Felix hat rund 3900 Follower*innen auf Twitter. Als die Pandemie losging, waren es nur etwa halb so viele. Seit längerem betreibt er mehrere WordPress-Blogs, die er als Selbsthilfeblogs bezeichnet. Thema: das Autismus-Spektrum und das Klinefelter-Syndrom. Er meint, dass in der Öffentlichkeit über beide Diagnosen veraltete Darstellungen und Vorurteile kursieren. Die möchte er korrigieren. Diese Arbeitsweise hat er dann auf die Themen der Pandemie übertragen und seinen Haupt-Blog dem Corona-Alltag gewidmet. Dort schreibt er seit 12. März 2020 zum Thema. Er möchte dabei zeigen, wozu die Wissenschaft fähig ist. Dafür analysiert er Daten und Fakten und bereitet sie wissenschaftsjournalistisch auf. Felix ist Wissenschaftler von Beruf, nämlich Meteorologe. Mit ihm sprach Sebastian Reinfeldt.
Wikipedia definiert: Citizen journalism, is based upon public citizens
a) playing an active role in the process of collecting, reporting, analyzing, and disseminating news and information.
b) Similarly, Courtney C. Radsch defines citizen journalism as an alternative and activist form of news gathering and reporting that functions outside mainstream media institutions, often as a response to shortcomings in the professional journalistic field, that uses similar journalistic practices but is driven by different objectives and ideals and relies on alternative sources of legitimacy than traditional or mainstream journalism.
c) Jay Rosen offers a simpler definition: When the people formerly known as the audience employ the press tools they have in their possession to inform one another. The underlying principle of citizen journalism is that ordinary people, not professional journalists, can be the main creators and distributors or news.
Citizen journalism should not be confused with: community journalism or civic journalism, both of which are practiced by professional journalists; collaborative journalism, which is the practice of professional and non-professional journalists working together and social journalism, which denotes a digital publication with a hybrid of professional and non-professional journalism.
Findest du dich in einer den oben genannten Definitionen wieder? Warum?
a) und b) treffen es am besten, denn der Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Sammlung und Aufbereitung von Daten und Fakten. Das Entscheidende dabei ist, wichtig und unwichtig zu filtern – oder besser gesagt, nach wissenschaftlichen Standards vorzugehen und bessere von schlechter gemachten Studien zu unterscheiden. Ich versuche dann die Erkenntnisse aus dem In- und Ausland auf die aktuelle Situation zu übertragen und für den Leser aufzubereiten. Wissen ermitteln und vermitteln, pflegte mein Mentor zu sagen.
Wie viel Zeit wendest du zur Recherche und zum Schreiben auf? Wie reagiert dein soziales Umfeld?
Mehrere Stunden pro Tag, außer während der Arbeit. Für die Blogtexte brauche ich dann meist zwischen zwei und vier Stunden je nach Thema. Sachthemen dauern größtenteils etwas länger als etwa politische Zusammenhänge herunterzuschreiben, die ich schon länger im Kopf, aber nur noch nicht ausformuliert hatte.
Die einen freuen sich über meine Texte, weil sie dadurch früher und viel umfassender an wichtige Informationen kommen, etwa wie man sich im Alltag besser schützen kann. Andere hingegen sagen, dass ich zu viel Zeit aufwende und mich da verrennen würde, und daher erst recht psychisch belastet wäre. Tatsächlich ist es so, dass ich meine Energie derzeit großteils aus diesen Recherchen ziehe. Zudem konnte ich durch mein Engagement neue Bekanntschaften schließen, was derzeit im Alltag aufgrund der Coronabeschränkungen nahezu unmöglich ist.
Zur Recherche: Was sind deine Quellen?
Ich bin von Beginn an auf Twitter zahlreichen internationalen Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten gefolgt und hab diesen Kreis stetig erweitert. Später hab ich eigene Listen angelegt, um für meine Recherchen gebündelte Informationen zu haben. Natürlich hab ich auch den NDR-Podcast mit Christian Drosten (und später Sandra Ciesek) aufmerksam verfolgt, sowie den Youtube-Kanal von Dr. John Campbell, einem pensionierten Krankenschwester-Ausbilder. Der sitzt seit Ausbruch der Pandemie täglich vor seiner Webcam und analysiert wissenschaftliche Publikationen und ordnet die Zahlen ein – nicht nur in UK, sondern weltweit. In den ersten Monaten war das meine wichtigste Quelle. Sonst lese ich regelmäßig die Seuchenkolumne des pensionierten klinischen Epidemiologen Robert Zangerle im FALTER-Blog.
Was ist deine Motivation, als Citizen-Journalist zu berichten?
Ich möchte zeigen, was die Wissenschaft fähig ist, für die Gesellschaft zu leisten, indem ich Daten und Fakten analysiere und wissenschaftsjournalistisch aufbereite. In Österreich hat die Bevölkerung leider keinen umfassenden Zugang zu wissenschaftlichen Daten, wie in anderen Ländern. Amtsgeheimnis, Datenschutz und der Föderalismus hindern die WissenschafterInnen selbst am Zugang zu Daten, um damit zu forschen und durch die Erkenntnisse etwa gezieltere Maßnahmen setzen zu können. Ich recherchiere viel aus dem Ausland und versuche es auf Österreich zu übertragen. Natürlich könnte ich mein Wissen für mich behalten und nur meinen engsten Angehörigen und Freunden zukommen lassen, aber so war ich noch nie. Je mehr Menschen Bescheid wissen, desto besser. Ein zweiter Punkt ist aber auch die mangelnde Aufklärung durch die Politik, die Gesundheitsbehörden und die Medien. In Österreich ist hier eine große Lücke entstanden – und es wurde zu wenig über Alternativen zum Schwedischen Weg berichtet, den die Regierung und einige Berater seit Ende des ersten Lockdowns verfolgen. Ich bin davon überzeugt, dass der Bürger ein Recht hat zu erfahren, warum Österreich den stärksten Wirtschaftseinbruch in der EU hat und gleichzeitig so viele Menschen an Corona gestorben oder schwer erkrankt sind. Die Bevölkerung sollte wissen, dass wir eine Alternative hatten, die hierzulande leider nie zur Debatte stand.
Hast du das schon vor Beginn der Pandemie getan?
Ja. Ich betreibe zwei Selbsthilfeblogs zu über das Autismus-Spektrum und das Klinefelter-Syndrom. In der Öffentlichkeit kursieren über beide Diagnosen viele veraltete Darstellungen und Vorurteile. Auch hier wollte ich mithilfe internationaler Quellen über den Tellerrand schauen und ein differenzierteres Bild aufzeigen. Dazu kommt noch ein Blog über meteorologische Irrtümer in den Medien, wo ich falsche oder irreführende Aussagen in den Medien zu Wetter und Klima einem Faktencheck unterziehe.
Wo siehst du die Hauptmängel des professionellen Journalismus in Österreich in bezug auf die Pandemie?
In den Zeitungs- und Fernsehredaktionen mangelt es offenbar an fachlichem Hintergrundwissen. Viele JournalistInnen sind nicht in der Lage, die Aussagen von Experten im Kontext des wissenschaftlichen Konsens einzuordnen. Interviews ähneln oft einem Arzt-Patienten-Gespräch. Was der Arzt, in diesem Fall der Experte, sagt, wird nicht hinterfragt. Ich vermisse eine umfassende Vorbereitung auf solche Gespräche. JournalistInnen sollten etwa frühere Aussagen der Interviewpartner recherchieren und sie mit Irrtümern und Widersprüchen konfrontieren. Das hätte uns eine Menge Scheinexperten erspart, die monatelang danebenlagen und trotzdem wieder eine Bühne bekamen. Ein weiterer Fehler ist die Überbewertung des Titels. Ich weiß, Österreich ist ein titelverliebtes Volk, aber auch in einer Pandemie sollte man sich dringend davon lösen, die Expertise nur nach dem Renommee und der durchlaufenen Ausbildung zu beurteilen. Die deutsche Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim hat auf ihrem Youtube-Kanal einmal sehr anschaulich erläutert, was Experten zu Experten macht. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
Schließlich betrachten die Medien hierzulande die Pandemie eher wie ein Lifestyle-Thema. Es bekommt wenig zusätzliche Sendezeit, sondern läuft so nebenher mit. Ich kann mich nicht erinnern, dass etwa der ORF bis auf ein ZiB-Spezial sein Programm umgestellt hätte. Es hätte viel mehr Platz und vielleicht auch kreative Formate gebraucht, um die Bevölkerung angemessen zu adressieren – z.B. über einen eigenen Podcast oder eine eigene TV-Sendung jeweils nach den Pressekonferenzen, wo WissenschaftsjournalistInnen die Aussagen der Politiker und anwesenden Experten einordnen und nochmals genauer erläutern.
Was hältst du generell von der österreichischen Medienlandschaft?
Die österreichischen Medien sind stark von Inseraten und Presseförderung durch die jeweilige Regierung abhängig. Damit entstehen viel eher Interessenskonflikte als in anderen westlichen Demokratien. Sie machen sich vor allem dann bemerkbar, wenn PolitikerInnen gegen demokratische Prinzipien und den Rechtsstaat verstoßen. In anderen Ländern hätte ein Politiker längst zurücktreten müssen, wenn gegen ihn ein Ermittlungsverfahren läuft oder beim Lügen ertappt wird. In Österreich ist das nur wenigen Medien ein Aufschrei wert und bald wieder vergessen. Wir sind etwa auf ausländische Berichterstattung angewiesen, um zu erfahren, wie groß das Ausmaß der Korruption hierzulande ist.
Was in der Pandemie fehlt, ist objektives, ehrliches Interesse an erfolgreichen Staaten. Was hat man dort besser gemacht als hier? Was davon hätte man übernehmen können? Heimische Medien würgen jede Debatte über eine Alternative zum Schwedischen Weg ab. Inselstaaten, „totalitäres Denken“. Warum wird es in Österreich abwertend als Aktivismus bezeichnet, wenn man im Einklang mit etlichen Wissenschaftlern wie Drosten, Brinkmann, Eckerle u.v.a anderen steht, die sich für eine paneuropäische Containment-Strategie aussprechen?
Wie siehst du selbst deine Rolle als Citizen Journalist? Eher kompensierend oder kritisierend?
Beides zu sein ist in meinen Augen unvermeidlich. Jeder Citizen Journalist ist per se aktivistisch, denn er füllt die Lücke des etablierten (bezahlten) Journalismus aus und steht naturgemäß in Opposition zur offiziellen Kommunikation. Warum sollte man sich sonst engagieren, neue Informationen oder eine andere Perspektive zu bieten, wenn es nicht genau das wäre, was auf den offiziellen Kanälen zu kurz kommt oder völlig fehlt? Ich versuche also die Lücke der Aufklärung zu stopfen und gleichzeitig zu erklären, warum ich sie stopfen muss. Ich will aber nicht nur als jemand in Erscheinung treten, der dauernd kritisiert. In meinen 170 Blogtexten bisher habe ich auch viele englischsprachige Artikel übersetzt oder in eigene Worte gefasst, in denen ich Alternativen und Lösungsvorschläge aufzeige.
Bist du auch mit professionellen Journalist*innen in Kontakt?
Ja, wenn auch selten. Wir bekommen Hinweise auf Fachartikel oder auf ihre eigenen journalistischen Texte und verbreiten diese weiter. Manchmal hilft es auch, Zusammenhänge zu verstehen von politischen Entscheidungen oder Beziehungen, etwa zwischen den Ministerien und Behörden. Als politischer Outsider, der hier nicht aufgewachsen ist, fehlt mir oft der historische Kontext.
Bist Du mit Wissenschaftler*innen in Kontakt?
Der Austausch findet hauptsächlich auf Twitter statt. Englischsprachige Wissenschaftler antworten auch mit großen Followerzahlen eher auf Rückfragen, ist mein Eindruck, während man bei einem Lauterbach, Drosten oder Ciesek meist keine Chance hat. Ich schrieb im vergangenen Herbst die Wissenschaftler in Österreich, die sich für eine Niedriginzidenzstrategie aussprechen, direkt per Mail an, und appellierte zu mehr öffentlichen Widerspruch. Das Schöne ist, dass drei von ihnen sofort geantwortet haben. Nicht selbstverständlich dafür, dass ich kein Mediziner oder Infektiologe bin. Manchmal kommt auch Feedback auf meine Blogtexte, sodass ich Fehler gleich korrigieren kann.
Irgendwann ist die Pandemie zu Ende bzw. nicht mehr im medialen Fokus. Wirst du dann eher mit Recherchieren und Schreiben aufhören?
Wenn die gesundheitliche Krise nicht mehr im Fokus steht, besteht die Gefahr, dass auch viele Interessenskonflikte in Vergessenheit geraten. Es wird noch ein langer Weg, bis auch die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt wird, warum man etwa bei Kindern dem Virus freien Lauf gegeben hat, obwohl lange Zeit wenig bekannt war, ob es zu Spätfolgen kommt. Das Vorsichtsprinzip wurde in weiten Teilen der Maßnahmensetzung missachtet, in anderen dafür übermäßig betont – wenn ich etwa an die harten Strafen für Treffen im Freien denke, wo das Ansteckungsrisiko deutlich geringer ist als in Innenräumen. Ich möchte dafür sorgen, dass die Fehler und das bewusste Wegschauen sichtbar gemacht werden. Zudem ist ein selbstkritischer Umgang notwendig, um bei der nächsten Pandemie nicht wieder die gleichen Fehler zu begehen – Stichwort Aerosole.
Kannst du dir vorstellen, deinen Brotberuf zu verlassen und ganz irgendwas mit Medien zu arbeiten?
Ich habe zeitweise darüber nachgedacht, weil ich für mein Leben gerne schreibe und recherchiere. Wissenschaftsjournalismus verbindet das ideal. In Österreich könnte ich mir das jedoch nicht vorstellen. Die Bezahlung ist zu schlecht dafür, dass man konstant hohem Druck ausgesetzt wird, gute Texte zu liefern. Zudem könnte ich schlecht damit umgehen, wenn ich einen Text nicht abdrucken dürfte, weil er (sachliche) Kritik an politischen Entscheidungen andeutet. Meinen Brotberuf möchte ich daher nicht missen. Dort kann ich meine erlernten Stärken und analytisches Denken ebenso gut anwenden, und es macht mir immer noch Spaß.