Eine schriftliche Gegenüberstellung zwischen dem PCR-Testangebot der Stadt Wien (Alles gurgelt) und den Alles spült- Tests, die das Bildungsministerium in Schulen breitflächig einsetzen will, kommt zu einem deutlichen Ergebnis: Der Test des Ministeriums Alles spült ist technisch und von der Anwendung her ungenau; die Teststrategie ist fragwürdig. Besonders brisant ist aber, dass das Testsetting von Alles spült ein hohes Ansteckungsrisiko für die Kinder und Jugendlichen berge, so das Papier. Semiosis wurde das Dokument über unseren Hinweisbriefkasten zugespielt. Wir haben dazu beim Ministerium nachgefragt. Am Ende des Artikels bieten wir die Kritik am Testkonzept ungekürzt zum Download an.
Der Kontext: die Teststrategie für die Schulen in Österreich
Der 3-Stufenplan des österreichischen Bildungsministeriums für den Schulbeginn sieht eine Sicherheitsphase in den ersten drei Wochen nach Schulbeginn im September 2021 vor. In diesem Zeitraum sollen alle Personen in der Schule und außerhalb der Klasse Mund-Nasenschutz tragen. Schülerinnen und Schüler testen sich dreimal in der Woche, davon mindestens einmal mit einem PCR-Test. Dieser ist in den Volksschulen und allen anderen Schulen außerhalb Wiens Alles spült. In Wien wird ab der 5. Schulstufe mit den bewährten Alles gurgelt-Tests gearbeitet.
Lehrkräfte und das Verwaltungspersonal sollen sich dreimal testen lassen, nicht geimpftes Lehr- und Verwaltungspersonal muss mindestens einen PCR-Test von außen beibringen. So die Vorgaben aus dem Ministerium.
Die risikoadjustierten Inzidenz und der Stufenplan
Zur Einordnung des Infektionsgeschehens an allen Schulen soll eine risikoadjustierten 7-Tage-Inzidenz zum Tragen kommen. Neben den reinen Infektionszahlen wird auch die
Anzahl der Tests, die Aufklärungsrate, die Symptomatik und die Dynamik der Infektionen berücksichtigt. Je nach Wert, der sich daraus errechnet, tritt ein Drei-Stufenplan in Kraft. Unter 100 besteht ein geringes Risiko. Ab 100 spricht das Ministerium von einem mittleren Risiko und über 200 von einem hohen Risiko. Bei geringem Risiko läuft im Prinzip der gewohnte Schulbetrieb ab. Ist ein mittleres Risiko angezeigt, dann ist Mund-Nasenschutz und ein PCR-Test pro Woche für alle außerhalb der Klassen verpflichtend. Beim höchsten Risiko werden die Maßnahmen eigentlich nicht verschärft. Außer: Die Maskenpflicht in Klassen ab der 9. Schulstufe kommt hinzu.
Die Schul- internen PCR-Tests werden mithilfe eines eigenen Test-Kits erstellt: Alles spült nämlich.
Potentiell infektiöse Schülerinnen könnten krank in die Schule kommen
Dieses Testformat unterscheidet sich von dem aus Wien bekannten Alles gurgelt in wesentlichen Punkten. Es wird nur in der Schule unter Aufsicht der Lehrenden durchgeführt. Die sind für den Weg der Tests aus der Schule und für die Bekanntgabe der Ergebnisse am Tag danach zuständig. Nur die Anleitung für die Schuldirektoren, um den einmal wöchentlich vorgeschriebenen PCR-Test in den Volksschulen durchzuführen, umfasst 5 Seiten.
Generell läuft es so ab, dass am Vormittag zu Schubeginn Alles spült getestet wird. Das Ergebnis wird aber erst am Folgetag in der Schule mitgeteilt – auch den infizierten Kindern und ihren Eltern. Dies ist, so der Vergleich, ein großes Manko. Denn:
Nachteil des ‚Alles spült‘ Testens in der Schule und einer Kommunikation der Ergebnisse, die nicht über Eltern und Schule gleichzeitig erfolgt: Potentiell infektiöse Schülerinnen könnten krank in die Schule kommen und Mitschülerinnen/Lehr-personal anstecken. Das Lehrpersonal/die Schule ist mit dem Management der Situation der infizierten Kinder in jedem Fall betraut.
Bei ‚Alles spült‘ ergibt sich eine höhere Verbreitungsgefahr durch fehlende, rechtzeitige Informationen an alle Beteiligten.
Enorm hoher Zeitaufwand beim Spültest
Ein weiterer Schwachpunkt, so diese Gegenüberstellung, sei der hohe Zeitaufwand für die Tests in der Schule.
Bei ‚Alles spült‘ ist aufgrund des Zeitaufwandes die 1. Stunde zu streichen, Qualität des Lehrinhaltes bleibt auf der Strecke
Diese Befürchtung scheint zuzutreffen. So sieht etwa eine Wiener Volksschule für den ersten Schultag genau diese eine Stunde vor, um die Kinder zu testen. Dies geht aus einem Elternbrief hervor, der uns vorliegt.
Spültests entsprechen nicht den Laborstandards
Der schwerste Vorwurf in dem brisanten Dokument betrifft allerdings die Güte des Tests. Denn die Vorgehensweise von Alles spült verstoße gegen die Laborverordnung. Der standardmäßige Vorgang sei nämlich eine verpflichtende und unverzügliche Einmeldung der Ergebnisse durch das Labor. Genau das passiere bei den Spültests nicht. Da erhalten die Kinder die Information frühestens in der Schule und nur händisch durch das Lehrpersonal. Somit entstehe ein hohes epidemiologisches Risiko.
Nicht automatisierte Abläufe sind riskant und erhöhen das epidemiologische Risiko //
Die Informationsverantwortung liegt bei ‚Alles spült‘ bei den Schulen / Lehrpersonal.
Im Ministerium ist das Dokument unbekannt
Mathias Klein, Pressesprecher des Bildungsministeriums, hat von dem Dokument erst durch den Hinweis von Semiosis erfahren. Das Ministerium sei von den Verfasser*innen nicht kontaktiert worden. Da das Thema komplex ist, wollte das Ministerium diese Gegenüberstellung auf Semiosis-Nachfrage nicht sofort kommentieren. Sobald uns aber eine Reaktion vorliegt, werden wir diese hier ergänzen.
Eine große Freude mit dem Papier hat man am Minoritenplatz verständlicherweise nicht.
Woher stammt das Papier eigentlich?
Die Urheberschaft des Papiers konnten wir noch nicht aufklären. Fest steht, dass es kein Fake ist und dass nicht nur Semiosis eine Kopie erhalten hat. Herausgefunden haben wir, dass als Beispiel für die Alles spült-Teststrategie wohl die Spültests in Salzburg dienten. Wir recherchieren weiter, von wem das Dokument letztlich stammt. Zur Dokumentation, und damit sich jede und jeder ein Bild machen kann, bieten wir das Papier zum Download an.
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1 Gedanke zu „Alles spült? Teststrategie an den Schulen bekommt die Note ‚ungenügend‘“