Seit Beginn der Pandemie diskutieren wir: Schaden oder nützen Einschränkungen des Alltags bei der Pandemiebekämpfung? Dabei ist ein Argument der Gegner*innen und Skeptiker*innen: Aber die Kinder…! Sie würden unter Lockdowns besonders leiden. Nun hat sich Österreich im vergangenen Herbst (und jetzt im Sommer wieder) gegen Einschränkungen entschieden. Infektionspeaks sind die Folge. Eines der Resultate lässt sich in einer aktuellen Studie nachverfolgen, die im renommierten The Lancet erscheinen ist: Geschätzt 690 Kinder sind durch Covid-19 in Österreich Opfer von Verwaisung. Das ist auch im Länder-Vergleich eine hohe Zahl. An der Studie hat mit Fabian Valka übrigens ein Wissenschaftler (und Semiosis-Autor) aus Österreich bei der Datenaufbereitung des Imperial College mitgearbeitet. Von Sebastian Reinfeldt
1,5 Millionen Kinder haben weltweit mindestens einen Elternteil verloren
Die Eltern oder auch nur einen Elternteil zu verlieren, das ist für jedes Kind zweifellos schlimm. Diese Konsequenz der Pandemie ist bislang wenig beachtet worden.
Außer, dass sie Krankheit und Tod verursachen können, können Pandemien auch sekundäre Auswirkungen haben, nämlich Kinder, die zu Waisen werden oder bei denen ein Elternteil stirbt. Solche Kinder erleiden oft weitere Nachteile, wie Armut, Missbrauch und Heimaufenthalte „(Institutionalisierung“),
heißt es in der Zusammenfassung der Studie Global minimum estimates of children affected by COVID-19-associated orphanhood and deaths of caregivers: a modelling study, die von einem interdisziplinären Team von Wissenschaftler*innen erstellt wurde. Unter den Autor*innen der Veröffentlichung sind Prof.in Lucie Cluver und Prof.in Lorraine Sherr (Universitäten Oxford, Kapstadt und London). Ihre Hauptaussage: Weltweit haben rund 1,5 Millionen Kinder mindestens einen Elternteil in der Covid-19-Pandemie verloren.
Daten-Tools für Ländervergleiche
Die Autor*innen bezeichnen diese hohen Zahlen von Covid-19-Waisen- und Halbwaisen weltweit als versteckte Folgen der Covid-19 Pandemie. Methodisch verarbeitet die Studie gesichertes statistisches Material (Sterbestatistiken), die für die Fragestellung modelliert wurden. Zusätzlich bietet das Imperial College in einem Online-Tool die Möglichkeit, eigenständig Ländervergleiche anzustellen, so wie dies auch Our World in Data tut. Das Imperial College hat für die Studie nämlich die Aufgabe der Datenaufbereitung übernommen.
Verwaisung durch Covid-19 in Österreich im Vergleich
Wir haben im Tool die Nachbarländer Österreichs ausgewählt plus Frankreich. Um die Werte einschätzen zu können, haben wir zudem die Bevölkerungszahlen im Vergleich angegeben und das Ganze in eine Tabelle übertragen.
Land | Modellierte Zahl der Waisen und Halbwaisen | Bevölkerung |
---|---|---|
Frankreich | 4.336 | 67 Millionen |
Ungarn | 1776 | 9,7 Millionen |
Slowakei | 767 | 5,45 Milllionen |
Deutschland | 1749 | 83 Millionen |
Österreich | 692 | 8, 8 Millionen |
Schweiz | 677 | 8,5 Millionen |
Slowenien | 344 | 2 Millionen |
Die Aussage der wissenschaftlichen Studie lautet: In Österreich sind mindestens 692 Kinder von Verwaisung (Tod einer oder beider Eltern oder erziehungsberechtigter Großeltern) und mindestens 1400 Kinder vom Tod einer nahen Bezugsperson betroffen. Die Interpretation der Zahlen ist allerdings schwierig. Pauschalisierende Aussagen aufgrund der Daten sind zu vermeiden, denn die Altersstrukturen der Länder sind verschieden, ebenso ihre Datengewinnung. Fest steht indes: Jedes Kind, das nahe Bezugspersonen verliert, ist Zeit seines Lebens von Covid-19 gezeichnet.