Schulen auf, oder Schulen zu? Auf diese Frage spitzte sich die COVID-19 Diskussion in Österreich zu. In diesem Zusammenhang sind die Ergebnisse einer aktuellen CoV2-Monitoring-Studie interessant. Sie besagt, dass jüngere und ältere Kinder gleich häufig infiziert sind. In Tirol wiederum rufen die Teilnehmer*innen des Bildungsgipfels die Eltern dazu auf, ihre Kinder nicht mehr in die Schulen zu bringen. Der Grund: Die Krankenhäuser sind überlastet; die Todeszahlen gehen nach oben. Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde und das Gesundheitsministerium verbreiten indes weiterhin die unverantwortliche Botschaft, Kinder unter 10 Jahren würden keine wesentliche Rolle bei der Verbreitung des Virus spielen. Von Sebastian Reinfeldt.
Kinder spielen keine wesentliche Rolle?
Upps, da haben wir uns geirrt. Tut Leid! – Werden das bald diejenigen Expertinnen und Experten sagen, die seit Monaten gegen entschiedene COVID-19-Maßnahmen auftreten? Unsere Netzwerkgrafik der Corona-Verharmloser*innen offenbart ein erschreckendes Bild beschwichtigender und verharmlosender Aussagen. Darunter befinden sich eine Reihe von Personen, die in den Medien als Expert*innen gelten. Neu aufgenommen in die Darstellung haben wir heute die Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ). Auf sie hat sich Gesundheitsminister Anschober berufen, wenn es um die Frage der Rolle von Kinder und Jugendlichen bei der Verbreitung des Virus geht. Bis heute heißt es in den Empfehlungen für die Gesundheitsbehörden im Umgang mit SARS-CoV-2-Infektionen im Kindes- und Jugendalter: Kinder und Jugendliche würden dabei keine wesentliche Rolle spielen.
Monitoringstudie der Universitäten Wien, Linz, Graz und Innsbruck
Diese Aussagen sind voreilig. Bereits im Oktober, auf den das Papier datiert ist, standen sie auf tönernen Füßen. Für eine nun veröffentlichte repräsentative Studie an 243 Schulen in Österreich wurden 10.464 Proben genommen. Nur ganz wenige davon konnten die Labore nicht auswerten. Jeweils etwa die Hälfte der Getesten gehen in eine Volksschule oder in eine Mittelschule oder AHS.
Kinder sind ebenso gefährdet
MedOnline berichtet über die Ergebnisse: Bei der Häufigkeit des Auftretens der Krankheit gibt es keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Volksschulen (0,38 Prozent) und Mittelschulen/AHS-Unterstufe (0,41 Prozent). Auch der Unterschied des Auftretens bei Schüler*innen (0,37 Prozent) und Lehrer*innen (0,57 Prozent) ist wenig aussagekräftig. Die Testergebnisse können jedenfalls das Argument „nicht stützen“, jüngere Kinder hätten weniger Infektionen. So diplomatisch drückt sich Michael Wagner aus, der Dekan an der Uni Wien und wissenschaftlicher Koordinator der Studie.
Gegen die Fakten: Kundgebung für die Öffnung der Schulen
Die Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen kümmert sich wenig um solche Fakten. Sie ruft für Freitag, mitten im Lockdown, zu einer Spontankundgebung in Wien auf.
Am Tag der Kinderrechte fordern die Organisatoren daher eine sofortige Öffnung der Schulen, um das Kinderrecht auf Bildung zu schützen. Kinder sollen auch keine Maske in der Schule tragen müssen. Denn sie sind am wenigsten durch Covid gefährdet und stecken auch am wenigsten an,
So heißt es im Aufruftext. Eine der angekündigten Redner*innen kommt aus dem Umfeld der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde: die Kinderärztin Nicole Grois. Leider war die Vorsitzende dieser Gesellschaft für eine Nachfrage telefonisch nicht erreichbar. Bei der Kundgebung will auch die ehemalige Politkerin Maria Stern auftreten.
Bildungsgipfel in Tirol: Bringt die Kinder nicht in die Schule!
Mit einem dramatischen Appell endete gestern der Tiroler Bildungsgipfel. Die Tiroler Tageszeitung zitiert einen Personalvertreter. Eltern sollten ihre Kinder nur
im extremsten Ausnahmefall in die Schule schicken
So sagt das Matthias Hofer, der AHS-Personalvertreter der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. Der Grund für diesen Aufruf ist allerdings erschreckend: Man will helfen,
das am Limit arbeitende medizinische Personal zu entlasten.
Wie Semiosis von einem Sitzungsteilnehmer erfahren hat, wurde dabei von einer dramatischen Lage in den Krankenhäusern berichtet. Triage, das Sortieren von Patient*innen nach Überlebenschancen, sei in dieser Woche in Tirol kein Schlagwort mehr.
Die Zahlen in Tirol
Dass es dort Spitz auf Knopf steht, das zeigen auch die Zahlen. So sind laut Dashboard des Landes nur mehr 7 Intensivbetten verfügbar. Dieser Wert konnte möglicherweise überhaupt nur deshalb erreicht werden, weil innerhalb einer Woche in Tirol 54 Personen gestorben sind. Somit wurden Betten frei.
Zudem überlegt die Tiroler Landesregierung bereits, Patient*innen in andere Bundesländer zu verlegen:
Darüber hinaus wird vonseiten des Landes Tirol derzeit die Verlegung von Tiroler Covid-PatientInnen in spezialisierte REHA-Einrichtungen der Sozialversicherungen in anderer Bundesländern vorbereitet, um die Tiroler Krankenanstalten bei einem weiteren Anstieg der Hospitalisierungen entlasten zu können.
danke sebastian – wir werden genau drauf schauen müssen – wie weit die (noch steigenden) todeszahlen im spital sich entwickeln und im verhältnis zu den zuweisungen entwickeln – wenn sich die kurven entkoppeln – das bedeutet das pro zuweisungsmenge in der zeitpanne bedeutend mehr in der korrelierenden zeitspanne sterben als bisher – wenn sich also die kurven entkoppeln, dann ist das nur durch triage erklärbar oder durch akut verschlechterte behandlungsqualität, weil der qualifizierte personalpool ausgeschöpft ist. — es wurde uns von offizieller seite lange zeit verschwiegen, dass das contact-tracing überfordert ist – etwa seit mitte oktober – es wird bei den steigenden todeszahlen ebenso ein langes herumgeeiere und maulkörbe geben, befürchte ich.
Dieses „Netz der Corona-Verharmlosung“: einfach spitze!
Vielen Dank für Ihre Arbeit! Der Großteil der österreichischen Medienlandschaft versagt ja kläglich, was das Thema Kinder/ Jugendliche/Covid-19 und die Auswahl der ‚ExpertInnen‘ sowie generell eine kritischere Sicht auf letztere betrifft…