro Kind hochgezogen. Das Lachsbrötchen schmeckt dabei übrigens ausgezeichnet.

Auch der Sekt mundet.

Kaum ist dieses Thema angetippt worden, sind wir bereits bei der Situation in den Wiener Schulen. Niemand spreche mehr Deutsch dort, wie sollen wir die Leute nur ausbilden, wir brauchen doch Fachkräfte. Diskursführer ist weiterhin der Kronenzeitungsinformant.

An allem sei „die“ Politik Schuld. Eine konkrete Partei wird nicht genannt. Es geht ja, in erster Linie, um ein Gefühl.

Das Frühstücksgespräch nebenan ist für mich beendet. Ich stehe auf und gehe. Den weiteren Verlauf des Gesprächs kann ich mir denken.

Eine Diskurs-Messer-Maschine

Aus diskursanalytischer Sicht haben wir nämlich eine kompakte Formation vor uns. Sie errichtet aus miteinander verketten Hintergrundaussagen zu den Themen Sicherheit, Migration, Soziales eine Art Wort-Messer-Automat, der bei bestimmten Reizpunkten die vorgefertigten „Argumente“ wie Wurfmesser herausschleudert. Der Kontext spielt dabei keine Rolle, und auch Faktenchecks können dieser Diskurs-Maschine nichts anhaben.

Sie steht stabil und bedrohlich, schleudert unentwegt ihre Diskurs-Messer – und wird so schnell nicht verschwinden.

Die Opfer in der von mir beschriebenen Situation sind das nette Paar von nebenan, das ganz gezielt mit diesen Diskurs-Messern bearbeitet wurde. Bis sie alles Wesentliche glauben. Sicherlich werden sie nach dem Gespräch nicht den Computer hochfahren und die Fakten checken, die im Gespräch gefallen sind.

Wie begegnen?

Wir haben Wahlkampf in Österreich. Diese Diskurs-Maschine arbeitet natürlich schon länger, sie läuft derzeit aus Wahlkampfgründen nämlich auf Hochtouren. Jetzt hat sie eine konkrete Funktion, wie man an dem eigentlich ja harmlosen Frühstücksgespräch erkennen kann. Da braucht eine Partei nur diese Trigger auslösen, und Remigrationsphantasien verbreiten, und schon gibt sie im öffentlichen Diskurs den Takt vor, woraus sie eine Menge an Wählerstimmen generieren kann.

Wir sollen hinter dem Gesagten die Motivationslage erkennen und darauf eingehen. So lernt man das im Grundkurs politischer Kommunikation. Das Problem dabei ist, dass die Motivationslage, die ich beim Kronenzeitungsleser erkenne, einfach Hass ist. Der ist eine enorme Triebfeder, die dazu geführt hat, dass er das Frühstücksgespräch förmlich gesucht und „geführt“ hat. Das Verbindende allerdings, also der Punkt, wo der Kronenzeitungsleser mit seinem Hass gewonnen hatte, war das Unsicherheitsgefühl. Dort konnte er das erste Diskurs-Messer erfolgreich setzen.

Sicherheit ist der Schlüssel

Was schlicht und ergreifend bedeutet: Wir müssen das Thema Sicherheit im weitesten Sinne ernst nehmen, wenn wir diese Maschine leer laufen lassen wollen. Das Gefühl, auf der Straße abends ab 20 Uhr nicht mehr sicher zu sein, ist ein Einfallstor für Hass. Denn es ist absolut legitim, von der Politik zu verlangen, dass sie für Sicherheit auf der Straße sorgt und die Betroffenen sind zurecht wütend, wenn die Politik das nicht tut, obwohl sie die Mittel und die Macht dazu hat.

Denn das Gefühl der Sicherheit entsteht nicht durch gutes Zureden alleine.


Das Titelbild wurde mit KI erstellt. Aufgabe war: Erstelle ein Hotel in einem idyllischen Tiroler Alpental im Comic-Stil.

2 Gedanken zu „Hetze zum Frühstück“

  1. Ich habe vor Messerstechern und „Sozialschmarotzern“ weniger Angst als vor den Umständen, unter welchen Asylanten und Asylantinnen Deutsch lernrn müssen – inmitten der Großbaustelle Kempelenpark, in einem verwahrlosten Gebäude, das nur noch auf seinen Abriss wartet. Nach endloser Gebäudevernichtung in unmittelbarer Nähe von Unterrichtsräumen Grabungen und Betonverarbeitung – Berge von Abrissschutt vor unseren Fenstern, die mit Brecher zu feinem Sand geschreddert werden. Quarz- und andere Mineralienstäube, die das Gebäude der Kinderbetreuung oft wie in dichten Nebel hüllen.
    Am Ende werden sie uns mitabreißen, und die Bagger, unsere Freunde, werden uns mitnehmen – Ende der Neiddebatte.
    Julia Pecile, Deutschtrainerin

    Antworten
  2. Folgender kritische Kommentar hat mich erreicht. Mit Erlaubnis der Autorin stelle ich ihn gerne online. Er stammt von I. Kanwar.

    „Sicherheit“ ist – falls man sich nicht gerade unter Dauerbeschuss und in einem Kriegsgebiet mit wenig Aussicht auf Flucht befindet – oftmals weniger ein objektiv gegebenes Faktum, denn ein subjektives Gefühl, mit dem seit Jahrzehnten erfolgreich populistische Politik gemacht wird. Das Wort „Sicherheit“ dient unter anderem als Chiffre für einen angeblichen Verlust: es gibt sie nicht mehr, die Sicherheit und mit ihr die Ordnung, die Sauberkeit, wie es sie früher anscheinend mal gegeben hat. Die Schuldigen für diesen Zustand sind auch schnell ausgemacht – es sind vor allem die Fremden, die Ausländer, die Bettler und Analphabeten, die mit ihrer anderen Religion und Kultur unser heimisches Wertesystem bedrohen. Dass die auf unseren hehren Traditionen basierende Leitkultur unsere Heimat nicht vor den Abgründen eines Dritten Reichs bewahren konnte, wird dabei zunehmend wieder gern vergessen.
    Hass – jawohl! Hass ist ein großartiger Motor. Er hält fit, hält in Bewegung, sorgt für große Gefühle, die da sind: Empörung, Verachtung und eine Legitimation zur Selbstermächtigung. Woher kommt er aber – dieser Hass, woher kommt sie, die Wut? Sie entspringt wohl zunehmend dem Gefühl, nicht mehr „Herr im eigenen Haus“ zu sein. Freuds Metapher zur Illustration narzisstischer Kränkung versteht sich hier ganz wörtlich, im eigentlichen patriarchalen Sinn, dass nämlich der Hausherr Gebieter über Weib und Kinder, über Gesinde und mancherorts über Sklaven ist. Narzisstische Kränkungen gibt es in diesen Zeiten zuhauf – sie sind mit das Ergebnis einer Gesellschaft, in der Leistung mit materieller Macht gleichgesetzt ist, in der Menschen an Erfolg und Einkommen gemessen werden aber auch einer Gesellschaft, in der die Zugehörigkeit zu einer Gruppe Erfolg und Einkommen entscheidend mitbestimmt. Moderne, auf der Grundlage der Gleichheit aller Menschen bestehende Verfassungen stehen in Widerspruch zu offenbar ererbten Privilegien. Die Vorstellung einer White Supremacy, die in den USA Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nährt, findet in Europa subtilere Ausprägungen, erscheint hier unter Begriffen wie Wertegemeinschaft oder Leitkultur, dort als Angst vor dem großen Austausch und schlägt sich nieder in Diskursen über ein „Die“ und „Wir“, wenngleich naturgemäß vage bleibt, wo denn da die Grenzlinien verlaufen. Das kann dann schon einmal auch in einen Gegensatz zwischen „Die da oben“ und „Wir, das Volk“ münden, der jedoch, und das macht Politiker wie Trump möglich, nicht primär einen Klassengegensatz meint, sondern eine Uminterpretation von Klasse in Meinung. Wer die richtige Meinung hat, den richtigen Durchblick, ist schließlich auch wieder „Herr im Haus“ und dies traditionell als Mann und Haushaltsvorstand. Verständlich also der Hass nicht nur auf aufmüpfige Frauen, sondern auch auf alles Queere – auf jene, die die angestammte Rolle des Chefs, des Leaders und seiner Leithammel in Frage stellen. Als Hausherr ist selbst der weiße Underdog immer noch ein „Herr“, der Frauen und Farbigen (People of Color) zeigen kann, wo es langgeht.
    Ein Recht auf Sicherheit für alle klingt zwar gut, ist aber von der alten und der neuen Rechten so nicht gemeint – hinsichtlich einer Sicherheit für Minderheiten, für Migranten und für Frauen war diese vielmehr seit jeher Teil des Problems. Vielen „Wutbürgern“ geht es auch weniger um Recht als um Pflicht, einer Pflicht der Politik, Bürger zu schützen, die zunehmend und allerorts eingefordert wird.
    Das Problematische daran ist, dass diese Forderung sehr schnell für politische Zwecke missbraucht werden kann. Was wurde nicht schon alles im Namen der Sicherheit gerechtfertigt! Unter Prämissen, unter denen bestimmte Gruppen vor anderen Gruppen geschützt werden müssen ist es dann mitunter zur „Schutzhaft“ nicht weit.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar