Am 15. Juni ist die Chefredakteurin des philippinischen Medienportals Rappler wegen Rufschädigung verurteilt worden. Das skandalöse Urteil fällt in ein politisches Klima, in dem die Pressefreiheit auf den Philippinen immer mehr Einschränkungen erfährt. Im Urteilsspruch wurde ein Gesetz gegen Cyberkriminalität rückwirkend angewendet. Menschenrechtsorganisationen sehen ein Gefahr für die Demokratie. Wie ist dieses Urteil einzuordnen? Informationen von unserer Gastautorin und Philippinen-Expertin Marina Wetzlmaier.
2018: Mensch des Jahres – 2020: Verurteilt durch ein philippinisches Gericht
Auch wenn das Nachrichtenportal Rappler und seine Mitarbeiter*innen seit Jahren im Visier der Behörden stehen und Einschüchterungen sowie Drohungen ausgesetzt sind: Die Chefredakteurin Maria Ressa fand immer motivierende Worte für ihr Team. Nachzugeben, oder gar ihre Prinzipien einer kritischen Berichterstattung aufzugeben, das kommt nicht infrage. Maria Ressa stellte sich den Repressalien und erhielt dafür bereits international Anerkennung. Das Time Magazine kürte sie im Jahr 2018 zum Menschen des Jahres, und nahm sie 2019 sogar in die Liste der 100 einflussreichsten Personen auf.
Gesetze als Waffen gegen die Meinungsfreiheit
Anders sehen das die philippinischen Behörden. Ein Gericht verurteilte Maria Ressa und den ehemaligen Rappler-Reporter Reynaldo Santos Jr. am 15. Juni 2020 wegen übler Nachrede. Die Strafe kann von 6 Monaten bis zu 6 Jahren Haft betragen. Hinzu kommen jeweils 400.000 Pesos Schadenersatz. Das sind umgerechnet über 7.000 Euro. Da Ressa und Santos vor dem Obersten Gerichtshof berufen werden, ist das Urteil nicht rechtskräftig. Dennoch sendet es ein gefährliches Signal an die Öffentlichkeit:
Jede/r kann für seine/ihre Ansichten und Meinungen kriminalisiert werden,
schreibt die nationale Menschenrechtsorganisation Karapatan. Auch Human Rights Watch und Amnesty International sind alarmiert. Sie sehen in der Verurteilung nicht nur Folgen für den Journalismus, sondern für die demokratische Entwicklung der Philippinen allgemein. Politiker*innen würden die Gesetze in ihrem Sinne manipulieren, um kritische mediale Stimmen zu verfolgen. Koste es, was es wolle. Gesetze werden als Waffe gegen die Meinungsfreiheit eingesetzt. In diesem Fall ein Gesetz, das eigentlich gegen Cyberkriminalität vorgehen sollte.
Das Gesetz wird rückwirkend angewendet
Die Geschichte begann im Jahr 2012. Reynaldo Santos veröffentlichte für Rappler einen Artikel, in dem er den Geschäftsmann – und Kläger – Wilfredo Keng in Verbindung mit illegalem Menschen- und Drogenhandel brachte. Ein knappes halbes Jahr später tritt ein Gesetz zur Bekämpfung von Cyberkriminalität in Kraft. Schon damals schrien Jurist*innen und Medien auf. Sie zweifelten die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes an und befürchteten, dass kritische Websites auf dessen Basis abgedreht werden könnten. Im Oktober 2017 reichte Keng seine Klage gegen Rappler ein. Begründung: Der besagte Artikel verletze seine Ehre und seinen guten Ruf. Einem ersten Einspruch von Rappler wurde recht gegeben. Doch Keng brachte seine Klage erneut ein, diesmal mit Erfolg. Am 13. Februar 2019 wird Maria Ressa in der Redaktion festgenommen. Nach einer Nacht in Haft kommt sie gegen eine Kaution von 100.000 Pesos (1.700 Euro) wieder frei. Menschenrechts-Anwälte und die Organisation Free Legal Assistance Group (FLAG) setzen sich für Ressa ein. Dennoch beginnt am 23. Juli 2019 der Prozess.
Andauernde Duterte-Kampagnen gegen die Plattform Rappler und unabhängige Medien
Die Verurteilung krönt jahrelange Kampagnen der Duterte-Regierung gegen Rappler. Vor allem die kritische Berichterstattung über den angeblichen Anti-Drogenkrieg ist dem Präsidenten ein Dorn im Auge. So sehr, dass Rappler-Reporter*innen nicht mehr zu Pressekonferenzen im Präsidentenpalast zugelassen werden. Der Raum für Pressefreiheit wurde in den vergangenen Monaten immer weiter eingeschränkt. So steht die Verbreitung von vermeintlichen „Falschmeldungen“ in Bezug auf die Covid-19-Pandemie unter Strafe. Im Mai wurde am selben Tag ein Radioreporter von Unbekannten erschossen und das größte Rundfunkunternehmen des Landes, ABS-CBN, geschlossen. Dennoch findet Maria Ressa in einer Stellungnahme nach der Verurteilung ermutigende Worte:
Habt keine Angst, denn wer seine Rechte nicht nutzt, verliert sie!
Interview mit Melinda Quintos
Zum Thema Pressefreiheit in Philippinen siehe auch unser Interview mit Melinda Quintos de Jesus vom „Center for Media Freedom and Responsibility“
Politikerklage gegen Semiosis
Semiosis wird von Franz Hörl geklagt. Der ÖVP-Nationalrat ist mit unseren kritischen Fragen zum Zillertal nicht einverstanden. Diese Klage bedroht uns in unserer Existenz. Daher bitten wir euch um Spenden. Danke sehr!
Oder direkt aufs Spendenkonto: IBAN: AT10 1420 0200 1097 3466, BIC: EASYATW1
Foto von Maria Ressa: Von Joshua Lim (Sky Harbor) – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 ph, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15717959