Deutsch-Unterrichten im AMS-Kurs: Auf Messers Schneide mit dem Virus

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By Sebastian Reinfeldt

Seit März zählt das AMS 78 Corona-positive Trainer*innen oder Teilnehmende in seinen Deutschkursen – und das bei insgesamt 22.000 Personen in Kursen. Das klingt recht undramatisch. Dennoch haben unsere Recherchen ergeben, dass die Corona-Vorgaben des AMS nur bei einem Teil der beauftragten Deutschinstitute eingehalten werden. Die von uns anonymisierten Berichte von Deutsch-Trainer*innen lassen eine Gestaltung ihres Arbeitsplatzes erkennen, die teilweise gesundheitsgefährdend ist. Ob die Institute und das AMS für die zweite Welle gut gerüstet sind, erscheint daher fraglich. Von Sebastian Reinfeldt.


Erwachsenenbildung in Zeiten von Corona

Am Anfang steht wie immer eine Verordnung. Der Gesundheitsminister regelt auch die Erwachsenenbildung und somit das Geschehen in den Deutschkursen der vom AMS beauftragten Kursinstitute.

In der letztgültigen COVID-19-Maßnahmenverordnung heißt es unter der seltsamen Überschrift „Veranstaltungen“ zum Thema Erwachsenenbildung im Paragraphen 10, Ziffer (9)

Kann auf Grund der Eigenart einer Schulung, Aus- und Fortbildung

  1. der Mindestabstand von einem Meter zwischen Personen und/oder
  2. von Personen das Tragen von einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung nicht eingehalten werden,

ist durch sonstige geeignete Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko zu minimieren. Die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung gilt nicht für Teilnehmer, während sie sich auf ihren Sitzplätzen aufhalten sowie für Vortragende.

Wenn es einen Infektionsfall in einer Lerngruppe von maximal 12 Personen gibt, dann sollen die Kursinstitute sofort auf Tele-Learning umstellen. Dafür hat das AMS falls nötig sogar Leihgeräte parat, berichtet Sebastian Paulick, der Pressesprecher des AMS, auf Semiosis-Nachfrage stolz. Die Realität in den Deutschkursen hält sich allerdings nicht immer an diese Vorgaben. Unsere Recherchen ergeben, dass es einen Unterschied macht, ob es sich um ein öffentliches, nicht-profitorientiertes Institut handelt, oder ob um ein privates. Ein Deutsch-Trainer hat das am eigen Leib erfahren:

Deutsch-Unterricht in winzigen Kammerln

Ich wurde aufgrund einer längeren Kursflaute bei meinem langjährigen Dienstgeber VHS vom AMS zu einem AMS-Kursanbieter vermittelt und dort Mitte März unmittelbar vor dem Lockdown wie alle Trainer*innen gekündigt.

Nun arbeitet er wieder in einer Volkshochschule (VHS). Darüber sagt er, dass sie

die Kursteilnehmer*innen und Unterrichtenden über Corona informiert sowie auf der Homepage sehr klar und sofort einsehbar alles, was es zu beachten gilt, beschreibt, nicht zuletzt auch das Online-Kursangebot laufend ausbaut.

Auf Seiten des privaten Anbieters sieht die Sache allerdings anders aus:

Mit keiner Silbe wurde erwähnt, was mich diesbezüglich erwartet und was es zu beachten gilt, auch keine Information darüber, in welchen Kursräumen die Kurse stattfinden werden. Wenn es die mir bekannten winzigen Kammerln sind, wären coronakompatible Kurse allenfalls mit 2 Teilnehmenden möglich.

Dass es überhaupt viel zu kleine Kursräume gibt, ist übrigens ein Problem, das im Deutschbereich schon länger bekannt ist. Doch auch die Gänge der Institute sind in der Regel eng. Eine Trainerin erzählt über die Bedingungen seit Sommer:

Es wuselt wie in einem Bienenstock

Während die Covid-Fallzahlen rasant anstiegen, verwandelte sich unser Haus in kürzester Zeit in einen Bienenstock. Entsprechend dazu wurden unsere Zimmer bis zum Bersten vollgeräumt. Tische stoßen an Wände und Fensterbänke, die Anzahl der Kursteilnehmer*innen wurde, nachdem wir im Juni mit sechs Personen pro Raum starteten (anders hätte der Mindestabstand von eineinhalb Metern nicht eingehalten werden können), innerhalb kürzester Zeit verdoppelt.

Im Sommer sollte alles so schnell wie möglich wieder in den Normalbetrieb wechseln. Das wollte auch das AMS so. Genau dieses eilige Lockern entpuppt sich nun als eine schwere Bürde, wie sie findet.

Die Ursache dieses räumlichen Desasters waren die Lockerungen und die mit ihnen einhergehende Reduzierung des Mindestabstandes auf einen Meter.  Sofort stellte das AMS Geld für Collegestühle zwecks Füllung der Räume bereit. Als die Collegestühle dann zu teuer wurden, kaufte man Plexiglasscheiben und stellte die Zimmer mit Tischen voll. Auf diese Weise ließ sich sogar noch der Mindestabstand von einem Meter mit reinstem Gewissen umgehen

Dabei scheitern sogar die Vorgaben zum Lüften der Kursräume an den räumlichen Bedingungen. Wenn die Fenster vollständig geöffnet werden, weht es die Unterrichtsmaterialien durcheinander. Also sollen die Fenster per Geschäftsführungsorder nur noch in Kippstellung bleiben. An diese Vorgabe hält sich aber zum Glück niemand, beschreibt die Trainerin.

An die Order der Geschäftsleitung, Fenster nur noch in Kippstellung zu bringen, damit niemand weggeblasen wird, hält sich Gott sei Dank niemand mehr.

Dann kamen die Oberen der Firma auf die Idee, Gesichtsvisiere vorzuschreiben.

Indes sandte die Geschäftsleitung vor ungefähr drei Wochen eine Dienstanweisung mit dem dringenden Apell an uns, von nun an verpflichtend Visiere zu unserem Schutz zu tragen. Das war zum selben Zeitpunkt, als das Sozialministerium vor diesen Visieren bereits warnte.

Im Falle eines Positiv-Test gehen die Nachbar*innen in Quarantäne

Und was passiert im Falle eines positiven Testergebnisses?

Kommt es zu positiv Getesteten in Klassen, werden nur die zwei unmittelbaren Nachbar*innen in Quarantäne geschickt, die restlichen Kursteilnehmer*innen und die Trainer*in kommen weiterhin in den Kurs.

Das ist allerdings seitens des AMS ganz anders vorgesehen: Positiv Getestete und Verdachtsfälle werden isoliert und bleiben dem Unterricht fern, teilt das AMS auf Semiosis-Nachfrage mit. Alle Personen einer Deutschlerngruppe gelten als Kontaktpersonen der Stufe 1. Daher müssen die Institute die Betroffenen auf Tele-Learning umstellen, bis keine Gefahr mehr bestehe. Das Contact Tracing übernehmen die Gesundheitsbehörden. Bei Personen, die Kontaktpersonen der Stufe 2 sind, passiert hingegen gar nichts.

Tele-Learning ohne Videoplattform, ohne Handys und ohne Geräte

Während des Lockdowns mussten wir mit unseren Privathandys täglich auf eigene Kosten mit den Kursteilnehmer*innen telefonieren, es gab weder Diensthandys noch eine Plattform für Videokonferenzen, geschweige denn eine Betriebsratsvereinbarung zur Regelung der Kosten. In der Not wurde – über den Datenschutz hinweg – per Whats App, Gratis-Zoom oder auf der niedrigsten Ebene, dem Hin- und Hersenden von E-Mails, unterrichtet. Homeschooling nannte sich das, und nichts deutet darauf hin, dass es, sollte es wieder soweit kommen, anders oder besser wird. Die Firma will partout kein Geld in  eine Zoom-Lizenz (mit Auftragsverarbeitungsvertrag unter Hinzuziehung der Datenschutzbeauftragten der Firma – wie es sich gehört) investieren.

Angst vor Kündigung und Angst vor dem Job

Das AMS wiederum spricht sogar von Leihgeräten für die Teilnehmenden bei Tele-Unterricht. „Zusatzkosten entstehen den Teilnehmenden keine“ , so der AMS-Sprecher.

Die Unterrichtenden hingegen befinden sich in einem Art Double-Bind. Sie befüchten eine Kündigung, denn sie sie haben Angst, aus der Arbeitslosigkeit heraus keinen Job zu finden, oder aber, dass sie diesen Job unter den gleichen Bedingungen wieder aufnehmen müssen. Denn Unterrichten sei gefährlich.

Aber wir müssen machen, machen, machen. Und das ganze Team schweigt, denn die Angst vor Kündigung übertrifft alle anderen Ängste, wohl auch die Angst vor einem schweren Krankheitsverlauf.

Im Zuge des Pandemie-Unterrichtens kommt es so unter der Hand zu einer weiteren Arbeitsverdichtung: mehr Aufgaben unter schweren Bedingungen bei gleicher Stundenzahl. Das bringt in Summe ein hohes Berufsrisiko bei vergleichsweise geringer Bezahlung. Eine weitere Trainerin, die derzeit Arbeit sucht, erzählt von ihrer Furcht vor dem Job. Denn sie soll bei einem Dienstgeber beginnen, der sie nicht ordentlich schützen mag. Immerhin kommen Deutsch-Unterrichtende in Summe auf eine hohe Zahl an Kontakten, und das in Räumen, die im Schnitt wesentlich kleiner sind als die Klassenräume in staatlichen Schulen.

Enger Kontakt mit bis zu 24 fremden Personen täglich – oder mehr

Im Arbeitsbereich scheint der Schutz vor Corona völlig wurscht zu sein – wenn ich den Job annehme, hätte ich täglich mit bis zu 24 Leuten engen Kontakt – momentan eine wirklich schwierige Vorstellung, die mich stresst, obwohl ich diesen Job grundsätzlich sehr gerne mache und das Unterrichten auch vermisse…

Ob die bisherigen Vorkehrungen in den AMS-Kursinstituten ausreichen, wenn die zweite Welle auch bei den Teilnehmer*innen der Kurse ankommt, ist fraglich. Jedenfalls kündigt der AMS-Sprecher auf Semiosis-Nachfrage Kontrollen in den Instituten an – „natürlich auch unangemeldet“ .

Eine grundlegende Änderung werde aber nicht kommen,  „weil mit Anfang 2021 der ÖIF das breite Deutschkursangebot übernimmt“ , teilt der Pressesprecher mit. Eine gewisse Erleichterung über diesen Wechsel ist durchaus erkennbar.


Die Trainer*innen, die hier ihren Arbeitsalltag beschreiben, sind uns namentlich bekannt. Um sie zu schützen, geben wir ihre Berichte anonymisiert wieder.

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