Oberösterreich: Die Intensivstationen arbeiten am Anschlag

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By Sebastian Reinfeldt

Jeden Tag hören und bewerten wir Zahlen. Die Politik hat sich unsinniger Weise dazu entschieden, die Auslastung der Intensivstationen als einziges Kriterium zu nehmen, um den Verlauf der Pandemie zu beurteilen. In Oberösterreich zahlt das Gesundheitspersonal nun den Preis für diese Politik. Denn wenn die Stationen voll werden, ist es eigentlich schon zu spät, um vorausschauend zu handeln. Dann geht nurmehr regionales Feuer löschen: Feuerwehrpolitik eben.

Wie sich die hohen Inzidenzen konkret auf die Intensivstationen auswirken, haben wir am Beispiel Oberösterreich recherchiert. Angestoßen wurde dies durch Hinweise von Gesundheitspersonal und durch eine zugespielte Statistik der wirklich belegten Betten auf Intensivstationen. Es wird eng. Deshalb haben wir bei der Gesundheitsholding Oberösterreich nachgefragt. Wir stellen ihre Antworten und die von uns anonymisierten Schilderungen aus den Stationen nebeneinander.


Auf Intensiv: In einem Monat haben sich die Zahlen verdoppelt

Oberösterreich verzeichnet laut Dashboard am 8. November 2021 exakt 2.206 neue COVID-19-Fälle und eine 7-Tages-Inzidenz von 983,2. Im Land liegen 395 COVID-19-Patient*innen auf Normalstation. Das sind 19 mehr als gestern. 26.738 Personen befinden sich derzeit in häuslicher Quarantäne. 77 Intensivbetten sind mit COVID-19 Patient*innen belegt. Acht mehr als tags zuvor.


Zur Zeit haben die Krankenhäuser von den offiziell verfügbaren 250 Intensivbetten laut Stufenplan 103 Betten für COVID-19-Patient*innen reserviert. Somit sind mit 77 Betten Dreiviertel der in der zweiten Stufe vorgesehen COVID-19-Betten weg. Insgesamt waren Ende letzter Woche 199 Intensivbetten belegt, da ja auch Patient*innen mit anderen Erkrankungen intensivpflichtig werden. Also gab es nur 51 wirklich verfügbare Plätze. Die Zeitung Heute meldet für diesen Montag nurmehr 26 gesamt verfügbare Betten für das Bundesland.

Die nächste dritte Stufe, die im Bedarfsfall aktiviert wird, sieht 150 – von den insgesamt 250 Intensivbetten – für COVID19-Patient*innen vor.

Diese Steigerung ist dennoch mit den früheren Wellen nicht vergleichbar,

meint Jutta Oberweger, Sprecherin der Gesundheitsholding Oberösterreich.

Wenn wir jetzt nichts tun, dann sind wir allerdings wieder da, wo wir im vergangenen Jahr im Dezember waren.

Vor genau einem Monat (am 8. Oktober 2021) lagen 35 Patient*innen auf Intensivstationen. Nun sind es 77 Personen. Wenn sich der Trend der Verdoppelung so fortsetzt, werden in einem Monat (am 8. Dezember 2021) knapp 150 Personen auf Intensiv liegen. Dann ist aber für andere Patient*innen kein Platz mehr. Oberweger:

Die Steigerungen jetzt verlaufen analog zur Zahl der positiv Getesteten.

Riesengroßer Zusammenhalt des Personals

Was bedeuten diese Zahlen für die Arbeit auf den Stationen? Intensivbetten können sich nicht auf wundersame Weise selber vermehren. Aus dem Pool der 250 vorhandenen Intensivbetten werden die Betten für die intensive COVID-19-Behandlung umgewidmet. Es kommen keine neuen Ressourcen hinzu.

Wir haben einen Aufruf ans Personal in Oberösterreich gestartet und um Berichte gebeten.

Denn Betten brauchen Personal. Und die Betreuung von Intensivpatient*innen benötigt eben mehr Personal als dies bei Normalbetten der Fall ist. Aus dem Pyhrn-Eisenwurzen Klinikum wird Semiosis berichtet, dass Pfleger*innen in die COVID-19-Stationen abgezogen wurden. Dies sei im Spital eine gewohnte Übung, denn bereits vor einem Jahr passierte das ebenso. Das abgezogene Personal kann also als angelernt gelten. Der OP-Betrieb ist reduziert, mit Ausnahme der akuten Indikationen. Alle arbeiten am Anschlag. Wir werden gebeten zu betonen:

Wie in jeder Krisensituation gibt es einen riesengroßen Zusammenhalt – vom Portier über die Reinigungskraft bis hin zum Primar.

Alle arbeiten am Anschlag.

Von am Anschlag arbeiten bis am Ende sein, ist allerdings kein weiter Weg. Körperlich und psychisch ist die Dauerbelastung seit März 2020 zu hoch. Dass die Pflegenden daneben stehen müssen, wenn Intensivpatient*innen ihr möglicherweise letztes Telefongespräch mit Angehörigen führen, zeigt die Belastung eindringlich. Und sie wird zunehmen. Eine Informantin aus einem weiteren Spital befürchtet:

Die Frage ist nicht mehr, ob wir triagieren, sondern wann.

Was bedeutet Triage ?

Intensivmedizinische Ressourcen sind begrenzt. Einige Stationen in Oberösterreich fahren im roten Bereich. Sie sind übervoll. In diesem Fall greift das überregionale Management der Intensivbetten und verteilt, wenn möglich, Patient*innen auf noch verfügbare Betten. Irgendwann kann es dennoch zur Situation kommen, dass die Ärztinnen und Ärzte entscheiden müssen, wer die begrenzten Intensivbetten belegen kann. Das nennt man Triage. Sie gehört zum intensivmedizinischen Alltag. Wie die Ärzt*innen dabei vorgehen sollten, dafür gibt es eine Handlungsanleitung. Die intensivmedizinischen Fachgesellschaften in Österreich (FASIM) haben im Herbst 2020 ein Konsenspapier zu diesem Thema veröffentlicht. Darin halten sie fest, dass nur aufgrund nachvollziehbarer Kriterien bei der Vergabe von Intensivbetten priorisiert werden soll.

Das Ziel: Priorisieren, ohne die Menschen zu bewerten

Ziel ist es, mit den vorhandenen Ressourcen das Leben möglichst vieler unmittelbar zu retten.

Die Priorisierung verfolgt nicht die Absicht, die Menschen quantitativ (z.B. in Hinblick auf ihre Lebensdauer) oder qualitativ (z.B. in Hinblick auf ihre Lebensqualität) zu bewerten

Dabei unterscheiden die Fachgesellschaften zwei Szenarien. Dem ersten zufolge gibt es knappe Ressourcen. Dann ist zu entscheiden, für wen diese einzusetzen sind. Im zweiten Szenario wird davon ausgegangen, dass alle Ressourcen bereits belegt sind,

und es kommt mindestens eine Patient*in hinzu, die ebenfalls eine Intensivtherapie benötigen würde. Zu entscheiden ist, ob bei einer Patient*in die bereits begonnene Intensivtherapie beendet werden soll, um die freiwerdenden Ressourcen der neu hinzukommenden Patient*in zur Verfügung zu stellen, da diese die bessere Überlebensaussicht hat

Noch ist es in Oberösterreich allerdings nicht so weit. Das zweite Szenario liegt bislang nur in der Möglichkeitsform vor.

Wenn wir jetzt nichts tun.


Update: Am 9. November schon keine ECMO-Plätze mehr verfügbar

https://twitter.com/SebRei/status/1458092376505921536

1 Gedanke zu „Oberösterreich: Die Intensivstationen arbeiten am Anschlag“

  1. LD in OÖ: „Ungeimpfte dürfen das Haus nur noch in Ausnahmefällen wie Arbeiten gehen verlassen.“ Soeben in der ZIB1 gehört.
    Sind Leute in diesem Land so faul, dass Arbeiten die Ausnahme ist? Verbringen wir wirklich den Großteil unserer Zeit beim Schnitzelessen? Oder auf der Schipiste? Oder beides gleichzeitig?
    Könnte es sein, dass der Gesundheitsminister von sich auf die breite Bevölkerung schließt?
    Wie soll man das sonst verstehen?

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