Diskussionswürdige Inserate in Zeitschriften, die ÖVP-Unterorganisationen herausgeben, sind ein Thema: Während in Vorarlberg Geschäftstreibende offenbar dazu gedrängt wurden, Anzeigen im Wirtschaftsbund-Blättchen zu schalten, wird in der „freiheit“ des niederösterreichischen ÖAAB munter mit öffentlichen Geldern inseriert. Das berichtet jedenfalls das profil.
In Oberösterreich heißt das Pendant zur Zeitschrift „freiheit“ schlicht „contact“. Es ist das Mitgliedermagazin des ÖAAB in Oberösterreich. Auflage: 25.000 Stück. Seine April-Ausgabe 2022 umfasst ganze 32 Seiten. Ob die lesenswert sind, ist die eine Sache. Bemerkenswert an diesem Magazin ist jedenfalls, dass die Grußwortschreiberin auf Seite drei, Christine Haberlander, zugleich Herausgeberin als auch Landeshauptmann-Stellvertreterin ist.
Und das ist die andere Sache. Denn im Heft wird sichtbar, dass diese Heftherausgeberin offenkundig eine gute Anzeigenkundin ist: in ihrer Funktion als Landeshauptmann-Stellvertreterin. Ihre Anzeigen im ÖAAB-Blatt werden somit mit öffentlichen Geldern bezahlt. [Update 20.4.2022, mit Statement des ÖAAB Oberösterreich]
Von Sebastian Reinfeldt
Die Stellvertreterin in Doppelfunktion
Befeuert durch diese Krise im Osten erleben wir gerade exorbitant steigende Energiepreise,
contact, Seite 3
beklagt Christine Haberlander, Landeshauptmann-Stellvertreterin in Oberösterreich, in ihrem Grußwort zum ÖAAB-Magzin contact im April 2022 auf Seite drei. In ihrem Text zählt die oberösterreichische ÖAAB-Obfrau, die Haberlander nämlich auch ist, auf, was die Arbeitnehmervertreter*innen der ÖVP weiß Gott alles erreicht haben.
Im Impressum dieser Zeitschrift scheint Haberlander namentlich als Vertreterin der Medieninhaberin auf. Das ist der ÖAAB Oberösterreich.
Vieles beginnt mit einem Aufstieg. Alles beginnt mit Gesundheit
Wenn wir das Magazin durchblättern, dann entdecken wir mehrere ganzseitige Anzeigen. Auf Seite 22 inseriert jene Landeshauptmann-Stellvertreterin Haberlander. Das ganzseitige Inserat hat einen Informationsgehalt, der hart gegen null tendiert. So lesen wir folgende Weisheit:
Vieles beginnt mit einem Aufstieg. Alles beginnt mit Gesundheit
Christine Haberlander hat sich in ihrem eigenen Magazin eine Anzeige geschaltet.
Mehr als ein Drittel Anzeigen
Die April-Ausgabe von contact enthält deutlich mehr als ein Drittel Anzeigen. Ausgezählt sind es genau 12,6 von 32 Seiten. Von den insgesamt 15 Inseraten stammen sechs von Firmen, die zumeist einen direkten oder indirekten ÖVP-Bezug haben, so wie das oberösterreichische ÖVP-Parteiorgan Volksblatt.
Fünf Anzeigen schalten Organe der Landesregierung Oberösterreich oder diese selbst.
Anzeigenseiten im Internet verschwinden
Das Magazin kann man sich auch im Internet durchblättern. Wer dies aufmerksam tut, wird feststellen, dass dort einige Seiten fehlen. So die Seite zwischen den Seiten 21 und 23.
In der gedruckten Ausgabe befindet sich genau auf dieser Seite 22 die Anzeige der Landeshauptmann-Stellvertreterin.
So fehlen bei den Internet-Ausgaben sämtliche ganzseitigen Anzeigen der Landesregierung. Die bekommt also nur zu Gesicht, wer das gedruckte Exemplar in Händen hält.
Der ÖAAB Oberösterreich weist auf Semiosis-Nachfrage darauf hin, dass die Inseratenseiten aus rein technischen Gründen entfernt würden,
um die Dateigröße entsprechend zu reduzieren. Das betrifft alle ganzseitigen Inserate.
Eine unscheinbare entgeltliche Einschaltung des ÖVP-Klubs
Dass sich im ÖAAB-Magazin ein Meinungsartikel ihres Bundesobmanns August Wöginger findet, vermag kaum zu überraschen. Aber in dieser und in den vorherigen Ausgaben im Jahr 2021 ist ganz klein und unterhalb dieser Statements ein Hinweis angebracht, dass es sich dabei um eine entgeltliche Einschaltung handelt, samt türkisem Logo des ÖVP-Klubs im Nationalrat. Deren Vorsitzender August Wöginger ja auch ist – was insgesamt sicherlich reiner Zufall ist.
Alles mit Steuergeld bezahlt
Unsere Recherche in den vier contact-Online-Ausgaben von 2021 hat ergeben, dass in jeder Internetpräsentation fünf bis acht Seiten pro Ausgabe fehlen. Sie, verehrte Leser*innen, können dies gerne nachprüfen.
Wenn das so wie im April 2022 ganzseitige Anzeigen sind, die die Landesregierung geschaltet hat, so ergibt das mehr als 20 bezahlte Druckseiten im Jahr, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden: für eine Vorfeldorganisation der oberösterreichischen ÖVP.
Eine Anzeigenpreisliste des contact ist leider nicht erhältlich. Wenn der Preis aber ähnlich der Schwesterzeitung im Bund ist, kämen auf diese Weise rund 100.000 Euro jährlich an Zuwendungen hinzu.
Die entgeltlichen Einschaltungen des ÖVP-Nationalratsklubs nicht mitgerechnet. Die findet sich nämlich auch in jeder der vier Ausgaben aus 2021.
So oder so sind diese Zuwendungen allesamt aus Steuermitteln finanziert. Der ÖAAB Oberösterreich hat uns auf Nachfrage hin erläutert, dass die Inseratenschaltung „unter Einhaltung aller gesetzlichen und medientransparenzrechtlichen Vorschriften“ geschehen sei.
Semiosis-Anfrage an Haberlander: Sehen Sie ein compliance-Problem?
Sehr geehrte Frau Landeshauptmann-Stellvertreterin Christine Haberlander,
ich beziehe mich bei meiner Medienanfrage beispielhaft auf eine Anzeige, die Sie als Landeshauptfrau-Stellvertreterin im ÖABB-Mitgliedermagazin contact geschaltet haben. Sie findet sich auf Seite 22 der aktuellen April-Ausgabe in der gedruckten Version (nicht im Internet-Auftritt). (…)1) Was ist der sachliche Grund für diese Anzeige? Welche Informationen wollen Sie damit an die spezielle Zielgruppe der contact-Leser*innen transportieren?
Die Anfrage ist bislang unbeantwortet (19. April 2022, 15 Uhr).
2) Wie viel kostet dieses Inserat?
3) Im Jahr 2021 wurde in jeder Ausgabe des contact weitere Anzeigen seitens der Landeshauptmann-Stellvertreterin geschaltet. Wie hoch sind die Kosten dafür?
4) Da Sie ja auch zugleich die Landesobfrau des oberösterreichischen ÖAAB sind: Sehen Sie in Ihrer Doppelfunktion (ÖABB-Obfrau und Landesregierung) ein compliance-Problem? Gibt es da eine entsprechende Einschätzung?
Semiosis-Recherchen zum Thema
Die Vereinsplantagen der ÖVP (April 2022)
Vereine mit Nähe zur ÖVP – eine Recherche (Februar 2021)