Twitter-Essay: Wie unter Rauch die Schwurbler gewannen

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By Gastautorin

Am 26. Juli 2022 absolvierte Gesundheitsminister Johannes Rauch zwei große Medienauftritte: Um 16:30 Uhr eine Pressekonferenz, bei der er und Wirtschaftsminister Martin Kocher sowie Katharina Reich (Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit) das Ende der Quarantäne für Corona-Positive verkündeten. Und zu begründen versuchten. Am Abend dann beantwortete er in der ORF-Sendung Zeit im Bild 2 die Fragen des Journalisten Martin Thür.

Beide Termine gingen schief. Während er auf der Pressekonferenz noch meinte, infizierte Kinder sollten mit Maske in den Kindergarten gehen, verstieg er sich am Abend zu der Aussage, sie könnten auch einfach so dorthin.

Indes: Seine eigene Verordnung, zum Zeitpunkt des ersten Medienauftritts bereits unterschrieben, sagte etwas anderes aus. So folgte heute auf Twitter der Rückzug: „Sorry. Tatsächlich gibt es ein Betretungsverbot.“ Die Regierung wartete keine Stellungnahmen zur Verordnung ab. So tauchen immer mehr Ungereimtheiten auf. Die Verwirrung ist groß.

Im Rahmen der Pressekonferenz kündigte der Minister zudem an, er möchte gerne einen Essay über Twitter schreiben. Irgendwann.

Wir haben daraufhin Twitter-User*innen, die das Wirken des Ministers schon länger kritisch beleuchten, um eigene Texte gebeten: Twitter-Essays über den Minister sozusagen. Twitter-Userin Anne hat diese Gelegenheit genutzt. In ihrem Beitrag zeigt sie auf, wie gut es ist, dass das Internet nicht vergisst.

Das Titelbild stammt übrigens von unserem Kollegen Christoph Weißenbäck. Auch ein Twitter-User übrigens. Er hat uns das Foto, das er auf der Rauch-Pressekonferenz geschossen hat, geschenkt. Danke!


In einer Krise darf man sich nix drum scheißen, was opportun ist

Das Internet vergisst nicht. So findet sich auf Twitter folgendes Zitat von Bundesminister Rauch aus dem Krisenherbst 2021:

Es gibt auch persönliche Blogeinträge, in denen Johannes Rauch aufgrund wissenschaftlicher Faktenrecherche appellierte und sich für die Impfpflicht aussprach.

Die Kunst der Balance

In seiner Antrittsrede im Nationalrat sagte Bundesminister Rauch:

Was es braucht, ist, glaube ich, auch einen gesellschaftlichen Dialog, wie wir insgesamt in diesen Fragen weiter vorgehen. Sie alle – ich auch – haben ja in den vergangenen Wochen und Monaten eine Unzahl von Mails bekommen, die entweder ganz in die eine Richtung oder in die ganz andere Richtung radikale Forderungen erhoben haben. Die einen wollten die Pandemie für beendet erklären – die Maskentragerei: Alles Unsinn!, Die Impfung ist ein Schwachsinn!, Das geht sich so alles nicht aus! –, und auf der anderen Seite: noch mehr Strenge, noch schärfere Maßnahmen und ein Anziehen auf allen Ebenen. Ich sage Ihnen, wenn wir die Mehrheit der Bevölkerung mitnehmen möchten – und das wäre jedenfalls mein Anspruch –, dann braucht es die Kunst, diese Balance zu halten.

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/NRSITZ/NRSITZ_00145/A_-_16_48_40_00262369.pdf

Wenn man sich die Summe der pandemiebezogenen Maßnahmen der Ära Rauch so ansieht, ist eindeutig anzumerken: Das Kunststück des Drahtseilakts zwischen Maßnahmengegner*innn und der verbleibenden Bevölkerung ist kläglich gescheitert – zugunsten ersterer.

Schnell wurden bereits im März 2022 Lockerungen auf den Weg gebracht. Die Impfpflicht – davor noch gefeiert und in ihrer Wichtigkeit betont – wurde erstmals ausgesetzt. Nachsatz: Man könne sie ja wieder scharf stellen, wenn es notwendig werde.

Ende der Maskenpflicht

Mit Anfang Juni 2022 folgte die Aussetzung der Maskenpflicht. Nur die Stadt Wien beschloss, diese zumindest im öffentlichen Verkehr beizubehalten (über Erfolg und Strenge der Kontrolle durch die Wiener Linien lässt sich streiten). Gleichzeitig verschwand die Testpflicht an den Schulen.

Dann, einen Monat später, wurde die Impfpflicht vollends abgeschafft – dieser Schritt feierten die Regierungsparteien als „Zuschüttung der Gräben“; für die Covidmaßnahmengegner*innen hingegen war dies zweifelsohne ein Sieg.

Ende der Quarantäne

Mit Anfang August 2022 fällt nun mit der Quarantäne für Infizierte die letzte verbleibende Maßnahme, die dazu dienen sollte, die Bevölkerung vor einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus zu schützen.

Man möchte meinen: Selbst dem profitorientiertesten Unternehmer bzw. der Unternehmerin müsste bewusst sein, dass es nicht in seinem Interesse sein kann, wenn sich seine Arbeitnehmer*innen permanent aneinander infizieren.

Man möchte meinen: Es müsste jedem solidarisch orientierten Menschen klar sein, dass dies ein weiterer Schritt ist, der zum Ausschluss von vulnerablen Gruppen aus dem täglichen Leben führt.

Und außerdem möchte man meinen: Wer auf seinen eigenen Schutz vor Krankheit bedacht ist, muss entsetzt sein. Denn jetzt ist kein Ort mehr sicher; solange eine Maske getragen wird, darf man infiziert sogar in die Disco.

Wenn nunmehr die Maske zu einem Erkennungszeichen für Infizierte umfunktioniert wird – man sich also als Maske Tragende als Infizierte*r outet – warum sollten man dann Maske tragen?

Warum sich diesem Stigma aussetzen?

Der finale Kniefall

Daraus folgt die einzig mögliche Interpretation der Abschaffung der Quarantänepflicht: Es ist der finale Kniefall vor der kollektiven Minderheit von Maßnahmengegner*innen, Covidleugner*innen, Schwurblern und dem rechten Rand – also alle diejenigen, die sowieso nicht an den Virus glauben und sich nur beschränkt oder gar nicht an die bisherigen gesetzlichen Vorgaben gehalten haben.

Es ist ein Freibrief für die „individuelle Freiheit“ zum Schaden der kollektiven Gesundheit. Das ultimative Fallenlassen all jener, die ohnehin schon höhere Risiken durch das Coronavirus ausgesetzt sind. Die völlige Veräppelung derjenigen Bürger*innen, die so weit stillschweigend ihr Bestes gegeben haben, um auf ihre Nächsten zu achten.

Sehr geehrter Herr Bundesminister Rauch!

Ich verweise Sie auf das von Ihnen stammende Zitat vom Beginn dieses Textes. Ich bitte Sie, sich Ihre eigenen Worte wieder in Erinnerung zu rufen und tatsächlich nach ihnen zu handeln.

Denn alles andere wäre nun wirklich unverantwortlich.

Und feige.

Zum Weiterlesen: Twitter-Essay: Am 31. Juli sagt Rauch: „April, April, es war alles nur ein Scherz – Sorry!”

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