Oberösterreich: Wie Impfgegner, zögerliche Politik und lokaler Irrsinn die Inzidenzen treiben

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By Sebastian Reinfeldt

Nach Salzburg weist Oberösterreich derzeit die zweithöchste 7-Tages-Inzidenz auf: 327 lautet die aktuelle Zahl. Im Bundesland wiederum tut sich der Bezirk Gmunden besonders hervor: Er hat eine ordentliche Impfquote, aber einen aktuellen Inzidenzwert von über 600! Die Gründe scheinen vielfältig: Unvorsichtige Lokalpolitiker, eine kritische Masse von lautstarken Impfgegner*innen und eine Landes- und Bundespolitik, die offenbar nur zuschaut. Hinzu kommen die Impfdurchbrüche, besonders bei den Älteren. Eine Recherche.


Grünau: Zua hamma!

Keine Sorge. Das Wirtshaus Einkehr in Grünau im schönen Almtal hat schon längst wieder offen. Nur am 15. Oktober hieß es auf ihrer Facebookseite: Zua hamma!

Aufgrund der Häufung von Coronafällen in der Gemeinde Grünau und eines Corona-Verdachts im Mitarbeiterumfeld sehen wir uns gezwungen, für heute (…) vorsichtshalber zu schließen.

Posting des Gasthauses auf Facebook

Einen Tag später war das Virus bereits verflogen und die Grünauer*innen konnten dort wieder fröhlich einkehren. Stolz verkündete die Einkehr die Botschaft: Alle Mitarbeiter*innen seien negativ getestet worden. Die Schließung erfolgte übrigens nicht durch die zuständige Bezirkshauptmannschaft Gmunden. Dort hieß es auf Semiosis-Nachfrage: Es gibt und gab diesbezüglich keine behördlichen Maßnahmen. Warum eigentlich nicht?

Epizentrum einer Infektionswelle

Denn dieses Gasthaus ist das Epizentrum einer Infektionswelle im Bezirk. Derzeit sind in Grünau 87 von 2060 Einwohnern mit dem Coronavirus infiziert, berichten die Oberösterreichischen Nachrichten. Der Grund ist offenbar: Wahlkampf ums Bürgermeisteramt des Ortes. In eben jenem Gasthaus Einkehr veranstalteten die beiden Kontrahenten am Freitag, den 8. Oktober 2021, in einem vollbesetzten Saal eine Podiumsdiskussion.

Bei Bürgermeisterdiskussion: Keine Abstandsregeln, keine Masken, kein Garnix

Dass diese Zusammenkunft mit mehr als 100 Personen in einem engen Raum einen gehörigen Cluster ausgelöst hat, kann bei den Bildern, die dazu auf Facebook veröffentlicht worden sind, nicht verwundern. Im Almtal hat man wohl den Worten des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz Glauben geschenkt: Die Pandemie ist vorbei, hatte er ja verkündet. Offensichtlich galten keine Abstandsregeln, keine Masken. Alle tun so, als gebe es die Pandemie nicht. Die 3-G-Regel sei kontrolliert worden, sagen die Veranstaltenden. In Grünau wissen sie nun, dass nur das zu tun definitiv nicht ausreicht.

Podiumsdiskussion zur Bürgermeisterwahl in Grünau. Quelle: Facebook

Impfungen, die alleine nicht mehr schützen

How come? Es sind nicht nur unvorsichtige Politiker wie die nunmehr erkrankten Ex-Bürgermeister Wolfgang Bammer (ÖVP) und der neu gewählte Klaus Kramesberger (SPÖ), die für diese Corona-Explosion im Bezirk mit verantwortlich sind. Bemerkenswert ist nämlich, dass der Bezirk Gmunden mit der derzeit höchsten Inzidenz von 672 (!) auch zu den Bezirken mit einer ganz ordentlichen Impfquote im Land zählt: mit 60,1 ist man immerhin viertbester Bezirk im Bundesland Oberösterreich.

Hilflosigkeit beim Bezirkshauptmann

Er habe derzeit jeden Tag Journalistenanfragen, beklagt der zuständige Gmundener Bezirkshauptmann Alois Lanz (ÖVP) am Telefon. Eine wirkliche Erklärung für das Ganze könne er allerdings nicht finden. Immerhin sei der Grünauer Cluster gut eingrenzbar, berichtet er. Die Behörden arbeiteten die Fälle mit aller Routine ab, über die sie mittlerweile verfügen würden. Aber:

Wir sind ein freies Land. Wir können nicht über die Menschen bestimmen.

Im Bezirk hat die Impfgegner-Liste MFG bei den Landtagswahlen im September aus dem Stand 6,4 Prozent erreicht. In Grünau stimmten 93 Einwohner*innen für diese Truppe. Das waren fast sieben Prozent. Auch das FPÖ-Ergebnis im Ort liegt über dem Bezirksschnitt. 338 Personen wählten demnach eine weitere Partei, die so ihre Probleme mit dem Impfen und mit wirksamen Schutzmaßnahmen hat. Bei insgesamt rund 2000 Einwohner*innen haben wir im Ort eine ordentliche kritische Masse zusammen, die die Zahl der Infektionen antreibt. In den Seniorenheimen gab es bereits den dritten Stich, erläutert Lanz auf Semiosis-Nachfrage. Impfangebote gebe es auch. Nur: Kaum jemand ginge hin.

Quelle: Land Oberösterreich – Wahlen

In den Spitälern wird es eng

Sind das wirklich alles nur leichte Verläufe? Auf Twitter berichtet ein Oberösterreicher über „verheerende Zustände“ am Kepler-Klinikum in Linz. Die Notaufnahme sei offenbar völlig überlastet. Deshalb konnte man dort wenig für seine Mutter tun. Er erzählt, dass man sie stundenlang sitzen und „dunsten“ ließ. Nur der Intervention seiner Schwester sei es zu verdanken, dass man sie nicht, erblindet, als gesund entlassen habe.


Wie sehen denn die Belegungszahlen tatsächlich aus? Aktuell gibt es in Oberösterreich 6155 COVID19-Fälle, das sind 427 mehr als am Vortag. Auf den Intensivstationen liegen 29 Personen und 173 Patient*innen in Normalbetten. Rund 24 Prozent der Intensivpatient*innen und fast 38 Prozent der Normalpatient*innen sind vollständig geimpft, so lauten die offiziellen Zahlen, die die Oberösterreichischen Nachrichten heute veröffentlicht haben.


Wir müssen impfen, boostern und isolieren

Impfdurchbrüche sind also nicht die einzige, aber durchaus eine Erklärung für die Lage in Oberösterreich. Das zeigen auch die Impfdurchbruchberichte der AGES, über die Semiosis fortlaufend berichtet. Der aktuellste, zehnte Bericht weist 3657 Impfdurchbrüche aus, davon 2474 in der Altersgruppe 18-59 Jahren. Das sind 35,9 Prozent der symptomatischen Covid-19-Fälle. In der Altersgruppe ab 60 Jahren verzeichnet die AGES 1121 Fälle, das sind bereits 68,6 Prozent der Covid-19-Fälle. Es ist naheliegend, dass viele von ihnen zumindest ins Krankenhaus gehen müssen.

Experten wie Ulrich Elling meinen, dass wir eine Kontaktreduktion von 20 Prozent brauchen, damit wir die Krankenhausraten von 2020 nicht überschreiten. Nur das. Indes: Welche Politiker*innen werden das in die Hand nehmen?

Impfdurchbruchbericht zum Download

10. Impfdurchbruchbericht der AGES

4 Gedanken zu „Oberösterreich: Wie Impfgegner, zögerliche Politik und lokaler Irrsinn die Inzidenzen treiben“

  1. Leider bringt 3G jetzt auch in Wien die Lockerung der Maskenpflicht. Ist das Verschärfung oder Lockerung? Bedingt jede noch so minimale Verschärfung eine gleichzeitig weitreichende Lockerung? Die Wissenschaftler hören auf, vor derlei Spielchen zu warnen (#zib2, Gartlehner). Ist das Resignation?
    Meine ganz private Konsequenz: radikaler Konsumverzicht. Ich lasse mein Geld nicht an Orten, wo Indoor alles überfüllt und die Maskenpflicht weitgehend aufgehoben ist. Selbstverordneter Lockdown einer Geimpften, ab sofort. Natürlich nur auf die Freizeit bezogen. In die Arbeit müssen ohnehin alle, ob geimpft oder ungeimpft, ob mit oder ohne staatlich verordneten Lockdown. Fällt alles nicht ins Gewicht.

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  2. PS:
    Einzig vernünftiger Ort: Seilbahnen (3G und FFP2-Maske). Man könnte ja seinen Arbeitsplatz dorthin verlegen. Bildungsinstitute und Schulen (die meisten eh mehrstöckig) zu Schigebieten erklären und Klassenräume zu Gondeln umgestalten, zumindest den Winter über.

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  3. Gestern kam ein ungeimpfter Kursteilnehmer mit seit zwei Tagen abgelaufenem Antigentest in eine Deutsch-Klasse, in der ich Vertretung machte. Er stritt heftig mit mir, weil er mir nicht glauben wollte, dass aktuell nur PCR-Tests 48 Stunden gültig sind. Bis ich ihn überzeugen konnte, dass das nicht mehr für Antigentests gelte und er somit eine FFP 2-Maske tragen müsse, waren jede Menge Aerosole im Raum versprüht. Kaum hatte er die Maske auf, gab er auch schon wieder ein Riemchen runter und lüftete sie. Kolleg*innen berichten täglich von ähnlichen Vorfällen. Dennoch: trotz explodierender Zahlen keine Maskenpflicht in Unterrichtsräumen der Erwachsenenbildung.

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  4. Meine 86-jährigen Eltern waren gestern im Gasthof Strasser in Eschlried essen. Keine 3G-Kontrolle, nur: „Mia san eh g’impft.“ – „Mia glaub’m eich.“ Ich kann meine Eltern nicht einsperren, auch wenn ich das derzeit gern tun würde.
    1.892 Neuinfektionen von gestern auf heute in Oberösterreich.

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