Wie in Ischgl die Verantwortlichen zwei Corona-Verordnungen durch Dummstellen künstlich hinauszögerten. Und wie die Polizei dabei zusah. Die Ischgler Tatsachen in der Woche vor dem Ausrufen der Quarantäne waren: Einige Aprés-Ski-Bars haben ein behördliches Zusperr-Gebot ignoriert. Weitere Lokale haben das Versammlungsverbot von über 500 Personen missachtet. Die Runde der Entscheidungsträger übte sich in Hermeneutik. Auch die Ischgler Polizei, die per Verordnung ausdrücklich zur Kontrolle aufgerufen worden war, sah zu. Statt zu handeln, regte sie an: den Betreibern nochmals die Einhaltung der Verordnung…nahe zu legen. In der Zwischenzeit konnte sich das Covid-19-Virus im Ort munter ausbreiten. Eine Recherche von Sebastian Reinfeldt.
Ab 10. März kein Aprés-Ski mehr in Ischgl, besagt die Verordnung
Am Montag, 9. März 2020, wird das Kitzloch um 21.20 Uhr behördlich gesperrt. Der Grund: Am selben Tag stellte sich um 14.30 Uhr heraus, dass 16 Leute vom Staff positiv auf COVID-19 getestet worden waren. Doch hatte sich das Virus nur in den Räumen dieser Lokalität eingenistet? Aus heutiger Sicht wissen wir, dass eine solche Annahme Unsinn ist. Aber: Konnte man das auch damals ernsthaft glauben? Nein. Daher erlässt die zuständige Bezirkshauptmannschaft Landeck am Dienstag, 10. März, eine weitgehende Verordnung. Sie betrifft nur Ischgl und hatte es in sich.
Darin wird ausdrücklich festgehalten: Alle Aprés-Ski-Lokale in Ischgl sind unverzüglich zu schließen. Da diese Lokale zumeist erst ab 15 oder 16 Uhr öffnen, würde eine unverzügliche Schließung bedeuten, dass sie an diesem Dienstag erst gar nicht mehr aufsperren. Der Verordnung ist sogar eine Liste von 14 Lokalen beigefügt, für die dies zu gelten hat.
Die Ischgler Polizei hat einzuschreiten
Zusätzlich bestimmt diese Verordnung, dass die Polizei diese Beschränkungen zu überwachen hat. Gegebenenfalls ist sie ermächtigt, „sicherheitspolitisch“ einzuschreiten. Ebenso sieht diese Verordnung vor, dass die Busse und Lifte nur mehr halb so viel Personen transportieren dürfen. Das Ganze soll unverzüglich an der Amtstafel der Gemeinde kund gemacht werden.
Die Ischgler Entscheidungsträger legen die Verordnung am Folgetag aus
Ischgl ist anders. Am Dienstag, 10.3.2020, wird die Verordnung offenbar (noch) nicht umgesetzt. Denn dort beraten die „Entscheidungsträger“ erst am Folgetag, am Mittwoch, den 11. März. Laut Sitzungsprotokoll setzen sie sich um 8 Uhr früh zusammen. Mit dabei sind vom Tourismusverband Paznaun Alexander von der Thannen und Michael Zangerl. Vom Vorstand der Seilbahn-AG nimmt Günther Zangerl in der Runde Platz. Als Vertreter der Kraft- und Schibusverkehre redet Wilhelm Siegele mit sowie der Vizebürgermeister Ischgls, Emil Zangerl. Und was tut die Ischgler Männerrunde? Sie ergeht sich – obwohl die Verordnung eine definitive Aufstellung enthält – in theologisch anmutenden Auslegungen. Sie diskutieren, was denn als Aprés-Ski-Lokale zu gelten habe. Auch in anderen Fragen versucht sich die Runde in Hermeneutik.
Stellen wir uns mal ganz dumm: Was ist ein Aprés-Ski-Lokal?
Telefone werden bemüht. Ischgl richtet Fragen an die Bezirkshauptmannschaft. Was ist unter einem Aprés-Ski-Lokal zu verstehen? Gilt das Zusperren auch für Aprés-Ski-Lokale, die noch andere Lizenzen haben? Wohlgemerkt: Der Familie von der Thannen, die ja mit am Tisch sitzt, gehört selbst eine entsprechende (und sehr große) Lokalität in Ischgl: die Trofana Alm. Die Verantwortlichen stellen sich also zunächst einmal dumm. Gerade hier in Ischgl, wo man sich als die Weltmeister in Sachen Aprés-Ski-Lokale rühmt, wissen plötzlich die lokalen Touristiker nicht mehr, was genau darunter zu verstehen ist?
Fragen über Fragen
Vizebürgermeister Zangerl meint laut Sitzungsprotokoll noch, dass eine Schließung der Aprés-Ski-Lokale nur zu einer Verschiebung der Problematik auf andere Bars führen würde. Weiterhin bespricht die versammelte Runde eine Verordnung des Gesundheitsministeriums, welche die BH Landeck am 11.3 veröffentlicht hat. In ihr geht es nicht nur um Ischgl, sondern um alle Gemeinden. Die Verordnung untersagt das Zusammenströmen von mehr als 500 Personen außerhalb geschlossener Räume und von mehr als 100 Personen in geschlossenen Räumen.
Offenbar ist die Runde mit den Antworten auf ihre Fragen nicht zufrieden. Es folgt ein Schriftverkehr. In den Unterlagen findet sich nämlich eine Antwortmail der Bezirkshauptmannschaft an die Ischgler Polizeiinspektion von 11.31 Uhr. Sie lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Die genannten Aprés-Ski-Lokale sind ab 16.00 Uhr zu schließen, ganz egal, welche Konzessionen die Lokale sonst noch haben.
16 Uhr: Die Ischgler Polizei rückt zu Kontrollen aus
Die hermeneutischen Bemühungen der Ischgler Entscheidungsträger haben also wenig gefruchtet. Um 16.00 Uhr rückt die Polizei Ischgl dann zu Kontrollen aus. Das Resumee, laut Polizeibericht:
Zwei der 14 Apres-Ski-Lokale sind nicht geschlossen, die Schatzi Bar und das Hotel Alpenglühen.
Was das von der Herrenrunde problematisierte Zusammenströmen der Personen betrifft (nicht mehr als 500 draußen, nicht mehr als 100 drinnen), wird eine „Lichtbildbeilage“ übermittelt. Sie soll das Zusammenströmen außerhalb der Lokalitäten veranschaulichen.
Weitere zwei Tage sind in Ischgl verstrichen
Lapidarer Kommentar der Polizeiinspektion zum Ergebnis ihrer Kontrollen:
Eine zwangsweise Durchsetzung der Schließung erschien aufgrund des wetterbedingt starken Personenverkehrs und dem Umstand, dass damit lediglich eine Verlagerung der Menschenansammlungen erzielt würde, nicht verhältnismäßig
Seitens der PI Ischgl wird angeregt, dass am 12.3.2020 den Betreibern nochmals die Einhaltung der Verordnung, unter Androhung von Zwangsmitteln bei Nichtbefolgung, durch die PI Ischgl nahelegt wird.
Auf diese Weise wurde eine eindeutige Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck vom 10.März über zwei Tage hinweg nicht vollständig umgesetzt, bis zum 12.März. Von den Einwänden von damals hatte keiner Bestand. Inzwischen konnte sich das Virus weiterhin im Ort ausbreiten.
Unsere Recherchen zu Ischgl (Eine Auswahl)
13. März 2020: Eine Quarantäne über Ischgl, die eigentlich keine Quarantäne war
Corona-Virus: „Österreich galt ja nicht als Risikogebiet!“ – Chronologie der Ereignisse in Tirol
Politikerklage gegen Semiosis
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