Seitdem Elon Musk die Übernahme von Twitter vollzogen hat, räumt er auf. Zumindest will er diesen Anschein erwecken. So kündigte er kurz nach Übernahme die Hälfte der Belegschaft der Firma per Mail. Bestimmte Teams wie das Human Rights -Team, die von rechtsextremer Seite in der Kritik standen, weil sie deren Accounts aus guten Gründen gesperrt haben, wurden dabei förmlich auf Null rasiert.
Mittlerweile versucht Twitter indes, eine Reihe der Gekündigten zurückzuholen. Zumeist die IT-Spezialist*innen. Zudem kündigt der neue Herr von Twitter an, dass er ein Bezahlmodell einführen wolle. Sein Versprechen: Für acht Dollar im Monat werden die eigenen Tweets und die der anderen, die bezahlen, vom Twitter-Mechanismus bevorzugt werden. Partiell wird dieses Ansinnen bereits umgesetzt.
Das wird dann sein Twitter-Tag-X werden, meint Sebastian Reinfeldt. Wir haben bereits für eine Alternative gesorgt und einen Mastodon-Server aufgesetzt. Kommt vorbei.
Kommunikation ist ein Grundbedürfnis
Jede und jeder definiert und erlernt den Umgang mit sozialen Medien auf ihre oder seine Weise. Das ist voll ok so, denn schließlich können wir nicht „nicht kommunizieren“. Seitdem ich konsequent auf Linux umgestiegen bin, vertrete ich engagiert den Open Source-Gedanken. Demnach muss Software frei und für alle Menschen zugänglich sein. Denn das, was wir damit tun – die Kommunikation und der Datenaustausch – ist ein Grundbedürfnis. Solch ein Austausch von Gedanken, Informationen und Haltungen auf 280 (anfänglich 140) Zeichen oder in längeren Threads macht den Kern von Twitter aus. Jede*r ist dabei im Prinzip gleichgestellt. Die Zahl der Follower*innen und die Interaktionen entscheiden (mit) über die Reichweite.
Das Twitter-Geschäftsmodell
Twitter selbst hat mit Open Source natürlich nichts am Hut. Seit Gründung des Unternehmens 2006 ist es proprietär. Sowohl der Betrieb als auch die Entwicklung der Plattform erfolgen zentralisiert. Die freie Alternative Mastodon hingegen ist quelloffen und dezentral; alle Entwicklungsschritte werden dokumentiert.
Twitter war (k)eine besonders rund laufende Geld-Maschine. Die knapp 240 Millionen Nutzer*innen zahlen mit ihren Klicks, Likes und Retweets auf der Plattform. Im Gegenzug bekommen sie die Chance auf Austausch und auf Informationen aus erster Hand. So ist Twitter oftmals schneller, direkter und authentischer als Nachrichtenagenturen oder professionelle Nachrichtenhändler*innen dies sind. Die Werbung (= gesponserte Tweets), die die Plattform zu 90 Prozent finanziert, ist zwar nicht cool. Mit ihr konnte ich aber umgehen.
Gelohnt hat sich das wohl nicht besonders. Im dritten Quartal 2021 machte der Umsatz zwar 1,28 Milliarden US-Dollar aus. Aber im vergangenen Quartal 2022 schrieb Twitter ein Minus von 270 Millionen Dollar. Da hatte Elon Musk allerdings bereits mit seiner Übernahme-Kampagne begonnen.
Das Bezahlmodell bricht mit der Twitter-Logik
Twitter war immer ein privates Unternehmen, das sich zumeist in der Hand einiger weniger Personen befand. Von 2013 bis Oktober 2022 listete sich Twitter an der Börse. Die Liste der Großaktionäre reicht vom saudischen Prinzen Al-Walid ibn Talal, der aktuell nach Musk der zweitgrößte Investor ist, bis hin zum Twitter-Mit-Gründer Evan Williams, Steve Ballmer und Twitter-Mastermind Jack Dorsey.
Ich kenne den Mechanismus nicht im Detail, der Twitter antreibt. Jedenfalls führten Klicks, Likes, Kommentare und Retweets zu Reichweite und damit zu Aufmerksamkeit. Da viele Medienmenschen auf Twitter aktiv sind und es als wichtige Infoquelle nutzen, konnten die Nutzenden über Twitter einen gewissen politischen Einfluss ausüben. So bekamen in Österreich ganz normale Twitter-Nutzer*innen „fame“ für kurze Zeit, wenn ihre Tweets in Zeitungen oder Fernsehsendungen zitiert werden.
Nun zählt nurmehr der blaue Haken, der acht Dollar pro Monat wert sein soll. Bis vor kurzem war dieser Haken noch ein Vertrauensmerkmal für verifizierte Großaccounts bekannter Personen. Jetzt soll er zum Nachweis eines fiktiven Privilegs werden, wie die Anstecknadel eines Anglervereins für langjährige Mitgliedschaft. Nur, dass die sie Tragenden rund 100 Dollar jährlich dafür entrichten sollen.
Jemand beutet unser Grundbedürfnis aus
Wenn wir also voraussetzen, dass Kommunikation nicht irgendwas ist, sondern ein menschliches Grundbedürfnis, dann beutet die Einführung des Bezahlgeschäftsmodells dieses Grundbedürfnis ganz offen aus. Jetzt mag man einwenden, dass das im Prinzip ja bereits vorher passiert sei und seit der Musk-Übernahme einfach ein anderer Mann den Ton angebe.
Doch die Änderung bewirkt mehr. Denn der neue Twitter-Mechanismus bedeutet, dass Meinungen und Informationen nach Geld gereiht werden, das man für sie einzahlt. Unser Grundbedürfnis wird somit direkt monetarisiert. Somit soll Twitter eine Geldmaschine für Elon Musk werden, der seine (überhöhten) 44 Milliarden US-Dollar für die Übernahme der Twitter-Aktien wieder einspielen möchte. Alleine, um die Kreditraten für die Banken zu bedienen.
Es gibt aber etwas, wogegen Musk und all die anderen nichts tun können. Wenn wir „I prefer not to…“ sagen und woanders und vielleicht auch auf andere Weise öffentlich kommunizieren.
Ihr findet mich als @sebrei@semiosen.de bei semiosen.de.