Putins Leute im Sicherheitsdiskurs: die „kremlnahe Vorfeldorganisation“ und die österreichische Landesverteidigungsakademie

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By Sebastian Reinfeldt

Unsere Recherche nimmt Veranstaltungen des Partnership for Peace-Konsortiums und der österreichischen Landesverteidigungsakademie zum Südkaukasus im Zeitraum von 2017 bis 2019 unter die Lupe. An diesen Zusammenkünften nahm die in Berlin und Wien beheimatete Organisation namens Dialogue of Civilizations – Research Institute (DOC) nicht nur teil. Sie trat als Mitveranstalterin und Finanzier auf. Die Organisation gab sich als eine politisch neutrale Organisation. In Wahrheit kann sie als eine propagandistische Waffe angesehen werden, die seitens des Kreml spätestens mit der Invasion der Krim 2014 in Anschlag gebracht wurde, um die Politik in den deutschsprachigen Ländern Europas zu beeinflussen..

Finanziert wird der Dialogue of Civilizations durch Fonds, bei denen die Herkunft der Mittel dubios ist. Die Spur des Geldes führt in reaktionäre russische Oligarchenkreise, etwa zu Wladimir Jakunin, und von dort in Putins Umfeld.

In Österreich hatte diese Organisation die Möglichkeit, sensible geostrategischen Debatten aus nächster Nähe zu verfolgen und sogar, sie zu beeinflussen. Sie übernahm einen Teil der Kosten für fünf hochrangige Workshops über den Südkaukasus. Im Gegenzug stellte sie fünfmal hintereinander den Keynote-Sprecher sowie einzelne Referent*innen. Auch die Kreml-Sicherheitsakademie Russian International Affairs Council: RIAC nahm, trotz Sanktionen, eifrig an den Treffen teil und berichtete.

Für diesen Veranstaltungen können wir belegen, dass die aggressive Politik des Kremls diplomatisch aufgewertet wurde. Das DOC bekam zudem direkten Einblick in die Überlegungen zur österreichischen Sicherheitspolitik. Dabei spielt das umstrittene FPÖ-nahe Institut für Sicherheitspolitik (ISP) eine nicht zu unterschätzende Rolle. Es war nämlich parallel dazu vom Verteidigungsministerium mit weiterer Kreml-Expertise beauftragt worden.

Sebastian Reinfeldt hat mehr als tausend Seiten Veranstaltungsprotokolle gelesen, mit Teilnehmenden gesprochen und sich im Umfeld der Institutionen umgeschaut. Diese Recherche ist der zweite Teil unserer cross-border-Recherche über den Einfluss dieser kremlnahen Organisation in Österreich.


Mehr als eine Million Euro für freiheitliche Sicherheitspolitik

Nachdem bekannt wurde, wie der frühere österreichische Vizekanzler HC Strache (FPÖ) in dem berühmten Ibiza-Video über Vereinskonstruktionen schwadronierte, mit deren Hilfe Parteien die Spendenkontrollen des Rechnungshofs umgehen könnten, brach in den Medien eine hektische Suche nach möglichen Spendenwaschmaschinen aus. Sehr bald geriet das Institut für Sicherheitspolitik ISP unter Verdacht. Denn es stand auf der Spendenliste der Novomatic.

Auch das Verteidigungsministerium hatte am 22. März 2017 einen lukrativen Rahmenvertrag mit ihm unterschrieben – unter Minister Hans Peter Doskozil (SPÖ). Er wollte, dass auch die FPÖ ein Sicherheitsinstitut habe, so wie die SPÖ und ÖVP. Aus dem Rahmenvertrag überwies das Ministerium jährlich 200.000 Euro an das ISP. Hinzu kamen dann 240.000 von der Novomatic, 100.000 Euro von der ILAG (die zur Turnauer-Dynastie gehört) sowie 25.000 von der FPÖ on top. In Summe macht das für vier Jahre deutlich mehr als eine Million Euro. Eine Menge Geld.

ISP: Einfluss im Sinne des Kreml?

Lange Zeit dachten wir, dass das ISP lediglich langweilige Veranstaltungen über Geopolitik organisierte, wo sie eilig zusammenkopierte Publikationen feilbot. Zudem besteht ihre Homepage weitgehend aus Texten, die schlicht aus dem Russischen übersetzt wurden. Doch diese Einschätzung betrifft nur die eine Hälfte der Wahrheit. Denn der eine Mitarbeiter des Instituts war durchaus fleißig. Eine Auswertung öffentlich zugänglicher Dokumente und des Leistungsberichts ergibt die andere Hälfte der Wahrheit: Wir können nachzeichnen, wie seitens des ISP versucht wurde, die öffentliche Meinung in Österreich, aber auch die Meinung relevanter Sicherheitsinstitutionen, zu beeinflussen. Und das durchaus mit Wissen des zuständigen Ministeriums.

Schriftenreihe des ISP

Die Spur des Schreibtisches führt in die Anwaltskanzlei

Zum Finanziellen: Das ISP hatte seinen Sitz in den Räumen des Anwaltsbüros von Markus Tschank. Der war von 2017 bis 2019 zugleich Anwalt, Abgeordneter der FPÖ im österreichischen Parlament und Präsident des ISP. Als solcher überwies er vom Vereinskonto des ISP an sich selbst 3.600 Euro brutto als Monatsmiete für einen einzelnen Instituts-Schreibtisch, der in seinem Büro aufgestellt war. Das folgende Dokument stammt aus dem Ibiza-Untersuchungsausschuss und zeigt den Standort in seinem Büro.

Das ist in Österreich legal.

Der ORF-Journalist Martin Thür hatte Einblick in die Spesenabrechnungen des Instituts. Er berichtet:

Die Belege des Obmanns umfassen unter anderem: Die „Erstellung einer DSGVO-Erklärung“ für die Homepage des Vereins: 1.050,- Euro. Ein 15-minütiges Telefonat mit dem wissenschaftlichen Direktor: 87,50 Euro. Dazu seitenweise Spesenbelege, Taxi-Rechnungen und sogar ein Besuch im Zoo Schönbrunn. (…) 6.096,- Euro kostet etwa die Beherbergung im „Weissen Rössl“ in Kitzbühel.

Quelle: Martin Thür, Das Institut

Download Ergebnisse des Ibiza-Untersuchungsausschusses betreffend ISP (Auszug aus dem Dokument des österreichischen Parlaments)


Das ISP war keine Spendenwaschmaschine, aber…

Trotz einiger Geldflüsse an FPÖ-nahe Firmen, die Subunternehmer des Instituts wurden, war dieses Institut nicht die vermutete Spendenwaschmaschine „am Rechnungshof vorbei“. So lautet jedenfalls die Erkenntnisse des parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschusses. Da gab es andere. Vielmehr scheint das Institut dazu gedient zu haben, die Grundkosten der Anwaltskanzlei Tschank großzügigst abzudecken. Der umgerechnete Quadratmeterpreis, der jahrelang für den einen Schreibtisch gezahlt wurde, ist schon sensationell gut.

Gravierender als diese legale finanzielle Unterstützung für einen freiheitlichen Anwalt und sein geschäftliches Umfeld scheint aber, dass das ISP eines der Mittel war, um die geopolitische Positionierung Österreichs auf einem recht hohen Level zu beeinflussen.

Wie hat das funktioniert?

Mit vereinten Kräften in die Landesverteidigungsakademie

Um die öffentliche Meinung in Österreich im Sinne der Meinungen und Haltungen des Kremls auf Kurs zu bringen, organisierte das ISP in Absprache mit dem Verteidigungsministerium Podiumsdiskussionen, Vorträge und Hintergrundgespräche. Die Themen und Veranstaltungen waren jeweils mit dem Ministerium akkordiert. Dort gibt es nämlich einen besonderen institutionellen Ort, wo gute Gründe für die russischen Expansionsgelüste diskutiert werden konnten: die Landesverteidigungsakademie Österreichs.

Sie ist „die“ militärische Ausbildungs- und Forschungseinheit des österreichischen Bundesheeres. Nach eigenen Angaben dient sie als

intellektuelles Zentrum des Verteidigungsressorts und Leitakademie des „Wirkungsverbundes Militärhochschule“.

https://www.bundesheer.at/organisation/beitraege/lvak/akademie/index.shtml

Ihr Leitspruch heißt: Viribus unitis (= mit vereinten Kräften). So lautete nicht nur der Wahlspruch von Kaiser Franz Josef, sondern das war auch der Name eines österreichischen Schlachtschiffs, das zu Kriegsende 1918 von italienischen Militärschwimmern versenkt wurde

Der Akademie-Kommandant ist Generalleutnant Erich Csitkovits. Er kam 2011 in diese Position, unter dem damaligen sozialdemokratischen Verteidigungsminister Norbert Darabos.

Offene Türen für einen russischen Ex-Geheimdienstmann

Diese Institution war zur Zeit des Wirkens des ISP auch das Ziel des Dialogues of Civilisations – Research Institutes.

Alles fing damit an, dass ein Monat vor der völkerrechtswidrigen Krim-Besetzung, im Januar 2014, der spätere Mitbegründer der DOC-Organisation, Wladimir Jakunin, persönlich in den Räumen der Landesverteidigungsakademie seine Weltsicht präsentierte. Zu der Zeit war der Ex-Geheimdienstmann Jakunin noch Chef der russischen Staatsbahnen. Zweifelsohne hatte er da Einfluss im Kreml. Die Reality Bites Initiative berichtet über die Diskussionen in der Akademie nach seinem Vortrag:

Als er indirekt auf seine Vergangenheit im sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KGB) angesprochen wurde, entgegnete er, „sich nichts vorzuwerfen“ zu haben; bei anderen Gelegenheiten gab er offen zu, über zwei Jahrzehnte in sowjetischen Geheimdiensten verbracht zu haben. Und: „Ich kann sagen, dass dieser Bereich den Charakter, den Willen, die Gewohnheiten und auch das Gehirn gut bildet. Was mir im Leben sehr zugutekam.“

Reality Bites Initiative/Club for European Understanding and Communication Vienna

Ein Jahr nach der Krim-Invasion: Ein pro Putin-Stelldichein in Baden

Die völkerrechtswidrige Krim-Invasion tat den guten Beziehungen nach Russland indes keinen Abbruch. Mehr als ein Jahr später, am 23. Oktober 2015, nahm eben jener Wladimir Jakunin am Internationalen Forum in Baden teil. Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Abzugs der sowjetischen Truppen aus Österreich debattierte er zu Österreichs Weg zur staatlichen Neutralität. Tags zuvor hatte er im Rahmen der niederösterreichischen Landesbuchausstellung sein Buch „Österreich und die Sowjetunion auf dem Weg zum Staatsvertrag“ präsentiert.

Zur gepflegten geopolitischen Plauderei versammelte sich eine illustre Runde von Putins Leuten. Neben Jakunin und Putin-Adepten saß eben jener Kommandant der Landesverteidigungsakademie, Erich Csitkovits, mit am Podium. Als weiteres schmückendes Beiwerk ließen sich abgelegte österreichische Spitzenpolitiker blicken, wie der Sozialdemokrat Josef Cap und Dmytro Firtasch-Freund Michael Spindelegger (ÖVP). Schließlich ist Letztgenannter für einen Modernisierungsplan im Oligarcheninteresse für die Ukraine verantwortlich, von dem in der Ukraine bislang niemand Notiz genommen hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Eine versuchte Zangenbewegung?

Nach dem Regierungseintritt der FPÖ in eine Koalition mit der ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz (mit-) organisierte die politisch eher schwarz besetzte Landesverteidigungsakademie eine Serie von internationalen sicherheitspolitischen Workshops zum Südkaukasus, in denen Jakunin und seine Putin-freundliche Organisation auf den Plan traten. Parallel dazu veranstaltete das FPÖ-nahe ISP von 2017 bis 2020 Hintergrundgespräche und Workshops in Wien, in denen wiederum mehrheitlich kremlnahe Stimmen Russlands zu Wort kamen.

In der Militärsprache könnte man dieses Vorgehen als eine versuchte Zangenbewegung auf das institutionelle Herz der österreichischen Verteidigungspolitik interpretieren.

Harte geopolitische Fragestellungen in fünf Workshops

Die fünf Workshops zum Südkaukasus, von denen in weiterer Folge die Rede sein wird, haben eine andere politische Qualität als das muntere Zusammentreffen in geselliger Runde in Niederösterreich zwei Jahre zuvor. Denn hier wurden auf einer internationalen Bühne harte geopolitischen Fragestellungen behandelt. Auf Semiosis-Nachfrage bestätigte das Verteidigungsministerium sogar, dass die Ergebnisse dieser fünf Zusammenkünfte in die Lagebeurteilung des Ministeriums Eingang fanden.

Semiosis: Flossen die Tagungsergebnisse in die entsprechenden Lagebeurteilungen der Region Südkaukasus mit ein?

Antwort Verteidigungsministerium: Ja

Schriftliche Beantwortung der Semiosis-Anfrage

Der Dialogue of Civilizations will die Politik durchdringen

Dass das Dialogue of Civilizations-Institut einen klaren Kreml-Kurs vertritt, konnte auch kein Geheimnis sein. Denn Peter W. Schulze, der sowohl das DOC mitbegründet hatte und der als Spiritus Rector der Kooperation mit den Verteidigungsstrukturen der österreichischen Republik gelten kann, hatte 2016 dem SPIEGEL gegenüber Klartext geredet.

Russland versucht, seinen Einfluss zu vergrößern – auch im kulturellen Feld. Das ist kein Geheimnis. Sicher werden wir in manchen Fragen Nähe zu Positionen des Kreml haben. Und natürlich hoffen wir, dass unsere Themen, wenn sie überzeugend begründet sind, zu den Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Medien durchdringen.

Quelle: https://www.spiegel.de/kultur/naehe-zum-kreml-a-7120079f-0002-0001-0000-000145638325?context=issue

In Österreich ist diese Durchdringung gut gelungen.

November 2017 in Reichenau: Fakt und Fälschung

Der Südkaukasus ist für Russland von hohem geopolitischen Interesse. Denn es sieht Georgien, Aserbaidschan und Armenien als seinen quasi natürlichen, weil historisch begründeten Einflussbereich an. Eigenständige politische Entscheidungen werden den Nachbarländern seitens Russlands kaum zugestanden. Ein Blick auf die Karte offenbart zudem eine räumliche Nachbarschaft zur 2014 besetzten Krim und zur südlichen und östlichen Ukraine, die territorial direkt beansprucht werden – wie wir heute wissen, auch mit kriegerischen Mitteln. Die von Russland mit initiierte Abspaltung der Teilrepubliken Südossetien und Abchasien aus dem Territorium Georgiens von 2008 kann als Blaupause für die verdeckten militärischen Operationen in der Ukraine seit 2014 gelten.

Quelle: Google Maps

Vom 9. bis 12. November 2017 traf man sich also am Fuße des Semmerings, im Chateau Rothschild in Reichenau an der Rax. Das Thema der Kooperationsveranstaltung des Konsortiums der Verteidigungsakademien PfP (für das die Landesverteidigungsakademie organisatorisch aktiv ist), der Universität Göttingen und des DOC hätte kaum aktueller gewählt werden können:

Zwischen Fakt und Fälschung – Informationen und Instabilität im Südkaukasus und darüber hinaus.

Workshop-Titel

Der Workshop wurde in Russland recht hoch gehängt. So hat das staatsnahe Russian International Affairs Council RIAC nicht nur an diesem Workshop und an weiteren Zusammenkünften teilgenommen, sondern auch einen Tagungsbericht aus russischer Sicht verfasst. Das Council selbst ist eine direkte Kreml-Erfindung, wie ein Blick auf die Fotostrecken seiner General Meetings zeigt. Zentraler Fotoinhalt seit 2016: der russische Außenminister Sergei Lawrow.

Screenshot aus: Russian Council, General Meetings.

Als Ergebnis der Reichenauer Gespräche wurden von den Teilnehmenden generelle Empfehlungen verfasst. So schlagen sie vor, nationale Anti-Fake-News Institutionen zu gründen, die einschreiten können, wenn ausländische Medien zum Instrument hybrider Kriege würden.

Das DOC begleicht großzügig die Flugkosten der Teilnehmenden

Dabei kann es als eine Ironie der Geschichte gelten, dass ausgerechnet bei einem Workshop zu Fakt und Fälschung das Kreml-Propagandainstitut DOC als Partner der Veranstaltungsreihe eingeführt und begrüßt wurde. Die Veranstalter heben dabei besonders hervor, dass die Organisation in generöser Weise die Flugkosten der Teilnehmenden übernommen hat. Darüber hinaus würde das FPÖ-geführten Ministerium für Verteidigung und das für Sport (!) mit dem DOC über die weitere finanzielle Unterstützung der Workshops verhandeln. Auch bei den folgenden vier Workshops trat der DOC mit seinem Logo als Mitveranstalter auf.

Hat im Zuge dieser Zusammentreffen einmal irgendwer gefragt, woher das Geld dieser angeblichen „Nichtregierungsorganisation“ stammt, die so generös für die Kosten der Workshops gerade steht? Wer zahlt das DOC?

Fragezeichen. Stattdessen berichten die Herausgeber freudig:

DOC/RI lieferte den Input von Prof. h.c. Dr. Peter Schulze und Herr Thomas Fasbender als Teilnehmer des Workshops, und ihre Beiträge sind hier wiedergegeben. DOC/RI hat auch erhebliche finanzielle Ressourcen zur Unterstützung der Durchführung des Workshops bereitgestellt, wodurch praktisch alle Teilnehmenden mit dem Flugzeug reisen konnten.

Neusten Informationen zufolge verhandelten auch Vertreter des österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport mit dem DOC/RI über die Unterstützung künftiger Workshops.

Frederic Labarre und George Niculescu (Herausgeber), Between Fact and Fakery, Wien April 2018 [Übersetzung aus dem Englischen – SR]

Geld gegen DOC-Keynotes und Sprecher?

Das Verteidigungsministerium erläutert auf Semiosis-Nachfrage seine Sicht der Dinge zur Kooperation mit dem DOC. Ihm war bekannt, dass es sich beim DOC um eine „kremlnahe Vorfeldorganisation“ handelte. Dennoch ließ man sie mitveranstalten.

Das DOC wurde als kremlnahe Vorfeldorganisation beurteilt. Da Russland in den Konflikten des Südkaukasus eine extrem wichtige Rolle einnimmt, war diese Position zur Beurteilung der Gesamtlage wesentlich. Es ist aber festzustellen, dass das DOC bei der Erstellung des Programms der Workshops nicht eingebunden war.

Schriftliche Beantwortung der Semiosis-Anfrage

Das unterstützende Geld, dessen Herkunft bis heute unklar ist, diente also als Eintrittkarte, um die geopolitischen Überlegungen der Landesverteidigungsakademie und weiterer sicherheitspolitischer Institutionen aus nächster Nähe zu verfolgen und diese zu beeinflussen. So steuerte bei diesem Workshop – so wie bei allen vier folgenden – der bereits zitierte DOC-Mitbegründer Peter W. Schulze jeweils die eröffnende Keynote bei.

Keynote-Sprecher*innen, die ja den Rahmen einer Diskussion abstecken, zu bestimmen – das gehört wohl unstreitig zur Programmerstellung dazu. Und für fünf Workshops für diese Rolle immer dieselbe Person auszuwählen, kann nur volle Absicht sein.

Insofern ist die Darstellung des Ministeriums zu hinterfragen.

Es gebe keine nicht gefälschten Nachrichten

Der DOC stellte auf diesem Workshop mit Thomas Fasbender einen weiteren Sprecher, den das Vorwort ausdrücklich erwähnt.

Diese Personalie ist bizarr. Bis 2018 beriet der Vortragende das DOC. Mit dem Thema Fakt und Fälschung kennt er sich besonders gut aus, denn er arbeitet für Russia Today mit einem wöchentlichen Kommentar und in zahlreichen Interviews. Einer seiner bevorzugten Interviewpartner dabei ist Alexander Rahr, der für sein Spiel mit antisemitischen Codes bekannt wurde, die er in seinen zahllosen pro Putin-Statements verwendet.

Den Workshop beglückte Fasbender mit einer steilen These. Er meinte nämlich, dass es gar keine ’nicht gefälschten Nachrichten‘ geben würde.

So sehr wir den Begriff [fake-news] auf die meisten Informationen anwenden, auf die wir stoßen – in einem reinen und wörtlichen Sinne existieren keine nicht gefälschten Nachrichten.

Tagungsbeitrag Should We Use Yesterday’s Lies for Tomorrow’s Peace? von Thomas Fasbender. [Übersetzung – SR]

Die weiteren Beiträge des Workshops geben allerdings einen spannenden Einblick in die Entwicklungen in der Region in den letzten Jahren. Sie zeigen auf, wie Narrative seitens Russlands erfunden wurden, um expansive Machtpolitik zu begründen und um bestehende politische Systeme systematisch zu schwächen.

Selbstverständlich finden sich all diese Beiträge in der Zusammenfassung von offizieller russischer Seite nicht wieder. Für das RIAC, das in Reichenau ebenfalls mit am Tisch saß, zählte einzig und allein, dass Russland im Format der Workshops nicht isoliert ist – trotz aufrechter internationaler Sanktionen.

Österreich war dafür das geeignete Einfallstor.

Download RIAC at South Caucasus Security Seminar (Protokoll der Zusammenkunft aus russischer Sicht)

Download Tagungsband: Between Fact and Fakery. Information and Instability in the South Caucasus and Beyond


Im Jahr 2017 arbeitet das ISP an derselben Front

Der Leistungsbericht des freiheitlichen ISP weist bereits für das Jahr der ersten Beauftragung durch das Ministerium, für 2017 also, eine Reihe von Veranstaltungen auf. Das Institut war fleißig. Fast alle Events haben mit Russland zu tun – oder aber sie benennen russische Referenten beziehungsweise eine pro Kreml-Sicht auf die politisch relevanten Ereignisse.

Die demokratische Opposition in Russland existiert für den vom ISP organisierten sicherheitspolitischen Diskurs in und außerhalb der Landesverteidigungsakademie einfach nicht.

Dafür durfte Rechtsaußen-Professor Lothar Höbelt vortragen: am 29. März 2017 über die „Außenpolitik der USA aus einer historischen Perspektive“. Am 29. Mai ging es dem ISP um die „Konflikte im postsowjetischen Raum“, und natürlich wurde „ein Blick aus Russland“ präsentiert. Der eingeladene Dr. Sergey Markedonov kommt aus bereits erwähnten Russian International Affairs Council RIAC, das direkt an den Kreml angebunden ist. Er ist mehrfach Gast des ISP; mehrere seiner Texte werden von Seiten des ISP ins Deutsche übertragen.

Am 24. Oktober 2017 gab es – vom ISP aus organisiert – ein Hintergrundgespräch mit Alexander Rahr, der zwei Jahre später, im Februar 2019, auch auf eine Podiumsdiskussion der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft eingeladen war. Rahr war – wie der DOC-Referent Fasbender – ein gern gesehener Interviewpartner beim Fake-News Produzenten Russia Today. So beschuldigte er die Ukraine fälschlicherweise, dass es den Krieg im Donbass begonnen habe.

Am 11. Dezember 2017 veranstaltete das ISP einen Expertenworkshop „Ukraine 2018“ mit dem an der Moskauer Linie orientierten Dr. Oleksii Iakubin aus Kiew, eingerahmt von dem russischen Adepten Sergey Markedonov und dem in Wien forschenden Vasily Astro. Diese Veranstaltung ist deshalb besonders bemerkenswert, weil sie so offensichtlich einseitig besetzt ist und ausdrücklich in Kooperation mit der Landesverteidigungsakademie Wien durchgeführt wurde.

Wo waren die demokratischen ukrainischen Stimmen auf den Podien der Verteidigungsakademie? Wo konnte man damals in Österreich die demokratischen Sichtweisen aus Russland hören? Auf den Veranstaltungen der Landesverteidigungsakademie und des ISP war das nicht möglich. Dort blieben diese Stimmen stumm, weil sie nicht eingeladen waren.

Workshop mit sensiblen Themen in Minsk: Wir applaudieren Belarus

Die Kooperation der Landesverteidigungsakademie mit Jakunins DOC Research Institute zum Südkaukasus war auf Schiene. Auf seiner Homepage feierte das DOC seine quasi diplomatische Anerkennung in Österreich, besonders, weil es sich bei den Veranstaltungen um eine, so wörtlich,

state-of-the-art track-two diplomacy platform designed to consider sensitive topics.

Homepageeintrag des DOC vom 16. November 2017

handelt. Diese Workshops bilden, so das DOC, eine hochmoderne Diplomatieplattform, bei der sensible Themen behandelt werden.

Im April 2018 reiste der gesamte Workshop mit seinen sensiblen Themen ausgerechnet nach Minsk. Ohne Not wertete er damit das Lukaschenko-Regime in Belarus auf. Das Thema: „What a ‘New European Security Deal’ Could Mean for the South Caucasus.“

Man traf sich in einem repräsentativen Hotel im Zentrum der Hauptstadt von Belarus. Natürlich wurde auch diese Zusammenkunft vom Dialogue of Civilizations – Research Institute DOC mitorganisiert. Wieder hielt Mitbegründer Peter W. Schulze die Keynote und eine weitere DOC-Mitarbeiterin trug bei. Sie brachte die OSZE ins Spiel, um das Patt im Kaukasus aufzulösen. Weitere Stimmen riefen dazu auf, in der Region politische Realitäten zu akzeptieren. Ob damit auch die Anerkennung der Teilrepubliken Südossetien und Abchasien gemeint war? Das Stichwort dazu lautet, man komme nicht umhin, „de facto Staaten“ zu akzeptieren. Doch dazu später mehr.

Denn im Vorwort des Tagungsbands wird der Tagungsort Minsk in Worten gerühmt, die hier zitiert werden sollen. Unter anderem feiern die Herausgeber des Sammelbandes die Friedensbemühungen (!) des Lukaschenko-Regimes wortreich und äußerst schleimig ab.

Die Stadt Minsk wurde aufgrund der Übereinstimmung unserer Themen mit den Friedensbemühungen von Belarus ausgewählt. Es ist in der Tat der Ort der Diskussionen der OSZE-Minsk-Gruppe, und wir wollten die Tatsache feiern, dass Belarus mit gutem Beispiel voranging, indem es seine guten Dienste im Dienst des Friedens im Südkaukasus anbot. Es war unser erstes Mal in Minsk, und wir dürfen sagen, für viele von uns wird es nicht das letzte Mal gewesen sein. In vielerlei Hinsicht schien die Wahl von Minsk (aber nur scheinbar, denn die Realität war ganz anders als unsere Vorstellungen) voller Herausforderungen, aber die Anmut unserer Gastgeber und der Empfang, den wir in der Stadt bekamen, waren so, dass sie alle Bedenken zerstreuten. Belarus profiliert sich als Konferenzdestination, und wir können dem Ergebnis nur applaudieren.

Vorwort in: Frederic Labarre und George Niculescu (Herausgeber), What a ‘New European Security Deal’ Could Mean for the South Caucasus [Übersetzung – SR]

Keine kritischen Stimmen aus Russland und Belarus

Die Referent*innen aus dem Umfeld des DOC sind eindeutig zuordenbar: pro Kreml. Dabei ist es, gerade unter dem Aspekt der Neutralität Österreichs, vollkommen unverständlich, dass bei diesem Workshop über einen europäischen Sicherheitspakt keine einzige Person aus dem Umfeld der demokratischen russischen oder belarussischen Opposition gehört wurde.

Für wen soll die angestrebte Stabilität und der Frieden gelten, wenn nicht für die gesamte Bevölkerung in der Region? Gehören Demokratie und die Geltung der Menschenrechte nicht unverzichtbar zu den proklamierten Elementen Sicherheit, Stabilität und Frieden dazu, zumindest dann, wenn diese Worte irgendeinen substantiellen Sinn haben sollen?

Download Tagungsband des Minsk-Workshops: What a ‘New European Security Deal’ Could Mean for the South Caucasus


Die Liebe zu illiberalen Demokratien: Belarus

Was man als strategische Zangenbewegung seitens des ISPs auf die geopolitische Positionierung der Verteidigungsakademie interpretieren kann, setzt sich 2018 fort. Dabei kommt Belarus nicht nur als Workshop-Gastgeber ins Spiel.

Immerhin wird 2019 das Jahr sein, in dem der belarussische Präsident Lukaschenko Österreich besucht, das damit das einzige Land Europas sein wird, in dem sich Spitzenpolitiker*innen mit diesem Diktator ablichten lassen.

29. März 2019: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat Alexander Lukaschenko nach Österreich eingeladen. Er würde sich freuen, wenn dieser „im nächsten Halbjahr“ zu Besuch käme, sagte Kurz bei seinem Besuch in Minsk. Quelle: https://kurier.at/politik/ausland/kurz-lud-lukaschenko-nach-oesterreich-ein/400450627

Den Boden, um einen so problematischen Besuch öffentlich akzeptabel zu machen, bereitet wiederum das FPÖ-nahe ISP unter anderem in einer Kooperationsveranstaltung vor, deren Sinn sich auch aus damaliger Perspektive nicht erschließt. THE OSCE IN 2030: UNDIVIDED SECURITY IN EUROPE RESTORED? Am 6. März 2018 luden das International Institute for Peace (IIP), das Karl-Renner-Institut, das Universitätscluster für Polemology and Legal Ethics, das Regionalbüro der Friedrich Ebert-Stiftung sowie das Institut für Sicherheitspolitik ISP und die Landesverteidigungsakademie zu einer Podiumsdiskussion. Mit dabei: ausgerechnet die hiesige Botschafterin aus Belarus, Alena Kupchyna. Heute arbeitet sie für die OSZE als Koordinatorin für die Bekämpfung von „Transnational Threats.“

Damals repräsentierte sie Belarus, das nichts anderes als eine lupenreine Diktatur war. Wozu sollte diese Bühne dienen, die ihr da geboten wurde?

Rund um den November-Besuch Lukaschenkos in Österreich organisierte das ISP am 4. November 2019 ein Hintergrundgespräch über das Land. Zu Gast war der belarussische Autor Artyom Shraibman. Auch er ist keine Oppositionsstimme, sondern, so seine Selbstdefinition, ein neutraler Beobachter und Analyst. Allerdings werden in Belarus auch solche nicht mehr akzeptiert. Shraibman hat sich mittlerweile außer Landes in Sicherheit bringen müssen.

November 2018: Russland kürt das DOC zum unabhängigen Thinktank

Der nächste Workshop der Landesverteidigungsakademie zum Südkaukasus findet im November 2018 im niederösterreichischen Chateau am Fuße des Semmerings statt. Thema: „South Caucasus: Leveraging Political Change in a Context of Strategic Volatility“. Was auch auf Deutsch kaum etwas Sinniges bedeutet: „Den politischen Wandel nutzen im Kontext strategischer Volatilität“, so würde der Titel übersetzt lauten. Das Besondere an diesem Workshop ist, dass dort gewichtige Stimmen aus den Kaukasus-Regionen zu Wort kamen. So ist in der Dokumentation der lehrreiche Vortrag von Armen Grigoryan über die samtene Revolution in Armenien nachzulesen. Grgoryan ist Politikwissenschaftler und er war politisch in der Opposition gegen den mit demokratischen Mitteln gestürzten armenischen Präsidenten Serzh Sargsyan aktiv.

Aber auch zu diesem Event werden von russischer Seite nur staatstreue Adepten gehört. Der RIAC (das ist die Organisation mit den zahlreichen Lawrow-Fotos auf ihrer Homepage) berichtete also hocherfreut über die Zusammenkunft und lobt dabei, ausgerechnet, Jakunins Organisation DOC als einen „unabhängigen Thinktank“.

Der im Bericht erwähnte Beitrag des RIAC Programmassistenten Ruslan Mamedov auf dem Workshop findet sich übrigens im Sammelband des Workshops nicht wieder. Aber im Vorwort bedanken sich die Herausgebe mal wiederr:

Eine Arbeit mit diesem Umfang wäre nicht möglich ohne die Unterstützung der Landesverteidigungsakademie und des Dialogue of Civilizations Research Institute.

aus dem Vorwort von Frederic Labarre und George Niculescu zum Sammelband: South Caucasus: Leveraging Political Change in a Context of Strategic Volatility, Wien 2019 [Übersetzung SR]

Download Tagungsband des Reichenau-Workshops Leveraging Political Change in a Context of Strategic Volatility


Workshop im April 2019 in den Büroräumen von Jakunins Organisation in Berlin

Am folgenden Termin war es dann so weit: Der Workshop kam in Berlin zusammen, direkt in den Räumen des Dialogue of Civilizations – Research Institutes. Damit hatte sich die Kreml-Organisation erfolgreich in den sensiblen sicherheitspolitischen Diskurs Österreichs eingekauft. Umso bemerkenswerter ist dabei, dass ausgerechnet bei diesem Treffen eine weitere sicherheitspolitische Institution Österreichs hinzugezogen war: die österreichische Direktion für Sicherheitspolitik des Ministeriums für Landesverteidigung. So heißt es im Tagungsband zur Erläuterung:

Die Tagung fand in Kooperation mit der Landesverteidigungsakademie, der Direktion für Sicherheitspolitik sowie dem in Berlin ansässigen Dialogue of Civilizations Research Institute statt.

https://www.bundesheer.at/cms/artikel.php?ID=9954

Alles nur ein Freundschaftsdienst?

Diese Darstellung möchte das Ministerium auf Semiosis-Nachfrage so verstanden wissen, dass es „keine d i r e k t e Kooperation“ des Verteidigungsministeriums mit dem Jakunin-Institut gegeben habe. Für die Organisation der Workshops mit dem Konsortium der Sicherheitsakademien PfP sei aufseiten des Ministeriums die Direktion für Sicherheitspolitik und die Abteilung Forschungsmanagement in der Landesverteidigungsakademie zuständig gewesen.

Wie es überhaupt dazu kam, dass das kremlnahe DOC Mitveranstalter der Workshops wurde, kann das Ministerium nicht aufklären. Unseren Recherchen zufolge ist die Anbahnung über eine alte Männer-Freundschaft des mittlerweile verstorbenen Peter W. Schulze zu Verantwortlichen in der Landesverteidigungsakademie und im Büro für Sicherheitspolitik gelaufen. Man kannte sich über den früheren Direktionsleiter für Sicherheitspolitik, Erich Reiter. So besuchte Peter W. Schulze regelmäßig die Veranstaltungen von Reiters internationalen Instituts für Liberale Politik Wien (IILP), im Zeitraum von 2005 bis 2015. Dort begegnete man sich und vertraute einander.

Nach Gründung des DOC habe Schulze seine Wiener Bekannten schlicht um einen Gefallen gebeten. So sei es gekommen, dass das DOC in die Workshops integriert wurde. Bestätigt ist diese Version allerdings nicht.

Noch besser: eine Partnerschaft mit Russland

Doch zurück nach Berlin. Anfang April 2019 hält besagter DOC-Mitbegründer Peter W. Schulze die Workshop-Keynote. Seine Thesen zu einer multipolaren Welt könnten auch im rechten, neokonservativen Diskurs Anklang finden. Demnach bestehe für die (west-) europäischen Staaten eine geostrategische Entscheidungssituation: Sie ordnen sich entweder der ehemaligen Hegemonialmacht USA unter („der“ Westen) oder richten sich zum neuen, wachsenden geopolitischen Magneten hin aus, dem eurasischen Gegen-Pool mit Russland als Hegemonialmacht. Im Kontext der Berliner Workshops thematisiert Schulze dann entsprechende Leitlinien einer europäischen Außenpolitik hinsichtlich Russlands. Dabei führt er aus:

Es sollten konstruktive Beziehungen zu Moskau als wesentlich für die Rolle Europas als souveräne Macht in der entstehenden neuen globalen Ordnung angestrebt werden. Europa kann sein Ziel der Selbstbehauptung oder eines Status als angesehener internationaler Akteur nicht ohne eine friedliche Koexistenz, oder noch besser Partnerschaft, mit Russland erreichen.

Quelle: Tagungsband, am Ende dieses Abschnitts zum Download [Übersetzung SR]

So die Vorschläge, die bei dem pro-Kreml Teil des Auditoriums auf heftige Gegenliebe gestoßen sein mögen. Solche Überlegungen haben nicht nur indirekt mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Aktuell meint der russische Außenminister Lawrow etwa, dass mit dem völkerrechtswidrigen militärischen Angriff auf die Ukraine eine neue, „multipolare Welt“ geboren worden sei.

Das „Ukraine-Problem“

Der Tagungsband zur Regionalen Stabilität im Südkaukasus, der die Beiträge des Berliner Zusammentreffens enthält, gibt zumindest eine analytische Stimme aus der Ukraine wieder. Der Beitrag von Mykola Kapitonenko, How Can the Frozen Conflict in Ukraine further Impact Europe?, gehört zu den lebenswertesten Texten in den fünf Tagungsbänden – auch, und besonders, um die Hintergründe und strategischen Überlegungen der Invasion Russlands in die Ukraine besser zu verstehen.

Russlands Entscheidung, die Krim zu besetzen, verstieß gegen die Grundlagen der Weltordnung. Wichtige internationale „Spielregeln“ haben dieses geopolitische Erdbeben nicht überstanden. Dadurch ist das Vertrauensniveau deutlich gesunken. Europa ist nicht länger ein Ort, an dem wechselseitige Abhängigkeit weithin als wichtiger angesehen wird als eigennützige Sicherheitskalkulationen.

aus: Mykola Kapitonenko, How Can the Frozen Conflict in Ukraine further Impact Europe, Übersetzung SR

Wir kennen die Diskussionen zu diesem Beitrag nicht. Aber die politischen Empfehlungen am Ende des Bands lesen sich wie eine simple Verdopplung der großrussischen Politik Putins, die als „die“ einzig mögliche und nachvollziehbare russische Position dargestellt wird. Wie in dieser beispielhaft zitierten Passage (die zudem sprachlich und inhaltlich furchtbar daneben liegt) deutlich wird:

Moskaus Position zum Ukraine-Problem ist ziemlich nuanciert; über die Krim ist keine Diskussion möglich. Sie wird wie ein Teil Russlands behandelt. Über den Donbass ist Russland jedoch diskussionsbereit, weil er nicht Teil der russischen Weltanschauung ist.

aus den Policy Recommendations. [Übersetzung aus dem Englischen -SR)

Download Tagungsband des Berliner Workshops Geopolitical Challenges of European Security in the South Caucasus and Ukraine


November 2019 in Reichenau: Der Prozess ist gescheitert

Der nächste Workshop mit Beteiligung des DOC fand im November 2019 wieder im Chateau in Reichenau am Fuße des Semmerings statt. Es ist das letzte Zusammentreffen, bei dem das DOC offiziell involviert ist. Er zeigt zudem das Scheitern des gesamten Vorhabens an. Die angekündigten konkreten Schritte, um die politischen Blockaden im Südlichen Kaukasus zu lösen, bleiben vage. Besonders, was die Beziehungen zwischen Georgien und Russland – und auch den Status von Abchasien und Südossetien – betrifft, scheint keine zufriedenstellende diplomatische Lösung in Sicht.

Von dem „Ukraine-Problem“ ganz zu schweigen.

De facto Staaten?

In den Diskussionsbeiträgen dieses Reichenau-Workshops wird der Begriff der „de facto Staaten“ bemerkenswert intensiv aufgegriffen. Er kommt in diesem Sammelband gezählte 34 Mal vor. Rechnet man die Fußnoten hinzu, sogar noch wesentlich häufiger. Während der Invasion der Ukraine durch russische Truppen hören wir diesen Begriff auch bei medialen Erklärungsversuchen. Und zwar dann, wenn der Status der abgespalteten Regionen Donbass und Luhansk angesprochen wird. Das realpolitische Diktum, derart geschaffene politische Realitäten seien anzuerkennen, verhindert dabei, dass genau besprochen wird, wie diese politischen Realitäten hergestellt wurden. Und von wem.

Es ist ja kein Zufall, dass die meisten dieser de facto Staaten im Umfeld und durch Intervention Russlands entstanden sind: Abchasien und Südossetien werden von den Vereinten Nationen weiterhin als Teil Georgiens betrachtet und nur von Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru und Syrien als unabhängig anerkannt. Transnistrien erklärte 1991 seine Unabhängigkeit von der Republik Moldau. Kein Staat erkennt das an. Russland unterstützt diesen de facto Staat dennoch.

Die Krim soll als Teil Russlands annektiert werden. Daher fällt die besetzte Halbinsel nicht unter die Kategorie der de facto Staaten. Der hybride Krieg, der zur Abspaltung von Donbass und Luhansk von der Ukraine geführt hat, stützt sich auf die Erfahrungen mit den hier proklamierten „de facto“ Staaten. Es geht dabei auf lange Sicht um eine angeblich nötige nicht-diplomatische Anerkennung von Realitäten, die indes nur durch den Einsatz militärischer Gewalt und durch einen offenen Bruch mit dem Völkerrecht entstehen konnten.

Das unerklärte Ende

Die Kooperation der Landesverteidigungsakademie mit dem DOC läuft aus, ohne dass eigens erklärt wird, warum dies passiert. Ist Jakunin das Geld ausgegangen? Ist das angebliche Renommee des angeblichen Think-Tanks plötzlich verflogen?

Nur das ISP werkelte weiter. Georgien bildete auch dort einen thematischen Schwerpunkt. In Kooperation mit der Landesverteidigungsakademie waren im vierten Quartal 2019 zwei Veranstaltungen zu Georgien vorgesehen. Darunter eine Podiumsdiskussion zu der Frage, ob die österreichische Neutralität eine Zukunftsperspektive für Georgien darstellen könne. Dieselben Vorschläge kommen derzeit übrigens in Bezug auf die Ukraine-Invasion wieder auf den Tisch – von interessierter Seite.

An dieser Podiumsdiskussion zu Georgien nahm mit Alexander Iskandaryan ein aktives Mitglied des pro Putin-Zirkels Valdai-Klub teil.

Quelle: Leistungserbringung ISP

In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, was konkret bei der Veranstaltung zum Thema besprochen wurde. Möglicherweise war das alles eher schwer verständlicher Geopolitik-Talk. Entscheidend ist jedoch die quasi offizielle Anerkennung von Kreml-Organisationen in Zeiten von Sanktionen, für die sich das Verteidigungsministeriums noch im Dezember 2019 hergab. So begrüßte Brigadier Schöberl von der Landesverteidigungsakademie die anwesenden Gäste der ISP-Podiumsdiskussion.

Putins Leute saßen hier nicht nur im Publikum, sondern auch auf einem Podium, das die Landesverteidigungsakademie mit organisiert hatte.

Download Tagungsband Concrete Steps to Break the Deadlocks in the South Caucasus

Jeder Workshop führte zu Politikempfehlungen

Die Zusammenarbeit mit dem Dialogue of Civilizations – Research Institute DOC ist nunmehr Geschichte. Gleiches gilt für die Aktivitäten des ISP.

Das Berliner DOC-Büro ist geschlossen. Jakunins Aufenthaltsort ist unbekannt. In Wien existiert im siebten Bezirk noch eine kleine Dependance der Organisation, umgelabelt in einen Verein namens Kulturen bitten zu Tisch. Finanzreferentin des Vereins war Frau Diana Orlova. Sie war früher die Direktorin des Wiener Büros des Dialogues of Civilizations, das an derselben Adresse residierte. Orlova gehörte zum inneren Kreis des Instituts.

Dialogue of Civilizations Vienna
Dialogue of Civilizations in Wien

Eine Begründung für das Ende der Zusammenarbeit mit der Landesverteidigungsakademie ist uns nicht bekannt, obwohl diese eigenartige Kooperation im österreichischen Parlament bereits mehrfach ein Thema parlamentarischer Anfragen war. Die Antworten der derzeitigen Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) darauf sind in unsere Recherchen mit eingeflossen. Sie spielt die Bedeutung der Kooperation herunter und flüchtet sich in politische Worthülsen:

Die Zusammenarbeit mit dem DOC (…) basiert auf Vereinbarungen zwischen dem DOC und der PfP-C SG RSSC [= das ist die Südkaukasus Studiengruppe] eine direkte Zusammenarbeit zwischen dem BMLV und dem DOC bzw. eine Kooperation außerhalb des Workshops gab es nicht.

Anfragebeantwortung Ministerin Klaudia Tanner und fast wortgleiche Wiederholung ihrer Aussagen auf Semiosis-Anfrage

So stellt es jedenfalls das österreichische Verteidigungsminsiterium dar.

Für den Dialogue of Civilizations und für den Kreml war die Kooperation jedenfalls ein voller Erfolg. Innerhalb von zwei Jahren brachte sie der „kremlnahen Organisation“ (so das Verteidigungsministerium auf Semiotik-Nachfrage) trotz Sanktionen eine internationale Anerkennung.

Stolz montierten der DOC das Logo des österreichischen Ministeriums für Landesverteidigung in seinen Jahresbericht: unter der Überschrift „Partnerships and fundraising“ und als Blickfang ganz rechts oben.

Für den Dialogue of Civilizations war diese Kooperation strategisch bedeutsam. Nicht ganz zu Unrecht stellen sie dazu fest:

Jeder Workshop führte zu Politikempfehlungen, die an mehr als 800 Entscheidungsträger in Europa, den Vereinigten Staaten, der NATO, dem Auswärtigen Dienst der EU und der OSZE sowie an nationale und lokale Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen verteilt werden.

DOC Jahresbericht 2019

Teil 1 unserer Recherchen zum Einfluss des DOC in Österreich: Wiener Zivilgesellschaften im Interesse des Kremls (29.4.2022)


Zum Nachlesen

Irrlichternde Außenpolitik: Die Liebe der FPÖ zu autoritären Regimen in Moskau und Baku (Semiosis, August 2018)

Das Institut (Martin Thür, Juni 2020)

Die Russland-Kontakte des österreichischen Verteidigungsministeriums. Vom „Institut für Sicherheitspolitik“ zu „Valdai“ und der „Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft“ (29. März 2021), englische Version: NGO Institute for Security Policy, Austrian Ministry of Defense, and Valdai-Club: Case study on Russian influence in Central Europe (Euromaidanpress 5. Februar 2021)

1 Gedanke zu „Putins Leute im Sicherheitsdiskurs: die „kremlnahe Vorfeldorganisation“ und die österreichische Landesverteidigungsakademie“

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