Die Chat-Zitate, die wir in den vergangenen Tagen gelesen haben, stammen aus Unterlagen der Staatsanwaltschaft. Sie hat ihre Anordnungen zu den Hausdurchsuchungen ausführlich begründet. Dazu kommen jetzt 490 Seiten ergänzende Materialien und Auswertungen. Darin werden unter anderem die Finanzflüsse der Ministerien an die Fellner-Gruppe (Österreich) und an das Umfrageinstitut Research Affairs genau analysiert und die wechselseitigen Geschäftsbeziehungen durchleuchtet. Aber die Zusammenstellung dokumentiert auch die politische Gedankenwelt der Handelnden. Sebastian Reinfeldt hat sich aus den Unterlagen einen bezeichnenden Chatverlauf herausgegriffen. In ihm besprechen Markt- und Motivforscherin Sabine Beinschab und Thomas Schmid die Themen für manipulierende Umfragen vor der Wahl.
Die Flüchtlingswelle kummt net
Es sind fast genau zwei Monate bis zur Nationalratswahl im Oktober 2017. Die Chats aus dem August 2017 bieten Einblick in die strategischen Überlegungen der Kurz-Crew. So pusht sie die Kandidatur von Peter Pilz, um die Grünen zu schwächen. Die Wahl scheint noch nicht gelaufen, denn plötzlich besagen die beauftragten Umfragen von Research Affairs, dass die klassischen Themen der SPÖ, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit, en vogue sind. Das greift wiederum das gesponserte Medium Österreich auf. So entsteht Unruhe.
Hinzu kommt: Österreich-Chef Wolfgang Fellner schreibt in einem Kommentar im Blatt:
Die große Flüchtlingswelle über den Brenner kummt und kummt net. Und die Kriminalität geht laut Studien eher zurück. Laut neuester Umfrage von Research Affairs haben erstmals die Themenbereiche ‚Gesundheit‘ und ’soziale Gerechtigkeit‘ das Flüchtlings-Thema in der Wichtigkeit für die Bürger überholt.
Schmid entrüstet: Ich lasse mich nicht für blöd verkaufen
Das führt zu Irritationen.
Die Themenabfrage sollte – wenn das möglich ist – in der kommenden Welle diese Woche bitte anders ausfallen.
Das schreibt Gerald Fleischmann in eine interne Chatgruppe mit Stefan Steiner und Philipp Maderthaner. Die Drei sind die strategischen Hirne in der Kurz-Crew. Diese Nachricht leitet Thomas Schmid, der in leitender Position im Finanzministerium arbeitet, an die Chefin von Research Affairs, Sabine Beinschab, weiter. Doch intern braust er auf und reagiert Fleischmann gegenüber:
Ich lasse mich nicht gerne für blöd verkaufen! Dann mach du das in Österreich in Zukunft einfach selber! LG Thomas
Nun. Die Wogen glätteten sich. Zur Runde wird noch die Ex-Ministerin Sophie Karmansin hinzugezogen. Mit Fellner bleibt man unzufrieden. Sie meint:
Das ist sein Kommentar, die Zahlen geben diese Interpretation nicht her, sieh Dir die Graphik in Print an, Lg Sophie
Fake-News: Silberstein habe Steuern hinterzogen
Schließlich werden neue Umfragethemen ausgeheckt. Grundlage ist ein Fragebogenentwurf von Research Affairs, der bereits vorliegt.
Thomas Schmid möchte noch Silberstein und Steuerhinterziehung abgefragt wissen. Dabei versucht sich der Kabinettschef als Sozialforscher und formuliert Fragen für die nächste Welle. Sein Vorschlag:
Silberstein hat steuern hinterzogen – glauben sie das schadet der spö
als frage
: – )
Die Adressatin kommentiert dies trocken mit:
Ok so ähnlich.
Dirty Campaigning mit Sozialmissbrauch
Wie konterkariert man beliebte soziale Themen? Die Vorschläge könnten aus einem Lehrbuch für politische Propaganda stammen: Zuerst schüttet man diejenigen an, die für diese Themen stehen und konstruiert Beschuldigungen. Denn der erwähnte Tal Silberstein wurde niemals beschuldigt, dass er Steuern hinterzogen habe. Fakten egal. Und dann bringt man ein negatives Sozialthema ins Spiel. Sabine Beinschab schlägt vor, Fragen für die Zeitung Die Presse anzuhängen:
Zwecks in mehr Zeitungen sein…
Sie schlägt thematisch vor:
Sozialmissbrauch als Thema?
Darauf antwortet Thomas Schmid ganz begeistert:
Ja,
Sozialmissbrauch : – )
Muss beim Rechnen aufpassen, sonst wird es unglaubwürdig.
Der Kabinettchef im Finanzministerium formuliert also Umfragethemen und betreibt, sagen wir es mal so, sehr aktive Medienpolitik. Was wurde dann aus dieser Sache? Sie wurde ein voller Erfolg. Das von der Crew vorgeschlagene Silberstein-Thema konnte in der Folge gut eingesetzt werden. 60 Prozent der Befragten meinten, Kern solle als Bundeskanzler zurücktreten.
60 Prozent meinten, Kern solle als Bundeskanzler zurücktreten
Auch beim von Schmid beauftragten Thema angeblicher Sozialmissbrauch liefert die Umfrage gute Ergebnisse: 87 Prozent der Befragten glaubt, dass Sozialmissbrauch in Österreich gestiegen ist. Bei den Maßnahmen finden wir eine Reihe von Themen, die die türkis-blaue Regierung später tatsächlich umsetzen wird: Die E-Card mit Foto etwa. Und die Änderung der Familienhilfe von im Ausland lebenden Kindern. Ein Thema übrigens, mit dem Kanzler Kurz regelrecht hausieren gehen wird.
Die Ergebnisse werden auch an ihn weitergeleitet. Zuerst ist dieser aber nicht so glücklich, da er als Person nicht so gut abschneidet wie gewünscht. Als Reaktion folgt einer der Aussprüche von Schmid, die schon legendär sind. Er schreibt an Sebastian Kurz:
Bei sozialen Themen kommen wir an SPÖ ran. Muss beim Rechnen aufpassen,sonst wird es unglaubwürdig.
Es gilt die Unschuldsvermutung
Am 17. August 2017 fragte die Markt- und Motivforscherin nach, ob sie diese letzten beiden Wellen abrechnen könne. Schmid meinte dazu:
Die Kosten für die offenen packst du dann in die Studie zur Betrugsbekämpfung rein.
Die Staatsanwaltschaft kommentiert dies in ihrem Bericht über die Erkenntnisse aus der Datenauswertung in Bezug auf das sogenannte Beinschab ÖSTERREICH Tool, aus dem diese Zitate und Screenshots stammen:
Angemerkt wird, dass das BMF einen Forschungsauftrag an BEINSCHAB, MA, MBA erteilt hat und dieser insgesamt mit 61.740 Euro dotiert war. Das Thema der Studie lautete Studie zum Thema Betrugsbekämpfung. Das Startdatum der Studie wurde mit 4. August 2017 und das Enddatum mit 25. September 2017 angegeben.
Hintergrund: Die handelnden Personen
Sebastian Kurz, jetzt Bundeskanzler, im August 2017 Außenminister Österreichs.
Stefan Steiner, Berater von Kurz und damals Generalsekretär der Bundes-ÖVP
Sophie Karmasin, Meinungsforscherin und frühere Familienministerin
Johannes Frischmann, Medienberater von Kurz
Gerald Fleischmann, jetzt Pressesprecher von Kurz und damals im Finanzministerium
Thomas Schmid, damals Generalsekretär des Finanzministeriums
Sabine Beinschab, Markt- und Motivforscherin und Gründerin von Research Affairs
Philipp Maderthaner, Kampagnen-Experte und federführend beim Wahlkampf 2017