Es zirkuliert in diesen berühmten Telegramgruppen der Corona-Leugner*innen: Ein Video, das zeigt, wie ein Mann aus Österreich bei der AGES-Hotline anruft. Am anderen Ende des Gesprächs sitzt, so stellt sich heraus, eine deutsche Mitarbeiterin eines Callcenters. Diese gibt dem Anrufenden, der vorgibt, Angst vor der Impfung zu haben, Tipps, wie er der angekündigten Impfpflicht entkommen könne. Wörtlich sagt sie: „Es gibt natürlich auch Ärzte, die sich dafür entschieden haben, gar nicht zu impfen. Und da hat man vielleicht ne Chance, auch dafür eine Impfbefreiung zu kriegen“.
Bringt die AGES-Hotline wirklich Infos in Umlauf, wie man in Österreich gesetzliche Vorgaben umgehen kann? Semiosis wurde das Video des Telefonats zur Kenntnis gebracht. Sebastian Reinfeldt hat recherchiert.
Man muss einen Arzt finden, der so etwas ausstellt
Das Telefongespräch dauert etwa sieben Minuten. Davon liegen uns etwas mehr als zwei Minuten vor. Die Passage mit dem Rat zur Umgehung der Impfpflicht ist diese hier.
Zu Spitzenzeiten rund fünfzigtausend Anrufe am Tag
Mittwochabend, 15. Dezember. Ich habe schon Feierabend. Die U2 bringt mich spätabends nach Hause, als das Smartphone läutet. Roland Achatz, der Pressesprecher der AGES, regiert prompt auf meine Medienanfrage wegen dieses seltsamen Videos. Ja, bestätigt er, das Telefongespräch habe so wie im Video stattgefunden. Es handelt sich um keinen präparierten Fake. Auch sei richtig, dass die AGES, „um Spitzen abzudecken“, Callcenter als Subauftragnehmer beauftragen würde. Was heißt das genau, Spitzen?, frage ich nach. Nun ja, bis zu 50.000 Anrufe täglich. Nach dem Aussenden der Impfbriefe sei so eine Situation entstanden. Denn es komme zu zahlreichen Anfragen.
Die Aussagen der Mitarbeiterin im Telefongespräch seien natürlich nicht in Ordnung und entsprächen in keinster Weise den Schulungen und FAQs, die die AGES vorgibt. Es habe Nachschulungen gegeben.
Es ist wirklich schon spät abends. Noch schnell einen kaum recherchierten Artikel raushauen, das will ich nicht. Wir vereinbaren daher, am Folgetag nochmals über dieses Telefonat zu sprechen.
Strategien, um die Infokanäle zu verstopfen
Warum wird so ein Gesprächsausschnitt eigentlich öffentlich? Suchte der Anrufende wirklich Informationen? Was ist die Absicht dahinter? Im Verlauf der zwei Minuten 20 Sekunden, die der Ausschnitt dauert, den wir zur Verfügung haben, gewinnt man nicht den Eindruck, dass hier ein Bürger anruft, der wirklich eine Auskunft haben möchte. Der Anrufende provoziert die Mitarbeiterin zu dieser problematischen Impfaussage. Sie will nur freundlich sein, seine Angst besänftigen und ihn beruhigen. Er solle erstmal das Weihnachtsfest in Ruhe mit seiner Familie verbringen und dann weiter sehen, rät sie noch.
Der Anrufer nutzt diese hilflose Reaktion der Callcenter-Mitarbeiterin aus. Am Ende versucht er dann, ihr Aussagen in den Mund zu legen, die sie gar nicht getroffen hat. So suggeriert er, sie stimme ihm zu, dass der Aufforderungsbrief zur Impfung ein reines Druckmittel sei. Was sie ausdrücklich nicht tut.
Die AGES distanziert sich von den Aussagen
Diese Strategie, Infokanäle bis zum Anschlag und mutwillig zu beschäftigen, läuft schon länger und betrifft nicht nur die Telefon-Hotline der AGES. Seitenlange Briefe und ellenlange Mails mit politik-philosophischen Ausführungen erreichten die AGES jeden Tag, berichtet Achatz.
Daraus lassen sich aus meiner Sicht zwei miteinander verbundenen Ziele der Corona-Leugner und Impfgegner ablesen: Staatliche Stellen sollen unter Stress gesetzt und ins Lächerliche gezogen werden. Das geht bis hin zu Versuchen, die staatliche Infrastruktur im Gesundheitswesen lahmzulegen, indem man sie zum einen physisch belagert (das sollen die Demonstrationen vor Krankenhäusern leisten) und sie zum anderen mit offenkundigem Blödsinn beschäftigt. Letzteres hat im Fall der Callcenter-Mitarbeiterin offenbar funktioniert.
Die AGES distanziert sich von diesen persönlichen Aussagen,
heißt es dann im offiziellen Statement der AGES zu der Impfaussage. Mit gravierenden Konsequenzen für die Betroffene. Denn sie ist ab sofort nicht mehr bei der Corona-Infoline tätig.
Für alle Mitarbeiter*innen des Callcenters wurde umgehend ein Nachschulung durchgeführt und zur Unterstützung in der aktuellen Situation erweiterte Coachings im Umgang mit steigenden Provokationen und auch Anfeindungen sowie ein Supervision-Angebot eingerichtet.
Das ist die Geschichte hinter dem Telegram-Skandalvideo.
Titelbild: Screenshot aus dem Video