In der Pandemie-Gartenzwergrepublik: Auf der Suche nach den infizierten Kindern – Teil 2

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By Sebastian Reinfeldt

Etwa jeder zehnte Covid-19-Patient leidet unter den Spätfolgen der Erkrankung. Mit den neuen Virus-Varianten sind auch immer mehr Kinder und Jugendliche betroffen, berichtet gestern die deutsche Tagesschau. Wer sich in Österreich auf die Suche nach infizierten Kindern und Jugendlichen macht, landet im Daten-Nirwana oder erhält Antworten, die einen glauben machen wollen, ausgerechnet in Österreich komme das alles nicht vor. Sebastian Reinfeldt berichtet über eine Recherche-Odysee und die Infos, die Semiosis und medonline auf dieser Reise erhalten haben. [Update nach den Zahlen aus Tirol am 22.4.2021 und Korrektur Oberösterreich am 24.4.2021]


Spätfolgen von Covid-Infektionen

Seit einigen Monaten poppen in europäischen Ländern Studien über die Spätfolgen von Covid-Infektionen auf. International wird das Long Covid genannt. In Österreich gibt es immerhin seit März 2021 einen Diagnosecode dafür bei der Krankenkasse. Eine Krankheit im klassischen Sinne sei es aber nicht, meint die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK). Kommt sie bei Kindern und Jugendlichen vor? Jenseits der hiesigen Insel der angeblich Seligen lautet die Antwort: Ja. Laut einer im Januar 2021 veröffentlichten britischen Studie leiden in Großbritannien sieben Prozent der infizierten Kinder und Jugendlichen an Long Covid. Sie haben also Spätfolgen der Krankheit.

Long Covid bei Kindern und Jugendlichen ?

Auf Medonline schilderten Betroffene in Österreich Anfang März 2021 bereits ihre Leiden. Anzeichen dafür sind etwa belastungsabhängige Thoraxschmerzen oder immer wiederkehrende Geschmackslosigkeit, Herzarrhythmie, zeitweise Kurzatmigkeit und Fatigue: eine nicht enden wollende Erschöpfung.

Aktuelle Studie aus Großbritannien: 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen klagen über Spätfolgen

Der britische Guardian berichtet zur selben Zeit über Daten, die die britische Statistikbehörde erhoben hat. Diese geben Anlass zur Sorge. 13 Prozent der unter 11-jährigen und 15 Prozent der 12 bis 16-jährigen berichten, dass zumindest eines dieser Symptome noch 5 Wochen nach eine bestätigten Covid-19–Infektion auftritt.

Dies wirft natürlich die Frage auf: Wie schaut es damit in Österreich aus?

Long Covid bei Kindern in Österreich?

Nach Ostern 2021 haben wir dafür einen Rechercheauftrag erhalten. Wir, das ist das Semiosisblog-Team in Kooperation mit der Journalistin Anita Groß von medonline, mögen doch die aktuellen Zahlen über die infizierten Kinder und Jugendlichen in Österreich ausfindig machen. Wie viele von ihnen landen im Krankenhaus? Wie viele auf Intensivstationen? Wie schaut es mit Long Covid bei Kindern aus? Zudem sollen wir dabei das Multi-Inflammatorische Syndrom (MIS-C) erfragen. Wie das Portal Scinexx bereits im September 2020 resümierte, betrifft es zwei von 100.000 an Covid-19 erkrankten Kindern und Jugendlichen. Es verursacht starke Bauchschmerzen, Fieber und Entzündungen.

Wen fragen?

Bis zum 12. April 2021 hatten sich jedenfalls laut AGES-Dashboard 47.186 unter 15-jährige Kinder, davon 40.730 in der Altersgruppe 5–14 mit SARS-CoV-2 infiziert. Leider weist das Dashboard bei den Hospitalisierungen keine weiteren Daten mehr aus.

Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) war bei unserer ersten Recherche zur Situation von Kindern und Jugendlichen  im Januar 2021 hilfreich. Das damalige Resultat: In Österreich waren bis Jänner 360 von den damals zirka 25.000 SARS-CoV-2-positiven Kindern unter 15 Jahren wegen/mit/nach Covid-19 im Spital, davon insgesamt 26 auf Intensivstationen.

Bei 51 Kindern wurde MISC/PIMS-TS diagnostiziert, zirka 21 davon wurden auf einer Intensivstation behandelt. Zwei Jugendliche (einer mit 19 Jahren) waren auf einer Intensivstation gestorben.

Also erfragten wir die aktuellen Daten.

Keine Monitoring von erkrankten Kindern und Jugendlichen in Österreich

Die Antwort von dem bei der ÖGKJ zuständigen Volker Strenger, die mich per Mail erreichte, war aber eher ernüchternd. Offenbar gibt es österreichweit kein routinemäßiges Monitoring von Covid bei Kindern und Jugendlichen. Volker Strenger hat aus Eigeninitiative heraus eine aktuelle, landesweite Umfrage bei den Kinderabteilungen gestartet. Er berichtet:

Meine letzte Erhebung der von Ihnen angefragten Daten war im Jänner. Deren Ergebnisse habe ich Ihnen damals zur Verfügung gestellt. Falls Sie diese neuerlich benötigen, kann ich Sie Ihnen gerne noch einmal schicken. Eine aktuelle Umfrage an die Kinderabt. läuft. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es immer eine Zeit dauert, bis ich von allen Abteilungen Rückmeldungen habe.

Und zum Phänomen von Long Covid bei Kindern und Jugendlichen meint er:

An der Grazer Kinderklinik (Einzugsgebiet 150.000 Kinder/Jugendliche) betreuen wir eine Jugendliche (14-18a) mit Long Covid.

Das war’s.


Unsere Fragen im Detail

Parallel zur Bundesebene machte sich Anita Groß von medonline die Mühe, alle neun Bundesländer anzuschreiben, um Daten zu erhalten. Sie stellte dabei dieselben Fragen wie wir:

  • Wie viele Kinder und Jugendliche (0-19) wurden (von Beginn im März 2020 bis Ende März 2021 oder bis zum heutigen Tag) an/mit/nach Covid-19 (inkl. MISC/PIMS) hospitalisierungspflichtig? Wie viele davon in folgenden Altersgruppen (wenn möglich): 0-4, 5-14, 15-19 Jahre?
  • Wie viele Kinder und Jugendliche davon waren bzw. sind intensivpflichtig und/oder benötigten eine ECMO-Behandlung? * ECMO: extrakorporale Lungenunterstützung.
  • Wie viele Kinder und Jugendliche (0-19) sind bisher an/mit/nach COVID-19 gestorben?
  • Wie viele sind gestorben, die SARS-CoV-2-positiv waren, aber nicht in die COVID-Statistik kamen, weil sie z.B. an einer Sepsis gestorben sind?
  • Wie viele Kinder- und Jugendliche sind insgesamt in/nach der 2. Welle gestorben und wie sehen die Mortalitätsraten im 5-Jahresvergleich aus? Bitte insbesondere Quartal 4/2020 und falls schon vorhanden Quartal 1/2021?
  • Wie viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit MISC/PIMS-TS gibt es seit Pandemiebeginn? (Wenn möglich: Sind bestimmte Ethnizitäten überproportional betroffen?)
  • Wie viele Kinder und Jugendliche hatten/haben Long Covid, Post Covid und/oder Spätfolgen? Laut einer aktuellen Studie bekommen mindestens 7% der (teils asymptomatischen) SARS-CoV-positiven Kinder Long Covid/Post Covid?
  • Und um die aktuelle Situation abzubilden:
    Wie viele Kinder und Jugendliche sind derzeit mit/an/nach COVID/MISC/PIMS hospitalisiert, wie viele davon auf ICU und wie viele hängen an der ECMO?

Aus den Bundesländern heißt es: Eine entsprechende Datenerhebung sei grundsätzlich möglich

Die Antworten auf unseren Fragenkatalog aus den Bundesländern sind teilweise niederschmetternd. Aus Niederösterreich schreibt die Landesgesundheitsagentur zurück:

(…) besten Dank für Ihre Anfrage.
Jede Ihrer Fragestellung ist grundsätzlich beantwortbar. Sie stellt aber eine mehr oder weniger komplexe Abfrage aus den zentralen Systemen dar.
Vorab müssten allerdings all die Fachbegriffe in LKF-Codes übersetzt werden – dies bedeutet einen entsprechenden Aufwand und natürlich Zeit. Laut Auskunft meiner Kollegen würden dafür ca. 14 Tage benötigt werden, abhängig von den Definitionen.

Die hier genannten LKF-Codes sind Codes der Leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung, mit denen die Krankenhäuser abrechnen können, was sie in der Pflege tun.

Während in Niederösterreich also die nächsten 14 Tage codiert werden wird, gibt es mittlerweile aus vier Bundesländern Antworten, nämlich aus der Steiermark, aus Wien, aus Tirol und aus Oberösterreich. Medonline berichtet ausführlich darüber. Im Überblick sehen die Zahlen so aus:

Wien meldet 150 Kinder (0–18) mit Hauptdiagnose COVID-19 im Krankenhaus, 20 MIS-C, davon 15 auf einer Intensivstation. Drei der jungen PatientInnen haben über eine Sauerstoffbrille Sauerstoff bekommen. Eine invasive Beatmung oder eine ECMO-Behandlung war nicht erforderlich.

In der Steiermark, das Bundesland mit den ausführlichsten Antworten übrigens, waren 96 Kinder im Spital, davon 16 auf Intensivstation, 6 hatten PIMS. In Oberösterreich waren nur in den Ordensspitälern 43 Kinder auf Normalstationen, 8 Kinder intensiv und es gibt keine Kind mit MISC. Update: Diese Zahlen betreffen allerdings nur die Ordensspitäler. Das hat der Krisenstab uns mittlerweile bestätigt. Die wirklichen Zahlen dürften mindestens das Doppelte ausmachen. Tirol hat 85 Patient*innen im Alter von 0-19 Jahren in Krankenhäusern. Das ist im Verhältnis zu den Einwohnern der anderen Bundesländer viel. 6 mussten auf Intensivstationen behandelt werden. Derzeit befindet sich sogar ein Säugling mit Covid-19 im Krankenhaus. Das Land berichtet auch von acht Fällen MIS-C in der Uniklinik Innsbruck, davon 2 intensiv.

Damit lassen die Daten dieser vier Bundesländer bereits erkennen, wie stark die dritte Welle Kinder und Jugendliche getroffen hat. In vier Bundesländern sind 374 betroffen. Ende Januar 2021 waren es in allen 9 Bundesländern 360. Die anderen Bundesländer konnten oder wollten bislang nicht antworten. Der Gesamtüberblick fehlt daher, wird aber weiter nachgetragen, sobald erhältlich. [Update Tirol am 22.4.2021 u. Oberösterreich 24.4.2021]

Österreich ist eine Pandemie-Gartenzwergrepublik.


Der ganze Bericht auf medonline: Corona: Wie viele Kinder & Jugendliche mussten ins Spital?

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