Ischgl: Spuren einer Vertuschung

Foto des Autors

By Sebastian Reinfeldt

Seit Anfang August 2020 führt die Innsbrucker Staatsanwaltschaft vier Personen als Beschuldigte in Sachen Ischgl. Darunter sind der Bezirkshauptmann von Landeck, Markus Maaß, und der Ischgler Bürgermeister Werner Kurz. Es schaut so aus, als ob das mutiple Behördenversagen, das Ischgl zum Super-Spreader in Europa hat werden lassen, auch strafrechtliche Konsequenzen haben könnte. Allerdings erwecken diese Ermittlungen den Eindruck, als ob dabei die Verantwortlichen der untersten Ebenen ihren Kopf für Fehler in den höheren Ebenen hinhalten würden.

Und selbst das scheint ein ziemlich abgekartetes Spiel zu sein. Sebastian Reinfeldt hat in den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft eine skurrile Begebenheit gefunden. Thema: Wie die Polizei in Ischgl ein Whatsapp-Chatprotokoll beschlagnahmt. Außerdem berichtet er, was in dem Chat im März 2020 besprochen wurde: Nämlich wie die Handelnden die Tatsache der COVID-19 Infektionen in Ischgl in den Medien unsichtbar machen wollten.


Ischgler Bürgermeister ist der fahrlässigen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten verdächtig

Am 4. August 2020 stehen gegen 10:45 Uhr zwei Polizeibeamte vor der Tür des Ischgler Gemeindeamtes. Sogar die ermittelnde Staatsanwältin Christine Knapp-Brucker ist eigens aus Innsbruck angereist. Sie überwacht die Amtshandlung. Immerhin sollen heute Dokumente der Gemeinde sichergestellt werden. Beschuldigt wird nämlich deren Bürgermeister Werner Kurz. Der Vorwurf lautet: Verdacht auf fahrlässige Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten.

Seit April 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Sachverhaltsdarstellung des Verbraucherschutzvereis VSV gegen die Tiroler Verantwortlichen. Seit Anfang August werden vier Personen als Beschuldigte geführt. Auslöser dafür war allerdings eine weitere Sachverhaltsdarstellung, nämlich die des Vorsitzenden der Tiroler Untersuchungskommission, Ronald Rohrer. Seine Anzeige beruht auf den Aussagen der Beschuldigten vor der Kommission. Nach vier Monaten relativ planloser Suche nach irgendwelchen Dokumenten will die Staatsanwaltschaft im August 2020 endlich interne Dokumente der Behörde sicherstellen lassen.

Der Ischgler „Corona-Informationskreis“

Auf der Liste der Sicherstellunganordnung steht “aus Beweisgründen” das Handy des Bürgermeisters mit dem Verlauf der Whatsapp-Chats des Ischgler „Informationskreises“ zu Corona auf der Liste. Am 25. Februar 2020 haben sich die mächtigen Männer aus Ischgl erstmals zusammengesetzt, um alles, was zum Thema Corona anliegt, miteinander zu besprechen. Dabei sind: Alexander von der Thannen, Obmann des Tourismusverbands Paznauntal und Hotelier, sein Stellvertreter Michael Zangerl, die Verbandsgeschäftsführer Andreas Steibl und Dietmar Walser. Ihnen hinzu gesellen sich Markus Walser und Günther Zangerl von der Silvretta-Seilbahngesellschaft AG. Ferner nehmen Hausarzt Andreas Walser und die beiden Bürgermeister Emil Zangerl und Werner Kurz teil, sowie von Seiten der örtlichen Polizeiinspektion ein Inspektor. Um sich schnell zu koordinieren und Infos auszutauschen, legen sie eine Whatsapp-Gruppe mit dem Titel „Corona“ an.

Der Chat liegt bereits ausgedruckt bereit

Das Protokoll der Amtshandlung bei der Gemeinde Ischgl gibt die Szenerie an jenem Augustmorgen wieder:

BGM Werner Kurz und Dr. Schöpf [sein Anwalt – SR] teilten bezüglich des Chat-Verlauf der Whats-App Gruppe Corona mit, dass diesbezüglich eine Sicherstellung des Handys nicht erforderlich sei, weil dieser Chat-Verlauf bereits per Screen-Shots gesichert und in Papierform vorhanden sei.

Daraufhin vergleichen die Polizeibeamten die Kommunikation auf Papier mit dem Original auf dem Telefon. Schließlich verzichtet die Staatsanwältin überhaupt darauf, das Handy mitzunehmen. Im „Amtsvermerk über die Amtshandlung“ heißt es dazu: Es wurde

die Sicherstellung des Handys nicht vollzogen, da der gesamte Chat-Verlauf , der ausschließlicher Gegenstand der Sicherstellungsanordnung war, bereits in Papierform vorhanden war.

Mit anderen Worten: Ein bereits vorbereiteter Ausdruck der Whatsapp-Nachrichten hält die Staatsanwätin davon ab, das Telefon mitzunehmen. Es drängt sich die Frage auf, warum eigentlich andere SMS-Nachrichten oder Infos aus anderen Kommunikationskanälen am Bürgermeister-Handy für die Ermittlungen nicht hilfreich sein können? Außerdem verwundert, dass die Sicherstellungsanordnung nicht auf Einvernahmen der Staatsanwaltschaft beruht, sondern auf zugespielten Aussagen der Betroffenen vor einer Kommission, die rechtlich wohl nicht beweiskräftig sind.

Covid in Ischgl: abgelegt in einem einzigen Ordner

Am Schluß ihres Amtsvermerks über den Ablauf der Ereignisse führt die Staatsanwältin aus:

Nach Hinzuziehung des Amtsleiters A.S. konnte festgestellt werden, dass die Gemeinde Ischgl lediglich über einen Ordner betreffend COVID-19 Ausbruch verfügte, der einer Sichtung unterzogen und die wesentlichen Stücke sodann im Original sichergestellt wurden.

Aus dem Amtsdeutsch übersetzt besagt dieses Protokoll: Die internen Chats lagen für die Staatsanwaltschaft schon ausgedruckt bereit. Außerdem dokumentiert die Gemeinde dieses für Ischgl bedeutende Ereignis in nur einem einzigen Aktenordner.

Im Chat: Spuren einer Vertuschung

In den vorbereiteten Ausdrucken sind kurzfristige Terminabsprachen der Beteiligten zu finden. Zudem posten die Herren Internetlinks zu Medienberichten. Wie Ischgl in den Medien da steht, ist ihre große Sorge. Besonders regen sie sich auf, als die ersten Meldungen über die isländischen Urlaubenden aufkommen, die sich in Ischgl mit COVID-19 infiziert haben. Als die Zeitung Österreich und OE24 diese aufgreifen, geht im Chat der Puls hoch.

Dort wird die OE24-Meldung aufgeregt geteilt. Ein Teilnehmer bezeichnet sie wörtlich als “Falschmeldung”. Dann aber werden sie von dem früheren Seilbahn-Doyen Alfons Parth, der den Touristikern im Hintergrund “hilft”, beruhigt. Denn er weiß per Whatsapp zu berichten:

Land ist mit oe24 in Verbindung.

Mehrfach werden in den Chats Hintergrundgespräche mit dem „HLH“ erwähnt. Das Kürzel steht im allgemeinen für den Herrn Landeshauptmann. Gemeint ist also Günther Platter (ÖVP). Daraufhin merkt Michael Zangerl (Vorstand des TVB Paznauntal) an, man wolle ja auch nichts vertuschen. Doch ist die Intervention mit dem Ziel, genau dies zu tun, bereits im Gange.

Schließlich informiert Dietmar Walser vom Tourismusverband:

Florian Kurzthaler / Kommunikationsvorstand beim Land informierte mich soeben, dass sie mit der Zeitung in Kontakt sind, massiv Druck ausüben. Zugleich bittet er, dass wir an der Strategie festhalten und nur das Land kommunizieren lassen.

Erklärung der Tiroler Behörden ist sachlich falsch

oe24.at berichtet zu diesem Zeitpunkt wahrheitsgemäß über Isländer, die sich in Ischgl mit COVID-19 infiziert hatten. Die am selben Tag kommunizierte Version der Tiroler Landesregierung lautet allerdings anders:

Coronavirus: Isländische Gäste im Tiroler Oberland dürften sich bei Rückflug im Flugzeug mit Coronavirus angesteckt haben.

Wichtig war die Botschaft: In Ischgl gebe es keinen Fall.

Nur: Die isländischen Gäste sind gar nicht zusammen in einem Flugzeug geflogen, sondern sie saßen in zwei verschiedenen Maschinen, die an unterschiedlichen Tagen unterwegs waren. Von daher konnten sie sich auch rein logisch gesehen nicht in einem Flugzeug angesteckt haben. Verstörend ist: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Pressemeldung wussten die handelnden Personen in den Tiroler Behörden bereits, dass es so, wie sie bekannt gegeben haben, nicht gewesen sein konnte.


Ausriss Mail Bernhard Benka an Anita Luckner-Hornischer

Denn am 5. März, exakt um 15:58 Uhr, sendet Bernhard Benka aus dem Sozialministerium per Mail an die Tiroler Landessanitätsdirektion detaillierte Informationen, die von den isländischen Gesundheitsbehörden über das europäische Meldesystem übermittelt worden sind. Die Meldung lautet vollständig:

Dear colleagues, We have a total of 14 cases with travel history to Ischgl via Münich:

Arrival 21.2. return 1.3. via München –

two cases, 1 symptom onset 26.2. Hotel Reelax Apartments, second 3.3.
Hotel Gravida,

Arrival 22.2. 12 cases – all return via München, see dates of return below

3 Hotel Garni Martina – return to Iceland 29.2. 1 case onset 29.2., others 2.3. and 3.3.
7 Hotel Nevada – return to Iceland 29.2. All symtom onset 2.-3.3.
1 Hotel Garni Vogt – return to Iceland 29.2. Symptom onset 3.3.
1 Hotel Gradiva – return to Iceland 1.3., symptom onset 3.3.

Die Landessanitätdirektion leitet diese Information am selben Tag um 16:13 Uhr an die Bezirkshauptmannschaft Landeck und an das Amt der Tiroler Landesregierung weiter.

Die Intervention findet tatsächlich statt

oe24 berichtet, was in der Redaktion am 5. März 2020 am Nachmittag geschehen ist:

Ein empörter Sprecher der Tiroler Landesregierung ruft an: Wir sollen doch bitte nicht länger schreiben, dass sich 14 Isländer in Ischgl infiziert hätten. Wörtlich sagt er: „In Ischgl gibt’s keinen Fall …“

In Ischgl gibt es keinen Fall. Dies ist die Botschaft, die zu diesem Zeitpunkt nicht dem Stand der Dinge entsprochen hat.

Die Ischgler Verantwortlichen üben via der Tiroler Landesregierung „massiv“ Druck aus, um Ischgl aus dem „Schussfeld“ zu bekommen. So formuliert es Bezirkshauptmann Markus Maaß in einer Mail an den Direktor des Tiroler Amtes der Landesregierung die Zielsetzung der Medieninformation. Diese Mail sendet er um 15:51 Uhr ab.

Lieber Herbert, nach Rücksprache mit HLH, hier die beiden E-Mail von zwei infizierten Personen. (…) Damit hätten wir Ischgl vorerst aus dem Schussfeld.

Die Tiroler Verantwortlichen beziehen sich in ihrer Presseaussendung, die nach 17 Uhr heraus ging, also lieber auf unbestätigte Infos einer isländischen Reiseleiterin als auf die offiziellen Infektionsmeldungen, die ihnen zu diesem Zeitpunkt bereits vorgelegen haben. Das bringt den Umgang mit den Corona-Infektionen in Tirol gut auf den Punkt: Die Gesundheit der Menschen, die sich in Ischgl aufhalten oder dorthin reisen wollen, zu schützen, ist ihnen durchaus ein Anliegen. Aber es steht nicht an erster Stelle.


Sebastian Reinfeldt arbeitet mit Hochdruck daran, seine Recherchen zu Ischgl als Buch zu veröffentlichen. Das Roh-Manuskript dazu ist fertig und wird nun kritisch kommentiert. Bis  Mitte/Ende Oktober sollte alles druckreif sein.

Titel: Alles richtig gemacht? Ischgl und die Folgen. Es erscheint bei Books on demand.  Dazu gibt es eine eigene Homepage mit allen Infos: Alles richtig gemacht?


Außerdem verweisen wir auf die Berichterstattung von Jakob Winter im profil zu den neuen Erkenntnissen:

Causa Ischgl: Behörden spielten Corona-Gefahr herunter

Zudem ist in der gestrigen ZiB2 eine ausführliche Recherche zum Thema gesendet worden:

Ischgl: Behörden beschönigten Corona-Gefahr

Schreibe einen Kommentar