#ischglfiles 7. und 8. März: Die Kitzloch-Affäre

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By Sebastian Reinfeldt

Zu wenig, zu spät. Und sachlich falsch. So lässt sich die behördliche Reaktion auf die erste öffentlich bekannte Corona-Infektion in Ischgl zusammenfassen. Der angebliche Barkeeper (der in Wahrheit ein Kellner war) aus Deutschland (und nicht aus Norwegen) in der Après-Ski-Bar (die abends als Restaurant geführt wird) war nicht nur nicht die erste Person mit einer COVID19-Erkrankung mit Ischglbezug. Wie bereits am 5. März zu den isländischen Gästen ist auch die amtliche Information zu diesem Fall voller Fehler und Ungenauigkeiten. Zudem erfolgte die Einschätzung, dass Gäste nicht betroffen seien, nachweislich entgegen besseren Wissens.

Die Dokumente, die wir heute veröffentlichen, zeigen Behörden, denen trotz eindringlicher Hinweise nicht wirklich klar ist, was COVID19 in Ischgl bedeutet.


6. März: Kontakterhebungen sind leider nicht möglich

Die Tiroler Behörden rühmen sich bis heute, auf den Superspreader-Event Kitzloch aufgrund des guten Contact-Tracings und Testens gestoßen zu sein. Das Gegenteil trifft zu. Am 5. März erfährt der Tourismusverband Paznaun nämlich erstmals von einer isländischen Reiseleiterin, dass 10 der infizierten Isländer*innen das „Ketzlock“ besucht haben, um zu Abend zu essen.


Tags darauf erfährt dies auch die Polizei vor Ort und will am Abend des 6. März mögliche Kontaktpersonen in der Après-Ski-Bar befragen. Bernhard Zangerl, der Kitzloch-Betreiber, schmettert diesen ‚Wunsch‘ allerdings ab. Amtsarzt Eckhart ist schließlich damit einverstanden, die Befragungen erst am folgenden Tag durchzuführen. Der später positiv geteste Kellner fühlt sich seit Tagen nicht gut und wird vom Kitzloch-Betreiber am Nachmittag krank ins Mitarbeiterhaus geschickt. Er ist nun ein Verdachtsfall.

Das Mail schickt der Kommandant der Ischgler Polizeiinspektion an den Einsatzstab. In Kopie an die Bezirkshauptmannschaft und an den TVB Paznaun. Zeitstempel 6. März 2020, 19:40 Uhr.

Epidemieärzte sind im Ort, sie testen aber den Kellner nicht

Am Samstag, 7. März, nimmt Dorfarzt Walser um 9:45 Uhr die PCR-Probe des Kitzloch-Kellners ab. Er empfängt ihn in seiner Ordination in Schutzkleidung. Die Probe übergibt er um 11 Uhr einem Epidemiearzt, der mit einem Team in Ischgl weitere Proben nimmt. Warum sich der Dorfarzt um den Kellner kümmert, und nicht die eigentlich zuständigen Epidemieärzte, ist nicht klar. Eine Stuhlprobe des Kellners verschwindet auf seltsame Weise auf dem Weg nach Wien. Um 19 Uhr 13 Uhr übermittelt die MedUni Innsbruck das positive PCR-Testergebnis des Kellners. In einem Aktenvermerk beschreibt der Inspektionskommandant von Ischgl die folgenden Ereignisse.

 


Nach Wischdesinfektion und mit zweiter Crew: Kitzloch ist wieder offen

Am Samstagabend, 7. März 2020, steht also die Corona-Infektion des Kitzloch-Kellners fest. Aber auch seine Kolleg*innen sind getestet worden. Ihre zumeist positiven Ergebnisse kommen am Folgetag. Was passiert mit dem Kitzloch? Zunächst nichts. Der Betrieb läuft weiter; das Lokal wird erst abends zwischen 22 und 23 Uhr geschlossen und das Personal in Quarantäne geschickt. Der Kellner ist richtig krank und wird noch am Abend ins Innsbrucker Krankenhaus transportiert.

Am nächsten Tag bemüht sich Amtsarzt Eckhart nach Ischgl. Dort setzt er sich mit dem Vater des Kitzloch-Betreibers in dessen Hotel zusammen. Sie beraten. Der Berg kreißt und gebiert eine Maus: Peter Zangerl putzt das Lokal einmal durch und zieht aus seinen anderen Betrieben eine zweite Crew zusammen. Sonntagnachmittag, 8. März 2020, öffnet das Kitzloch wieder, als sei nichts gewesen.

I’m sorry – superspreader area

Auch dies erfolgt wider besseres Wissen. Am frühen Sonntag sendet nämlich Amtsarzt Echhart an die Sanitätsdirektion die Info, dass am 29. Februar isländische Gäste im Kitzloch waren.

Zeitspempel der Mail: 8. März 2020, 7 Uhr 15

Die Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion fragt daraufhin direkt bei einer Kontaktperson der Gruppe nach. Diese bestätigt die Information umgehend. Um 9 Uhr 40 bedankt sich Anita Luckner-Hornischer bei ihr und entschuldigt sich mit den Worten:

Ok. Thank you so much – I’m sorry – superspreader aerea


Medieninformation am 8. März 2020

Wie dann das katastrophale Zitat derselben hochqualifizierten Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion in die offizielle Medieninformation des Landes vom selben Tag gelangt ist, bleibt aufklärungsbedürftig. Wir wissen nicht, ob dies so abgesprochen und von ihr freigegeben wurde. Jedenfalls ist sie dort mit Worten zitiert, die das genaue Gegenteil dessen besagen:

Eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich“, informiert Anita Luckner-Hornischer von der Landessanitätsdirektion Tirol.



Das Who is Who der wichtigsten Personen in den #ischglfiles findet sich auf unserer entsprechenden Seite im Blog. Klicken Sie hier.

Bisher erschienen

#ischglfiles 3. März 2020: Iceland would like to report

#ischglfiles 4. März 2020: Ein Corona Cluster in Ischgl

#ischglfiles 5. März 2020: Damit wäre Ischgl aus dem Schussfeld

#ischglfiles 6. März 2020: Warum informieren Sie nicht über die bestätigten Fälle?


Das Beitragsbild zeigt die eingemottete Küche des Kitzlochs. Danke an Bernhard Zangerl für die Erlaubnis, dort zu fotografieren.

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