In der Ischgl-Affäre gibt es – aus heutiger und aus damaliger Sicht – drei entscheidende Zeitpunkte: Alles begann, als die Informationen über Corona-Infektionen aus Island eintrafen. Dann ist der Zeitpunkt relevant. als die Erkrankung des Personals samt Betreiber im Kitzloch festgestellt wurden und schließlich, als die angebliche Quarantäne über das Paznauntal verhängt worden ist. Zu Zeitpunkt zwei und zum letzten Zeitpunkt haben wir bereits intensiv recherchiert. Die jeweils aktuellsten Texte dazu sind verlinkt. Der erste schwere Fehler der Tiroler Behörden datiert indes früher. Er betrifft die Art und Weise, wie die Informationen über COVID-19 Infektionen aus Island verarbeitet und umgesetzt worden sind. Dabei schenkte man eher den Mails einer isländischen Reiseleiterin Glauben als den Auskünften der isländischen Gesundheitsbehörden. Die handelnden Tiroler Personen sind übrigens weiterhin im Amt. Eine Recherche von Sebastian Reinfeldt.
26. Februar 2020: Die Krisenstäbe konstituieren sich
Als Konsequenz aus dem ersten „offiziellen“ Corona-Infektionsfall am 25.2.2020 im Innsbrucker Hotel Europa traf sich die Landeseinsatzleitung Tirol am 26.2.2020 um 9.00 das erste Mal. Zum gleichen Datum traf sich auch in Ischgl ein so genannter „Informationskreis“ zu einer Besprechung. Typisch für Ischgl fanden sich in den Räumen des Tourismusverbands ausschließlich Männer ein: Alexander von der Thannen (TVB Obmann), sein Stellvertreter Michael Zangerl, die TVB-Geschäftsführer Andreas Steibl und Dietmar Walser. Ihnen hinzu gesellten sich Markus Walser und Günther Zangerl von der Silvretta-Seilbahngesellschaft. Ferner nahmen Gemeindearzt Andreas Walser, die beiden Bürgermeister Emil Zangerl und Werner Kurz teil, sowie von Seiten der Polizeiinspektion Martin Wechner.
In dieser Sitzung haben die Männer die Informationen des Landes Tirol zu den Corona-Maßnahmen besprochen. Festgelegt wurde, dass der Tourismusverband aktuelle Informationen und einen Leitfaden (Merkblatt für Verdachtsfälle betreffend den Coronavirus) an seine Mitgliedsbetriebe verteilt. Auch die Seilbahngesellschaft will ihre Betriebsangehörige über die aktuellen Entwicklungen sowie die Vorgangsweise bei einem möglichen Verdachtsfall im Skigebiet informieren. Dieser „Informationskreis“ hat sich in der Folge immer wieder zu Besprechungen zusammengefunden. Institutionell waren somit die Vorkehrungen getroffen, auf mögliche Corona-Fälle zu reagieren. Sollte man meinen. Es kam allerdings anders.
Die Sache mit den Urlaubenden aus Island: Do we need take any actions?
Bereits am 29. Februar 2020 zeigte ein Teilnehmer einer Reisegruppe aus Island, der in den Reelax Apartementes unter gekommen war, Symptome von Covid-19. Am 27.2.2020 haben 12 Reisende aus Island die legendäre Apres Ski-Bar „Kitzloch“ in Ischgl besucht. Später werden 10 Personen von ihnen positiv auf Covid-19 getestet. Die Symptome treten bei diesen Personen vom 26.2. bis zum 3.3. 2020 auf. Bereits am 29.2.2020 reist eine Reisegruppe der Isländer (nämlich aus den Hotels Garni Martina und Nevada) mit dem Flugzeug in die Heimat. Einen Tag später werden 15 isländische Touristen in Ihrer Heimat positiv getestet.
Am 3.3.2020 meldet sich die isländische Reiseleiterin T.R. via Mail um 20:26 bei A. vom Hotel-Garni Martina. Sie teilt mit, dass zwei Teilnehmer Ihrer Reisegruppe, die am 29.2.2020 abgereist waren, positiv auf Covid-19 getestet wurden. Sie weiß zudem, dass aus einer anderen Gruppe aus dem Apartment Hotel ein weiterer isländischer Reisender erkrankt sei. In ihrer Antwort-Mail vom 21:01 fragt A. aus Ischgl nach, ob sie etwas unternehmen soll (!):
Can we be sure that the corona virus startet 1 day or more after they left Ischgl? Because the danger of infection is from 1 day before (…) of the illness until 2 days after termination. Or do we need take any actions, do you know?
T. schreibt aus Island um 22:33 zurück:
We took the plane from Munchen airport on Saturday. We were notified by the airline on Sunday that there was an infected person on the plane (he was not in our group and we do not know him). This man came from a ski resort in ltaly.
Wie die falsche These der Infektion im Flugzeug entstanden ist
Am folgenden Tag, am 4.3.2020, schreibt T. um 23:43 an das Hotel Nevada:
I will just let you know that we in room no 104 is now confirmed with a corona virus. This was confirmed by an epidemiologist here in lceland yesterday and we are both isolated. We started the symptoms on monday. My daughter in room nr 105 was also confirmed now this evening.
Guests in Hotel Garni Martina has also been confirmed with Corona virus and I send mail to Andrea in Martina and told her. They got sick the day after we got home. On Sunday. We don’t know where we got infected, but we know there was an infected person on the plane on the way home. That man was skiing in ltaly.
In diesem Zusammenhang (in einer Mail der isländischen Reiseleiterin) taucht also als falsche Erklärung für den Infektionsweg „Ansteckung im Flugzeug“ auf. Die isländische Airline hätte – so ein Mail der isländischen Reiseleiterin (T,R.) an „Dear A.“ vom Hotel Garni Martina vom 3.3.2020 – die Passagiere informiert, dass eine infizierte Person (aus einem Ski-Ressort in Italien) im Flugzeug gesessen sei.
Was besagen die österreichischen Vorschriften?
Do we need take any actions, do you know?, fragt A. vom Hotel-Garni Martin die isländische Reiseleiterin am 3. März 2020. Die Antwort auf diese Frage hätten ihr die österreichischen Behörden mitteilen müssen. Die AGES hat in ihrem zu dieser Zeit gültigen Informationsblatt „Behördliche Vorgangsweise bei SARS-CoV-2 Kontaktpersonen: Kontaktpersonennachverfolgung“ vom 28. Februar 2020 Kontaktpersonen mit „Hoch-Risiko-Exposition“ klar definiert.
In diesen Fällen (Kontakt zu respiratorischen Sekreten bei Aufenthalt in einer geschlossenen Umgebung) schreibt die AGES die Registrierung von Personendaten, eine behördliche Absonderung durch Absonderungsbescheid und Heim-Quarantäne vor. Außerdem müssen die Behörden so schnell wir möglich sämtliche (!) Kontaktpersonen ermitteln. Simple as that.
Was taten die Tiroler Behörden?
Am Vormittag des 5.3.2020 langte beim TVB Paznaun-lschgl die Meldung ein, dass 8 Personen isländischer Herkunft mit dem Corona Virus infiziert seien. Diese Meldung sei von einer Gesundheitsbehörde aus Island gemacht worden. Ein betroffenes Hotel wusste ja bereits 2 Tage zuvor Bescheid. Aber die Information wurde offenbar nicht weiter gegeben.
Aber auch am 5. März schleppen sich die Behörden eher zu ihren Verpflichtungen als dass sie entschlossen handeln würden. Für 13 Uhr wird eine Sitzung des vorher gegründeten Corona-Informationskreises von Ischgl einberufen. Um 13:22 Uhr wird die Bezirkshauptmannschaft Landeck informiert, die als Gesundheitsbehörde zuständig ist. 22 Minuten später berichtet der Einsatzstab der Landespolizeidirektion, dass ein Schreiben des österreichischen Außenministeriums eingelangt sei. In ihm stehe: 8 lsländer sind nach ihrem Urlaub in Ischgl mit Corona infiziert angekommen. Um 13:4 7 Uhr wird die Bezirkshauptmannschaft davon in Kenntnis gesetzt. Bis 14:50 Uhr konnten vom Tourismusverband 14 Hotels ausfindig gemacht werden, die in dem in Frage kommenden Zeitraum lsländer beherbergt hatten. Mitarbeiter*innen vom TVB (!) sollen persönlich die Hotels informieren, bzw. dort nachfragen. Die Polizei wird dann – in zivil, wie es eigens heißt – die Gästeblätter abholen.
Um 15:00 Uhr konnten als betreffende Hotels das Hotel Martina und das Hotel Nevada eingegrenzt werden. Nun stellt man fest, dass es E-Mail Schriftverkehr von den betreffenden Gästen gebe. Man findet auch einen Hinweis in einer E-Mail von der infizierten Person im Flugzeug.
Alle diese Informationen haben wir aus einem Bericht der Polizeiinspektion in Ischgl über die Vorkommnisse des Tages.
Tiroler Landessanitätsdirektor: „Es ist allerdings nicht klar, wo die isländischen Gäste genau waren“.
Am 5.3.2020 fand eine Stabsitzung der Landeseinsatzleitung in Innsbruck statt.
Die Zusammenfassung der Ergebnisse der Sitzung zeigt, dass in dieser Sitzung die Infektionen der isländischen Reisenden kein Thema war. Der Landesamtsdirektor Dr. Herbert Forster berichtet aus einer Videokonferenz mit dem Innenministerium und den Bundesländern,
… aktuell wurde bekannt, dass im Februar ein Flug von Innsbruck nach Frankfurt bzw. ein Flug nach Oslo ging, mit Personen, welche im Nachhinein als Verdachtsfall eingestuft bzw. positiv getestet worden wären; diesbezüglich liegen allerdings noch keine gesicherten Informationen vor. Ähnlich verhält es sich bei einem Fall von 7 oder 8 Schigäste aus Island, welche in Ischgl gewesen sein sollen; aber auch diesfalls ist man erst dabei weitere Erhebungen durchzuführen.
Der Landessanitätsdirektor Dr. Franz Katzgraber stellt fest:
betreffend den Fall der Gäste aus Island in Ischgl, welche angeblich nach ihrem Urlaub positiv getestet worden wären, wartet man noch auf Informationen aus dem Ministerium; es ist allerdings nicht klar, wo diese genau waren (Bewegungsprofil) und selbst ob sie wirklich positiv getestet wurden kann nicht mit Sicherheit gesagt werden; um Maßnahmen zu setzen bedarf es allerdings dieser Informationen auch hinsichtlich der Flüge nach Frankfurt und Oslo wartet man noch auf die Passagierdaten aus dem Ministerium.
Mag. Florian Kurzthaler (Abteilung Öffentlichkeitsarbeit) schlägt vor: Betreffend die unklaren Fälle (Seefeld, Ischgl und Flüge nach Frankfurt und Oslo) sollte eher angedacht werden, derzeit nichts zu kommunizieren, sondern erst, wenn man konkrete Anhaltspunkte und Fakten habe.
Am 5. März um 15:58 Uhr treffen die detaillierten Informationen aus dem Sozialministerium ein
Am 5.3. 2020 teilt Berhard Benka vom Sozialministerium um 15:58 Frau Anita Luckner-Hornischer und Herr Franz Katzgraber von der Landesregierung Tirol mit:
Dear colleagues, We have a total of 14 cases with travel histroy to Ischgl via Münich:
Arrival 21.2. return 1.3. via München – two cases, 1 symption onset 26.2. Hotel Reelax Apartments, second 3.3.
Hotel Gravida, Arrival 22.2. 12 cases – all return via München, see dates of return below
3 Hotel Garni Martina – return to Iceland 29.2. 1 case onset 29.2., others 2.3. and 3.3.
7 Hotel Nevada – return to Iceland 29.2. All symtom onset 2.-3.3.
1 Hotel Garni Vogt – return to Iceland 29.2. Symptom onset 3.3.
1 Hotel Gradiva – return to Iceland 1.3., symptom onset 3.3.
Weiters berichtet am 5.3.2020 die Österreichische Botschaft Kopenhagen an das Aussenministerium und auch an das Büro des Landeshauptmannes in Tirol:
In Island sind bisher 34 Personen mit dem COVID-19 Virus infiziert. Da mehrere dieser Personen sich offenbar in Ischgl mit dem Virus infizierten, wurde seitens der isländischen Gesundheitsbehörde Ischgl als High Risk Area eingestuft und von unnötigen Reisen dorthin abgeraten.
Personen, die seit 29. Februar in Ischgl waren und sich in Island aufhalten, wird von den isländischen Behörden angeraten, als Vorsichtsmaßnahme 14 Tage zu Hause zu bleiben.
Landessanitätsdirektor Katzgraber in einer Presseaussendung: Ansteckung im Flugzeug
Dennoch gibt Landessanitätsdirektor Franz Katzgraber am 5.3.2020 folgende Pressemeldung hinaus:
14 Personen aus Island, die bereits am Wochenende wieder abreisten, verbrachten vergangene Woche ihren Skiurlaub im Tiroler Oberland. Nach ihrer Rückkehr nach Island wurden mehrere Personen positiv auf das Coronavirus getestet. Nach ersten Erhebungen und infolge einer schriftlichen Information vonseiten eines Betroffenen an den Beherbergungsbetrieb dürfte sich die Ansteckung erst im Flugzeug bei der Rückreise von München nach Reykjavik ereignet haben. ,,Unter dieser Annahme erscheint es aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist„, so Landessanitätsdirektor Franz Katzgraber. Konkret befand sich beim Rückflug ein aus dem ltalienurlaub kommender und am Coronavirus erkrankter Fluggast an Bord – die Fluggäste wurden vonseiten der Fluglinie darüber informiert. Derzeit finden weitere behördliche Abklärungen statt.
Die Landesregierung Tirol will also am 5.3.2020 nicht zur Kenntnis nehmen, dass sich die isländischen Urlauber in Ischgl angesteckt hätten. Vielmehr wird – ohne Rückfrage und Abklärung – die These der „Ansteckung im Flugzeug“ (die nur auf die Informationen der isländischen Reiseleiterin zurückgeht) zur offiziellen Erklärung gemacht. Das war – aus damalige und aus heutiger Sicht – der erste schwere Fehler der Tiroler Behörden.