Mit den Schiliften hat man im Dezember 2020 auch den Schattentourismus in Österreich geöffnet. Obwohl Hotels und Beherbergungsbetriebe offiziell geschlossen sein müssen, kommen Menschen von Außerhalb zum Schifahren nach Tirol. Sie tun dies etwa, um ihr Homeoffice im Schigebiet zu verbringen. Oder weil sie offiziell als arbeitssuchend gelten – oder weil sie „in Ausbildung“ sind. Sebastian Reinfeldt hat einige Beispiele für Tourismus in den Grauzonen der Lockdowns recherchiert.
Nach der Einreise beim AMS arbeitssuchend melden!
Liebe Bürgerinnen & Bürger,
vermehrt wird gemeldet, dass ausländische Personen im Ort sind, welche Arbeit suchen, der Freizeitgestaltung nachgehen, sich in Gruppen treffen, den Wohnsitz begründen und hier aufhalten,
das schreibt Helmut Mall, Bürgermeister von St. Anton, am 19. Januar 2021 per Mail an die Einwohner*innen des Ortes. Dass er sich das nicht ausdenkt, beweist eine ausführliche Anleitung, die tags zuvor auf Facebook aufgetaucht ist. Ein User (Screenshot mit Namen haben wir gesichert) erklärt dort ganz genau, wie die Lockdown-Verordnung zu umgehen ist, um dennoch „legal“ nach St. Anton zu kommen. Vor der Einreise muss man sich im Einreiseformular auf den Paragrafen 4, Absatz 3 berufen. Er gilt für Personen,
die zu beruflichen Zwecken einreisen.
Nach der obligatorischen Quarantäne hält man sich dann legal in St. Anton auf. Auch dafür werden auf Englisch Verhaltensempfehlungen ausgesprochen: Unbedingt beim AMS anmelden und danach die Dokumente immer zur Hand haben, falls man kontrolliert wird.
This is a staff house for people who want to share the mountain experience
Der Bürgermeister verurteilt solche Tipps und Tricks. Die Polizei würde kontrollieren und bei Verstößen einschreiten, schreibt er. Denn:
Solche Mitteilungen, geschweige denn Fakten und Tatsachen können wir nicht dulden und sind sofort zu unterbinden, wenn sie mit bestehenden COVID-19-Verordnungen und Gesetzen in Widerspruch stehen. Die Gefahr einer pauschalen Verunglimpfung des Ortes, der Vermieter wäre fatal.
Nun scheint es mit den Kontrollen nicht so weit her zu sein. Denn die Anleitungen stehen am 26. Januar immer noch im Netz. Zudem ist schwer erkennbar, warum der dort beschriebene Weg illegal wäre. Die Parlamentsmehrheit hat diese Schlupflöcher per Gesetz geöffnet.
Übrigens ist auch für Unterkunft gesorgt. In einer weiteren Facebook-Gruppe wird ein ausgezeichnetes Gästehaus in St. Anton beworben.
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Auch eine Wohnung, möbliert, steht dort im Angebot.
Via booking.com: Not usually available – you’re in luck!
Wer keinen Facebook-Account hat, kann auf Booking.com fündig werden. Dort bietet eine Pension mit besten Bewertungen Zimmer an. Normalerweise sei dort nichts frei – heute (am 26. Januar 2021) habe man aber Glück, schreibt Booking.com. Um den Schnee in St. Anton genießen zu können, ist lediglich die Checkbox I’m travelling for work anzuklicken. Einheimische berichten, dass genau vor dieser Unterkunft am Wochenende
der ganze Parkplatz voll mit Gästen aus ganz Europa war.
Wem diese Unterkunft nicht zusagt, kann sich für kommendes Wochenende auf Booking.com aber auch ein Chalet oder ein Appartement in St. Anton aussuchen. Dafür muss man gar nicht erst aus dem Ausland anreisen.
Homeoffice im Pongau
Homeoffice ist das Zauberwort für Tourismus – übrigens auch für Menschen aus Österreich. Wollen Sie in der Region, in der die B 1.1.7 Mutante ihr Unwesen treibt, arbeiten? Kein Problem. Auch wenn Sie keine Skilehreranwärterausbildung absolvieren, genügt ein Anruf.
Ja, guten Tag, ich wollte mich erkundigen, ob ich zu Ihnen kommen kann, als Ausflug, um ordentlich arbeiten zu können, weil das mit der Familie zu Hause in Wien nicht geht?
Bei uns leider nicht.
Wissen Sie, wo das möglich ist?
Ich weiß jetzt nur einen Bungalow, den kann man sogar stundenweise mieten, in Altenmarkt und in Wagrain, das XXX, habe ich gehört.
Gesagt, getan. Hier wären also die erwähnten Angebote. Für sie gilt dasselbe wie in St. Anton. Einfach die Checkbox I’m travelling for work anklicken, und schon sind beste Unterkünfte in ausgezeichenter Lage für das kommende Wochende buchbar. Mitten im Lockdown. Allerdings sind sie mit 698 Euro für zwei Nächte auch nicht ganz billig.
Wintertourismus in der Krise
Schifahren sei gesund, finde im Freien statt und sei daher ungefährlich. So argumentierte die österreichische Regierung und die Tiroler Seilbahnwirtschaft. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger meinte Ende November 2020:
Das Virus verbreitet sich nicht auf den Skipisten, sondern vor allem auch in geschlossenen Innenräumen.
Also wurden an Weihnachten die Schigebiete für Einheimische unter Auflagen geöffnet. Kurze Zeit später meinte Seilbahnlobbyist Franz Hörl sogar, dass die Personenbeschränkung in den Gondeln (eine der Auflagen) fallen müsse. Geht es nach Hörl, könne man auf das Limit verzichten, weil das verpflichtende Tragen der FFP2-Masken von den Kunden ohnehin „gut angenommen werde“. So berichtet der ORF am 29. Dezember 2020.
Nun ist genau das eingetreten, was befürchtet wurde. Geöffnete Schilifte haben einen Pull-Effekt für den Schattentourismus. Und sie dienen als Hub für das Coronavirus und seine Mutationen. Von 9. November bis 16. Jänner haben sich der Reihe nach rund 16 Mitarbeiter der Bergbahnen Hochfügen angesteckt, berichtet die Tiroler Tageszeitung. Dennoch lief die Seilbahn immer weiter. Das Resultat: Neben Fügenberg, Innsbruck und Völs haben die Labore positive PCR-Proben mit dem Hinweis auf die südafrikanische Mutation aus den Zillertaler Gemeinden Fügen, Uderns, Hippach und Mayrhofen gefunden. Der überwiegende Teil davon steht offenbar in Zusammenhang mit dem Cluster in Fügenberg.
Wo bleibt dort die Kontrolle?
Die ehemalige Schirennläuferin Nicola Werdenigg berichtet auf Twitter über den wachsenden Unmut bei den Einheimischen im Zillertal.
Nach einem Fernsehauftritt mit Seilbahn-Lobbyisten Franz Hörl im ORF ist Werdenigg nun K1. Denn Hörl selbst hat sich mit dem Virus angesteckt. Er wisse nicht genau, wo das passiert sein könne, schreibt er heute auf seinem Blog.
Es ist für mich in keinster Weise nachvollziehbar, wie und wo die Ansteckung erfolgt ist.
Hörl war zuvor bei einer Regierungsvorbesprechung im Innsbrucker Landhaus, an der auch Landeshauptmann Günther Platter und seine ÖVP-Regierungsmannschaft teilnahmen. Was dort in Sachen Seilbahn beredet wurde, wissen wir nicht. Teilnehmer*innen der Sitzung, die in der Nähe von Hörl gesessen haben, befinden sich nun in freiwilliger Selbstisolation.