Wahlen in Frankreich und Großbritannien: Rechtsextreme sind kein Schicksal

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By Sebastian Reinfeldt

Was wir in den vergangenen Jahren erleben, ist, dass die rechtsextremen Kräfte lauter und selbstbewusster geworden sind – und dass sich die bürgerliche Mitte radikalisiert hat. Der Ausgang der Wahlen in Großbritannien und Frankreich zeigt, dass eine kluge Mobilisierung der Schweigsamen und von der technokratischen Politik Enttäuschten möglich ist, wenn es wirklich ernst wird, ernst für die Verteidigung der Demokratie. Was das für die kommenden Nationalratswahlen im September 2024 in Österreich bedeuten kann, beleuchtet Sebastian Reinfeldt.


Großbritannien: Abwahl einer abgewirtschafteten Partei in einem Land in der Krise

Fast könnte man den Eindruck gewinnen, die sozialdemokratische Labour-Party hätte auch Besenstile oder Hydranten aufstellen können, und sie wären ins britische Unterhaus gewählt worden. Alles ist besser als die Tories. Doch stimmt das so natürlich nicht. Labour war erst dann in den entscheidenden Wahlkreisen wählbar, nachdem es den antisemitischen Zausel Corbyn los geworden ist. Zwar zieht er ins britische Unterhaus ein, er hat aber gegen die Partei kandidiert, deren Vorsitzender er mal war, und die ihn daraufhin herausgeworfen hat.

Mit einem 100-Tage Programm und einem Schattenkabinett konnte Labour unter Keir Starmer die Wähler:innen von einem Wechsel überzeugen. Sie kampagnisierte dabei gezielt in den umkämpften Wahlkreisen und verzichtete darauf, einen nur symbolisch wichtigen hohen Prozentanteil zu erzielen. Auf Wikipedia finden sich die Prozentzahlen und die Gewinne und Verluste nach Stimmanteilen.

Daraus machte Labour 411 Sitze von 639 Sitzen; die Opposition aus Konservativen (Tories, 121 Sitze), den Liberalen Demokraten (72 Sitze) und kleineren Parteien und Unabhängigen wie Corbyn kommt zusammen auf 238 Sitze. Wohlgemerkt ist Corbyn nun in Opposition zu der Partei, der er einmal vorsaß. Dort trifft er auf den ausgemachten Rechtspopulisten und Brexiteer Nigel Farage. Ihn hätten die Brit:innen wählen können, um die konservative Politik abzulösen. Was sie nicht taten.

Da die Sparpolitik der Konservativen und der von ihnen durchgepeitsche Brexit das Land herunter gewirtschaftet haben, wird es für das Kabinett Starmer ein harter Job in Downing Street Number 10.

Sozialdemokratie muss sanieren und aufräumen

Henrik Müller beschreibt im SPIEGEL ein Land, dessen Infrastruktur erst durch die europäische Austeritätspolitik und dann durch die Folgen des Brexits ruiniert worden ist.

Vergammelte Innenstädte, schlecht ausgestattete Krankenhäuser, teils lange Wartezeiten bei Operationen – pro 1000 Einwohner stehen nur 2,4 Krankenhausbetten zur Verfügung (in Deutschland sind es etwa dreimal so viele). Computertomografen und andere bildgebende Geräte sind rar, demgemäß werden auch entsprechende Untersuchungen nur selten vorgenommen, wie internationale Vergleichsstatistiken zeigen . Die Sterblichkeit nach Schlaganfällen ist im Vergleich zu anderen westlichen Ländern hoch. Doppelt so viele Frauen sterben im Zuge einer Geburt wie in Deutschland.

Wie Sparpolitik und Brexit Großbritannien heruntergewirtschaftet haben, SPIEGEL, 7.7.2024

Die Aufgabe für die Sozialdemokratie lautet also, das Wirtschaftswachstum nach oben zu bringen, um damit Investitionen in den öffentlichen Sektor finanzieren zu können. Dafür wäre eine Annäherung an die Europäische Union sicherlich nützlich.

Frankreich: Die Barrage hat gehalten

Es ist nicht das erste Mal, dass die Sozialdemokratie gewählt wird, wenn es gilt, die katastrophalen Auswirkungen konservativer Politik einzuhegen und die Trümmer in der Gesellschaft aufzuräumen. Ähnlich sieht es im Fall Frankreichs aus. Hier hat ein überlegtes Taktieren der Gutwilligen im zweiten Wahlgang den Siegeszug der durch Marine Le Pen radikalisierten Rechten – und damit den aufziehenden Faschismus – aufgehalten. Die folgende Darstellung der Stimmen- und Mandatsverteilung stammt von Wikipedia.

Das ändert nichts daran, dass ein Wechselverhältnis zwischen den Auswirkungen der liberalen Wirtschaftspolitik Macrons und des Aufstiegs der neo-faschistischen Partei Rassemblement National besteht. Im siegreichen Bündnis der Nouveau Front Populaire hingegen haben sich die Machtverhältnisse verändert, denn Sozialdemokrat:innen und Grüne konnten deutlich Mandate hinzugewinnen.

In Frankreich ist die soziale Lage derzeit auch nicht so desaströs wie in Großbritannien. Dafür bergen die Pläne Macrons für die nächsten Jahre sozialen Sprengstoff: Nachdem die Macron-Regierungen Frankreich in der Pandemie und Energiekrise kräftig öffentliche Mittel ausgeschüttet haben, muss das Land nun den Gürtel enger schnallen. Paris kürzt in diesem Jahr die öffentlichen Ausgaben um 20 Milliarden Euro und plant für 2025 weitere Kürzungen um mindestens 20 Milliarden Euro, berichtet Politico.

Durchaus möglich, dass auch hier Sozialdemokrat:innen das managen und verhindern werden müssen.

Österreich: Das Herbei-Inszenieren eines FPÖ-Wahlsiegs

Mit dem Aufstieg von Jörg Haider hat das vielfach analysierte Wechselspiel österreichischer Medien mit der extremen Rechten begonnen. Sei es für eine knackige Schlagzeile, für ein ausdrucksvolles Foto oder für eine in Bildern erzählte Heldenstory – die Medien haben Jörg Haider gebraucht, damit er ihren Job macht, nämlich: Komplexes ins Einfache zu übersetzen. Die Rechten lieferten die Sager und die deutlichen Bildern, die Linken wollten hingegen immer erklären, problematisieren und in den Kontext setzen – und waren daher für diese Übersetzungsleistungen unbrauchbar.

Nun gibt es aber auf der Linken einen Politiker, der die einfache Sprache kann, der also komplexe Politik übersetzt, und dennoch nicht den rechten Phrasen von „den Auslända“ und ihren Wünschen nach autoritärer Politik nachkommt. Vor diesem Hintergrund haben die Medien nach der Wahl Andi Bablers zum SPÖ-Bundesvorsitzenden erkennbar ihre problematische Liason mit Kickl und der FPÖ erneuert. Den Medien in Österreich fehlt, so würde ich es nennen, nämlich ein demokratischer Grundkonsens. Rechtsextreme Parteien, auch wenn sie sich populistischer Methoden bedienen, stehen außerhalb der Demokratie, denn ihr Ansinnen ist es, diese autoritär umzudeuten und zu entkernen. Sie eigenen sich daher nicht für die notwendige mediale Übersetzungsarbeit.

Herbst 2024: Wer bildet die demokratische Front?

Was in Österreich im Herbst 2024 auf dem Spiel steht, ist mit der Situation in Frankreich durchaus vergleichbar, bei einem völlig anderen Wahlrecht indessen. In einer polarisierten politischen Situation stellt sich für alle die Frage, ob sie das Land in Richtung einer „illiberalen“ Demokratie sehen wollen, in der nicht nur die Freiheitsrechte und die Unabhängigkeit der Justiz beschnitten werden, sondern auch – und besonders – die sozialen Rechte. Oder ob eine demokratische Alternative an die politische Macht kommt.

Außerdem wird sich im Verlauf des Wahlkampfs entscheiden, wer zu so einer demokratischen Front gehört. Da ist nämlich noch Klärungsbedarf bei der Bierpartei, bei der KPÖ und bei der ÖVP.

Ich wage dabei die These, dass die (zu erwartende) Wirtschafts- und Sozialpolitik vor dem Hintergrund eines zu hohen Defizits ein zentrales Wahlmotiv werden wird. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass auch in Österreich die Nicht-Wähler:innen die Wahl entscheiden werden. Sie müssen dann darin vertrauen können, dass „es“ die demokratische Front kann. „Es“ meint hier: gut zu regieren.


Titelbild:Graffito in Paris, das zur Wahl des Nouveau Front populaire aufruft: Vive l’amour et la Révolution (deutsch: Es lebe die Liebe und die Revolution) – Von Guallendra – Eigenes Werk, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=149915527

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