Nicola Werdenigg ist engagiert und streitbar. Und das nicht nur bei Sportthemen, wenn sie Machtmissbrauch im Sport in allen Formen anprangert. So setzt sie sich ebenso mit Verve für Geflüchtete ein. Man trifft sie auch auf Demonstrationen gegen das weißrussische Lukashenko-Regime. Nach unserem interessanten Gespräch beim Semiosis-Café über ihren Besuch in den griechischen Asyl-Lagern haben wir vereinbart, einmal ein Interview zu Sportthemen zu machen. Nun ist Olympia und in Österreich jubeln viele über die überraschenden Medaillengewinne. Ist der Sport-Nationalismus in Österreich besonders extrem? Und wer sind die Sportler*innen, die die Triumphe feiern? Was macht sie stark? Zum Sport gehört auch das elendige Scheitern, das die Betroffenen zumeist alleine betrauern müssen. Über all das hat Sebastian Reinfeldt mit Nicola Werdenigg gesprochen.
Du bist nun gerne Zuschauerin bei Sportevents. Freust du dich über herausragende Leistungen von Sportler*innen aus Österreich besonders?
Mich interessiert Sport. Weniger als Zuschauerin von ganzen Bewerben oder im Hinblick auf Ergebnisse. Es geht mir mehr um Technik und die Entwicklung in einzelnen Sportarten. Dazu sehe ich mir etwa gerne Zeitlupenstudien an.
Mitfiebern kann ich, wenn überhaupt, nur mit Athlet*innen, die ich kenne oder in menschlicher Hinsicht schätze, weil sie abseits vom Sport auch für die Gesellschaft eintreten. Natürlich freue ich mich bei Erfolgen mit. Das Gefühl, das ich als Athletin hatte, wenn es gut ging, das kommt dann jedes Mal hoch; ungeachtet aus welcher Nation die Sportlerinnen kommen. Genauso kann ich aber auch mitfühlen, wenn jemand scheitert.
Findest du, im Vergleich, dass in Österreich der Sport ganz besonders nationalistisch aufgeladen wird?
Sportpatriotismus gibt es auf der ganzen Welt. Man denke nur an Italien, wie dort alle mit den Azzurri mitfiebern. In Österreich hat Sport eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der nationalen Identität, die nach dem 2. Weltkrieg erst wieder gefunden werden musste.
Vor allem im Skirennsport wurde der Kult um Idole inszeniert. Sie mussten in ein Schema passen. Von Frauen wurde etwa erwartet, dass sie sich ‚bescheiden‘ kleiden sollen. Mit den freundlichen ‚Burschen & Madeln‘ sollte eine möglichst große Identifikationsfläche präsentiert werden.
So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der sportliche Nationalstolz Österreichs etwas weiter geht als in anderen Ländern. Das ‚Wir sind Sieger‘ ist oft auch mit individuellen Aufwertungsgefühlen verknüpft. Dabei geht es, anders als bei ‚eingefleischten‘ Fans etwa eines Fussballteams, nicht darum, wer die Athlet*innen sind, ob man sie schon vor dem Erfolg kannte. Es ist nicht einmal wichtig, worauf einige sonst viel Wert legen, ob erfolgreiche Sportlerinnen ‚autochthone’“ Österreicher*innen sind.
Das ist mir jüngst wieder sehr bewusst geworden. Als ich anlässlich des Olympiasiegs von Anna Kiesenhofer den überbordenden Nationalstolz kritisierte, wurde mir Neid auf die Olympiasiegerin nachgesagt. Was auf den ersten Blick absurd scheint, wird auf den zweiten klar: Man wird zur Feindin, wenn man den nationalstolzen Fans, ihren Anteil am Erfolg streitig macht und die Heldin des Tages in den Mittelpunkt stellt.
Es schaut fast so aus, als ob die Medaillengewinner aus der österreichischen Mannschaft auf ihre Art Außenseiter*innen sind. Lässt sich daraus etwas ableiten aus deiner Sicht?
Die Außenseiter*innenrolle, lässt sich ja nicht so leicht definieren, sie ist vielfältig. Anna Kiesenhofer hat zum Beispiel mit gutem Kalkül und einer großartigen physischen Leistung den Vorteil genutzt, dass ihre Konkurrentinnen sie nicht am Radar hatten.
Manchmal kann ja auch die Favorit*innenrolle durchaus beflügeln. Wie man aber an Naomi Osaka oder Simone Biles sieht, kann sie auch erdrückend wirken. Ich habe tiefen Respekt vor Athletinnen, die jetzt offen darüber reden, dass Sportheroes auch nur Menschen sind.
Als ich mit 17 bei den olympischen Spielen als Mitfavoritin in meiner
Heimatstadt ’nur‘ Blech holte, war das noch kein Thema. Die bitteren Tränen habe ich in den Armen meines Bruders vergossen, während die enttäuschten ‚Fans‘ böse Post schickten und die Medien am Ende der Spiele das ganze Team verrissen.
Sind die derzeitigen Verbandsstrukturen und das System der Sportförderung in Österreich eher leistungsfördernd oder hemmen sie mehr?
Das Sportfördersystem Österreich wirkt rückwärts gewandt. Es orientiert sich an vergangenen Leistungen der Sportler*innen der jeweiligen Verbände. Wünschenswert wäre mehr Förderung von Kinder- und Jugendsport nach dem Motto ‚Dabeisein ist alles‘. Dieser Aspekt wird nur von rührigen Vereinen getragen und logischerweise werden dabei oft große Talente übersehen oder gar beim Aufstieg in den Kadersport ‚kaputt‘ gemacht.
Es wäre schön, wenn nicht Riesensummen in die ohnehin reichsten Verbände gepumpt werden würden, sondern der Fokus von Sport und Bewegung für die Jüngsten besonders auf respektvollem Umgang und Sicherheit liegen würde.
Frauen im Sport. Wäre die Aussage ‚Jede Frau im Sport kann über sexistische Erlebnisse berichten‘ korrekt? Kannst du Beispiele geben?
Für Sexismus im Sport gibt es abertausende Belege. Eines, das ihn eindrücklich schildert, ist die Aussage von Peter Schröcksnadel, der meinte, dass Frauen als Trainerinnen ungeeignet seien. Er begründete lapidar: Weil Frauen das nicht können. Eine ganz aktueller Fall ereignete sich gerade auf Twitter. Ein österreichischer Journalist mit Reichweite sah im mutigen Auftreten der deutschen Olympiaturnerinnen und ihrer Trainerin gegen sexistische Kleidung einen überkorrekten politischen Aktivismus. Obendrein verhöhnte er noch die Leistung der jungen Frauen.
Woran liegt das?
Die Antwort ist simpel: an den patriarchalen Strukturen, die besonders auch im Sport sehr ausgeprägt sind.
Was können wir dagegen unternehmen?
Darüber reden, Tabus aufbrechen und den Jüngeren und Aktiven, die sich dagegen wehren, den Rücken stärken.
Hast du dir eigentlich jemals überlegt, eine zweite Laufbahn als Funktionärin im ÖSV anzustreben, um Dinge zu verändern? Warum ist es nicht dazu gekommen?
Nachdem ich schon seit Jahrzehnten für Athlet*innen-Rechte eintrete, weiß ich, dass ein Strukturwandel nur schwer aus den geschlossenen Verbandssystemen heraus stattfinden kann. Die Aufmerksamkeit der Gesellschaft kann da meistens viel mehr bewegen. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht mit Menschen, die innerhalb dieser Struktur Veränderungen anstreben, nicht austausche; im Gegenteil – es gibt bereits starke Verbündete (sogar in Skifahrerkreisen).
Mit der Schaffung einer österreichischen Vertrauensstelle für Betroffene von Machtmissbrauch in Kunst, Kultur und Sport ist ein großer Wunsch in Erfüllten gegangen, an dem zahlreiche Mitstreiterinnen mit großem Einsatz beteiligt sind. Darüber bin ich glücklich, weil es zeigt, dass wir gemeinsam etwas erreichen können.