Eurogine: Viele Wege die Auskunftspflicht zu umgehen

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By Sebastian Reinfeldt

Das kommt wohl nicht oft vor, dass ein parteiunabhängiger Recherche-Blog in einer parlamentarischen Anfrage Erwähnung findet. Nun wurde dem Semiosisblog diese Ehre zuteil. In einer Anfrage, die die NEOS-Nationalrätin Fiona Fiedler an den Gesundheitsminister gestellt hat, fragt sie nach den Rechtsgrundlagen einer verweigerten Antwort auf eine Semiosis-Medienanfrage. Sebastian Reinfeldt erzählt die ganze Geschichte, die ein Schlaglicht auf den Umgang österreichischer Behörden mit Daten wirft, die uns alle betreffen.


Der Fall Eurogine

Eurogine S.L. Carlos Falcón ist eine spanische Firma, die Verhütungsspiralen herstellt. Seit 7. März 2018 warnt die spanische Behörde für Arzneimittel und Medizinprodukte vor der Verwendung bestimmter Chargen dieser Spirale. Im Oktober 2019 erfolgte dann ein Produktrückruf. Denn die Seitenarme der Spirale können abbrechen.

Es wurde festgestellt, dass es zum Zeitpunkt der Extraktion von bestimmten Verhütungsspiralen der Firma Eurogine häufiger zum Bruch der waagrechten Seitenarme (eines oder beider) gekommen ist. Die diesbezüglich durchgeführte technische Untersuchung hat ergeben, dass dieser Bruch auf einen Fabrikationsfehler des vom Zulieferer gelieferten Ausgangsmaterials zurückzuführen ist.

Das ist nicht nur ein klarer Fall von Produkthaftung. Einige Frauen sind durch die abgebrochenen Seitenarme auch innerlich verletzt worden. Somit kann Schadensersatz verlangt werden.

Die Anfrage an das Bundesamt

In solchen Fällen ist in Österreich das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen zuständig. Es hat auf seiner Homepage auch auf die mögliche Gefährdung durch diese Spiralen hingewiesen. Mit Datum vom 28. September 2020.


Eurogine weigert sich nun, mit dem Verbraucherschutzverein VSV, der rund 700 betroffene Frauen in einer Sammelklage vertreten will, einen außergerichtlichen Vergleich zu schließen. Ihr Hauptargument: Den zuständigen Behörden seien nur wenige Schadensfälle gemeldet worden.

Semiosis hat von dieser Sache erfahren und am 17. März 2021 beim zuständigen Bundesamt per Mail nachgefragt. Wie viele Meldungen geschädigter Frauen liegen denn dem Bundesamt tatsächlich vor?

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe Ihren Aufruf zu Eurogine gelesen. Da ich zu dem Thema recherchiere, würde mich interessieren, wie viele Geschädigte sich bislang gemeldet und Unterlagen übermittelt haben. Außerdem: Gibt es Meldungen aus dem Kreis der Gesundheitsberufe? Falls ja, wie viele kommen von dort?

Vielen Dank im Voraus,

mit freundlichen Grüßen

Die überraschende Antwort

Sehr geehrter Herr Reinfeldt,

Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) ist nicht autorisiert, zur Anzahl der Meldungen bezüglich des betreffenden Medizinprodukts Auskunft zu geben.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr BASG Pressemanagement

Seltsam. Das Bundesamt darf nicht sagen, wie viele Frauen geschädigt worden sind. Aber warum? Meine Nachfrage nach der rechtlichen Grundlage für diese Nicht-Antwort erfolgte noch am selben Tag.

Sehr geehrte Damen und Herren, da Sie eine staatliche Stelle sind, bitte ich Sie, mir die entsprechende Verordnung oder das entsprechende Gesetz zu nennen, das das Bundesamt zu dieser anonymen Auskunft nicht autorisiert.

Herzlichen Dank

Sebastian Reinfeldt

Viele Wege die Auskunftspflicht umgehen

Am 26. März 2021 dann erreicht uns die gewünschte Auskunft. Darin erklären und begründet das Bundesamt nichts, sondern es verweist pauschal auf den Paragrafen 9 des Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz.

Sehr geehrter Herr Reinfeldt,

gemäß § 1 Auskunftspflichtgesetz haben die Organe des Bundes sowie die Organe der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.
Bitte entnehmen Sie die entsprechende Bestimmung zur gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht § 9 Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz (GESG).

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr BASG Pressemanagement

Der genannte Paragraf enthält 9 Absätze. Das Bundesamt sagt in seiner Antwort noch nicht einmal, auf welchen dieser Absätze es sich bezieht. Nachvollziehbar ist diese Antwort keineswegs. Deutlicher gesagt: Diese Antwort ist eine Frechheit.

Was tun?

Zu dieser Zeit ging eine Beschwerde des ORF-Journalisten Martin Thür beim Verfassungsgerichtshof durch die Medien. Der Anlass war auch hier eine verweigerte Antwort. Der Nicht-Antwortgeber: Die Parlamentsdirektion wollte nicht verraten, welche Abgeordneten in den Jahren 2017 bis 2019 die Gehaltsfortzahlung nach Beendigung ihres Amtes in Anspruch genommen haben und für wie lange.  Thür verlangte einen Bescheid und zog vor das Bundesverwaltungsgericht und dann vor den Verfassungsgerichtshof. Dort bekam er Recht. Die Direktion musste die gewünschten Informationen liefern. Das öffentliche Interesse überwiege das persönliche Schutzinteresse der ehemaligen Abgeordneten.

Nun war der Rat von Martin Thür im Fall Eurogine: Einen Bescheid nach Auskunftspflichtgesetz verlangen und eine Antwort vom Ministerium einzuholen. Letzteres haben die NEOS mit ihrer parlamentarischen Anfrage übernommen. Die Antwort des Ministeriums lautet: 446 Vorkommnisse.

Dem BASG wurden von 28.09.2020 bis 28.04.2021 gesamt 446 Vorkommnisse zu betreffendem Medizinprodukt gemeldet. Weiters wurden in dem selben Zeitraum 52 Anfragen zu betreffendem Medizinprodukt an das BASG gerichtet.

Den Bescheid über die Nicht-Auskunft habe ich beim Bundesamt verlangt. Im Zuge der Antwort auf die NEOS-Anfrage verrät das Ministerium zumindest den einschlägigen Absatz des Paragrafen 9: Es ist der zweite Absatz.


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