Anti-russische Propaganda! US-Fake-News! Systemmedien!
So schreien diejenigen, die selbst – willentlich oder unwillentlich – Teil einer breit angelegten Desinformationsstrategie sind, die vom Kreml ausgeht. Ihr Ziel: „Es geht langfristig nicht nur darum, extreme Parteien zu stärken, sondern auch die gesamte öffentliche Meinung, so weit wie möglich zu manipulieren“, meint der Desinfo-Analyst Dietmar Pichler im Semiosis-Gespräch.
Neben seiner Tätigkeit, nämlich Desinformationskampagnen aufzuspüren und zu enttarnen, arbeitet Dietmar Pichler auch als Medienkompetenztrainer. Zudem hat er die Initiative Disinfo Resilience Network gegründet, welche Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen mit dem Ziel zur gemeinsamen Bekämpfung von Desinformation und Foreign Interference vernetzt. Die Interviewfragen stellte Sebastian Reinfeldt.
Du bist Desinformationsexperte – was ist deine Motivation dafür?
Vor über 20 Jahren habe ich damit begonnen, das Netz zu durchforsten, um der Frage nachzugehen, ob es wirklich Leute gibt, die an die flache Erde und zeitreisende Grafen glauben.
Doch bereits damals konnte ich sehen, dass nicht alle dieser Geschichten zum Lachen sind, wenn es zum Beispiel im Holocaustleugnung, Verklärung von Diktaturen, Terrorismus oder gefährlichen Ernährungsmythen ging. Verschwörungstheorien um den 11. September waren damals natürlich auch sehr populär und haben zu einer ersten digitalen, heute als Truther Bewegung bekannten Vernetzung gleichgesinnter Personen geführt.
Nach der russischen Annexion der Krim, im Jahr 2014, gab es einen weiteren “Boost” in der Szene, der durch die Verbreitung von Social Media und inhaltliche Befeuerung durch Trollfabriken ein nie dagewesenes Ausmaß erreichte. Da ich in dieser Zeit regelmäßig in Osteuropa unterwegs war, speziell in der Ukraine, konnte ich einige der Mythen durch eigene Erfahrungen und Recherchen widerlegen und fühlte mich diesbezüglich auch konkret in der Verantwortung. Manche haben die Auswirkungen von Social Media und meine Warnungen damals belächelt, heute weise ich immer wieder darauf hin, dass es leider nicht nur um Social Media geht, auch bei der Einflussnahme ausländischer Akteure.
Wie kann man Desinformation erkennen?
Desinformation hat so viele Gesichter, dass man darauf schwer eine pauschale Antwort geben kann. Nicht alles, was propagandistische Einflussnahme ist, lässt sich so “leicht” widerlegen, wie manipulierte Bilder, gefälschte Screenshots oder Videos, die im falschen Kontext präsentiert werden.
Diese Fakes lassen sich oft durch technische Recherchen aufklären, zum Beispiel durch eine Reverse-Bildersuche, Geo-Locating oder einen genauen Blick auf den Link, der einem da als “Nachrichtenseite” präsentiert wurde. Das Problem mit Social Media ist, dass wir zwar alle zu “Publizist:innen”, aber nicht zu kritischen Journalist:innen wurden, die eben ihre Quellen auch prüfen, besonders jene, die aus unterschiedlichen Gründen fragwürdig sind.
Deutschland und Österreich sind derzeit wellenartig Desinformationskampagnen von Seiten Russlands ausgesetzt. Kannst du da einen Überblick geben?
Der digitale Informationsraum kennt keine geografischen Grenzen, aber zu einem gewissen Maße sprachliche Barrieren. Deutschland ist ein wichtiges Zielland russischer Desinformation und die Vereinigten Staaten, da wir sowohl Inhalte auf Deutsch wie auch (meist) auf Englisch konsumieren können, spielt beides eine Rolle. Trollfabriken arbeiten oft nach Key Words, nach Themen, deshalb werden, egal ob “Hauptzielgruppe” ohnehin auch österreichische Profile angegriffen, wenn es um für Russland relevante Themen geht. Mit Deutschland teilen wir ohnehin zu einem hohen Grad einen Informationsraum, nicht nur im Internet. Jeder “Useful Idiot” oder “Agent of Influence”, der in deutschen Talk-Shows die Narrative des Kreml verbreitet, spielt dadurch auch in Österreich eine gewisse Rolle, nicht nur, weil wir hier Personen haben, welche diese Leute dann auch zu uns einladen.
Denken wir auch an das Tucker Carlson Putin-Interview, welches von ganz unterschiedlichen Akteuren verbreitet und positiv bewertet wurde, ganz rechts, wie auch ganz links. Der Kreml hat seine aus der Sowjetunion stammenden Strategien perfektioniert und nutzt zusätzlich die modernen Technologien geschickt aus, was auch zur Kosteneffizienz beiträgt. Die Rahmennarrative reichen von “Russland hat Recht in der Ukraine” über “BRICS ist die Zukunft” bis zu “die EU ist unser Untergang”.
Es geht langfristig nicht nur darum, extreme Parteien, die ohnehin aus ideologischen und pragmatischen Gründen Kreml-freundlich sind, zu stärken, sondern auch die gesamte öffentliche Meinung, so weit wie möglich zu manipulieren.
Was erwartest du für die EU-Wahlen?
Bei den EU Wahlen will der Kreml natürlich in erster Linie zwei Fraktionen im EU-Parlament gestärkt wissen: Einmal die Rechtspopulisten, das ist inzwischen bekannt, aber auch, bei uns weniger bekannt, die linkspopulistische GUE/NGL Fraktion. Beide Fraktionen stimmen in der Regel im EU-Parlament sehr russlandfreundlich ab.
Die Wahlen sind auch ein Anlass für die Medien, über die Europäische Union zu sprechen, auch im Rahmen von Podiumsdiskussionen, Talkrunden etc. Das allein löst schon einen Diskurs aus, der auch unweigerlich attraktiv für Einflussnahme und Manipulation ist. Das Thema Ukraine spielt diesmal eine viel größere Rolle als bei vergangenen EU-Wahlen, aber es werden auch wieder alte EU-Mythen wiederholt werden, auch von inländischen Akteuren. Der Vertreter einer “Öxit” Initiative sagte kürzlich, dass Österreich nach dem EU-Austritt zu einer „Schweiz“ werden würde. Auch die Rhetorik der FPÖ präsentiert sich bezüglich EU-Politik deutlich aggressiver als in der jüngeren Vergangenheit.
Gibt es eigentlich auch Desinformation „vom Westen“?
Ja, natürlich, wenn auch nicht annähernd in dem Ausmaß, wie autoritäre Regime das betreiben. Im nachrichtendienstlichen Sinne heißt es ohnehin schon immer “Tarnen und Täuschen”, genauso wie “militärische Finten” nichts Ungewöhnliches sind. Aber: Die Vorstellung, dass der Westen “Beeinflussungskampagnen” betreibt, die ganze Länder dazu bringen, sich nicht mehr unter dem “warmen Dach des Kremls” wohlzufühlen, ist aber ebenso ein Mythos, genau so wie die angebliche “Gleichschaltung” unserer Medien. Selbst wenn wir es wollten, wir könnten es gar nicht so gut wie die Diktaturen und das ist auch gut so.
(Ende)
Ihr könnt Dietmar Pichler auf X förmlich bei der Arbeit zusehen. In diesem Beitrag setzt er sich beispielsweise mit falschen Aussagen zum „Euromaidan“ auseinander, die so oder in anderer Form immer wieder auftauchen.
Das Titelbild zu diesem Beitrag ist KI generiert.