Stand Sonntagabend sind laut Verordnung zumindest die Integrationskurse vom zweiten Lockdown ausgenommen. Ebenso weitere AMS-Kurse. Warum sie weitergehen, darüber lässt sich nur spekulieren. Denn bei den Pressekonferenzen gestern war das noch nicht einmal Thema. Es gibt keine Begründung, nur eine Verordnung. Nun haben wir einen Brief an den zuständigen Bundesminister für Gesundheit, Rudi Anschober, erhalten. Wir dokumentieren diese bittere Abrechnung mit dem System AMS-Kurse, die von einer AMS-Trainerin stammt.
Sie putzen sich ab!
Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister Anschober,
„Sie putzen sich ab!“, titelt Sonja Luksik in ihrem Artikel über die Protestaktion vor der AMS-Bundesgeschäftsstelle im 20. Wiener Bezirk. Aus dem Artikel geht klar hervor, dass die Entscheidungsträger die Verantwortung immer an eine andere Instanz abgeben. Die letzte Hoffnung der Protestierenden sind Sie, Herr Gesundheitsminister.
„Ja, mit der Verschärfung der Corona-Maßnahmen werden die Kurse höchstwahrscheinlich ausgesetzt.“
So formulierte die Autorin ihre Prognose am Ende des Artikels.
Deutschkurse vom harten Lockdown ausgenommen
Nein, die Kurse werden trotz Verschärfung der Corona-Maßnahmen unter denselben fragwürdigen Bedingungen fortgesetzt. Die Realität hat die vernünftige Prognose eingeholt. Wie ich gestern erfahren habe, sind Deutschkurse vom harten Lockdown ausgenommen. Die infektiösen Schlupflöcher des AMS bleiben offen. Da helfen weder Medienberichte noch Protestaktionen, weder Argumente noch die Wirkmacht der Sprache. Die Dickhäutigkeit der Verantwortlichen ist beispiellos.
„Machen Sie sich keine Sorgen um unsere Gesundheit?“, fragte ich an jenem Freitagnachmittag den Vorstand des AMS Österreich, Herbert Buchinger.
„Nicht mehr als der Gesundheitsminister!“, hallte es zurück, eine glatte Abfuhr. Sollte dieses höchst gefährliche Experiment schiefgehen – mein Hausverstand sagt mir, dass es nicht gut ausgehen kann – wird sich die gesamte AMS-Führungsriege, werden sich sämtliche Geschäftsleitungen der großen Lernfabriken an Ihnen, Herr Gesundheitsminister, abputzen.
Haben Sie eine Vorstellung, wie zahlreich Eltern ihre Kinder zur Betreuung in Schulen und Kindergärten abgeben müssen, weil sie in den Deutschkurs fahren müssen? In den Deutschkurs, wo sie in überfüllten 20 Quadratmetern gerade noch den Mindestabstand von einem Meter einhalten können. Im schlimmsten Fall in seit Anfang Oktober beinahe unbeheizten Zimmern. Man kann nicht nur an Covid-19, man kann auch an Lungenentzündung sterben. Dass Kindergärten und Volksschulen schließen, während Deutschkurse offen bleiben, ist schlichtweg unverständlich.
„Machen Sie sich keine Sorgen um unsere Gesundheit?“
Was hier zur Eskalation hochgekocht ist, hat eine langjährige Vorgeschichte. In kürzeren oder längeren Abständen erschienen immer wieder Artikel in führenden Medien über unhaltbare Arbeitsbedingungen im Dunstkreis der AMS-Kurse. Auf unseren Schultern, unserem Engagement, unserer Qualifikation und mit unserem Herzblut werden seit vielen Jahren Gewinne eingefahren – mit öffentlichen Geldern. Wir bezahlen mit bis an den Rand der Erschöpfung angehäuften Unterrichtsstunden, unbezahlten Überstunden und dem allgegenwärtigen Gefühl, in diesem Gefüge noch weniger wert als Laufburschen zu sein – mit Pausen, die uns kaum Zeit geben, ein kleines Stück Brot zu essen.
Man wird Ihnen und der Bundesregierung Staatsversagen vorwerfen
Die Gefühlsader von Herrn Buchinger, Frau Draxl und Herrn Kopf wird an keiner Stelle auffindbar sein. Die Hülle darüber ist undurchdringlich. Wo nie Empathie war, wird auch jetzt keine Empathie sein, wird es nie Empathie geben. Herr Kopf wird, wie die anderen, sein Haupt aus der Schlinge ziehen.
Er wird sich, wenn der Schaden erst groß genug ist, an Ihnen abputzen.
Alle werden sich an Ihnen abputzen, die jungen Leute, die exzessiv Partys gefeiert haben, die leichtsinnigen Alten, die Maskenverweigerer, die Verschwörungstheoretiker, schlichtweg alle. Am Ende werden Sie der Schuldige sein. Man wird Ihnen und der Bundesregierung Staatsversagen vorwerfen. Ich beneide Sie nicht um Ihre Position.
Erlauben Sie mir, Herr Gesundheitsminister, Ihnen eine Frage zu stellen. Wie möchten Sie der österreichischen Bevölkerung in Erinnerung bleiben? Noch haben Sie die Möglichkeit, diesen Irrsinn abzuwenden. Handeln Sie ohne Wenn und Aber, in Sorge um unsere Gesundheit. Handeln Sie schnell. Man wird sich an Ihnen abputzen. Unterbinden Sie umgehend die vorsätzlich gesundheitsgefährdenden Seilschaften einer skrupellosen Lobby.
Mit freundlichen Grüßen
Julia Pecile
Die Semiosis-Recherche zum Thema: AMS-Kurse: Wir sind die Superspreader, die niemand sehen will