Es war ja zu erwarten: Das Virus ist nicht auf Urlaub. Auch in Österreich nicht. Daher wird es zu zeitlichen oder räumlichen Häufungen von Erkrankungen in Urlaubsgebieten kommen. Also zu Clustern. Im Urlaubsbullshit-Bingo hat es die Region rund um den Wolfgangsee erwischt. Was wir – mit der Erfahrung von Ischgl im Hinterkopf – uns gewünscht hätten: Offene und transparente Information und nachvollziehbares Handeln der Behörden. Was wir bekommen haben: Anfängliches Leugnen, dann hektisches Testen und ein Wirrwarr aus Zahlen und Zuständigkeiten. Warum etwa sind die kostenlosen Testmöglichkeiten vor Ort erst wenig bekannt gemacht und dann nach zwei Tagen wieder eingestellt worden? Sebastian Reinfeldt hat das Behörden-Wirrwarr der vergangenen Tage entwirrt. Dabei ist er auf eine Reihe von Merkwürdigkeiten gestoßen.
Am Anfang: Nur einige Praktikan*innen – oder doch ein Cluster?
Vergangenen Dienstag meldet sich eine junge Frau. Sie absolvierte ein Pflichtpraktikum in einem Hotel am Wolfgangsee. Dann bekam sie Husten und hatte deshalb einen COVID19-Verdacht. Zudem berichtete sie, dass sie mit Kolleg*innen in einer Bar zusammen war. Also wurde sie getestet. Am folgenden Tag meldet das Labor dem Bezirk ihr positives Testergebnis. In den ersten medialen Berichten zu diesem Fall wird betont, dass es sich ja nur um junge Mitarbeiter*innen in der Touristik handeln würde. Trotz verschärfter Coronavirus-Maßnahmen seien in zwei Hotels in St. Wolfgang acht Infektionsfälle aufgetreten. Aber aufgrund der Schutzmaßnahmen sei eine Übertragung unwahrscheinlich. Ministerin Köstinger sagte freitags im Ö1-Mittagsjournal zu dem Fall wörtlich:
Alarmismus ist jetzt fehl am Platz.
Zu diesem Zeitpunkt konnte sie indes keine validen Zahlen über die wirkliche Verbreitung haben. Denn Gäste waren bis dahin nicht getestet worden. Auch die medial groß angekündigte Testserie des Ministeriums Sichere Gastfreundschaft war in der Region noch nicht gestartet. Die Aussage der Ministerin war also sachlich nicht begründet. Es war reine PR.
Am Wochenende: Keine Gäste betroffen? Oder doch?
Also hielt sich die Erzählung, dass keine Gäste betroffen seien. Die Verantwortung für die Infektionen wurde auf einige wenige junge Menschen geschoben, die nach der Arbeit gerne feiern und die daher unvorsichtig gewesen seien. Tenor: Wir waren ja alle mal jung. Schwamm drüber. Der erste Fall eines infizierten Gastes wurde samstags auf Twitter von ORF-Anchorman Martin Thür und hier am Blog verbreitet.
Ein Mitarbeiter des Außenministeriums hatte am Wolfgangsee geurlaubt und war erkrankt. Eigentlich wäre dessen Erkrankung bereits ein starker Hinweis auf Infektionsketten und somit auf ein Cluster gewesen, das über den doch überschaubaren Kreis der Praktikant*innen hinaus geht. Weiterhin hieß der offizielle Tenor aber: Alles unter Kontrolle.
Nach Berichten in deutschen Medien wurde es dann am Samstag ab 13 Uhr möglich gemacht, dass sich auch Gäste freiwillig testen lassen konnten. Nur ist dies auch der Tag des Schichtwechsels in einer Urlaubsregion. Die Information über diese Möglichkeit fand sich zudem zuerst auf Twitter. Die Information vor Ort sei mangelhaft gewesen, berichtet ein Wolfgangsee-Gast ebenfalls auf Twitter (siehe Screenshot). Also waren viele bereits ungetestet abgereist. Und die Hotels, in denen es nachweislich positive Testresultate gab, hielten weiterhin offen. Begründung: Die Beschäftigten tragen ja Mund-Nasen-Schutz.
Nicht in allen Betrieben wird getestet. Die Wirtschaftskammer rules
Wenigstens die Tests in den Betrieben gehen indes weiter. Dachten wir. Doch stellte sich mittlerweile heraus, dass keineswegs Mitarbeiter*innen aller Betriebe getestet worden sind. Denn die Jugendherbergen, in denen bekanntlich junge Leute gerne übernachten, sind offenbar vom Programm ausgenommen. Was verwundert. Denn:
Ab Anfang Juli 2020 stehen Beschäftigten in gewerblichen Beherbergungsbetrieben (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Inhaberinnen und Inhaber sowie sonstigen im Betrieb im direkten Kundenkontakt Tätigen) regelmäßig freiwillige Testungen auf den Erreger SARS-CoV-2 zur Verfügung. Die Kosten für die Tests werden vom Bund durch eine eigene Förderung vorerst bis 31. Oktober 2020 übernommen.
heißt es auf der Homepage dieser Initiative des Tourismusministeriums. Offenbar sind aber mit „Betrieben“ nur Mitgliedsbetriebe der Wirtschaftskammer gemeint. Denn, so berichten die Jugendherbergen in einer Presseaussendung: Die Teilnahme am Testprogramm ist ihnen verwehrt worden. Mitarbeiter*innen von NGOs (der Jugendherbergsverband ist ein Verein) seien nicht mitgemeint. Ihre mögliche Erkrankung interessiert die Behörden offenbar nicht. Diese Begebenheit zeigt: Die Bekämpfung des Coronavirus kann wohl kaum die einzige Zielsetzung des Testprogramms des Tourismusministeriums sein. Eine Semiosis-Anfrage zu dem Thema hat dessen Presseabteilung übrigens bislang nicht beantwortet. Auf Twitter kam unterdessen vom Pressesprecher des Ministeriums folgende Antwort:
Zahlenwirrwarr. Wo werden die Infizierten registriert?
Die verlässlichsten Zahlen über die Infektionen gab es für die interessierte Öffentlichkeit auf Twitter. Der Account des oberösterreichischen Pressesprechers Thomas Brandstetter informierte relativ schnell und präzise über die Zahl der Infizierten und der Tests. Doch wo tauchen diese Infizierten dann in der Öffentlichtlichkeit auf?
Im Epidemiegesetz heißt es zum Thema „Erstattung der Anzeige“ eindeutig, dass dies der Bezirksverwaltungsbehörde gegenüber zu geschehen habe, wo sich der Betroffene aufhält.
Erstattung der Anzeige.
§ 2. (1) Jede Erkrankung, jeder Sterbefall an einer anzeigepflichtigen Krankheit, in den Fällen des § 1 Abs. 1 Z 1 auch jeder Verdacht einer solchen Erkrankung, ist der Bezirksverwaltungsbehörde (Gesundheitsamt), in deren Gebiet sich der Kranke oder Krankheitsverdächtige aufhält oder der Tod eingetreten ist, unter Angabe des Namens, des Alters und der Wohnung und, soweit tunlich, unter Bezeichnung der Krankheit binnen 24 Stunden anzuzeigen.
Dies gilt allerdings nicht für die Abklärung und das Register. Dafür ist dann die Behörde des Wohnortes des oder der Erkrankten zuständig. Im Fall österreichischer Feriengäste werden diese, so sie erkrankt sind, also nicht im oberösterreichischen Bezirk Gmunden oder in Salzburg-Land registriert. Sondern an ihrem Wohnort. Und so verschwinden die erkrankten österreichischen Feriengäste irgendwo in der Statistik. Nur wenn sie aus dem Ausland kämen, müssten sie am Testort registriert werden. Hinzu kommt: In den Orten, die zum Bundesland Salzburg gehören (das sind Strobl und St. Gilgen), ist bislang noch gar nicht getestet worden. Auch die Tourismusmitarbeiter*innen nicht. Wahrscheinlich gehen die dortigen Behörden davon aus, dass das Virus eine Affinität nur nach Oberösterreich hat. Das wahre Ausmaß des Clusters ist somit noch gar nicht abschätzbar.
Der Fall eines erkrankten Gastes
Im Falle des Wolfgangssees handelt es sich – zugespitzt formuliert – um ein Cluster, das durch Behördenhandeln und Pressemeldungen unsichtbar gemacht wird. Dies wird am Beispiel der Schilderung einer Infektionsgeschichte eines Gastes einer Reisegruppe deutlich.
Die Gruppe bestand aus 11 Personen, die in vier Hotels übernachtet haben. Sie feierten keine wilden Partys und waren hauptsächlich draußen unterwegs. Ein Mitglied der Gruppe berichtet:
Nirgendwo war freitags ein Aushang zur Lage, nirgendwo sind wir angesprochen worden. (…)
Wir waren von Anfang an eine sehr umsichtige Gruppe, die da auf Urlaub war in St. Wolfgang. Wir haben Innenräume praktisch komplett gemieden, wir haben sogar ein Gasthaus umgebucht, damit wir draußen sitzen können. Unsere Aktivitäten waren Outdoor, wir sind untereinander geblieben, haben Abstände eingehalten, keine wilden Partys gefeiert o.ä
Wenn ich nicht Radau gemacht hätte in der Gruppe: 2 Personen (von 11) außer mir wären zum Test gegangen (war ja kein Risikokontakt und keine Symptome). Warum? Weil es uns so von Frau Köstinger und den Touristikern gesagt wurde: „geringes Risiko für Gäste“
Achja: die Abreise am Sonntag ist ohne Probleme möglich gewesen. Wir waren nicht in einem Hotel mit positiven Fällen. Niemand hätte uns am Schirm gehabt nach unserer Abreise.
Laut einer Tweetantwort des oberösterreichischen Pressesprechers sind unter den mittlerweile offiziell bestätigten 62 positiv Getesteten sechs Fällen erkrankter Gäste aus den betroffenen Lokalen. Die Dunkelziffer ist aber sicherlich hoch anzusetzen. Spannend ist noch die Antwort auf die Frage, wo und wie sich das Mitglied dieser Gruppe, deren Erlebnisse hier wiedergegeben wurde, eigentlich infiziert hat. In den Nachtclubs kann dies ja nicht passiert sein.
Ist eine Virusinfektion mit einer Schwangerschaft vergleichbar?
Wir sollen den Behörden vertrauen, hieß es bereits in Ischgl. Nun ja. Beim oberösterreichischen Krisenstabs tat sich ein Mitglied mehrfach in der medialen Öffentlichkeit hervor: der Kinderarzt Tilmann Königswieser. Dabei fiel er mit einer gewagten Aussage auf. Er verglich nämlich einen COVID-19 Test mit einem Schwangerschaftstest. Wörtlich erläuterte er in der Pressekonferenz der Oberösterreichischen Landesregierung am 27.Juli, die auf Facebook live gestreamt wurde:
Der Test schützt uns nicht. Der Test ist eine Momentaufnahme. (…) Ein Schwangerschaftstest schützt auch nicht vor einer Schwangerschaft. Außer er ist vielleicht positiv.
Und darum gehts. Einfach zu schauen, dass wir da korrekt miteinander reden. Und was schützt? Und da appellieren wir – und herzlichen Dank, dass fast alle von Ihnen eine Maske aufhaben – die Händehygiene schützt, der Abstand schützt, und … die Maske. Das sind wirksame Wege.
Dieses Argument könnte in der Konsequenz dazu führen, die Testerei ganz zu lassen, da sie ja jeweils nur eine Momentaufnahme ist. Indes hinkt dieser Vergleich: Natürlich hilft die Verfolgung von Infektionsketten, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, weil man diese dann unterbrechen kann, wenn die Tests rechtzeitig passieren. Schwangerschaftstests hingegen helfen niemals, Schwangerschaften einzudämmen. Sie haben auch eine andere Funktion. Sie sollen sie anzeigen. Abgesehen davon ist die Gleichsetzung einer Virus-Infektion mit einer Schwangerschaft medizinisch gewagt und politisch fatal. Dieser Experte, Tilmann Königswieser, ist übrigens Gemeinderat in der oberösterreichischen Gemeinde Micheldorf. Er hat – überraschenderweise – auf der Liste der dortigen ÖVP kandidiert.