„Lasst hundert Blumen blühen, lasst hundert Schulen miteinander wetteifern“. Dieses Mao-Zitat mag die Förderungspolitik von Vereinen und Kulturinitiativen in Wien und im Bund ganz gut kennzeichnen. Die Vielfalt des Landes zu unterstützen, das kann am Ende auch zu einer reinigenden Kritik des Staates beitragen. Soll sein.
Die Kampagne Maos in den 1960er Jahren stieß historisch indes recht bald an ihre Grenzen. Heutzutage, und in einer demokratischen Republik wie in Österreich, sind die Grenzen des Förderbaren wesentlich breiter zu ziehen. Die Frage muss aber dennoch gestellt werden: Soll mit öffentlichen Fördergeldern offensichtliche Pro-Putin Propaganda unterstützt werden?
Einen solchen Fall hat Sebastian Reinfeldt recherchiert, und zwar den Aktionsradius in Wien. Wir sehen unsere Leserinnen und Leser als kompetent genug an, die Frage der Förderwürdigkeit dieser Kulturinitiative selber zu beantworten. Wer mag, kann seine/ihre Einschätzung zu dem Thema auch begründen. Die Kommentare für unseren Beitrag sind jedenfalls freigeschaltet.
Wir haben zudem bei denjenigen öffentlichen Institutionen nachgefragt, die dem Aktionsradius Steuergeld für dessen Arbeit zur Verfügung stellen. Immerhin kann das in Summe rund 300.000 Euro pro Jahr ausmachen. Ihre Antworten sind interessant. So viel: Auch sie sehen Begründungsbedarf. Vielleicht beantwortet der Aktionsradius ja deren Fragen. Unsere waren ihrer offenbar nicht würdig. Von Sebastian Reinfeldt
Durchlauferhitzer für Propaganda
Zuerst eine Art Disclaimer. Im Aktionsradius war ich meiner Erinnerung nach persönlich noch nie. Aber erwähnt worden bin ich. Im Rahmen einer Diskussion zu Edgar Morin: Von Krieg zu Krieg (ab 1h:50 im hier verlinkten Video. ) Es hätte eine Boykottkampagne gegen eine „Friedenskonferenz“ gegeben, an der ich beteiligt gewesen war. Tatsächlich war diese „Friedens-“ Zusammenkunft fragwürdig, denn es fehlten relevante Stimmen aus der Ukraine, die sich überraschenderweise weigerten, mit Propagandisten der Invasoren und deren Diskursführern einfach so an einen Tisch zu sitzen. Semiosis hatte berichtet und sich an einer zivilgesellschaftlichen Initiative gegen den Kongress beteiligt, mit dem Resultat, dass ursprünglich unterstützende Institutionen wie der ÖGB und ATTAC sich zurückgezogen haben und diese Konferenz zum reinen Durchlauferhitzer für Putinsche Propaganda wurde. Aufgrund der öffentlichen Kritik allerdings in einem wesentlich kleineren Rahmen als geplant.
Für den Aktionsradius gilt, aus meiner Sicht, ähnliches.
Vom Abendessen mit Putin an den Redetisch in Wien: Willy Wimmer
Dieses Foto von einem Dinner mit Putin wurde im Dezember 2015 anlässlich der 10-Jahresfeier der russischen Propagandaschleuder Russia Today RT aufgenommen. Am Tisch sitzen – neben dem späteren Trump-Berater Michael Flynn, die spätere Präsidentschaftskandidatin der amerikanischen Grünen, Jill Stein, dann der unverbesserliche Emir Kusturica – ein gewisser Willy Wimmer, ein konservativer Politiker aus Deutschland aus dem deutsch-nationalen CDU-Umfeld. Dieses Abendessen ist kein geheimes Treffen im Hinterzimmer, sondern eine öffentlich inszenierte Propaganda-Show. Dem damaligen nur Wahlkampf-Berater Flynn zahlte Putin für eine Rede beim Event übrigens stolze 45.000 Dollar, berichtet zumindest NBC. Ein Jahr zuvor besetzte Russland die Krim; die folgende drohende internationale Isolation sollte mit Events wie diesem durchbrochen werden.
Wimmer an Putin: Sie beachten das Völkerrecht und stehen für die Werte der Familie
Wimmers prominenter Platz am Tisch Putins ist kein Zufall. Ein Jahr später, am 07. April 2016, richtet er am Rande einer Diskussion in Russland öffentlich, vor laufender RT-Kamera, folgende Sätze an den Präsidenten Putin, der diese auch noch zustimmend live vom Deutschen ins Russische übersetzt.
Und ich habe aus meiner Sicht gesagt, wenn ich als Ausländer auf Russland blicke, dann stelle ich wohl fest, was für Russland spricht: Das ist die Beachtung des Völkerrechts, das ist die Beachtung des Friedens, sie stehen für die Werte der Nation, sie stehen für die Werte der Familie und sie stehen für die Werte des Glaubens“
(156) Willy Wimmer wird von Wladimir Putin übersetzt 07.04.2016 – YouTube
In seiner Reaktion auf Wimmers Beitrag, der auf Russia Today/RT live verbreitet wurde, hebt Putin zu einer patriotischen Rede an. Die Liebe zum Land trügen alle Russen in ihrem Herzen, meint er dabei. Der Auftritt Wimmers vor laufender Kamera ist nicht nur eine peinliche Unterwerfungsgeste; er ist auch politisch brandgefährlich.
Zeitsprung:. Am 25. Juli 2022 redet der linke Wiener Publizist und Verleger Hannes Hofbauer im Aktionsradius im Livestream mit eben jenem Willy Wimmer. Das Gespräch greift wesentliche Talking Points aus dem rhetorischen Rechtfertigungsarsenal für Russlands Invasion auf. So etwa hätte die Ukraine durch einen Truppenaufmarsch am Donbas die Militäraktion Russlands provoziert, was ja völlig verkennt, wie lange und wie intensiv Putin seine Invasion der Ukraine bereits geplant hat. Beginnend mit der Krim, der Infiltration des Donbas und so weiter. Es ergibt sich eine rechtfertigende Litanei, die auf eine Pro-Putin Propaganda in Reinkultur hinausläuft, eine Propaganda, der im Verlauf des Gesprächs mit keinem Wort widersprochen wird. So lässt sich das Gespräch jedenfalls bewerten.
Spannend ist zu beobachten, wie sich der rechtsnationale Politiker und der links-nationalistische Verleger glänzend verstehen, wenn sie sich im Gespräch gemeinsam gegen „den“ Westen stellen. Der Höhepunkt dessen bietet dann die Behauptung Wimmers, der vorherige US-Präsident Trump habe die Probleme mit Putin im Dialog lösen wollen, wofür er, so Wimmer wörtlich, „niedergemacht“ worden sei. Und die Kräfte, die ihn niedergemacht hätten, seien jetzt „in den Krieg gegangen“, meint Wimmer. Der Aggressor wird zum Opfer – das scheint der Kern dieses „Friedensdiskurses“ zu sein.
Von Russia Today nach Wien
Öffentliche Figuren aus dem Russia Today-Umfeld, seit 2009 nur als RT bezeichnet, sind gerne gesehen im Aktionsradius. Und das nicht nur in Gestalt des RT-Kommentators und Putin-Stichwortgebers Wimmer. Im oben erwähnten Gespräch wird dann auch artig kritisiert, dass die europäischen Kanäle dieses russischen Propagandamediums abgeschaltet worden sind. Von Zensur ist dabei die Rede.
Im Aktionsradius hingegen ist Russia Today eine Quelle des „Friedensdiskurses“. Am 9. Mai 2023 war eine weitere laute Stimme von Russia Today in Wien zu Gast. Was der ehemalige RT-Online-Chefredakteur Florian Warweg – er übte diese Tätigkeit von September 2014 bis Januar 2022 aus – zur russischen Invasion denkt, breitete er dort im Duett mit dem Verleger Hannes Hofbauer aus. Beide geben einen guten Einblick in den Stand des linken Anti-Imperialismus Diskurses, um den es im Aktionsradius in Wahrheit geht. Anlass: Das im Promedia-Verlag herausgegebene Buch „Kriegsfolgen.“
Einleitend wird betont, dass der Einmarsch Russlands in die Ukraine völkerrechtswidrig gewesen sei. Es folgt das berühmte „aber“. „Tatsächlich hat es natürlich eine Vorgeschichte gegeben,“ referiert der Herausgeber Hofbauer. Diese Vorgeschichte sei ein Angriff der Ukraine „auf die eigene Bevölkerung“ in Slawjansk im Mai 2014.
Dass Russland die Region zuvor mit paramilitärischen Truppen infiltriert und aufgerüstet hat, dass dort von Russland gesteuerte Separatisten am Werk waren, und dass die Aktion der ukrainischen Armee nicht sonderlich erfolgreich war, erwähnt er nicht. Als „Vorgeschichte“ des heutigen Kriegs taugt die Aktion jedenfalls nur in einem propagandistischem Kontext, oder, wie Hofbauer verniedlichend meint: als „Narrativ“. Ein Anti-Maidan war diese von Russland aus damals orchestrierte Aktion jedenfalls nicht.
In seinem Beitrag entwickelt Warweg die These, dass die Nordstream-Pipeline ein zentraler Kriegsgrund sei, da die USA den Exporteur Russland verdrängen wolle. So die Zusammenfassung in einem Satz. Imperialismus, so kann auch dieses Argument pointiert werden, gebe es nur auf Seiten der USA. Russland und Deutschland hätten hingegen legitime, gemeinsame wirtschaftliche Interessen. Wenn nicht die transatlantischen Einflüsse wären, die letztlich für den Einmarsch in die Ukraine mit verantwortlich seien.
Die Rolle von Russia Today/RT
Warweg war Online-Chef der deutschen RT-Kanäle. Nun ja, so mag man einwenden: Warweg hat halt bei einem Medium mit Russlandbezug gearbeitet, von irgendwas muss ein Journalist ja leben. Dieser Einwand verkennt die zentrale Funktion, die diese Kanäle innehaben – und die Rolle, die links-anti-imperialistische Kritik dabei spielt. Ursprünglich sollte der Staatssender Russia Today/RT das Gute und Herzeigbare Russlands medial aufpolieren, um das negativ-stereotype Bild des Landes im Westen zu korrigieren. Der Strategiewechsel vollzog sich 2008 hin dazu, negative Nachrichten über westliche Länder zu verbreiten, so Marcel Herpen in seinem Buch Putin’s propaganda machine : soft power and Russian foreign policy von 2016.
Die RAND Corporation, ein transatlantisches Think Tank, hat sich die Funktion der russischen Propaganda angeschaut: Sie „unterhalte, sie verwirre und sie überwältige die Zuschauer“, so die Autoren. Als krassestes Beispiel mag die verzerrende und sachlich falsche Darstellung von RT zum Abschuss des voll besetzten Malaysia-Airlines-Flug 17 durch russische Truppen dienen. So verbreitete der spanische Ableger von RT die These, der Abschuss sei durch einen ukrainischen Kampfjet erfolgt. Dabei berief sie sich auf einen angeblichen spanischen Fluglotsen, der sich im Nachhinein als von RT bezahlter Krimineller herausstellte, der diese Rolle nur spielte. Radio Free Europe deckte die RT-Propagandalüge auf.
Was das staatliche Medium Russia Today betreibt, ist pure Staatspropaganda für Russland mit einem klaren Interesse; dieses Medium ist der verlängerte Arm der russischen Kriegsmaschinerie. Jemand, der jahrelang und unter der Maßgabe dieses Strategiewechsels die Onlineredaktion von RT Deutsch gleitet hat, in Wien ohne einen Widerpart auftreten zu lassen, ist mindestens fahrlässig. Damit verbreitet man, so meine persönliche Meinung, russischer Propaganda im Kleid eines angeblichen Friedensdiskurses. Das ist es, was aus meiner Sicht im Aktionsradius vor sich geht.
Öffentliche Förderung
Die Tätigkeit des Aktionsradius wird öffentlich gefördert. Im Sinne des Ausspruchs Maos von den hundert Blumen und hundert Schulen wäre das in Ordnung. Doch weil dort konstant und einseitig Elemente der russischen Propaganda verbreitet werden, wird sich der Aktionsradius Fragen gefallen lassen müssen: Selbst im linken Spektrum in der Ukraine existieren relevante Stimmen von Aktivist:innen, die nach Wien kommen könnten und aufzeigen, wie Russland agiert, wie deren (im Aktionsradius kaum thematisierten) Kriegsverbrechen aussehen und was für eine Katastrophe eine militärische Niederlage der Ukraine bedeuten würde.
Sie kommen konsequent nicht zu Wort.
Wie und warum wird so etwas öffentlich gefördert?
Auf Semiois-Nachfrage erläuterte das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS), dass der Aktionsradius im Jahr 2024 mit 44.000 Euro „für sein Jahresprogramm“ unterstützt werde.
Die Stadt Wien bezifferte die Förderung für 2024 mit 220.000,- Euro, und für das Jahr 2023 mit 210.000,- Euro.
Einzelne Projekte wurden nicht zusätzlich gefördert.
Antwort der Kulturabteilung der Stadt Wien auf Semiosis-Nachfrage
Unsere Recherche in den öffentlichen Förderberichten der Jahre zuvor hat für das erste Ukraine-Kriegsjahr 2022 ergeben, dass insgesamt 300.000 Euro öffentliche Förderung bezogen worden sind; 2023 betrug diese zusammen gerechnete 245.00,- Euro (35.000,- vom Bund und 210.000,- von der Stadt Wien). Zum Vergleich: Im Vor-Corona und Vor-Kriegsjahr 2019 bezog der Aktionsradius Wien insgesamt 232.900,- Euro öffentlicher Förderungen.
In ihren Antworten auf unsere Medienanfragen betonen beide Fördergebenden die Unabhängigkeit der Kulturinitiativen, die einen hohen Wert habe. Aber:
Für die Kulturabteilung sind die wesentlichen Grundwerte, die unsere Gesellschaft und somit auch die Wiener Kulturlandschaft prägen, selbstverständlich. Dazu gehört die Vielfalt in allen kulturellen Bereichen, ein Bewusstsein für Gleichstellung und ein klares Bekenntnis gegen jede Form der Diskriminierung. Dies spiegelt sich in unserem Code of Ethics und in den Förderrichtlinien wieder, die für alle Fördernehmer*innen gleichermaßen gelten.
Antwort der Kulturabteilung der Stadt Wien auf Semiosis-Nachfrage
Fragen an den Aktionsradius
Das BMKÖS antwortete auf die inhaltliche Nachfrage von Semisois wie folgt:
Die Kritik an der an der Ausrichtung der von Ihnen erwähnten Veranstaltungsreihe wurde an die zuständige Abteilung weitergeleitet und wird im Zusammenhang mit dem nächsten Förderantrag des Vereins thematisiert werden.
Antwort des BMKÖS auf Semiosis-Nachfrage
Spätestens dann muss der Aktionsradius kritische Fragen auch wirklich beantworten. Mehrfach habe wir diesen nämlich per Mail um ein Statement gebeten. Unsere Anfrage lautete:
Im Zuge einer Recherche zum Thema „Zivilgesellschaft und Krieg und Frieden“ habe ich Fragen zur Programmgestaltung der Schwerpunkte des Aktionsradius (…) :
1) Nach welchen Kriterien werden die Referent:innen im Aktionsradius ausgewählt?
2) Was ist die Zielgruppe und die Zielsetzung von Veranstaltungen im Aktionsradius?
3) Warum kommen Referent:innen zum Ukraine-Krieg bzw. zum Angriff Russlands auf die Ukraine durchwegs aus einem „Lager“?
4) Warum ist die Funktion als Kriegspropagandist für Russland kein Ausschlussgrund bei Veranstaltungen?
Diese Frage bezieht sich beispielsweise auf Vortragende wie Florian Warweg (ehem. RT Deutsch Online Chefredakteur) oder aber Willy Wimmer, die im Aktionsradius aufgetreten sind.
Unbeantwortete Medien-Anfrage von Semiosis an den Aktionsradius Wien
Antworten sind jederzeit willkommen.
Unser Titelbild ist ein Video-Still der Aufnahme der Veranstaltung mit Willy Wimmer; das Video ist auf der Homepage des Aktionsradius öffentlich einsehbar.