Heute ist Klimastreiktag. An einem Freitag, weil Greta Thunberg ihren anfangs täglichen Klimastreik im August 2018 auf diesen Wochentag verlegt hat. In Österreich ist gerade der Ausbau der Stadtautobahn, die Untertunnelung des Naturschutzgebiets Lobau und die Stadtstraße Aspern bis in die Seestadt ein wichtiges Klima-Thema. Was sagen eigentlich Wissenschaftler*innen zu diesen Plänen? Wir haben nachgefragt. Nach den Antworten von Barbara Laa im Sommer veröffentlichen wir nun, was Harald Frey über die Pläne zu sagen hat. Frey ist Verkehrswissenschaftler und Senior Scientist am Institut für Verkehrswissenschaften und meint: Der Lobautunnel wird auch im 22. Bezirk für die Menschen keine Entlastung bringen.
Welche aktuellen Zahlen für den Bereich privater Verkehr und öffentlicher Verkehr für den 22. Bezirk gibt es?
Der Anteil des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) in der Bezirksgruppe Nordost (21. und 22.Bezirk) beträgt rund 38%. Der Anteil des Pkws rund 36% an den zurückgelegten Wegen. Diese Daten sind von 2015 bis 2019. Im Vergleich zu den Jahren 2010 bis 2014 konnte der Anteil des Öffentlichen Verkehrs um 4 Prozentpunkte gesteigert und der Anteil des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) um 2 Prozentpunkte reduziert werden. Die ÖV/MIV-Anteile sind dabei in den beiden Bezirken annähernd ident.
Der Anteil der Wege mit dem Auto geht also auch im 22. Bezirk zurück. Zwischen 2010 und 2015 hat der Kfz-Verkehr am Gemeindestraßennetz im 21. und 22.Bezirk um 5,6% abgenommen (trotz steigender Bevölkerung). Auch der Motorisierungsgrad (Pkw pro 1000 Einwohner) sinkt seit 2010 leicht. Aber er ist nach dem 23. und dem 1.Bezirk – Stichwort: Firmenzulassungen – immer noch der dritthöchste Wert der Wiener Bezirke.
Wie hoch ist der Anteil von Durchzugsverkehr durch den 22. Bezirk?
Die Kordonerhebung der Planungsgemeinschaft Ost weist lediglich den Durchgangsverkehr durch Wien aus.
Die Studie von 2010 zeigt, dass der rein der Donau querende Transitverkehr nur einen kleinen Teil jenes Verkehrs ausmacht: Bei dem Verkehr, der täglich (von 5 bis 21 Uhr) unsere Stadtgrenze passiert, sind das knapp 4%. 7.068 Personen (ca. 6.000 Pkw mit durchschnittlichem Besetzungsgrad von 1,19 Personen ) überqueren täglich die Stadtgrenze von NÖ in die nordöstlichen Wiener Bezirke und fahren dann über die Donau zu einem Ziel in Niederösterreich südlich von Wien. 3.763 Personen (ca. 3.200 Pkw) überqueren täglich die Stadtgrenze von Niederösterreich in die südlichen Wiener Bezirke und fahren dann über die Donau zu einem Ziel in Niederösterreich nordöstlich von Wien. Somit rund 10.831 Personen (ca. 9.200 Pkw) insgesamt in beide Richtungen.
In derselben Zeit überqueren für die angegebenen Relationen insgesamt rund 360.000 Fahrzeuge (MIV) die Stadtgrenze. Der Anteil des donauquerenden Durchzugsverkehrs beträgt also nur knapp 4%.
Wie lauten die einschlägigen Schätzungen zum zukünftigen Verkehrsaufkommen nach dem Bau ?
Da neue Angebote für den Motorisierten Individualverkehr (MIV) auch neue Nachfrage erzeugen, ist davon auszugehen, dass frei gewordene Kapazitäten rasch wieder ‚aufgefüllt‘ werden und mittel- und langfristig keine nennenswerte großräumige Entlastung eintreten wird. In Summe wird der Bau von neuen Fahrbahnen zu Anstieg des Kfz-Gesamtverkehrsaufkommens im Bezirk führen.
Wie würde sich der Durchzugsverkehr nach dem Bau der Aspernstadtstraße und des Tunnels entwickeln? Gibt es dafür Modelle?
Die meisten Modelle berücksichtigen nicht die raumstrukturellen Veränderungen, zum Beispiel die Entstehung von Gewerbeparks und die Zersiedelung.
Ist der Zustand des öffentlichen Verkehrsnetzes in der Region Donaustadt und Umgebung derzeit ausreichend, so dass nicht mehr geht und wir auf die Straße ausweichen müssen?
Der 22. Bezirk hat enormen Aufholbedarf im öffentlichen Verkehr, insbesondere was die Straßenbahn betrifft. Gerade Tangentiallinien, die die Bezirke 21. und 22. Besser vernetzen wären notwendig. Viele Straßenbahnprojekte, wie z.B. die Linie 27, wurden wieder verworfen oder auf Eis gelegt. Auch um Straßenbahnprojekte, die die Stadtgrenze überschreitenden – wie die nach Groß-Enzersdorf – ist es still geworden. In vielen Bezirksteilen des 22. Bezirkes gab es bereits in der Vergangenheit Straßenbahnlinien, die vor allem in den 60er und 70er Jahre durch Busse ersetzt wurden, um dem Auto Platz zu machen.
[Anmerkung: Heute gab die Stadt Wien bekannt, dass die Planungen nun doch realisiert werden.]
Welche Maßnahmen bzw. Investitionen in den öffentlichen Verkehr wären aus Ihrer Sicht jetzt notwendig? Wie sieht das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Investitionen in den Öffentlichen Verkehr im Vergleich zur Straße generell aus?
Berücksichtigt man die externen volkswirtschaftlichen Kosten, sind jene der Straße (Personen) im Durchschnitt rund 4 bis 5 mal höherim Vergleich zum ÖV. Vergleiche dazu die Infras Studie von 2011. Für den städtischen Bereich sind diese sicherlich nochmals deutlich höher aufgrund der höheren Luftverschmutzung durch Pkw-Dichte, und so weiter.
Sinnvoll wären Investitionen in den Ausbau des Straßenbahnnetzes und Radwege und in den Rückbau von Fahrbahnen. Der Beschäftigungseffekt durch Maßnahmen im öffentlichen Verkehr ist doppelt so hoch wie beim hochrangigen Straßennetz.
Könnten Radschnellrouten aus der Donaustadt in die Innenstadt eine Alternative zum privaten Autonutzen der Bewohner*innen sein?
Sie sind ein zusätzliches Angebot und sinnvoll und notwendig, weil die Distanzen nicht sehr groß sind und diese mit einem attraktiven und komfortablen Radnetz gut bewältigt werden können. Sie sind auch eine gute Ergänzung zum öffentlichen Verkehr.
Das zentrale Argument der Ausbaugegner lautet, dass ein Ausbau des Straßennetzes unweigerlich zu mehr Autoverkehr führen werde. Inwieweit ist dieses Argument wissenschaftlich belegt?
Die Wirkung des sogenannten induzierten Verkehrs ist seit Jahrzehnten belegt und wird auch in der internationalen Wissenschaftswelt als bewiesen akzeptiert. Das heißt, dass der Ausbau von Kapazitäten für den Motorisierten Individualverkehr mehr Verkehr anzieht, genauso, wie eine Kapazitätsreduktion Autoverkehr reduziert und Alternativen stärkt. Dazu kommt, dass mit den zunehmenden Geschwindigkeiten die pro Ortsveränderung zurückgelegten Strecken immer länger werden, was das Wachstum des motorisierten Verkehrs weiter steigert.
Ich beziehe mich unter anderem auf diese Arbeit: Goodwin, P. B.: Empirical evidence on induced traffic: a review and synthesis, ESRC Transport Studies Unit University Oxford, TSU Ref: 834, 1995.
Wie könnte ein alltagstaugliches Verkehrskonzept aussehen, in dem die Menschen in der Donaustadt und Umgebung ihr Mobilitätsbedürfnis nicht einschränken müssen, sondern auf anderen Wegen und mit anderen Verkehrsmitteln als das dem Auto von A nach B kommen?
Ein starkes und dichtes ÖV-Netz (Straßenbahn), dass in erster Linie die alten Ortskerne der Donaustadt miteinander verbindet und auch die beiden Bezirke nördlich der Donau.
Genauso wichtig ist aber eine andere Form der Stadtentwicklung, die die fußläufige Nahversorgung in den Vordergrund stellt. Der Radverkehr bietet eine gute Möglichkeit der Flächenerschließung im Bezirk. Größter Treiber der weiteren Motorisierungs-zunahme ist die Stellplatzverpflichtung, die jede Nutzung mit Stellplätzen in unmittelbarer Nähe ausstattet. Das verhindert Mobilitätsalternativen.
Wie stehen Sie zu dem Vorschlag von Stadträtin Ulli Sima, im Falle des Baus der Umfahrung die Tangente für den Transitverkehr zu sperren und eine Fahrspur als Busspur umzuwidmen?
Der Transitverkehr auf der Tangente beträgt 3%. Verkehrlich könnte man den Lobautunnel nur mit dem Abriss der Süd-Ost-Tangente begründen. Ökologisch bleibt er ein Desaster für die Stadt Wien. Er wird auch im 22. Bezirk keinen Beitrag zu einer flächenhaften Entlastung bringen. Außerdem warte ich noch auf all die anderen angekündigten Verkehrsberuhigungsmaßnahmen im 21. und 22. Bezirk, die in den vergangenen Jahrzehnten im Zusammenhang mit dem Ausbau der Straßeninfrastruktur durch die beiden Bezirke angekündigt wurden.
Ganz herzlichen Dank an alle Engagierten (z.B. GREENPEACE, Fridays for Future) fürs Erregen von Aufmerksamkeit und das Aufzeigen von Zusammenhängen, die mittel- und langfristig von Bedeutung sind!
Nur so kommen wir in der Entwicklung unter Berücksichtigung von existenziell wichtigen Zusammenhängen voran. Denn der Bürgermeister und der Bezirksvorsteher der Donaustadt scheinen weiterhin Repräsentanten für den ganz alten und verderblichen Ansatz zu sein:
„More Of The Same.“
Doch ab einem bestimmten Punkt des Fortschreibens des Bisherigen, verkehrt sich das zuvor Nützliche ins Gegenteil und wird gefährlich. Eine zukunftsorientierte Sichtweise erfordert die Bereitschaft und die Fähigkeit zum „Weiterdenken“, sowie zu Diskurs und Dialog. Um unser gemeinsames Geld bezahlte Anzeigen zur Stadtstraße bringen GAR NICHTS WEITER .
Was werden unsere Kinder in einigen Jahrzehnten zu unseren Aktivitäten sagen?!
Daher noch einmal: Ganz herzlichen Dank allen aktiven Menschen für ihr Engagement!