Diese Organisation war ein Baustein der Soft-Power-Strategie der russischen Führung. Viermal änderte sie ihren Namen. Die Rede ist vom „World Public Forum“, respektive vom „Dialogue of Civilizations“, respektive vom „Dialogue of Civilizations – Research Institute“, respektive von einem Verein namens „Kulturen bitten zu Tisch“. Hinter den wechselnden Namen verbirgt sich, direkt oder indirekt, der russische Oligarch, Kleptokrat und frühere Eisenbahnchef Wladimir Jakunin – „ein Pionier der russischen Einflussnahme“. Eines seiner Operationsgebiete: Wien.
In diesen Tagen löschen Beteiligte eifrig die Spuren ihrer Aktivitäten in Österreich und Deutschland: Büros werden geräumt, Webseiten still gelegt, Lebensläufe korrigiert, Aussagen zurechtgerückt. Über Jahre hinweg hat Sebastian Reinfeldt Belege der Einflussnahmen gesichert und Hintergründe aufgehellt. Nun hat er auch mit einem der österreichischen Beteiligten gesprochen, nämlich mit Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer. Bei den Recherchen arbeitet Semiosis mit Journalist*innen aus Italien, Deutschland, Großbritannien, Tschechien, der Schweiz und Russland zusammen. In dem cross-border Recherchenetzwerk zeichnen wir die Orte und Auswirkungen der politischen Interventionen Jakunins europaweit nach. Wir orten Geldflüsse, blicken in die Tagungsprotokolle diplomatischer Zusammenkünfte und zeigen die Personen auf, die hinter den wechselnden Fassaden dieser pro Putin Zivilgesellschaften agiert haben und noch agieren.
In diesem Prolog zu einer Serie von Semiosis-Beiträgen zum Thema stellen wir die Organisation, ihre prominenten Unterstützer*innen aus Österreich und einige ihrer politischen Interventionen vor. Für die Recherche zu diesem Prolog danken wir den Kolleg*innen Paul Toetzke, Silvia Stöber, Anastasia Kirilenko, Sofia Adamova, Iva Tsoy, Sylvain Besson und Bernhard Odenhal.
Wir möchten anmerken, dass unsere russischen Kolleginnen in den vergangenen Jahren wegen kritischer Recherchen ihre Heimat verlassen mussten. Von Putins Leuten werden sie mittlerweile als Terroristinnen bezeichnet, obwohl sie schlicht ihren Job machen. Das Risiko, das sie für ihre Arbeit eingehen, ist enorm. Die Semiosis-Redaktion zollt ihnen Respekt. Unserer Meinung nach hätten sie alle Preise für Journalist*innen verdient, die derzeit in Österreich zu vergeben sind. Von Sebastian Reinfeldt
Völkerverständigung in Österreich
Seine öffentlichen Auftritte sind gerne pompös, so wie sein Lebensstil. Da kommt zusammen, was Rang und Namen hat und stellt sich in den Dienst einer vermeintlich guten Sache. Wer möchte bei Völkerverständigung, beim Kennenlernen der Kulturen und beim Dialog nicht mittun? Alles, was Wladimir Jakunin auf die Beine stellt, glitzert. Es wirkt politisch harmlos, friedlich, unabhängig und völlig unverdächtig.
Sein öffentliches Wirken in Österreich begann im Dezember 2006. Da trafen Persönlichkeiten des Landes in den Büro-Räumlichkeiten am Wiener Stubenring vier auf Wladimir Jakunin. Gemeinsam feierten sie die Eröffnung des Büros des „World Public Forum“. In der Hauptstadt und dort in bester Lage.
Das Forum ist eine unabhängige nichtstaatliche gemeinnützige Organisation, die in Österreich registriert worden ist. Es ist eine Plattform, die verschiedene gesellschaftliche Institutionen, Vertreter staatlicher Organe, intellektuelle, kulturelle, geistliche, wirtschaftliche und politische Eliten vieler Länder, sowie Vertreter von verschiedenen kulturellen Traditionen vereinigt, die bestrebt sind, ihren Beitrag zum Dialog zwischen den Kulturen zu leisten.
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20061207_OTS0214/eroeffnung-des-wiener-hauptquartiers-des-world-public-forum-dialogue-of-civilizations-bild
Reden sie nur?
Der Pressetext macht die Fassade in Worten sichtbar, die diese Organisation und ihre Nachfolgerinnen kennzeichnet: Respektable Persönlichkeiten stellen sich daher gerne in ihren Dienst. Sie tun dies in Wort und Bild. All das sieht wie eine harmlose Zusammenkunft der (Zivil-) Gesellschaft der oberen Zehntausend aus, die scheinbar nichts mit politischer Macht und Beeinflussung zu tun hat.
Sie reden ja nur.
Gerade jetzt, in Zeiten des Krieges, könnte so ein Dialog der Eliten doch hilfreich sein, so mag man einwenden. Aber das Berliner Büro der Nachfolgeorganisation der World Public Forums ist mittlerweile leergefegt. Die Wiener Adresse der letzten Vereinsgründung endet vor einer schwarzen Tür ohne Türschild in einem Wiener Altbau im siebten Bezirk.
Die Homepage funktioniert nicht mehr. Spuren im Internet werden verwischt.
Der reiche Onkel aus Russland
War diese Sache der Verständigung vielleicht doch nicht so hilfreich, wie gedacht – oder hatte sie in Wahrheit eine vollkommen andere Funktion?
Die Repräsentant*innen der Religionen, die bei der Eröffnung des Wiener Büros zugegen waren, tauchen später in Verbindung mit dem Forum nicht mehr groß auf. Sie dienten in erster Linie der bildlichen Umrahmung des scheinbar edlen Spenders, Wladimir Jakunin. Zwei Jahre später, am 10. November 2008, versendet die österreichische Nachrichtenagentur APA ein ähnliches Foto. Im Zentrum steht wieder der mächtige Herr aus Russland. Aufgenommen wurde es in Wien. Eingerahmt wird Jakunin nun von einem echten Kosmonauten und einem prominenten österreichischen Politiker und damaligen Bundeskanzler, Alfred Gusenbauer (SPÖ). Der strahlt stolz. Schließlich hat der zufrieden lächelnde Chef der russischen Eisenbahnen ihm gerade einen Preis verliehen: den Dialogue of Civilizations-Award.
Gusenbauers Preise
Diese Preisverleihung fand im Rahmen eines weiteren pompösen Events statt. Das Österreich-Journal (das sich besonders an Auslandsösterreicher*innen wendet) berichtet, es habe sich dabei um ein „High-Level Meeting“ gehandelt. Neben dem damaligen Noch-Bundeskanzler Gusenbauer fanden sich am 10. November 2008 im großen Redoutensaal der Wiener Hofburg rund hundert internationale Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur und Politik ein.
Einige von ihnen konnte der umtriebige russische Eisenbahnchef für längere Zeit an die scheinbar gute Dialog-Sache binden. Im Aufsichtsrat der Folgeorganisation Dialogue of Civilizations saßen dann gleich zwei Österreicher: der Mit-Begründer der Organisation und ehemalige Generalsekretär des Europarates, Walter Schwimmer (ÖVP) und der ehemaligen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ). Hinzu kamen der frühere tschechische Präsident Vaclav Klaus und der mittlerweile verstorbene deutsche Politik-Professor Peter W. Schulze – ebenfalls ein Mit-Begründer des DOC. Der Screenshot der Homepage zeigt die well respected men (und eine einzelne Frau, Unternehmerin und, so der Bildtext, Philanthropin) Gloria Fürstin von Thurn und Taxis.
Russland und „der Westen“
Im November 2008 behandelte das „High-Level-Meeting“ die Probleme des soziokulturellen Fortschritts in der modernen Welt, schreibt das Österreich-Journal. Besonders von Interesse sei die Rolle Russlands in einer multipolaren Welt und der Fortgang der strategischen Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Russlands gewesen.
Was also als großer Wurf für Frieden und die Zivilisationen der Welt begann, konkretisiert sich im Laufe der Zeit zu: Russland und „der“ Westen. Spätestens im Jahr 2014 wird diese Themensetzung politisch äußerst konkret werden. Denn nach der Krim-Besetzung 2014 ging ein öffentliches Engagement für diese pro russische Organisation damit einher, sich öffentlich gegen die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland auszusprechen. Zumindest sind uns keine gegenteiligen öffentlichen Statements bei Veranstaltungen der Dialog-Organisationen bekannt.
Die Sanktionen wurden wegen der Krim-Besetzung und der Annexion der Region verhängt. Diese Annexion war ein Bruch des Völkerrechts. Denn ein erzwungener Gebietswechsel verletzt das Prinzip der territorialen Integrität, das in Artikel 2 Abs. 4 der UN-Charta und in der Schlussakte von Helsinki von 1975 festgehalten ist.
Gusenbauer: Sanktionen sind kein Weg aus der Krise
Heute wissen wir, dass die Besetzung der Krim das Vorspiel und den Testlauf für die jetzige Invasion der Ukraine bildete. Der österreichische Ex-Kanzler wendet sich in öffentlichen Statements in den Folgejahren wiederholt gegen die Sanktionen seitens der EU.
‚Sanktionen sind kein Weg aus der Krise, sondern sie führen tiefer in die Krise‘, kritisierte am Samstag Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer aktuelle westliche Maßnahmen gegen Russland. Er trat in Rhodos bei einer Konferenz des in Wien ansässigen „World Public Forum ‚Dialog of Civilizations“‘ auf, dem er gemeinsam unter anderem mit dem Putin-Vertrauten Wladimir Jakunin vorsteht.
https://kurier.at/politik/ausland/kritik-ex-bundeskanzler-gusenbauer-kritisiert-eu-sanktionen-gegen-russland/88.166.578
Am Beispiel dieser Aussagen am Rande eines Dialog-Forums auf der griechischen Insel Rhodos im Herbst 2014 wird deutlich, wie diese scheinbar harmlose Zivilgesellschaft funktionierte: Der hochrangige Ex-Politiker ist Teil der glitzernden Fassade Jakunins. Gusenbauers Vorteil: Der österreichische Ex-Kanzler kann vor einem hochkarätigen Publikum seine Gedanken zur weltpolitischen Lage zur Diskussion stellen. Ein Honorar für diese Auftritte habe er dabei nicht erhalten, berichtet Gusenbauer im Semiosis-Gespräch. Sie seien pro bono gewesen. Er habe seine Auftritte dazu verwendet, seine
Einschätzungen zu weltpolitischen Entwicklungstrends zu präsentieren und mit Experten aus allen Teilen der Welt zu diskutieren. Das war intellektuell stets anregend und erfrischend. Es gab weder politische Vorgaben noch Resolutionen.
Alfred Gusenbauer auf Semiosis-Nachfrage
Jedenfalls im politischen Interesse Russlands
Bei anderen Teilnehmer*innen schwirren hohe Summen für Honorare herum. Der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman soll für seine Auftritte bei Jakunin 25.000 Euro kassiert haben. Belegbar ist dies allerdings nicht.
Ob bezahlt oder nicht: In diesem Rahmen fällt jedenfalls zumeist ein klares politisches Statement aus berufenem Munde, das – zufällig? – im politischen Interesse Russlands steht. So geschah das auf Rhodos, kurz nach der Annexion der Krim, die die Ziele und Absichten Putins deutlich machte.
Zwei Jahre später formuliert Gusenbauer in seinem großen geopolitischen Essay in der Zeitschrift Trend denselben Gedanken etwas schärfer:
Es ist Henry Kissinger zuzustimmen, der meint, dass die westliche Welt mit einem ständigen Mitglied des Weltsicherheitsrates nicht umspringen kann wie mit einem ungehörigen Kind.
Gusenbauer, Die Rückkehr der Geopolitik, Teil 2
Wladimir Jakunin ist einer von Putins Leuten in Russland
Wer ist dieser Mann Wladimir Jakunin, der es liebt, sich in Österreich fototechnisch umrahmen zu lassen? Von 2005 bis 2015 war er für die „Rossijskije schelesnyje dorogi“, also für die staatlichen russischen Eisenbahnen, verantwortlich. Bereits im März 2014, kurz nach dem Einmarsch auf der Krim, landete er auf der Sanktionsliste der USA und Australiens, da er zum ganz engen Zirkel um Putin zählt. Er empfand dies übrigens als eine Auszeichnung.
Seine Freundschaft zum russischen Machthaber stammt aus den Tagen im sowjetischen Geheimdienst. Jakunin teilt mit Putin also nicht nur den Vornamen, sondern auch die Geheimdienstvergangenheit. Zuletzt arbeitete er in entsprechender Mission für den russischen Auslandsgeheimdienst SWR. Der hochrangige Geheimdienstler zählte zudem zu der berüchtigten Datschenkooperative „Osero“, deren Mitglieder mit Putins Machtübernahme an Macht und Einfluss gewonnen haben, und dabei reich wurden – sehr, sehr reich.
Jakunin ist einer von Putins Leuten, so schreibt Catherine Belton in ihrem Buch „Putins Netz“. Sie hat sich mehrfach mit ihm getroffen und über sein Engagement für die russische Sache geredet. Ihr Befund stützt sich aber nicht nur auf seine Interview-Aussagen. In ihrem Buch führt sie ihn unter der Überschrift „Die Treuhänder – Die KGB – nahen Geschäftsmänner“ ein. Das bedeutet, kurzgefasst: Seine Rolle war es, hohe Summen zu transferieren. Dabei verblieb die eine oder andere Million auf seinen Konten.
Jakunins Anwesen: 1400 Quadratmeter Sauna und ein Gebetszimmer
Dieses Foto (und weitere Aufnahmen) von Jakunins früherem Anwesen in der Nähe Moskaus, das mehr als zweitausend Quadratmeter ausmachte, hat Alexei Nawalny bereits 2013 veröffentlicht. Unter anderem diese Recherche nahm das Putin-Regime zum Anlass, ihn zu verfolgen und mit konstruierten Anschuldigungen letztlich mehrfach zu verurteilen. Wer in Opposition zu Putin steht und kritische Recherchen veröffentlicht, riskiert in Russland Leib und Leben.
Auf seinem Grundstück befanden sich eine Sauna, die 1400 Quadratmeter maß, eine Garage für 15 Autos, ein 50-Meter Swimmingpool und ein Zimmer zum Beten. Navalny entdeckte zudem einen begehbaren Schrank nur für die Pelzmäntel, die der Präsident der russischen Eisenbahnen so sammelt wie andere Leute Briefmarken.
Vorwurf der Korruption und des Machtmissbrauchs
Jakunin führte ein super luxuriöses Leben. Alleine der Wert des früheren Anwesens wurde auf 75 Millionen Dollar taxiert. Bei einem Jahreseinkommen als erster Eisenbahner Russlands von 1,5 Millionen ist das deutlich oben-drüber.
Woher stammte also das ganze Geld? Es wurde den Steuerzahler*innen gestohlen. Besonders die Olympischen Spiele in Sotschi 2014 erwiesen sich als eine reine Goldgrube. Der 2015 auf der Moskwa-Brücke im Zentrum Moskaus erschossene rechte Politiker Boris Nemzow hat Details genannt: Ungefähr 300 Milliarden Rubel (damals rund 9,2 Milliarden Dollar) flossen damals an die russischen Staatseisenbahnen. Das Geld stammte aus dem Staatshaushalt. Zudem hatten die Eisenbahnen just zur Olympiade die Fahrkartenpreise deutlich erhöht.
Der Whistleblower und frühere russische Bauunternehmer Valery Morozov erzählte unserem cross-border Recherchenetzwerk zudem, dass es Anweisungen gab, die Sotschi-Budgets so weit wie möglich aufzublähen – und dann Kickbacks zu zahlen.
Auch Nawalny warf dem Eisenbahnchef wiederholt Korruption und Machtmissbrauch vor. Beispielsweise hat Jakunins Sohn Andrej Jakunin eine Reihe von Hotels errichtet – nicht wenige in bester Lage und entlang der Eisenbahnstrecke in Russland. Natürlich zu top Konditionen.
Seit 2014 steht Jakunin auf Sanktionslisten
Das weitläufige Anwesen in der Nähe Moskaus hat Jakunin mittlerweile verkauft. Wie direkt sein Draht zu Putin gegenwärtig ist, darüber scheiden sich die gut informierten Geister. Derzeit (im April 2022) soll sich Jakunin den Informationen unseres Recherche-Netzwerks zufolge nicht in Russland aufhalten. Interessant ist, dass er über ein Schengen-Visum verfügt, das er wegen seiner Arbeit für die Dialog-Organisation von Deutschland erhalten hatte. So berichtet die Deutsche Welle. Auf den Sanktionslisten der Europäischen Union steht er aktuell nicht, auf der Großbritanniens aber schon. Seit 2014 finden wir seinen Namen zudem auf den Listen von Australien und den USA.
September 2015: Jakunin verteidigt die aggressive Politik Putins
Von 2014 bis 2015 war die Ukraine das erste Mal Ziel von Angriffen eines damals hybrid geführten Kriegs, den Russland begonnen hatte. Nach der Annexion der Krim wurden die „grünen Männchen“ (also Soldaten, die ohne Hoheitsabzeichen operieren) im Donbass und in Luhansk aktiv. Im September 2015 tritt Wladimir Jakunin öffentlich in Berlin auf, um die Sache Russlands zu verteidigen. Seine Einlassungen auf einer Veranstaltung des Deutsch-Russischen Forums zum Ukraine-Krieg gewähren einen Einblick in das ideologische Programm, das er verfolgt. Er befände sich, so meinte er, in einem ideologischen Kampf gegen „den Westen“.
Doch „der Westen“ ist bereits ein ideologisches Konstrukt par excellence. „Der“ Westen existiert genauso wenig wie „der“ Osten. Dabei verwendet Jakunin diese Bezeichnung in erster Linie als einen verdeckten Verweis auf die USA, die angeblich den anderen Staaten „ihre Werte“ aufzwingen wollten. Was nach Versatzstücken aus dem Ideologie-Baukasten eines linken Anti-Imperialismus ausschaut, gehört bei ihm zu einem stramm christlich-konservativen Weltbild. Denn die Phrase „ihre“ Werte ist ebenso eine Redefigur aus dem Vokabular der Reaktionäre und Kulturrelativisten.
Jakunin vertritt ein anti-westliches, reaktionäres Programm
In Wahrheit gelten die allgemeinen Menschenrechte universal. Demokratie ist auch keine Erfindung eines einzelnen Staates, sondern sie wurde von vielen und in vielen Ländern und Kontinenten erstritten und zumeist blutig erkämpft.
Die Beispiele, die Jakunin für „ihre“ Werte in Berlin anführte, lassen sein gefestigtes, anti-liberales Weltbild erkennen. Er verweist dabei auf die US-Sanktionen gegen die russische Initiatorin eines Gesetzes zum Schutz Jugendlicher vor Homosexualität und auf den Sieg von Conchita Wurst (!) beim Eurovision Song Contest. Das deutsche Magazin Focus zitiert ihn dazu mit den Worten:
Ein vulgärer Ethno-Faschismus aus ferner Vergangenheit ist wieder Teil unseres Lebens geworden. (…) Die antike Definition von Demokratie hatte nichts mit bärtigen Frauen zu tun, sondern mit der Herrschaft des Volkes.
https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-im-news-ticker-timoschenko-weit-abgeschlagen-im-praesidentschaftswahlkampf_id_3846357.html
Die folgende Aussage bringt dann das geopolitische Vorhaben der Jakuninschen Organisationen auf den Punkt.
Denn er forderte die Europäer auf, stärker auf Distanz zu den USA zu gehen.
Übrigens: Bis Dezember 2021 wirkte Wladimir Jakunin im Kuratorium des Deutsch-Russischen Forums mit.
Anschlussfähige Aussagen
Damit ist der politische Auftrag für diejenigen Organisationen rund um Jakunin umrissen, die im Westen aktiv sind: den geopolitischen und kulturellen Abstand zwischen Europa und den USA zu vergrößern und damit die transatlantischen Brücken zu schwächen. Der postulierte Kampf der Werte und Kulturen, den er dabei ins Feld führt, ist nur die Sprache, in der sich das russische Hegemoniestreben und ihr Expansionismus kleiden.
Zugleich können wir rhetorische Figuren erkennen, mit denen sich an politische Diskussionen „im Westen“ andocken lässt. In politischen Zirkeln bis hin zum virtuellen Stammtisch findet die Aussage, dass die USA allen ihre Sicht der Dinge aufzwingen wolle, sicherlich Anklang. Besonders in Österreich.
Fassaden hinter Fassaden
Für diese Vorhaben des Wladimir Jakunin braucht es das Geld, von dem nicht nur Nawalny behauptet, es sei den russischen Steuerzahlenden gestohlen worden.
Jakunins Fassaden müssen beeindrucken. Auch sein aufwändiger Lebensstil will bezahlt werden. Alleine das glitzernde Rhodes-Forum, das seit 2003 in exzellenter Lage auf der griechischen Insel Rhodos abgehalten wurde, verschlingt hohe Summen. Hinzu kommt das Berliner Büro und die Mitarbeiter*innen sowie Ex-Politiker*innen, die auch bezahlt werden wollen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete 2016 anlässlich der Neueröffnung der Räumlichkeiten, dass für die Organisation 25 Millionen Euro aufgewendet wurden.
Das Geld komme aus der Schweiz, sagen Leute, die mit der Sache vertraut sind.
https://www.faz.net/aktuell/politik/putin-vertrauter-jakunin-gruendet-politik-institut-in-berlin-14308332-p2.html
Von AD HOC 16 zu DOC-RI
Bevor wir der Spur des Dialog-Geldes in die Schweiz folgen, wollen wir die Gründung der Firma in Berlin beleuchten. Sie ist merkwürdig. Laut Firmenbuch hieß das Dialogue of Civilizations-Research Institute nämlich ursprünglich AD HOC 16/1 und wurde in München ins Leben gerufen. 2016 zog die Firma plötzlich an den Kurfürstendamm 33 in Berlin um. Am 16. Juni 2016 vollzieht das Berliner Firmenbuch den Namenswechsel von AD HOC 16/1 zu Dialogue of Civilizations-Research Institute.
Zuerst wurde das DOC also als eine leere Hülle „ad hoc“ in München ins Leben gerufen. Von dieser Sorte gab und gibt es eine Vielzahl. Im Firmenbuch sind sie zumeist mit demselben Geschäftsführer eingetragen und als AD HOC 09/1, AD HOC 11/1 und so weiter durchnummeriert. Dann wechselt kurze Zeit nach Gründung der Geschäftsführer. Die Firma benennt sich um und erhält einen neuen Geschäftszweck.
1205 Genf, Rue Jean-Gabriel Eynard 8
Aus so einer Hülle entsprang das Dialogue of Civilizations – Research Institute in Berlin. Die Frage „Was steckt dahinter?“ führt im Falle dieser Organisation tatsächlich zu dahinter stehenden Konstrukten in der Schweiz. Oder, um es mit einem Matroschka-Vergleich zu sagen: Bei den Firmen- und Stiftungskonstruktionen Jakunins, die wir entdecken, wissen wir nie, ob wir wirklich die allerletzte Holzfigur vor Augen haben. Also diejenige, in der sich keine weitere Figur mehr verbirgt.
In Genf, in der Rue Jean-Gabriel Eynard in einem unscheinbaren Haus, das die Nummer acht trägt, sind jedenfalls einige dieser Figuren registriert worden: der DOC Endowment Fund, die Salamander Group und die St.Andrew The First-Called Foundation.
Bei diesen Organisationen laufen die Fäden aus Berlin und Wien zusammen. In ihnen geben Wladimir Jakunin und seine Frau Natalia Jakunina deutlich den Ton an. Auch in Russland sollte man zur (richtigen) Familie gehören, wenn man ordentlich verdienen möchte. Kennzeichnend für die Genfer Organisationen ist außerdem, dass erfahrene Finanzleute der Familie bei ihren Geschäften beistehen. Diese assistierenden Geschäftsleute werden in den folgenden Recherchen noch eine zentrale Funktion bekommen.
Die heilige Andreas-Stiftung
Hinter den Dialog-Konstruktionen finden wir in Genf jedenfalls das ideologische Zentrum der Jakuninschen Initiativen: die Stiftung Endowment for St. Andrew the First-Called Foundation. Der Name leitet sich vom ersten Jünger Jesu ab, Andreas. In Russland, in der Ukraine, in Schottland und in Rumänien gilt er als ein Nationalheiliger. Das schottische Wappen ziert ein Andreaskreuz. Die Andrew-Webseite gibt, bis auf ein Goethe-Zitat, momentan keinerlei Auskünfte. Im Stiftungsverzeichnis findet sich ihr Stiftungszweck, der unverkennbar pro-russisch und nationalistisch ist:
Förderung und Ermutigung der Erforschung, Erforschung und Erhaltung des russischen Nationalerbes, Unterstützung öffentlicher oder staatlicher Organisationen, die sich für die Erhaltung des russischen Nationalerbes einsetzen.
https://www.fundraiso.ch/sponsor/endowment-for-st-andrew-the-first-called-foundation
Von dort stammte das Geld des Wiener World Public Forums, der Dialogue of Civilizations – Organisationen und möglicherweise auch des Wiener Vereins Kulturen bitten zu Tisch.
Zurück nach Wien: eine Adresse, drei Organisationen
Wer nämlich aktuell nach der ersten Wiener Dialog-Organisation googelt, dem World Public Forum, erhält die folgende Auskunft:
Adresse: Neustiftgasse 67-69, 1070 Wien. „Jetzt geöffnet“.
Schon vor Jahren wollte ich unter dieser Adresse nach Aktivitäten des Forums zu fragen, stand allerdings vor einer geschlossenen Tür. Unter der Adresse Neustiftgasse 67-69 mit derselben Türnummer ist auch die Adresse eines Vereins mit dem Namen „Kulturen bitten zu Tisch“ registriert. So hieß einst eine öffentlichkeitswirksame Aktion des Word Public Forums in Wien im Mai 2010: Botschafter dinieren unter freiem Himmel.
Auch auf höchster diplomatischer Ebene wird interkultureller Dialog gefördert: Am steinernen PaN-Tisch, der im Zentrum des Festgeländes steht, findet um 18 Uhr ein interkulturelles Diplomaten-Dinner statt, bei dem Botschafter unterschiedlicher Länder ihre Dialogbereitschaft unter Beweis stellen. Organisator von „Kulturen bitten zu Tisch“ ist das in Wien ansässige World Public Forum.
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20100512_OTS0079/kulturen-bitten-zu-tisch-interkulturelles-schmankerlfest-am-20-mai-im-wiener-sigmund-freud-park
Aus dieser Aktion wurde später eine weitere Hülle: ein gleichnamiger Verein, der nun unter eben jener ehemaligen Adresse des Wiener Büros des Dialogue of Civilizations – Research Institute Dialog-Forums zu finden ist. Seine Homepage schmückt ein Foto jenes Dinners vom Mai 2010, das noch unter der Regie des World Public Forum abgehalten wurde.
Der Verein ist eine weitere Fassade der Dialog-Organisationen. Das erkennt man nicht nur an der Adresse, sondern auch an seiner Finanzreferentin:
Finanzreferentin des Vereins ist Mag.Diana Orlova, Direktorin des Wiener Büros von DOC.
So heißt es auf der Vereinshomepage, die noch online ist. Funfact: Vor drei Jahren residierte unter eben dieser Adresse noch das Wiener Büro des DOC Research Institute.
Womit die Spur des Geldes wieder nach Berlin führt und von dort zurück nach Genf.
In der nächsten Folge unserer Recherchen stellen wir vor, auf welchen Wegen der Dialogue of Civilizations die österreichische Verteidigungspolitik beeinflusst hat.
3 Gedanken zu „Wiener Zivilgesellschaften im Interesse des Kremls“