Proteste gegen die Stadtstraße: Sind Fake-Polizisten oder Fake-Geschichten unterwegs?

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By Sebastian Reinfeldt

Letztlich ist es ein Klassiker. Nach der einen Version macht die Polizei gerade Hausbesuche bei Aktivist*innen, die sich gegen die Stadtstraße in der Donaustadt wenden. Nach der anderen Version, die die Polizei erzählt, gebe es diese Hausbesuche überhaupt nicht.

Wir haben einen Augenzeugenbericht recherchiert und direkt bei der Polizei nachgefragt. Spoiler: Es war mysteriös. Mittlerweile (7. Februar 2022) haben sich die Nebel aber gelichtet. Der von uns recherchierte Augenzeugenbericht entspricht der Wahrheit. Die erste Version der Polizei war ein Fake.[Update 7. Februar 2022]


Ausgangspunkt dieser Recherche ist ein Tweet der Lobau-Aktivistin Lena Schilling.

Sie behauptet, dass Polizisten in Zivil die Wohnung einer Freundin aufgesucht hätten. Kurze Zeit später reagiert der Twitter-Account der Polizei, übrigens mit voll korrekten Gendersternchen, und behauptet:

eine solche Amtshandlung wurde durch unsere Kolleg*innen nicht geführt.

Sie suchen eine Person

Wir haben also zwei sich widersprechende Statements auf Twitter. Was kann die Polizei bzw. die Personen, die sich als Polizisten ausgegeben haben, bei der jungen Frau gesucht haben? Die Beamten, die in zivil waren, hatten offenbar keine direkte juristische Legitimation. Sie wollten von der jungen Frau eine Auskunft. Bei ihr haben wir nachgefragt und so einen Augenzeugenbericht der Aktion recherchiert, den wir hier anonym wiedergeben können:

Also sie haben zu meinem Vater nicht wirklich was gesagt, er hat halt gefragt, um was es geht, dann waren die Cops bissi überfordert. Dann hat er gefragt, ob’s um die Lobau geht, da haben sie ja gesagt und halt, dass sie eine Person suchen und dass das möglicherweise ich bin und dass sie mit mir reden wollen.

Dann haben sie meine Eltern gefragt, ob sie ein Foto von mir haben, weil meine Mama dachte, dass ich nicht zu Hause bin, und davor hat mein Vater gefragt, ob er das Foto von den Cops sehen kann, das haben sie ihm dann auch gezeigt – und dann bin eh ich schon gekommen.

Ihre Sorge teilen wir

All das soll sich am Donnerstag, 3. Februar 2022, gegen 9 Uhr 30 im dritten Wiener Bezirk abgespielt haben. Die Beamten hätten sich auf Nachfrage mit einem Dienstausweise ausgewiesen, der in etwa so ausgesehen haben soll.

Das ist der Bericht, der uns erreicht hat. Diese Schilderung haben wir dann in Auszügen der Polizeipressestelle übermittelt und dort nachgefragt, ob sie bei der Darstellung bleiben, dass es sich nicht um eine Amtshandlung der Polizei gehandelt habe.

Falls es nämlich wirklich keine Amtshandlung war, könnte es ja auch sein, dass sich Unbekannte als Fake-Polizisten ausgeben, um die Szene auszuspionieren oder zu verunsichern. Markus Dietrich, der Polizei-Pressesprecher, reagierte auf die Semiosis-Nachfrage:

Ihre Sorge teilen wir, deshalb haben wir ersucht, eine E-Mail, die zur Aufklärung des Sachverhalts dienen könnte, an uns zu schicken. Sehr hilfreich wäre natürlich
ein Kontakt zu der besagten jungen Frau.

Wir haben natürlich Quellenschutz zugesichert, aber die Bitte der Polizei doch weitergeleitet.

Ein unbekannter Aktivist im Polizeianhaltezentrum

Das liest sich alles mysteriös. Nicht verifizieren konnten wir eine Version der Geschichte, die in Aktivist*innenkreisen herumgeht. Die wäre nämlich für die Polizei eher peinlich. Demnach hätten sie aus Versehen eine(n) der am Mittwoch verhafteten Aktivist*in aus dem Polizei Anhaltezentrum (PAZ) entlassen, ohne dass sie die Identität der Person hätten ermitteln können. Dafür muss man wissen, dass einige der Aktivist*innen keine Dokumente bei sich führten und auch keinerlei Angaben zu ihrer Identität gemacht haben. Nun würde die Polizei im Nachhinein versuchen herauszufinden, wer diese ihr unbekannte Person ist. Daher suchen sie nach Personen, die diese auf Fotos identifizieren könnten.

Was für diese Version sprechen würde, sind weitere Hausbesuche der Polizei, die gerüchteweise stattgefunden hätten.

Wir bleiben dran.

Update 7. Februar: es gab doch eine Amtshandlung

Der völlig glaubhafte Augenzeugenbericht hat sich mittlerweile bewahrheitet. Kurz nachdem auch Amnesty Österreich sich eingeschaltet hatte, gab die Polizei über ihren Twitter-Account bekannt: Ja, es hat eine Amtshandlung stattgefunden. Die Nebel haben sich gelichtet.

Im Zweifel bei der Behörde direkt anrufen

Generell: Was tun bei einem Hausbesuch, der einem komisch vorkommt? Beim geringsten Zweifel, direkt bei der Behörde anrufen! Suchen Sie die Telefonnummer der Behörde dabei selbst heraus. Wichtig: Lassen Sie die Besucher*innen währenddessen vor der abgesperrten Tür warten.

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