März 2020, Bezirkshauptmann Maaß: … in Abstimmung mit dem TVB Ischgl in Ordnung

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By Sebastian Reinfeldt

Die Kommunikationsabteilung der Tiroler Landesregierung ist personell bestens ausgestattet. Insgesamt 23 Personen werken in drei Fachbereichen. Hinzu kommen aktuell drei Praktikantinnen. Vor knapp einem Jahr, am 5. März 2020, war im Amt Krisenkommunikation angesagt. Erste Meldungen über COVID19-Infektionen in Island, die auf Ischgl als Infektionsherd verweisen, machten die Runde. Bald kamen Medienanfragen herein. Um die Faktenlage einschätzen zu können, erreichte das Land zudem eine genaue Auflistung der Gesundheitsbehörden aus Island. In Innsbruck war bekannt: Wer war wann und wo untergebracht? Wann flogen sie nach Hause? Wann begannen die ersten Symptome? Aber die Tiroler Medieninformation enthielt genau diese wesentlichen Antworten nicht. Stattdessen verbreitete das Land Tirol die sachlich falsche These einer Ansteckung im Flugzeug. Warum? Ein Erklärungsversuch: Die Touristiker aus Ischgl haben fortlaufend interveniert. Sebastian Reinfeldt hat neue Dokumente dazu gesichtet.


Die falsche These

Isländische Gäste dürften sich bei Rückflug im Flugzeug mit Coronavirus angesteckt haben. Bereits die Schlagzeile der Medieninformation vom Land Tirol fasst die beabsichtigte Botschaft zusammen: In Ischgl gebe es kein Virus, meint die Tiroler Landesregierung am Donnerstag, den 5. März 2020, am späten Nachmittag.

Das war eine Falschinformation mit fatalen Auswirkungen. Das Wochenende mit einem Routine-Urlaubsschichtwechsel stand bevor. Wer sich vor der Reise ins Paznaun über „Corona in Ischgl“ im Internet informieren wollte, musste auf diese Meldung stoßen. Denn sie war auf der Homepage des Landes Tirol abrufbar. Wer wegen Corona Sorgen hatte, dem oder der wurde mitgeteilt: Es sei „wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist. “ Mit diesen Worten wird der Tiroler Landessanitätsdirektor zitiert, der es qua Amt genau wissen müsste. Wie konnte es passieren, dass eine amtliche Information herausgegeben wurde, die eine – auch nach damaligem Wissensstand – falsche These verbreitet?

14:42: Zehn positiv getestete Gäste aus Island verbrachten Urlaub in Ischgl

Die isländischen Behörden wussten nämlich bereits seit 3. März darüber Bescheid, dass es Corona-Infektionen in Österreich gibt. Denn sie haben positive Testergebnisse von Personen ausgewertet, die ihren Urlaub in Österreich verbrachten. Darüber informierten sie die österreichischen Behörden. Die erste Meldung über das europäische Meldesystem EWRS erfolgte schon an einem Dienstag, den 3. März. Zu dem Zeitpunkt konnten sie in Island noch nichts Genaues über die Region aussagen, wo sich die Infizierten aufgehalten hatten.

Diese Information kam dann am 4. März, sehr spät abends. Nicht nur die Region war jetzt klar, Tirol, sondern auch der Ort: Ischgl. Am Folgetag berichteten isländische Medien bereits über die Infizierten, die zuvor zum Schifahren im Paznaun waren. In der Kommunikationsabteilung der Tiroler Landesregierung trafen erste Anfragen von heimischen Medien ein. Die Beobachtung der sozialen Medien ergab: Es beginnt zu rumoren. Erklärungsbedarf ist absehbar.

Daher versendet Bettina Sax, Leiterin des Fachbereichs Presse der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, um 14:42 Uhr an ihren Mitarbeiter den ersten Entwurf einer Pressemeldung über die in Ischgl Infizierten. Die von ihr angedachte Überschrift lautet:

Coronavirus: Zehn positiv getestete Gäste aus Island verbrachten Urlaub in Ischgl

Nachrichten aus Ischgl nach Innsbruck

Der Entwurf enthält einen sachlichen Text, der darüber informieren sollte, dass die betroffenen Personen bereits abgereist seien und dass man jetzt Kontaktpersonen vor Ort ermitteln würde. Später geht dieser Entwurf per Mail an den Leiter der Tiroler Öffentlichkeitsabteilung, Florian Kurzthaler, und an Florian Tursky, den Büroleiter von Landeshauptmann Günther Platter. Während intern weiter an dem Text herumformuliert wird, versucht Dietmar Walser, Geschäftsführer des Ischgler Tourismusverbands, Florian Kurzthaler telefonisch zu erreichen. Er ist der Leiter der Tiroler Kommunikationsabteilung. Sie verpassen sich zunächst. Später bemerkt der eine, dass er die Telefonnummer des anderen nicht hat. Wie es manchmal so geht. Schließlich kommt es doch zum Kontakt.

Um 15:44 leitet Walser aus Ischgl die Mails einer isländischen Reisleiterin weiter. Adressat: der Landecker Bezirkshauptmann Markus Maaß. Er übermittelt dem Bezirkshauptmann nicht nur diese elektronischen Nachrichten, sondern richtet ihm dazu aus:

Ich habe Florian Kurzthaler gebeten den Entwurf einer möglichen Meldung mit dir abzustimmen. Schöne Grüße, Dietmar

Andauernde Interventionen aus Ischgl

Es muss also zum Kontakt gekommen sein. In den mitgeschickten Mails der Reiseleiterin wird die Vermutung geäußert, dass ein infizierter Passagier im Flugzeug gesessen habe. Dies hätte die Fluggesellschaft berichtet.


Auszug aus dem Mail der isländischen Reiseleiterin

Damit wäre der Infektionsort nicht mehr Ischgl, sondern das Flugzeug, und der Ort im Paznaun somit „aus dem Schussfeld“, wie Bezirkshauptmann Maaß es um 15:51 Uhr an den Landesamtsdirektor Forster formulieren wird.

Nach Rücksprache mit HLH hier die beiden Mails von infizierten Personen. Sie geben an im Flugzeug von München nach Island infiziert worden zu sein Das wäre für eine allfällige Presseaussendung der Abt. Öff. wichtig. Damit hätten wir Ischgl vorerst aus dem Schussfeld

Also: Die Ansicht der Ischgler über den vermeintlichen Infektionsherd wird vom Landecker Bezirkshauptmann unterstützt, was er dem Tiroler Landesamtsdirektor auch deutlich mitteilt.

Wenige Minuten später,um 15:54 Uhr, sendet der Doyen der Ischgler Touristik, Alfons Parth, aus dem Paznaun dieselben Mails an weitere Empfänger: den Landeshauptmann Günther Platter und die drei Kommunikations-Florians des Landes Tirol: Florian Turksy (Büro Platter), Florian Phleps (Tirolwerbung) und Florian Kurzthaler (Leiter Öffentlichkeitsarbeit Tirol). Somit haben sie alle Kenntnis von der vermeintlichen Ansteckung im Flugzeug. Kurze Zeit später findet diese, die Ischgler Version, denn auch Eingang in den aktualisierten Entwurf der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit.

Um 15:57 nämlich sendet Bettina Sax einen erneuten Vorschlag für eine Medieninformation des Landes an Tursky, Maaß und Kurzthaler. Nun lautet die Überschrift wunschgemäß:

Coronavirus: Isländische Gäste im Tiroler Oberland dürften sich bei Rückreise mit Coronavirus angesteckt haben

Die Ortsangabe Ischgl kommt in dieser Version nicht mehr vor. Stattdessen steht jetzt: Tiroler Oberland. Aber es ist weiterhin von acht Personen aus Island die Rede.

In Ordnung

Um 16 Uhr 17 schreibt Markus Maaß an Landsamtsdirektor Herbert Forster, was er von dem neuerlichen Entwurf der Öffentlichkeitsarbeit hält:

Lieber Herbert, hier die Presseaussendung. Aus meiner Sicht und in Abstimmung mit dem TVB Ischgl … in Ordnung.

Er fügt in Klammern hinzu:

Womöglich könnte man noch darauf hinweisen, dass die betreffenden Personen aus Island selber darauf hingewiesen haben, dass sie im Flugzeig bei der Heimreise angesteckt wurden.

Die Tatsachen: 14 Personen in 2 Flugzeugen mit Symptomen seit 26. Februar 2020

Um 16:13 gibt Anita Luckner-Hornischer von der Tiroler Landessanitätsdirektion die  Angaben der isländischen Behörden über die Ischgler Gäste aus Island weiter. Sie erreichen in den nächsten Minuten alle, die zuvor mit den Infos aus Ischgl versorgt wurden.

Aus diesen lässt sich zweifelsfrei ableiten: Es kann unmöglich so gewesen sein, wie in dem zweiten Entwurf geschrieben steht, den die Ischgler Touristiker inspiriert haben.


Information der isländischen Gesundheitsbehörde

Denn: Die Isländerinnen und Isländer, die in Ischgl waren, sind nicht in demselben Flugzeug gesessen. Und: Einige zeigten bereits vor ihrer Ankunft in Island Symptome.

Das Land Tirol streitet weiterhin alles ab

Von diesen Informationen findet lediglich die aktualisierte Zahl, 14 Personen, Eingang in die Letztversion des Landes, die kurz vor 18 Uhr an die Öffentlichkeit ging. Dies macht immerhin sichtbar, dass die neuen Informationen aus Island bereits bekannt waren. Über alle anderen Fakten wird die Öffentlichkeit allerdings nicht in Kenntnis gesetzt. Mehr noch: Sie wird mit einer sachlich falschen These über die Ansteckung im Flugzeug in die Irre geführt. Der Mailverkehr, der Zeitablauf und die verschiedenen Versionen des Medieninformation zeigen zudem, dass genau diese Version von den Ischgler Touristikern vorgeschlagen wurde.

Warum die Tiroler Regierung auf deren Vorschläge einging, ist (noch) unklar. Auf Mediennachfrage schreiben sie jedenfalls:

Seitens des Landes Tirol wird entschieden zurückgewiesen, dass seitens der „Tourismus-Lobbyisten“ auf die Pressearbeit des Landes Einfluss genommen wurde. Ebenso wird entschieden zurückgewiesen, dass das Land „das Wording des Tourismusverbandes zur Flugzeug-Theorie übernommen“ haben soll.


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Sebastian Reinfeldt, Alles richtig gemacht? Ischgl und die Folgen. Books on demand 2020

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