Untersuchungsausschuss muss klären: Wurde die Regierung mit der Pandemie fertig?

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By Sebastian Reinfeldt

Ist Österreich gut durch die Covid-Krise gekommen? Die Regierung meint: Ja. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Sie sagen: Eher nein. Zum Beispiel: In Österreich sind mit mehr als 10.000 Personen vergleichsweise viele Menschen an und mit Covid19 gestorben. Auch bei den bestätigten Covid-Infektionen pro hundertausend Einwohner hat Österreich mehr aufzuweisen als etwa Großbritannien.
Dort, jenseits des Kanals, läuft gerade eine parlamentarische Untersuchung der dortigen Covid19-Politik. In ihr hat heute der frühere Regierungsberater Dominic Cummings ausgesagt. Dabei hat er sich eingangs für die vielen Toten entschuldigt, die das falsche Regierungshandeln verursacht hat. Er berichtete unter anderem, dass die britische Regierung auf das darwinistische Konzept einer Durchseuchung der Bevölkerung gesetzt hat. Dies bringt die Frage auf: Welche Strategie hat die Regierung in Österreich eigentlich verfolgt? Und war diese der jeweiligen Lage angemessen? Auch in Österreich gibt es einiges aufzuarbeiten. All dies könnte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß tun. Eine Recherche von Sebastian Reinfeldt


Ist das jetzt nur eine Atempause?

Derzeit befinden wir uns in Öffnungseuphorie. Soll sein, denn die Zahlen schauen tatsächlich gut aus und die Sehnsüchte nach gesellschaftlichen Aktivitäten sind ja auch mehr als verständlich. Doch macht das Virus keine Pause. Es mutiert weiter, nicht nur in Indien, auch in Österreich. Ob wir gerade nur eine Atempause zum Luftschöpfen haben, oder ob wir Covid bald los sein werden, scheint offen. Jedenfalls hätten wir nun die Zeit, unsere Lektionen zu lernen. Vielleicht war die dritte Welle ja doch nicht die letzte.

Parlamentarische Untersuchung in Großbritannien

Lektionen zu lernen, das macht gerade das britische Parlament. Dort finden öffentliche Hearings statt. Per Stream oder am Fernsehen können alle Interessierten mitverfolgen, warum welche Regierungspolitik seit Februar 2020 verfolgt wurde, wer davon profitiert hat und wer darunter leiden musste. Die Aussagen – die mehr ein Geständnis sind – des früheren Regierungsberaters Dominic Cummings sind Aufsehen erregend. Denn im Kern gesteht er ein, dass tausende Opfer vermeidbar gewesen wären. Weil Downing Street No. 10 aber eine falsche Politik verfolgt habe, mussten sie sterben. Insbesondere Premier Boris Johnson hatte keinen Plan, so dass seine Politik von starken Kurswechseln geprägt war. Dabei ließ er aus wirtschaftlichen Gründen eine unkontrollierte Durchseuchung der britischen Gesellschaft geschehen.


Und in Österreich?

In Österreich haben wir gerade miterlebt, dass und wie die Regierung nicht besonders koordiniert agiert, um es vorsichtig zu formulieren. Die Ankündigungen für Öffnungen im Juni 2021 überschlagen sich. Wie lief das in der Regierung eigentlich in der Hoch-Zeit der Pandemie ab? Mitten in der Krise. War unsere Regierung gut genug, die Pandemie zu managen? Wie lassen sich die vergleichsweise hohen Todes- und Infektionszahlen in Österreich erklären? Ist das Gesundheitssystem etwa doch nicht so gut, wie wir alle glauben (sollen)?

Vergleich GB und AUT: Covid-Fälle pro eine Million Einwohnern. Quelle: Our World in Data

Fragenkatalog für einen Untersuchungsausschuss

Tatsächlich gibt viele Fragen, die öffentlich und transparent gestellt und beantwortet werden sollten. Dafür braucht es einen Untersuchungsausschuss, der öffentlich tagt und der live übertragen wird, so wie dies gerade in Großbritannien abläuft. Wir haben bereits eine Reihe von Fragen zusammengetragen, die die Dringlichkeit einer öffentlichen parlamentarischen Untersuchung der österreichischen Antwort auf Covid19 unterstreichen.

Komplex Verträge und Aufträge zumeist ohne Ausschreibungen

Zu Beginn der Pandemie musste in kürzester Zeit eine Infrastruktur aufgebaut werden, um dieser zu begegnen. Dafür hat die Regierung Verträge und Aufträge in Millionenhöhe vergeben. Dies geschah zumeist ohne Ausschreibung. Wie wir vom Fall Hygiene Austria wissen, kann dies zu Missbrauch, Korruption oder Nepotismus führen. Außerdem geht es immer um Steuergeld, also um unser Geld, das die Regierung ausgegeben hat. Daher ist eine demokratische Kontrolle möglich und nötig:

  • Welche Verträge mit Firmen wurden im Zusammenhang mit COVID19 geschlossen? Etwa für Masken, Tests, Schutzkleidung, Serverressourcen, Telefon-Hotlines, Contact-Tracing, Imagewerbung usw…
  • Wie hoch waren die Aufträge? Gab es eine Ausschreibung? Aufgrund welcher Kriterien wurden die Auftragnehmer*innen ausgewählt?
  • Welche Personen waren im Expert*innenkreis*? Was wurde dort wann besprochen und empfohlen? Welche Empfehlungen sind befolgt worden? Welche nicht und aus welchen Gründen?
  • Welche Interessensgruppen haben die Pandemie-Entscheidungen der Regierung mit beeinflusst? Welche Interessen kamen hingegen erst gar nicht zur Sprache?

Die erste Welle im März 2020

Für die erste Welle im März 2020 gibt es, was den Hotspot Ischgl betrifft, bereits einiges an Aufarbeitung. Fakt ist: Von Ischgl ausgehend wurde die Welt infiziert.

Eine Woche nach dem Auftreten von SARS-CoV-2-Stämmen mit diesem Mutationsprofil in Frankreich und Ischgl konnte eine zunehmende Anzahl verwandter Stämme, die auf demselben Mutationsprofil basieren, auf allen Kontinenten gefunden werden, beispielsweise in New York.

Dies hat jüngst eine breit angelegte Genom-Studie herausgefunden, bei der auch österreichische Wissenschaftler*innen mitgearbeitet haben. Dabei ist die Rolle der Bundesregierung bei diesem Ausbruch noch unterbelichtet. Es stellen sich also unter anderem folgende Fragen:

  • Waren die Vorkehrungen, die seit der WHO-Pandemie-Erklärung in der Verantwortung der Bundesregierung getroffen wurden, ausreichend und einer kommenden Pandemie angemessen?
  • Ischgl: Wie hat die Bundesregierung den Hotspot Ischgl behandelt?
  • Aufgrund welcher Datenlage wurde die erste Quarantäne Paznaun und der erste Lockdown wann und von wem beschlossen? Wer war in diese Entscheidungen eingebunden?
  • Die Verordnungen und Gesetzesänderungen: Wurden alle Ressourcen innerhalb der Regierung genutzt, um die bestmögliche Qualität in der Gesetzgebung zu gewährleisten? Stichwort: Ostererlass.

Die Vorgeschichte der zweiten Welle: Sommer 2020

Rückblickend schaut es so aus, als hätte sich die österreichische Regierung im Sommer 2020 zurück gelehnt und das vorgebliche Ende der Pandemie gefeiert. Dabei sagten Prognosen eine zweite Welle im Herbst 2020 bereits voraus, die dann mit voller Härte und vielen Todesopfern zuschlug. Das wirft weitere Fragen auf:

  • Von welcher Prognose für Herbst/Winter 2020 ist die Regierung im Sommer 2020 ausgegangen? Wer hat sie erstellt? Wie wurde sie diskutiert und bewertet?
  • Welche Vorkehrungen sind dementsprechend getroffen worden?
  • Im Herbst 2020 öffneten die Schulen zunächst praktisch ohne Schutzvorkehrungen (außer Händewaschen und Lüften). Warum wurden Stimmen von Expert*innen, die davor gewarnt, nicht gehört? Welche Rolle spielte die parlamentarische Opposition dabei?
  • Besonderer Augenmerk gilt hier der Situation in den Schulen: Inwieweit wurde überlegt, Schüler*innen*, Lehrpersonal und Eltern zu schützen?
  • Welches Beratergremium steht dem zuständigen Bildungsministerium zur Verfügung?
  • Auf Basis welcher Studienlage erfolgte die Einführung der Schultests und die Aussagen zur Sicherheit, die sie bieten würden?
  • Wurden Studien zum Übertragungsweg über Aerosole herangezogen (und welche) und welche Maßnahmen wurden daraus abgeleitet, um das Infektionsrisiko in Schulen, Kindergärten, in Betrieben und Wohneinrichtungen von Senioren, Asylwerber, Obdachlosen und in Haftanstalten zu reduzieren?
  • Welche Vorgaben bzw. Empfehlungen wurden für diese Einrichtungen, aber auch für die Allgemeinbevölkerung erstellt?
  • Ab wann war in den Prognosen erkennbar, dass es eine mächtige zweite Welle im Herbst geben würde? Ab wann wurden dafür Vorkehrungen getroffen?
  • Welche Gruppen wurden als besondere Risikogruppen erkannt und welche Maßnahmen wurden eingeleitet, diese vor einer zweiten Welle zu schützen?
  • Wie wurde die Impfstoffbestellung innerhalb der Regierung und im Austausch mit der EU abgewickelt?

Zwischen zweiter und dritter Welle: Winter 2020/2021

Wir erinnern uns wahrscheinlich alle noch an die Situation im Winter 2020/2021. Die ersten Impfungen hatten begonnen. Aber dann ging der Impfstoff aus, die Infektionen schnellten  hoch. Im März 2021 kamen die Intensivstationen wieder an ihre Belastungsgrenzen. Stichwort: schleichende Triage. Wie konnte das – nach den Erfahrungen mit der zweiten Welle – passieren?

  • Ab wann war für die Regierung erkennbar, dass die zweite Welle im Herbst 2020 massiv Menschenleben kosten würde? Wie wurde wann versucht, dem gegenzusteuern?
  • Wann begannen die Planungen für die Impfkampagne? Welche Prognosen lagen dafür zugrunde und wie wurden sie adaptiert?
  • Wie funktionierte in diesem Zeitraum insbesondere die Koordination zwischen Bundeskanzleramt, Gesundheitsministerium und Bildungsministerium? Gab es wöchentliche Jour-Fixes, gemeinsame Krisenstäbe oder ähnliches? Was haben die dort Versammelten besprochen?
  • Wie kamen die Entscheidungen für bzw. gegen einen Lockdown regierungsintern zustande?
  • Wie lässt sich erklären, dass Österreich im Frühjahr 2020 zu den reaktionsschnellen Ländern gezählt hat, aber bei der zweiten und dritten Welle wesentlich behäbiger und im Kern zu spät und nicht konsequent reagiert hat?

Die Pandemie ist noch nicht vorüber

Im Augenblick legt die Regierung offensichtlich eine ziemliche Kehrtwendung in ihrer Politik hin. Gesundheitsminsiter und Kanzler wetteifern mit Verkündigungen, wann was zuerst geöffnet und gelockert wird. Manche sehen darin eine verkehrte Welt, besonders, wenn wir an das Frühjahr 2020 zurück denken. Daher stellen sich auch in der jetzigen Phase kritische Fragen:

  • Welche Prognosen liegen den Entscheidungen für Lockerungen und für Öffnungen zugrunde? Von wem wurden diese wann erstellt?
  • Welche Interessengruppen waren in die Entscheidungen wann und in welcher Form mit eingebunden?

Dieses – sicherlich unvollständige – Programm für einen öffentlichen Untersuchungs-ausschuss ist jetzt bereits dicht. Es beinhaltet Fragen, die die Öffentlichkeit stellt und die die Politik zu beantworten hat. Nur: Gibt es dafür einen politischen Willen?


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Quellenhinweis Titelbild: https://just-the-covid-facts.neuwirth.priv.at/2021/05/26/covid-19-oesterreich-aktuelle-daten/

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