Die ukrainische Hauptstadt Kiew ist von Wien über 1300 Kilometer entfernt. Zum Endpunkt der Nord Stream 2-Gaspipeline im deutschen Lubmin sind es nur 900 Kilometer. Unmittelbar also hat Österreich mit der Ukraine-Krise wenig zu tun, sollte man meinen. Dem ist aber nicht so. An der fatalen Abhängigkeit Europas von russischem Gas hat eine österreichische Firma mitgewirkt. Denn mit der OMV war ein österreichischer Konzern direkt am Bau der Pipeline beteiligt, die an der Ukraine vorbei Gas nach Europa liefern soll. Wie so oft, wenn es um Russland geht, spielt sich Österreichs Beitrag an russischen Projekten unterhalb des Radars der Öffentlichkeit ab. Trotzdem fragen wir: Sind Geschäfte mit Putins Leuten wirklich gute Geschäfte?
Die Recherche dazu basiert auf dem englischsprachigen Blogtext Gas games: a closer look at Nord Stream 2 von Tanja Maier. Wir haben ihn mit ihrer Erlaubnis übersetzt, gekürzt und in einigen Passagen noch deutlich erweitert. Außerdem haben wir bei der OMV und bei der österreichischen Kontrollbehörde e-control zum Stand der Versorgungssicherheit nachgefragt.
Update 2. März 2022. Wir haben uns im Tenor des Beitrags geirrt: Nord Stream 2 ist durch die Invasion der Ukraine Geschichte. Die Firma in Zug hat mittlerweile Insolvenz angemeldet. Nicht geirrt haben wir uns bei den handelnden Personen – und dass es weiterhin keine Diskussion darüber gibt, woher das viele Geld kommt, dass aus Russland in europäische Projekte fließt. Daher bleibt der Beitrag, ergänzt mit einer Aktualisierung, online.
Gas für Europa
Ich schaue mir das Projekt Nord Stream 2 genauer an. Dabei möchte ich mit einer Feststellung beginnen. Ich glaube nicht, dass Nord Stream 2 als ein Hebel gegen Putin eingesetzt werden wird. Im Gegenteil denke ich, dass Gas noch in diesem Jahr fließen wird. Schauen wir uns den Hintergrund von Nord Stream 2 an: Die Tochtergesellschaft des deutschen Teils der Pipeline wurde in Zug in der Schweiz am 26. Januar 2022 registriert.
Kurzfristig könnten die Aufsichtsbehörden – die deutsche Bundesnetzagentur also – die Dinge noch hinauszögern. Aber auf lange Sicht wird Europa dieses Gas brauchen. Europäische Firmen haben, finanziert von europäischen Banken, schon zu viele Milliarden an Euro investiert, als dass dieses Projekt noch schubladisiert werden könnte.
„Kümmere mich darum“
Das erste Mal, dass ich mir das Projekt angeschaut habe, war, als es mal wieder einen politischen Skandal mit Chatnachrichten in Österreich gab, in den die ÖVP involviert war. In diesem tauchte der frühere Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) auf. Er wurde 2018 nämlich Lobbyist für Gazprom.
Als ein österreichischer Russland-Geschäftefreund, Siegfried Wolf, 2016 bei ihm in Sachen Nachlass seiner Steuerschuld ansuchte, antwortete der damalige Finanzminister Schelling:
Kümmere mich darum.
Bitte SMS gleich löschen.
Hans Jörg Schelling setzte seine Karriere in einem Berufsfeld fort, das nicht außerhalb der Politik liegt: als Berater und Lobbyist für Nord Stream 2 nämlich. Der Kurier (!) weiß darüber zu berichten:
Angefragt bei Schelling hatte Matthias Warnig , CEO der im Schweizer Steuerparadies Zug ansässigen Projektgesellschaft Nord Stream 2, zu hundert Prozent im Eigentum der Gazprom. Der ehemalige DDR-Spion ist der Vertraute von Wladimir Putin und mit dem russischen Präsidenten noch wesentlich enger als Gerhard Schröder.
Kurier
Putins Leute
Werfen wir einen genaueren Blick auf die Firma hinter Nord Stream 2: Ihr Geschäftsführer ist also niemand anderes als Putins Stasi-Buddy Matthias Warnig. Dessen Name ist so etwas wie ein Synonym für undurchsichtige deutsch-russische Geschäfte seit den frühen 1990ern. Wer mehr darüber wissen will, sei Catherine Beltons Buch Putin’s People empfohlen. Warnig gab übrigens 2018 der Zeitung Presse ein Interview, das sich nachzulesen lohnt.
Finanzvorstand ist Paul Corcoran, ein Englisch-Muttersprachler von BASF/Wintershall. COO, also so eine Art Betriebsleiter, ist ein Italiener namens Marco Casirati. Er ist seit dem frühen Beginn – bereits bei Nord Stream 1 – involviert. Technischer Direktor ist ein Russe, Pavel Persidskii. Es liegt auf der Hand, dass es zumindest in Deutschland (aber nicht nur dort) eine starke Lobby geben wird, dieses Projekt am Laufen zu halten.
Wer Nord Stream 2 finanziert
Hauptaktionär der Firma ist das weltweit größte russische Erdgasförderunternehmen Gazprom. Das Projekt wurde zur Hälfte von Gazprom finanziert und zur Hälfte durch diese europäischen Partnerfirmen: Engie (Frankreich/Belgien)), OMV (Österreich), Shell (Niederlande), Uniper/E.ON (Deutschland) und Wintershall/Dea (Deutschland). Diese fünf europäischen Firmen stellten Nord Stream 2 die Hälfte der 9,5 Milliarden Euro Baukosten zur Verfügung. Jede Firma übernahm dabei 10 Prozent. Für die OMV fielen Investitionen von 729 Mio. EUR Euro an. Nach dem erzwungenen Rückzug aus dem Projekt wird die Investitionssumme in Raten zurückgezahlt. Eine erste Rate der Nord Stream AG sei in der zweiten Jahreshälfte 2021 bereits auf dem OMV-Konto eingetroffen, erläutert die OMV auf Semiosis-Nachfrage.
Wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die österreichische Staatsholding ÖBAG über 31,5 Prozent der OMV-Aktien hält. Die Republik Österreich hat also ein Interesse an guten Russland-Geschäften und auch an wertsteigernden Aktienkursen.
Russlands Werk und Österreichs Beitrag
Im Juni 2018 veröffentliche die Rechercheplattform Addendum eine Recherche der Verflechtungen der OMV mit Russland. Der österreichische Energiekonzern hat weltweit für dieses Projekt lobbyiert. Wir geben hier die entsprechende Passage aus Russlands Werk und Österreichs Beitrag zur Nord Stream 2 AG wieder:
Interessant ist nun, welche Maßnahmen die in der Schweiz ansässige Nord Stream 2 AG setzt. 2017 überwies die Firma, die von der OMV mitfinanziert wird, 1,45 Millionen US-Dollar an die folgenden vier PR- und Lobbyagenturen in Washington: Roberti Global, Hawksbill Group, Capitol Counsel und SMW Partners. Abgesehen von den umfangreichen Zahlungen der Nord Stream 2 AG investierte auch die OMV selbst Geld für Stimmungsmache in der US-Hauptstadt. So zahlte die OMV von Oktober 2017 bis April 2018 weitere 80.000 Dollar an McLarty Inbound LLC. Diese Agentur tauchte bereits im April 2016 als Empfänger von weiteren 230.000 Dollar im Washingtoner Lobbying-Report auf. Damals erhielt McLarty die Summe von einem Klienten namens „New European Pipeline AG“, also der Vorgängergesellschaft der Nord Stream 2 AG. In Summe erhielt die Agentur um den ehemaligen US-Botschafter in Deutschland, Richard Burt, bis heute 690.000 Dollar von der Pipelinegesellschaft.
Quelle: Addendum
Das westsibirische Juschno-Russkoje
Tatsächlich verfolgt die OMV noch weitere Projekte in Russland. 2017 hat sie einen 24.99% prozentigen Anteil am westsibirischen Gasfeld Juschno-Russkoje (Yuzhno-Russkoye) vom deutschen Energiekonzern Uniper erworben. Die OMV bezahlt für ihren 24,99 Prozent Anteil an dem westsibirischen Gasfeld 1.719 Mrd. Euro.
So steht es im Factsheet, das der Konzern selbst publiziert. Bei dem westsibirischen Projekt finden sich übrigens zwei bekannte Nord Stream 2-Partner wieder: der deutsche Energiekonzern Wintershall/Dea und, wie könnte es anders sein, die russische Gazprom.
Energiegeschäfte sind staatsnah
Um bei Energiegeschäften mittun zu können, sind Förder- oder Speicherlizenzen nötig. Die entsprechenden Grundstücke stehen zumeist im öffentlichen Besitz. Zudem ist es eine Aufgabe eines jeden Staates, dafür zu sorgen, dass ausreichend Energie zur Verfügung steht. Daher ist die Energiewirtschaft besonders Politik nah. Die nur offiziell parteifernen Aufsichtsratsjobs bei der OMV sind in Wahrheit politisch gestreamt. 2016 warnte die konservative Presse vor einer SPÖ-Mehrheit im Aufsichtsrat. Titel: Die rote Revolution in der OMV (!). 2019 dealten der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und der damalige Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) per SMS mit Aufsichtsratsmandaten und Vorstandsjobs in der OMV. So berichtete die Plattform Dossier über einen längeren Chatverlauf der beiden.
Die Roten gehören endlich ersetzt!
Darin zeigt sich Vizekanzler HC Strache ungeduldig. Denn die FPÖ habe die entsprechenden Vereinbarungen aus dem Sideletter bereits umgesetzt. Nun sei die ÖVP säumig, ihren Teil einzuhalten. Die Gesprächspartner schieben Aufsichtsratsposten wie Bauern auf einem Schachfeld hin und her. Auch die OMV ist dabei Thema. Strache schreibt an Löger:
Ihr braucht eure Leute nur ersuchen zurückzulegen…. die Roten gehören endlich ersetzt. Wir haben wirklich geduldig auf die jetzige Reform gewartet. Jetzt geht es um rasche Umsetzung der Vereinbarungen.
Das war im März 2019. Und dann kam Ibiza.
Russlands Werk und Deutschlands Beitrag
In Deutschland steht der Putin-Freund und bekennender Gazpromist, Ex-SPD-Kanzler Gerhard Schröder, keineswegs alleine da. Die Zeit berichtet:
Der SPD-Staatssekretär Alfred Tacke (…) organisierte 2002 eine Ministererlaubnis für die Fusion des größten deutschen Stromkonzerns mit dem größten Gaskonzern. Heraus kam E.on (heute Uniper), enger Partner von Gazprom. Wolfgang Clement hielt als SPD-Wirtschaftsminister seine Hand über die Gaskonzerne und wechselte nach seinem Ausscheiden aus dem Kabinett in den Aufsichtsrat des
Die Zeit
Kraftwerksbetreibers RWE.
Diese enge Verzahnung wird noch in einem weiteren Fakt deutlich: Wintershall/Dea hat einen deutschen CEO/Chairman, Mario Mehran. Dieser ist zugleich der Sprecher des Ostausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft, OAOEV. Am 17. Januar 2022 hat diese Vereinigung ein Statement zu den Spannungen zwischen Russland und der Ukraine veröffentlicht. Darin rufen sie zum Dialog auf und meinen, dass Europa sowohl den Gastransport via der Ukraine als auch via Nord Stream 2 brauche.
Wintershall/Dea kann ebenso einen spannenden Aufsichtsrat vorweisen. Dabei sind nämlich zwei Aufsichtsräte von Letter One. Das wiederum ist eine Holding- und Beteiligungsgesellschaft, die von Ex-Alfa Group Aktionären gegründet wurde. Mit anderen Worten: von einflussreichen Milliardären aus Russland. Schauen Sie sich einfach mal das all-male Board von Letter One an! Dort finden Sie elf ganz interessante Biografien. Alle besitzen sie globale Assets, natürlich auch welche in Russland.
Man kann kaum unterschätzen, wie sehr deutsche und russische Geschäftsinteressen ineinander verwoben sind, nach immerhin drei Dekaden Zusammenarbeit. Unter normalen Umständen wäre das natürlich eine gute Sache. Aber nun haben wir eine Situation, dass Deutschland und ein großer Teil von Zentraleuropa sehr abhängig (50 Prozent) von Gas ist. Realistischerweise kann das also nicht als ein Hebel gegen Russland verwendet werden. Unabhängig davon, wie sehr die Biden-Administration das möchte.
Wie stark diese Abhängigkeit in Wahrheit ist, haben verschiedene Autoren im Blog bruegel.org detailliert dargelegt.
Ein umgekehrter Molotow-Ribbentrop Pakt?
Kurz gefasst: Nord Stream 2 hat einen steinigen Weg zurückgelegt. Aber die Einsätze sind zu hoch, die Pipeline auf Dauer abzuschalten. Europas Banker und führende Manager würden die Souveränität einiger weniger osteuropäischer Staaten opfern, um weiter Gas nach Europa fließen zu lassen. Sie haben die Risiken wahrscheinlich bereits eingepreist und würden einen Deal mit Russland eingehen, etwa im Kontext eines umgekehrten Molotow-Ribbentrop Pakt. Mit denselben impliziten Risiken. Wenn die Banker Europas glauben, dass der Krieg wahrscheinlich ist, könnten Zyniker argumentieren: Reduziere das finanzielle Risiko und lass Putin einige dieser Länder im Osten nehmen. Wen kümmert es? Aber die Sache ist, ihr deutschen Muttersprachler, wie könnt ihr sicher sein, dass er da anhalten wird?
Energiespeicher in Österreich
Über all dem schwebt auch die Frage nach der Versorgungssicherheit im Land. Ist derzeit die Versorgung mit Gas in Österreich gesichert? Die Antwort der österreichischen e-control auf Semiosis-Nachfrage lautet eindeutig: Ja. Aktuell sind rund 20 Prozent der Speicherkapazität befüllt. Das ist für einen Februar ein normaler Stand. Denn im Sommer, wenn das Gas billiger ist, wird eingekauft. Und im Winter dann verbraucht.
Wir können die Speicherstände übrigens selbst und tagesaktuell abrufen. Unter https://agsi.gie.eu/#/ sind auch interessante historische Daten zum Füllstand der Energiespeicher in Österreich zu finden.
Die Tabelle sollte allerdings erläutert werden. Denn die Nord-Stream 2-Unternehmen Uniper, OMV und Gazprom (GSA und astora) betreiben Teile österreichischer Speicherfelder. Allerdings beliefert der größte Speicher, das frühere Gasfeld in Haidach, keine österreichischen Kund*innen, sondern er dient ausschließlich der Versorgung Süddeutschlands. Für Österreich wichtig sind die Speicher der OMV (OMV Gas Storage Pool) und der RAG (RAG Storage Pool). Aktuell sind sie durchschnittlich zu mehr als 20 Prozent gefüllt. Das bietet keinen Anlass zur Sorge, erläutert Carola Millgramm, die Abteilungsleiterin Gas von e-control, im Semiosis-Gespräch. Die kälteste Zeit des Jahres ist bereits vorüber. Zudem hält sie es für ausgeschlossen, dass Gazprom seine Lieferverpflichtungen nicht einhält. Bislang sei der russische Energiekonzern nämlich noch nie vertragsbrüchig geworden. Sollte er das werden, würde das so richtig teuer. Die Lieferverträge enthalten für diesen Fall eine Pönale.
Update 2. März 2022: Wir haben uns geirrt…
Gas nach Österreich fließt zwar trotz Ukraine-Invasion und Sanktionen gegen Russland weiter. In den Speichern Österreichs liegen etwas weniger als 20 Prozent gas, was reichen wollte, auch wenn der März weiterhin so kalt bleibt.
Aber Nord Stream 2 in der Form, wie wir es in diesem Beitrag vor Ausbruch des Krieges vorgestellt und analysiert haben, ist Geschichte. Nachdem sich der Finanzier Shell zurückgezogen und Deutschland erklärt hat, es wird aus dem Projekt aussteigen, ist die Pipeline Geschichte.
Zum Nachlesen: Shell to divest from Gazprom, Nord Stream 2
Last year Shell had around $3 billion in non-current assets in Russia.
Die Mitarbeiter*innen sind bereits gekündigt. Die Insolvenz ist angemeldet. Das Thema ist durch.
Zum Weiterlesen, unsere Serie: Aus Liebe zur Macht …
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