Abschiebung und Strafe

Foto des Autors

By Gastautorin

Niemand verdient es, mit Mord oder Folter bestraft zu werden. Das ist der Grundgedanke, den die Kriminologin Angelika Adensamer in ihrem Gastkommentar für Semiosis ausführt. Nachdem seit Tagen die Rechtspopulist*innen aller Coleur den grausamen Mord an dem 13-jährigen Mädchen für ihr politisches Geschäftsmodell in Dienst nehmen, haben wir uns entschlossen, eine Gegenstimme zu Wort kommen zu lassen. Von den 15 Frauen, die in der ersten Hälfte des Jahres 2021 in Österreich ermordet wurden, wurden neun vermutlich von österreichischen Männern getötet, argumentiert Adensamer. Der mediale Aufschrei bei diesen Fällen war deutlich leiser. Der Wunsch einiger nach erbarmungslosen Strafen werde nur dann besonders laut, wenn es sich bei den Tätern um Ausländer handelt.


Abschiebung stellt in unserem Rechtssystem keine Strafe dar

Es ist schon lange ein fixer Bestandteil rassistischer Tiraden, dass kriminelle Ausländer*innen am besten sofort abgeschoben werden sollen. Besonders häufig taucht die Forderung in Verbindung mit Asylwerbern auf. So auch aktuell im Bezug auf die drei Jugendlichen und jungen Männer aus Afghanistan, die im Verdacht stehen, am 25. Juni in Wien ein 13-jähriges Mädchen vergewaltigt und getötet zu haben. In unserem Rechtsstaat ist im Falle eines Tatverdachts ein Strafverfahren zu führen und nach einer Verurteilung die angemessene Strafe zu vollstrecken. Die einzigen Strafformen, die es im österreichischen Strafrecht gibt, sind Geldstrafe und Freiheitsstrafe. (Auflagen in bedingten Erlassungen und Entlassungen, sowie auch die verschiedenen Varianten der Diversion sind keine Strafen in diesem Sinn.) Abschiebung ist keine davon.

Abschiebung in den Tod ist eine Menschenrechtsverletzung

Eine Abschiebung würde dem Sinn, Menschen vor Verfolgung zu schützen, zuwiderlaufen. Es ist eine Menschenrechtsverletzung, Menschen an einen Ort abzuschieben, wo sie damit rechnen müssen, getötet, gefoltert oder menschenunwürdig behandelt zu werden. Gerade Abschiebungen nach Afghanistan werden wegen der unsicheren Lage im Land schon lange kritisiert. Auch Justizministerin Alma Zadić sieht Abschiebungen nach Afghanistan kritisch und forderte erst vor zwei Wochen, die Abschiebepraxis in das Land wegen der Gefahren, die dort drohen, zu evaluieren.


Menschenrechte gelten für alle Menschen

Niemand verdient es, mit Mord oder Folter bestraft zu werden. Auch deswegen kann die Abschiebung von Asylwerber*innen nicht als Strafe fungieren: Die Schwere der Tat stünde oft mit der Schwere der Folgen vollkommen außer Verhältnis. Umgekehrt müssen auch Schutzsuchende nicht unschuldig sein, um ein Recht auf Asyl zu haben. Das Recht auf Schutz vor politischer Verfolgung steht – wie auch die Menschenrechte – allen Menschen zu, auch denen, die vielleicht Täter*innen waren oder werden. Auch für schwere Verbrechen, wie Vergewaltigung und Mord, gibt es in Österreich schon lange keine Folter- und Todesstrafe mehr.

Fremd sein allein reicht meist als Grund für eine U-Haft

Dass der Ruf laut wird, Abschiebungen als Strafe anzuwenden, ist für die heutige Zeit symptomatisch. Didier Bigo spricht 2008 von einem neuen Dispositiv, dem Ban-Opticon, das nach seiner Analyse die Foucault‘schen Disziplinierungsapparate abgelöst hat. Das heißt, die Disziplinierung durch ständige Beobachtung und die minutiöse Planung von Tagesabläufen (z.B. in Spitälern, Schulen und Gefängnissen) wurde abgelöst durch den Einsatz von racial profiling, rechtlichen Ausnahmezuständen und durch die intensive Kontrolle von Bewegungsfreiheit. Die Kontrolle wirkt auf In- und Ausländer*innen unterschiedlich: Fremd sein allein reicht meist als Grund für eine Untersuchungshaft. Statistiken über Kriminalität nach Nationalitäten der Täter*innen machen immer wieder die Runde, und ziehen jedoch deren ökonomische, soziale und gesundheitliche Situation nicht in Betracht. Es ist unwahrscheinlich, dass statistische Unterschiede nach Nationalitäten sonst bestehen bleiben würden.

Wir müssen mit allen leben, die hier sind

Soziale und politische Sicherheit muss erarbeitet und erkämpft werden – auch auf dem Gebiet der Kriminalität. Die Strategie darf nicht sein, eine imaginierte homogene Ethnie, durch eine immer intensivere Kontrolle von Bewegung und Aufenthalt zu erschaffen, und sich davon auch nur irgendwelche positiven Auswirkungen zu erhoffen. Das bedeutet, wir werden uns als Gesellschaft damit abfinden müssen, mit allen, die hier sind, zu leben, seien es kriminelle afghanische Asylwerber oder gewalttätige Österreicher.

Ihre Verantwortung für Gewalt an Frauen kann die Gesellschaft nicht wegsperren

Dass wir uns die Leute, die hier leben, nicht aussuchen können, ist anscheinend klar, wenn es um weiße österreichische Täter*innen geht. Von den 15 Frauen, die in der ersten Hälfte des Jahres 2021 in Österreich ermordet wurden, wurden neun vermutlich von österreichischen Männern getötet. Auch diese können nicht abgeschoben oder verbannt werden. Werden sie verurteilt, müssen sie ihre Strafe absitzen, wahrscheinlich werden sie irgendwann auch wieder entlassen werden. Es ist klar, dass Gewalt an Frauen ein massives gesellschaftliches Problem ist, dass sich durch die Bestrafung einzelner, besonders gewalttätiger Männer nicht lösen lassen wird. Es braucht eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung, auch mit weniger brutalen Formen von Gewalt an Frauen, und an anderen Personen, die nicht als männlich (genug) gelesen werden: Belästigung, Sexismus, Diskriminierung, Silencing oder auch mit ökonomischer Ungleichheit. Diese Verantwortung können wir als Gesellschaft weder wegsperren noch nach abschieben.

Mitbürger*innen aussuchen? Das ist ein gefährlicher Wunsch

Es ist ein gefährlicher Wunsch, sich seine Mitbürger*innen aussuchen zu können, und zu glauben, wenn es nur die richtigen wären, würde die Gesellschaft besser funktionieren. Das gute Zusammenleben hängt vielmehr von dem Funktionieren der sozialen Strukturen, von solidarischer Unterstützung von Bedürftigen und von Mitbestimmung ab. Auch das Problem der Kriminalität sollte als Frage sozialer Strukturen gedacht werden, anstatt als ein Problem von betroffenen Einzelpersonen oder bestimmten „ethnischen Gruppen“. Gewalt und Kriminalität haben soziale Ursachen, diese werden durch eine Abschiebung ebenso wenig bekämpft wie durch eine Gefängnisstrafe.


Angelika Adensamer ist Juristin, Kriminologin und Sprecherin der Partei LINKS in Wien. Unser Titelfoto stammt von Florian Bayer von den Protesten gegen Abschiebungen von zwei in Österreich geborenen Mädchen und ihrer Mutter nach Georgien im Januar 2021. Der Schutz dieser drei Frauen war den österreichischen Behörden damals nicht so wichtig.

Schreibe einen Kommentar