Das Heeresgeschichtliche Museum (HGM) steht in der Kritik. Der Grund: Unkritische Geschichtsdarstellung in seinen Ausstellungsräumen und bei Veranstaltungen. Hinzu kommen die dubiosen Aktivitäten eines HGM-Mitarbeiters in der Wikipedia. Aber: Wie viele Personen schauen sich die Objekte des Museums eigentlich an? Bekannt ist, dass der Identitäre Martin Sellner und der Christchurch-Attentäter das Museum liebten. Und wer noch? Nahezu alle Angaben, die derzeit zu den Besuchszahlen des Museums kursieren, beruhen auf Selbstauskünften. Sie stammen zumeist aus ihren Presseaussendungen und Jahresberichten. Dazu gehören auch die Angaben in der Wikipedia. Sie dienen zur Illustration seiner angeblich großartigen Entwicklung. Eine Recherche über die selbstreferentiellen Schleifen des Museums und seiner Darstellung in der Wikipedia von Sebastian Reinfeldt und Elektrofisch.
Anmerkung: Der Original-Text ist von 10. Februar 2020. Nun, im Oktober 2020 bestätigt der Rechnunghof unsere Recherchen. Wir veröffentlichen diesen Text daher am 23.10 nochmals, ergänzt mit dem Zitat aus dem Rechnungshofbericht dazu.
Wikipedia bildet getrimmte Zahlen ab
Die Angaben in der Wikipedia-Tabelle Meistbesuchte Sehenswürdigkeiten Wiens sind in Richtung „Erfolg“ getrimmt. Es soll der Eindruck entstehen, es kämen von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen ins Wiener Arsenal. Dort befindet sich das Haupthaus des HGM. Diese Darstellung hält aber bereits einer oberflächlichen Prüfung nicht stand. Unterschlagen wird, dass zwar 2005 (also im ersten Jahr der Ära von Direktor Ortner) 63.000 Personen das Museum besucht haben sollen. 2003, in der Ära vor ihm, waren es mit 59.222 nahezu gleich viele. Von der erwünschten kontinuierlichen Zunahme der Besuche kann also schon für die Anfangszeit keine Rede sein.
Die Wahrheit hinter den Zahlen
1998 haben sich noch offiziell 107.029 Personen im Museum umgeschaut. Die Abnahme von 1998 auf 2003 beruht nicht auf einem tatsächlichen Rückgang der zahlenden Besucherinnen und Besucher. Man hat lediglich die Ausgabe von Freikarten eingeschränkt. Solche hatten Rekruten erhalten, die das Museum im Rahmen ihrer wehrpolitischen Ausbildung nutzen wollten. Dies hatte Der Standard aufgrund von Rechnungshofdaten damals recherchiert. Das Minus von 40 Prozent erklärt sich durch die Haltung konservativer Militärs. Ihnen war die Linie des früheren Museumsdirektors zu modern.
Logisch: Vier Museen bekommen mehr Besuche als eines!
Es gibt aber auch hauseigene Stellschrauben, mit deren Hilfe das Manangement die Besuchszahlen nach oben gedreht hat. Die erste ist, dass sich die angegebenen 63.000 Personen im Jahr 2005 offensichtlich auf die gezählten Besuche des HGM am Standort Arsenal bezieht. Die vom Museum vermeldeten Erfolgszahlen für 2015 umfasst hingegen mehrere Standorte: das Bunkermuseum Ungerberg, das Militärluftfahrtmuseum Zeltweg, die Patrouillenbootstaffel in der alten Werft Korneuburg sowie die Fernmeldesammlung in der Starhemberg-Kaserne. Das HGM schluckte das Militärluftfahrtmuseum Zeltweg im Jahr 2005. Die Ausstellung in der Werft kam 2006 dazu.
Das Bunkermuseum auf Wikipedia – made by Pappenheim
Das bis dahin private Bunkermuseum wurde 2014 vom HGM geschluckt. Und das nach einem Zwist mit dem damaligen Betreiber. Der Artikel in der Wikipedia zum Bunkermuseum ging übrigens 2014 zeitnah zu seiner „Eröffnung“ online. Selbstverständlich stammt auch dieser Text vom Mann des Museums in der Wikipedia: Pappenheim.
Mehr Besuche durch „Ketten und Räder“
Die zweite Stellschraube an den Besuchszahlen ist, dass das HGM die großen Events mitzählt, die das Museum vor seiner Tür veranstaltet hat. So findet seit 2007 an drei Tagen in Folge „Auf Rädern und Ketten“ statt. Diese Militaria-Veranstaltung ziehe 15.000 Personen an, sagen sie. Zudem wird ein weiteres Festival mitgerechnet, nämlich „Montur und Pulverdampf“ Auch dessen Gäste verwandeln sich in der Statistik in Besucherinnen und Besucher des Museums. Bei beiden Events ist der Eintritt aber frei. Wer also beim Weg zur Museumstoilette das sprichwörtliche Drehkreuz durchschritt, wurde mitgezählt, wie dies der Blog StoppdieRechten aufgedeckt hat.
Tricks mit den Besuchszahlen ist bereits literarisch
Die Diskrepanz zwischen verkauften Eintrittskarten und Besuchszahlen wurde sogar literarisch festgehalten. Sie ist also nicht neu. Elena Messner spielt in ihrem Roman „Das lange Echo.“ (2014) darauf an. Die dortige (fiktive) Direktorin des Museums habe es geschafft
Noch mehr PR-Texte zum HGM auf Wikipedia
Die Erzählung über die jährlichen Besuchsrekorde verwandeln sich in der Wikipedia in eine stolze Auszeichnung für den Direktor. In seinem Personenartikel in der Online-Enzyklopädie steht ganz wertfrei geschrieben:
Während seiner Direktorenschaft gelang es Ortner, die Besucherzahlen des Heeresgeschichtlichen Museums mehr als zu verdreifachen, wofür er mit dem Preis Civil Servant of the Year 2012, der Auszeichnung des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport für zivile Bedienstete, ausgezeichnet wurde.
Auch der HGM-Hauptartikel in der Wikipedia ist ein jubelnder PR-Text zum Thema Besucherzahlen:
Im letzten Jahrzehnt konnte das Museum einen bedeutenden Besucherzuwachs verzeichnen … wurden kontinuierlich neue Besucherrekorde erreicht.
Dieser Beitrag ist in der Wikipedia intern sogar als „besonders lesenswert“ prämiert worden. In Wahrheit enthält er aber verschleierte Infos über unbezahlte Museums-Besuche. Spätestens mit Erscheinen des neuerlichen Rechnungshofberichts, von dem wohl schon eine Rohfassung existiert, wird diese Darstellung zu korrigieren sein.
Nachtrag: Der mutmaßliche Museums-Mitarbeiter in der Wikipedia – der Nutzer Pappenheim – hat am 30. Januar 2020 seine infinite Löschung als Autor der Online-Enzyklopädie beantragt. Natürlich stellt er sich im Begründungstext als armes Opfer dar. Er will damit einen Schlussstrich ziehen. Seine Spuren in 220 Artikeln und 15.463 Edits bleiben.
Zweiter Nachtrag (23.10.2020): Das Zitat aus dem heute erschienen Rechnungshofbericht dazu (Seite 91).
1 Gedanke zu „Zahlen lügen nicht? Oder: das Heeresgeschichtliche Museum in der Wikipedia“