Philippinen: Zwei Journalisten-Morde in zwei Wochen

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By Gastautorin

Nach der gescheiterten Berufung der philippinischen Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa drohen ihr mehr als sechs Jahre Haft wegen angeblicher Verleumdung. Zu verzeichnen sind auch zwei Morde an Radiojournalisten innerhalb weniger Wochen. Auch unter dem neuen Präsidenten bleiben die Philippinen also ein gefährliches Land – nicht nur für Journalist*innen. Aber sie leben dort besonders gefährlich.

Wir bringen zur Situation auf den Philippinen einen Exklusiv-Beitrag von unserer Gastautorin Marina Wetzlmaier. Sie ist freie Journalistin und Autorin eines Buchs über Die Linke auf den Philippinen. Danke!


Hohe Medienvielfalt – aber eingeschränkte Pressefreiheit

Mit rund 600 Radiostationen und 500 Zeitungen zeichnen sich die Philippinen durch eine „außerordentlich hohe Medienvielfalt“ aus, hebt Reporter ohne Grenzen hervor. Viele dieser Medien befinden sich allerdings in Privatbesitz einflussreicher Clans oder Unternehmen und vertreten deren Interessen. Die Räume für kritischen, unabhängigen Journalismus hingegen werden immer enger und gefährlicher. Auf dem Index der Pressefreiheit belegen die Philippinen somit Platz 147 von 180 Ländern.

Direkte Angriffe auf Journalist*innen und Medien reichen von verbaler und physischer Gewalt bis hin zum Sperren von Nachrichtenseiten (wie zuletzt im Fall vom Bulatlat.com). Drohungen zu erhalten, gehört zum Arbeitsalltag kritischer Journalist*innen.

Ernst zu nehmen ist jede dieser Nachrichten, denn alle Journalist*innen, die ermordet worden sind, haben im Vorfeld Drohungen erhalten,

sagt Nonoy Espina, einstiger Obmann der National Union of Journalists of the Philippines, NUJP.

Zwei Morde in zwei Wochen

Drohungen erhielten auch die Radiojournalisten Percival Mabasa und Rey Blanco. Die beiden ersten Journalistenmorde unter der neuen Präsidentschaft von Ferdinand Marcos Jr., der seit 30. Juni 2022 als Nachfolger Rodrigo Dutertes im Amt ist. Percival Mabasa, auch bekannt als Percy Lapid, wurde am 3. Oktober 2022 in der Hauptstadt Manila erschossen. In seinem Programm, das auch online als Video gestreamt wurde, hatte er sich sehr kritisch gegenüber Duterte und Marcos Jr. geäußert. Laut NUJP ist Mabasa der 197. Journalist, der seit 1986, dem Ende der Marcos-Diktatur, ermordet worden ist. Rund zwei Wochen zuvor, am 18. September, wurde Rey Blanco aus dem Hinterhalt erstochen.

Journalist*innen haben aber auch mit Klagen zu kämpfen, speziell Verleumdungsklagen. International bekannt wurde der Fall von Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa, Chefredakteurin des Nachrichtenportals Rappler.

Hoffen auf das Oberste Gericht

Im Juni 2020 wurde sie mit ihrem Kollegen Rey Santos wegen angeblicher Verleumdung verurteilt, wodurch ihnen eine Haftstrafe von bis zu 6 Jahren droht. Eingebracht hatte die Klage ein Geschäftsmann, der in einem Rappler-Artikel mit illegalem Menschen- und Drogenhandel in Verbindung gebracht worden ist. Den Antrag Ressas auf Prüfung des Urteils hat das Berufungsgericht in einer Entscheidung vom 10. Oktober 2022 nicht nur abgelehnt – es legte noch 8 weitere Monate zu den 6 Jahren Haft drauf.

Nun liegt die ganze Hoffnung beim Obersten Gerichtshof. Er kann Maria Ressa und Rey Santos doch noch vor dem Gefängnis bewahren. Doch auch der Oberste Gerichtshof ist politisch beeinflusst: Sowohl der Oberste Richter als auch die 14 weiteren Mitglieder werden laut Verfassung vom Präsidenten ernannt. Nur zwei der aktuellen Mitglieder des Obersten Gerichtshofs wurden nicht vom berüchtigten früheren Präsidenten Duterte eingesetzt. Grundlage für Ressas Verurteilung ist übrigens ein Gesetz von 2012, das eigentlich zur Prävention von Cyberkriminalität dienen sollte.

Schon damals befürchteten Medien und Juristinnen allerdings, dass dieses Gesetz für Angriffe auf die Pressefreiheit missbraucht werden könnte. Die eben beschriebene Klage ist nur eine von 23, mit denen Maria Ressa und Rappler-Mitarbeiter*innen seit 2018 konfrontiert waren und weiterhin sind.

Kritischer Journalismus ist kein Terrorismus

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte, dass philippinische Politikerinnen Gesetze ausnutzen oder manipulieren, um kritische mediale Stimmen zu verfolgen. Gefürchtet ist vor allem Dutertes „Anti-Terrorgesetz“ von 2020. Was als Terrorismus gilt oder nicht, lässt sich laut diesem Gesetz großzügig interpretieren. So sollen jene bestraft werden, die terroristische Aktivitäten anstiften, auch wenn man nicht direkt involviert sei. Oft werden Menschenrechtsverteidiger*innen sowie Journalist*innen unter dem Vorwand verhaftet oder angegriffen, dass sie Verbindungen zur kommunistischen Partei oder zur kommunistischen Untergrundbewegung hätten. Eine Vorgangsweise, die bereits einen Namen hat: red-tagging.

Ein roter tag bedeutet: Lebensgefahr

Als „rot“ markiert zu werden, bedeutet in der Praxis, dass die Betroffenen in Lebensgefahr schweben. Auch Rappler ist ein regelmäßiges Ziel dieses red-tagging. Unter dem Motto „Journalismus ist kein Terrorismus“ prangert die Journalistengewerkschaft NUJP dieses Vorgehen an. Es handle sich um einen klassischen Versuch, die Wahrheit zu unterdrücken und stattdessen Desinformation zu streuen, heißt es in einem Statement.

Kampf gegen Desinformation

Kritische Journalist*innen sind nicht nur mit Drohungen und Klagen konfrontiert. Als große Herausforderung sehen sie derzeit den Kampf gegen Fake News. Dass im Mai 2022 ausgerechnet Ferdinand Marcos Jr., der Sohn des einstigen, gleichnamigen Diktators, zum Präsidenten gewählt worden ist, betrachtet Maria Ressa als Folge jahrelanger Desinformation.

Maria Ressa CC BY-SA 4.0

Verbreitet werden Falschmeldungen speziell über die sozialen Medien, deren Reichweite und Einfluss in den Philippinen von großer Bedeutung ist. Von rund 111 Millionen Einwohnerinnen gibt es 76 Millionen Internetnutzerinnen. Interessanterweise liegt die Zahl der Facebook-Nutzerinnen mit etwa 83 Millionen höher, wie der philippinische Politikwissenschaftler und Journalist Eric Gutierrez hervorhebt.

Desinformationsindustrie: ein Spielfeld für Fake-Accounts und Trolle

Die Zahlen lassen erahnen, dass sich dahinter Fake-Accounts und sogenannte Trolle verbergen – Personen, die dafür bezahlt werden, Social Media-Kanäle mit Postings und Kommentaren zu fluten, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Eine Strategie, die bereits Rodrigo Duterte verfolgt hat und die nun unter dem neuen Präsidenten fortgeführt wird. Narrativ einer „goldenen Ära“. In Ferdinand Marcos Jr.s Wahlkampf setzte sich ein neues Narrativ über die Geschichte der Philippinen durch: nämlich, dass die Kriegsrechts-Zeit seines Vaters (1972-1986) eine ‚goldene Ära‘ gewesen sei, eine Zeit, in der das Land wirtschaftlich florierte und die Menschen glücklich gewesen seien. Kein Wort mehr über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, über die Verfolgung politischer Kritiker*innen und der fehlenden Pressefreiheit.
Journalist*innen versuchen diesem Narrativ mit Faktenschecks entgegenzutreten. Ein Wettlauf mit der Zeit, wie die Journalistin Ellen Tordesillas schildert:

Wir haben Mühe mit unseren Recherchen nachzukommen.

Während sich Falschmeldungen innerhalb von Minuten ausbreiten, benötigen Faktencheckerinnen bis zu sechs Stunden, um ihre Richtigstellungen zu verfassen. Veröffentlicht werden diese etwa auf der Investigativ-Plattform VERA Files , die Ellen Tordesillas mit Kolleg*innen betreibt. VERA Files ist Teil des Netzwerks Tsek.ph, einer Initiative von 34 Akteurinnen aus den Bereichen Medien, Forschung und Zivilgesellschaft. Unser Titelbild gibt einen Einblick in ihre Arbeit.
Im Rahmen einer Wahlanalyse auf Rappler waren sich Kommunikationsexpert*innen einig: In den kommenden sechs Jahren werde eine Professionalisierung der Desinformations-Industrie vorangetrieben. Denn Marcos Jr. müsse seine Erzählung, die ihn zum Präsidenten gemacht hat, aufrecht halten, um bei den Wählerinnen beliebt zu bleiben.

Internationale Solidarität ist gefragt

Auch international gibt es Vernetzungen. In der Hold the Line Coalition haben sich weltweit rund 80 Organisationen zusammengefunden, um Maria Ressa und die unabhängige Berichterstattung in den Philippinen zu unterstützen. In einem öffentlichen Appell an Marcos Jr. fordert sie, dass er sich von der Duterte-Linie, unter der Journalist*innen verfolgt worden sind, distanziert und alle Klagen gegen Maria Ressa und Rappler einstellt. Im September hatte Marcos Jr. betont, dass er sich nicht in den Fall einmischen wolle. Laut NUJP bleiben die Philippinen ein gefährliches Land für Journalist*innen, wie die anhaltenden Klagen gegen Rappler und nicht zuletzt die beiden kürzlichen Morde zeigen.


Interview mit Melinda Quintos de Jesus vom Center for Media Freedom and Responsibility (Semiosis, 14. Juni 2020)

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