Ein Gespräch mit Klaus Theweleit.
Faschismus ist – nicht nur, aber doch überwiegend – eine Männersache. Europaweit sind die Wähler extremer rechter Parteien überwiegend männlich, die Neo-Nazi Szene ist nicht nur demographisch männlich geprägt, auch ihre Gewaltrituale haben ein Macho-Gepräge.
Nicht zuletzt beschreibt sich der rechte Massenmörder Anders Behring Breivig, der im Juli 2011 in Norwegen 77 überwiegend jugendliche Teilnehmer eines Jugendlagers ermordet hatte, in seinen Rechtfertigungen dieser Tat als ein Tempelritter im Kampf gegen Kulturmarxismus und Feminismus.
Breivig ist ein frei flottierender SS-Mann. Er lehnt Weiblichkeit und Sexualität ab, und die Gewaltausübung ist seine Lebensform, so die Analyse des Kulturtheoretikers Klaus Theweleit, die sich auf dessen Verteidigungsrede und sein im Internet veröffentlichtes Manifest bezieht.
Mit Klaus Theweleit hat Sebastian Reinfeldt 2012 gesprochen. Sein Text war zu dieser Zeit noch nicht erschienen. 2015 dann kam Das Lachen der Täter heraus. Das Buch behandelt die männliche Lust am Töten [Update 30.4.2021].
Deine These ist, dass der normale Mann der potentielle Faschist ist. Warum?
Wenn man alles zusammen sammelt, was einem sogenannten normalen Mann gehört, dann hat man ungefähr die Beschreibung eines mittleren Faschisten: Herrschaftsausübung, Frauenunterordnung, Autorität.
Faschismus ist für mich aber keine Ideologie, sondern er besteht aus Verhaltensweisen, er ist eine Form und eine Art und Weise, Realität herzustellen. Und das machen einzelne Körper nach Maßgabe dessen, was in sie eingegangen ist, was sie in sich haben an Möglichkeiten, mit der Realität umzugehen.
Der Mann verlangt von sich, oder von ihm wird verlangt, dass er, wie das schön heißt, Herr der Lage ist. Herr der Lage zu sein heißt, du bist Kommandeur. Wenn du das entsprechend auslebst, dann bestimmst du, was die Frau zu machen hat, was die Kinder zu machen haben, in welcher Gesellschaftsform man lebt, wie die Schule zu sein hat, wie das Haus, in dem man wohnt, wer für die Miete aufkommt, alles das zusammen, ganz zivil, macht eben einen Faschisten aus – very simple.
Zum Faschisten gehört aber auch eine bestimmte Art der politischen Organisation, eine bestimmte politische Formation.
Faschisten, das meine ich hier in Anführungszeichen. Deshalb ist es ja der Normalmann, wir haben ja nie 90 Prozent der Leute, die in Formation auf der Straße herum laufen und Knüppel schwingen und Springerstiefel anhaben. Das ist halt eine zugespitzte Form. Der normale Faschist ist der mittlere Rechte, der Rechtsextremist ist der, der explizit Gewalt ausübt.
Das tut der mittlere normale Faschist nicht, der übt eine zivile Gewalt aus, eine kalte Gewalt. Nicht mit Knüppel, Waffe, Gewehr, sondern indem er auf eine ganz bestimmte Art und Weise seine Umgebung unterdrückt, und das für normal hält. Er unterdrückt nicht in seinem Bewußtsein, sondern er gibt den Leuten vor, was sie zu tun haben. Das ist nur für den anderen Unterdrückung. Der Unterdrücker behauptet meistens von sich, dass er nicht unterdrückt. Er hält das schlicht für normal, was er macht. Das gehört für den normalen Faschisten dazu, dass er nicht erkennt, dass er der Normalfaschist ist. Er denkt, dass er sich normal verhält.
Wie geht das vor sich, dass aus diesen normalen rechten Männern Faschisten werden, also nicht individuell, sondern, wenn das eine Gesellschaftsform wird?
Wenn sie die Möglichkeit haben, über die Gesellschaftsform die Macht, die sie in diesem Bereich haben, auszudehnen, dann nehmen sie das in der Regel wahr. Jemand, zu dessen Struktur es gehört, Macht auszuüben, der ist immer an Machtzuwachs interessiert. Denn nur Leute, die nicht Macht ausüben, sind daran überhaupt nicht interessiert.
Es gibt soziale Differenzen in der Köperlichkeit, die das ganze Verhalten bestimmen, Muster, es gibt Körper, die Lust daran haben, Macht auszuüben, und andere Körper, die haben gar keine, die haben etwa Lust, Beziehungen aufzubauen, was von Leuten zu erfahren, Zusammenhänge herzustellen oder eine schönere Realität herzustellen.
Eine schönere Realität für den Normalmann ist, dass alles funktioniert. Und zwar so, wie er es in etwa vorgibt. Dass die Leute Macht ausüben hält er für zivil, für zivilisiert. Auf die Idee, dass man auch ganz anders denken könnte, zum Beispiel, dass es das viel schöner wäre, das, wenn nicht alles funktioniert, Zusammenhänge zu verwirren zum Beispiel, weil sich Leute dabei besser erfahren oder auf andere Ideen kommen und etwas ganz Neues entdecken. Darauf kommt der Normalmann nicht. Der hält sein Funktionieren für human; normal eben.
Fotocredit: „KlausTheweleitP1050269“ von manfred.sause@volloeko.de – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:KlausTheweleitP1050269.JPG#/media/File:KlausTheweleitP1050269.JPG
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