SPÖ: Gut gemeint ist nicht automatisch politisch klug und effektiv

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By Sebastian Reinfeldt

Zwei SPÖ-Ereignisse sorgten in den vergangenen Tagen für mediale Erregung: Zum einen die missratenen Twitter-Sujets über die Regierung, die aus ideologischen Gründen nicht wirksam gegen die Inflation vorgehen möchte, und zum anderen die Ankündigung des SPÖ-Nationalratsklubs, für allfällige Zweidrittel-Mehrheiten, gleich um welches Thema es geht, nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Solange die Regierung nicht endlich wirksam gegen die Teuerungswelle vorgeht.

Beide Initiativen sind (möglicherweise) gut gemeint. Seit der Kandidatur von Andreas Babler rückt die SPÖ thematisch nach links und wirkt auch der Regierung gegenüber angriffiger. Doch ist diese mediale Themensetzung nicht genug. Sie kann sogar schädlich sein, da die Partei durch die Hängepartie der Mitgliederbefragung nach Außen hin zusätzlich erstarrt ist und sie daher medial etwas verspricht, das sie zum jetzigen Zeitpunkt nie und nimmer einlösen wird können. Von Sebastian Reinfeldt


Mitglieder bleiben ohne Infos

Nun bin ich ja Mitglied der Sozialdemokratie geworden. Das lege ich hiermit offen, nicht nur aus Transparenzgründen, sondern auch, um die Ereignisse aus der Perspektive eines ganz normalen Parteimitglieds zu schildern – eines Mitglieds, das lediglich auf Twitter mitliest, dort kommentiert und das Nachrichten hört. Welche Linie die Partei gerade fahren möchte, wurde uns weder angekündigt noch wurde es irgendwo parteiintern erkennbar beraten. „Zack“, so knallte uns die Bundesgeschäftsstelle die umstrittenen Anti-Teuerungs-Sujets hin. Und ebenso „Zack“, verkündete der Parlamentsclub in Gestalt einer Aussage von Jörg Leichtfried die Blockade-Linie. Ich habe eine SPÖ-App, die mich mit Neuigkeiten zur Partei versorgen könnte. Sie blieb bis heute stumm. Keine Erklärung, kein Aufruf. Einfach nichts. Die letzte Nachricht von Anfang Mai an mich berichtet davon, dass der grüne Sozialminister den sozialen Wohnbau in Wien gelobt habe.

Wer macht Kampagnen?

Offenbar hat es diese Partei nicht nötig, etwaige Kampagnen oder Strategien ihren Mitgliedern zu kommunizieren, geschweige denn zu erklären. Offensichtlich meint sie, Mitglieder bräuchte es gar nicht, um Kampagnen glaubhaft durchzuziehen. Wer dieser Tage mit Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen redet und sie fragt, warum es keine Mobilisierung gegen die Teuerung gebe (also: Demonstration, Aktionen in Betrieben, Stadtteilen oder Gemeinden), erntet nur Schulterzucken. Neben der brisanten Frage der Parteidemokratie: Wie will die SPÖ denn das Thema Teuerung glaubwürdig „besetzen“, wenn das nicht mit einem Austausch mit den Betroffenen verknüpft wird? Wie die Radikalität der Twitter-Sujets und Parlamentsreden transportieren, wenn nicht bei den Leuten?

Fast verschämt habe ich dabei erfahren, dass der ÖGB für Mai „Aktionstage“ plane. Sie scheinen ziemlich im Geheimen stattzufinden. Wer entwickelt solche Kampagnen? Was ist deren Zielsetzung? Wie werden sie zuvor intern kommuniziert? Was soll dabei herausschauen?

Viele offene Fragen zu einer Twitter-Kampagne

Fakt ist: Nur Zugriffsstatistiken alleine sagen nichts über die Wirksamkeit einer politischen Kampagne aus. Sicher stimmt auch: Sozialdemokratie kann und muss entschieden auftreten. In Zeiten wie diesen. Aber das Ganze sollte (inhaltlich und organisatorisch) Substanz haben. Dabei dürfen wir die eigenen Werte nicht mit Füßen treten. Tabu ist und bleibt aus meiner Sicht, das Aussehen eines Politikers zum Gleitmittel für eine politische Botschaft herzunehmen.

Doch mal abgesehen von diesem Aspekt, und in der Logik des Sujets verbleibend: Was folgt denn auf die von der Botschaft provozierte Antwort: Nein? Nein, diesem Mann würde ich kein Teuerungspaket abkaufen. Und nun? Was empfiehlt mir die Partei der Entrechteten? Was soll ich aufgrund meiner negativen Antwort tun? Wo ist das Angebot?

Wie lässt sie mich an ihrem kosmischen Plan zur Veränderung teilhaben?

Politische Veränderung geschieht nicht von allein

Egal , ob wir bei Karl Marx oder Antonio Gramsci oder Louis Althussser nachlesen, oder aber, ob wir die Geschichte erfolgreicher linker Mobilisierungen studieren: Politische Veränderung passiert nicht durch Twitter-Postings oder in Form von Parlamentsbeschlüssen. Sie kommen zustande durch Organisieren, das heutzutage „Organizing“ heißt und etwas subtiler und filigraner erfolgt, als dies vor 100 Jahren eventuell noch möglich war. Weil sich die Lebensituationen der Menschen, ihre Verortung in der Welt und damit ihr Klassenbewußtsein pluralisiert hat.

Die Sozialdemokratie to come

In Wahrheit ist die Partei bis zum 22. Mai – wie nach einem Schlangenbiss – gelähmt. Niemand kennt das Ergebnis der Mitgliederbefragung, niemand weiß genau, wie es dann weiter geht. Sie ist politisch nicht handlungsfähig, aus zig Gründen, an denen die Parteiführung, die Bundesgeschäftsstelle und auch der Nationalratsklub nicht ganz unschuldig sind. Das bedeutet: Sowohl dieses Reichweite-Grinden des SPÖ-Twitter-Accounts als auch der Beschluss des Nationalratsklubs zur Gesetzesblockade täuschen Radikalität und Handlungsfähigkeit nur vor. Möglicherweise sind sie nicht mehr als ein politisches Signal an die Bablerist*innen, die den Andreas Babler zu einer der in Zukunft relevanten Personen in der Partei gevotet haben. Die Message an sie soll wohl lauten: Schaut her, wir tun ja eh.

So wird das wenig bringen. Die Partei muss bottom-up neu aufgerichtet werden. Das machen diese beiden Initiativen deutlich: Sie sind gut gemeint, weil sie zeigen sollen, die SPÖ nimmt die Folgen der Teuerung bitter ernst. Sie sind aber weder politisch klug noch sonderlich wirksam. Was aber auch bedeutet: Schaden tun sie der Partei auch nicht mehr wirklich.

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