Ende August erreichte das Semiosis-Team eine Information aus verlässlicher Quelle, dass die Kühlkette der zweiten Lieferung an Imvanex Impfstoffdosen gegen Affenpocken unterbrochen worden sei. Impfstoffe als biologisches Material sind anfällig für Verfall und Kontaminationen, weshalb Transport und Lagerungen besonderen Anforderungen unterliegen. Wir sind der Information nachgegangen. Hier berichten wir über unsere Spurensuche bei nicht sehr auskunftsfreudigen Behörden. Von unserem neuen Autor Felix Schmidtner unter Mitarbeit von Sebastian Reinfeldt
Späte Affenpocken-Impftermine in Österreich
Anfang August 2022 kündigt das Gesundheitsministerium selbstbewusst eine zweite Lieferung von 2000 Imvanex Dosen an, nachdem die HOSI Wien Anfang August die langsamen Fortschritte bei der Beschaffung von Affenpocken-Impfstoff kritisiert hatte. Gesehen hat man die Lieferung in Österreich bislang nicht. Ende August teilte das Ministerium gegenüber der APA mit, dass diese auf Grund „mangelnder Nachfrage“ noch nicht verteilt wurden. Diese Aussage überrascht. Nicht nur, weil zu diesem Zeitpunkt in Österreich noch gar keine Möglichkeit bestand, sich vorsorgend zu impfen. So sollte – so erzählen uns mit der Sache vertraute Kreise – hiermit ein Fauxpas beim Transport kaschiert werden.
Es wäre ein Skandal, wenn queere Männer auf Impfstoff warten müssen, weil die Behörden nicht zur richtigen Handhabung fähig sind. In Deutschland etwa begann das entsprechende Impfprogramm bereits im Juli 2022.
Die Entwicklung des Impfstoffs
Der aktuelle Affenpockenimpfstoff wurde in München entwickelt. Basis des Impfstoffs ist das „Vaccinia“-Virus, auf dem auch frühere Pockenimpfstoffe beruhen. „Vaccinia“ ist zugleich noch ein wissenschaftliches Mysterium, da sein genauer Ursprung unbekannt ist. Es ist ein schwächeres Virus, das nahverwandt zu den gewöhnlichen Pocken als auch zu den Affenpocken ist. Ansonsten kommt es in der Natur nicht vor. Bei älteren Pockenimpfstoffen wurde „einfach“ dieser „Vaccinia“-Virus verimpft. Dieser ist zwar schwächer, kann aber bei immunsupprimierten Menschen zu Komplikationen führen. Ansteckungen sind möglich. Bei der Entwicklung des neuen Affenpocken Impfstoffes züchten die Wissenschaftler*innen den Virus so lange in Hühneremybro-Fibroblasten (also in sehr simplen Bindegewebezellen), bis sich der Virus nicht mehr replizieren kann.
Der Weg von Dänemark nach Österreich
Dieser Münchener Impfstoff wurde inzwischen von Bavarian Nordic weiterentwickelt und derzeit auch hergestellt. Bavarian Nordic hat in ihrer Fabrik im dänischen Kvistgaard bereits 28 Millionen Dosen des Impfstoffs für die Lagerbestände der USA produziert. Auf EU-Ebene sind Beschaffung und Kontrolle harmonisiert. Den Vertrag mit Bavarian Nordic schloss die EU-Behörde für Krisenvorsorge HERA am 14. Juni ab. Einen guten Monat später, im Juli 2022, traf die erste Lieferung des Impfstoffs in Österreich ein. Die zweite Lieferung erreichte uns Anfang August. Die Chargen, die in Österreich und in anderen EU-Staaten eintrafen, hat das Paul Ehrlich Institut in Langen (das ist in der Nähe von Frankfurt am Main) kontrolliert. Der Transport erfolgte seitens einer der pharmazeutischen Vollgroßhändler, wie das Ministerium mitteilte. Richter Pharma Linz und Kwizda sollen Monkeypox Vaccines bereits zuvor vorrätig gehabt haben. Der Verband der pharmazeutischen Vollgroßhändler (Phago) wollte auf unsere Nachfrage hin aufgrund von Verschwiegenheitspflichten aber keine Angaben machen, wer für den Impfstoff-Transport verantwortlich ist.
Welche Informationen stehen im Raum?
Eine vertrauliche Quelle berichtete uns dazu, dass es „immer wieder zu Unfällen“ käme. So wäre beim Transport der zweiten Affenpockenimpfstoff-Lieferung die Kühlkette unterbrochen worden. Die Impfstoffdosen würden daher in der Klinik Favoriten weiter überwacht, bevor diese weiter verteilt werden. Für die Überwachung wurde Ende August ein Zeitraum von zwei Wochen veranschlagt. Während dieser Zeit seien die Dosen in Quarantäne. Einer Expertin zufolge entspricht das der Dauer eines Sterilitätstests, der mindestens zwei Wochen benötigt. Während dieser Zeit werden vom Liefergut entnommene Proben täglich auf Kontaminationen kontrolliert. Die Klinik Favoriten möchte sich diesbezüglich uns gegenüber nicht äußern. Auch in Wien will man darüber nichts wissen:
Eine solche Prüfung bei der Abnahme der Lieferung erfolgt nicht über die Klinik Favoriten, sondern wie immer über das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG),
erläutert uns Mario Dujakovic, Pressesprecher des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker. Das BASG wiederum meint auf Nachfrage, dass es in Österreich keine eigene Überprüfung gegeben habe. Die Prüfergebnisse aus Deutschland würden einfach übernommen.
In diesem Fall hat das Paul Ehrlich Institut (PEI) in Deutschland die Methode für diesen speziellen Impfstoff und daher die Kontrollen der Affenpockenimpfstoffe für die EU übernommen. Dieses Chargenprüfungszertifikat ausgestellt durch das PEI, also eines behördlichen Kontrolllabors aus dem EU-Netzwerk EDQM (European Directorate for the Quality of Medicines & HealthCare), ist Grundlage für die verpflichtende gegenseitige Anerkennung.
Stellungnahme des BASG gegenüber Semiosis
Öffentlich möchte niemand sprechen
Das Semiosis-Team hat sich zudem bei Personen umgehört, die im Gesundheitsbereich arbeiten. Öffentlich dazu äußern mag sich niemand. Offiziell weiß auch niemand etwas. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) hat auch keine Meldungen über Verzögerungen oder Unterbrechungen der Kühlkette erhalten. Es verweist aber auf das Ministerium, das für die Beschaffung zuständig ist.
Das Ministerium mag auf unsere Fragen nicht genauer eingehen und verweist wiederum auf die Prüfungen des BASG. Die haben aber nach eigenen Angaben gar nicht geprüft. Wir sind also wieder einmal in einem typisch österreichischen Verweisungsringelreihen gefangen. Jedenfalls seien alle Qualitätsstandards bei der Lieferung eingehalten worden, heißt es beim BASG beruhigend. Dabei sticht ein spannendes Detail heraus: Präexpositionelle Impfungen sind weiterhin nur für 4000 Personen vorgesehen, was dem anteiligen gefünftelten Drittel der Dosen der ersten Lieferung entspricht (ein Drittel von 2400 Dosen mal fünf Impfungen, die man aus einer solchen Dose ziehen kann). Dosen der zweiten Lieferung werden also nicht für vorsorgende Impfungen berücksichtigt.
Aus diesem Grund werden in Wien derzeit pro Tag nur 18 Impfdosen verabrbreicht – aus der ersten Lieferung. Das hat uns das Büro von Gesundheitsstadtrat Hacker mit einer komplexen Rechnung bestätigt. Laut Bevölkerungsschlüssel stehen Wien aus der ersten Lieferung 500 Impfdosen zu.
Im Erlass des Gesundheitsministers steht, dass zwei Drittel davon für postexpositionelle Impfungen und ein Drittel für präexpositionelle Impfungen verwendet werden dürfen. Das wären rund 160 Impfdosen. Nachdem im Erlass auch geregelt ist, dass die präexpositionellen Impfungen intradermal, also „unter die Haut“ verabreicht werden, können aus einer Impfdosis bis zu 5 Personen geimpft werden. Dann wären wir bei 800. Eine Affenpocken-Impfung besteht aus 2 Teilimpfungen im Abstand von 28 Tagen. So kommen wir auf 400 Personen, die wir präexpositionell schützen können. Nachdem das mit der ganz genauen Dosierung beim Aufziehen der Spritzen wohl nicht zu 100 Prozent klappen wird, haben wir mit 4,5 Impfungen pro Dosis gerechnet. So ergibt sich eine Unterkante von 360 Personen. Und 360 Dosen verteilt auf 4 Wochen auf 5 Tage die Woche ergeben genau 18 pro Tag.
Antwort vom Wiener Gesundheitstsadtrat-Pressesprecher Mario Dujakovic auf Semiosis-Nachfrage
Die normalen Transportvorkehrungen
Dass es Temperaturschwankungen beim Transport von Impfstoffen gibt, ist durchaus möglich: Daher muss das bei der Zulassung mitbedacht werden. Die Verpackungseinheiten werden daher mit einem Sensor versehen, der während des gesamten Transportes die Temperatur überwacht. Es kann sich also sowohl um geringfügige Schwankungen gehandelt haben, als auch um einen technischen Ausfall des Kühlgeräts.
Für die dauerhafte Lagerung des Affenpockenimpfstoffes sind Temperaturen von -20°C, -50°C oder – 80°C vorgesehen. Abhängig von der Temperatur variiert die Haltbarkeit der Dosen zwischen zwei und fünf Jahren.
Wenn der Impfstoff einmal aufgetaut wurde, sollte er nicht wieder eingefroren werden. Kurzzeitig – für den Zeitraum von zwei Monaten – kann der Impfstoff aber auch bei 2 – 8° C im Kühlschrank gelagert werden.
Es wird nur sicherer Impfstoff verimpft
Als sicher anzunehmen ist, dass es in dem Fall Abweichungen in der erlaubten Temperatur gab, ob der Sensor Kühlschranktemperatur oder gar 20°C wahrnahm, bleibt unklar. Wenn es keine Unregelmäßigkeiten gegeben hätte, wären keine Untersuchungen in dem Ausmaß nötig gewesen. Schließlich wurde die vorgesehene Chargenkontrolle bereits in Deutschland durchgeführt, womit die BASG selbst keine weiteren Chargenkontrollen für nötig sieht.
Bei den weiteren Untersuchungen soll sich aber der Impfstoff dennoch als sicher erwiesen haben. So hören wir. Es konnten keine Keime in den Proben festgestellt werden, die einen Rückruf der Dosen zu Folge hätten. Abgesehen davon wird diese zweite Lieferung weiterhin nicht verteilt. Bei den Impfterminen, die diese Woche starten, werden nur Dosen aus der ersten Lieferung verimpft.
Arzneimittel und Impfstoffe unterliegen nicht ohne Grund strengen Qualitätsstandards. Wenn diese nun eingehalten wurden, steht der Verteilung auch der zweiten Lieferung nichts mehr im Weg.
Titelbild: Das Affenpockenvirus unter dem Elektronenmikroskop, grün coloriert. National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) – Wikipedia.
Zum Thema
Affenpocken: Schon wieder total überrascht und nichts gelernt? (Semiosis, 29. August 2022)