In Zeiten des Internethandels florieren die Logistikunternehmen. Aber: Welche Menschen sind für die korrekte Abwicklung unserer Bestellungen in den Warenlagern eigentlich zuständig? Asylberechtigte und Frauen aus Osteuropa. Und unter welchen Bedingungen arbeiten diejenigen, die dort unsere Pakete betreuen?
In jeder Branche gibt es schwarze Schafe. So auch in der Logistik. Mit dieser Grundannahme haben wir im Sommer 2019 unsere Nachforschungen zu einem Subunternehmen aus dieser Branche begonnen. Es verlieh Leiharbeiter an eine marktführende Spedition und an einen weltweit führenden Waschmittelhersteller. Wir hatten von mehreren Quellen Hinweise auf ausbeuterische Arbeitsbedingungen in den Lagerhallen beider Betrieben erhalten.
Nach und nach wurde unsere Recherche umfangreicher. Aus dem einen Subunternehmen, das verliehen hat, wurden bald deren drei, die bis heute Menschen fürs Verpacken und Verräumen verleihen. Hinter einer Fassade aus formal korrekten, legalen Arbeitsverhältnissen verbirgt sich ein perfides System der Ausbeutung von Menschen, die sich nicht wehren können. Eine Recherche von Katharina Rohrauer und Sebastian Reinfeldt. (Erstveröffentlichung am 16. Februar 2020; Aktualisierung am 17.Mai 2020)
So nötig wie das Brot zum Leben
Auf dem Papier arbeiten sie für Verpackungsfirmen, die bevorzugt Asylberechtigte und Frauen aus Osteuropa beschäftigen. In Lagerhallen in Wien und Umgebung sortieren, verstauen und verladen sie Waren aller Art. Die Männer kommen vorwiegend aus Syrien, aus dem Irak oder Afghanistan. Sie alle verfügen über eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung (vorwiegend Konventionspässe oder Subsidiäre Aufenthaltsbewilligungen) und können daher legal arbeiten. Die Frauen stammen zumeist aus den österreichischen EU-Nachbarländern Ungarn und Slowakei. Gemeinsam haben sie alle eines: Es ist für sie extrem schwer, am hiesigen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Daher benötigen sie das Geld, das sie verdienen, (und den Zettel, der ihre Anstellung vermerkt) so dringend nötig wie ihr Brot zum Leben. Für Migrantinnen und Migranten ohne hoch qualifizierende Ausbildung und Arbeitserfahrung ist es schwer, in Österreich Arbeit zu finden. Daher bleiben die Betroffenen in dieser Reportage anonym. Denn: Noch sind sie in den Lagerhallen tätig. Wir berichten, was sie über ihre Erlebnisse am Arbeitsplatz erzählen. Und wir veröffentlichen Dokumente und Fotos, die all das belegen, was uns anvertraut wurde.
Angestellt – und eigentlich doch nicht
Die Arbeiter und die Arbeiterinnen in den Warenlagern werden sozialversicherungspflichtig angestellt. Dies aber oft nur für 30 Stunden pro Woche. Gearbeitet werden indes rund 40 Stunden wöchentlich. Mal mehr, mal weniger. Am Ende des Monats kommen somit Nettolöhne heraus, die deutlich unterhalb des eh schon kargen Mindestlohns des Branchenkollektivvertrags liegen. Die tatsächliche Spanne reicht von so ca. 6 Euro netto pro Stunde bis maximal knapp 9 Euro. Einen Anspruch auf bezahlten Urlaub haben sie nicht, erzählen die Betroffenen. Wenn sie krank werden, dann erhalten sie kein Krankengeld. Daher gehen sie auch mit Fieber noch arbeiten, berichten sie. Auch von einem 13. und 14. Monatsgehalt kann keine Rede sein. Stattdessen werden gelegentlich geringe Prämien ausbezahlt.
Durchschnittsverdienst: rund 1000 Euro netto
Es gibt weder geregelte Arbeitszeiten noch Mehrstunden- oder Überstundenzulagen. Das führt dazu, dass die Männer, die de facto Vollzeit arbeiten, im Durchschnitt kaum mehr als 1000€ netto monatlich verdienen. Wir dokumentieren dies mit einem Lohnzettel aus 2019 – einem von vielen, die wir einsehen konnten.
Beispiel: Ein Lohnzettel für Januar 2019
Management by Misstrauen und Goodies
Die Schilderungen des Arbeitsalltags lassen ein System des „Managements durch Misstrauen“ erkennen. Es funktionierte über diskrete, persönliche Goodies. Über sie durfte man keinesfalls mit den anderen Kolleginnen und Kollegen reden, wenn sie einem zuteilwurden. Beispielsweise bekamen manche der Arbeiter ab und an doch Krankengeld oder sogar Urlaubstage bezahlt. Allerdings unter der Hand und unter der Bedingung, „unter keinen Umständen mit den anderen darüber zu sprechen“. Arbeitsrechtliche Mindeststandards wurden als „Prämie“ für gute Arbeit, besondere Loyalität und Sympathie verkauft.
Mangels Arbeitsverträgen und mangels einer Entlohnung nach Kollektivvertrag hat der Chef willkürlich festgelegt, an wen wie viel ausgezahlt werde, erzählen sie. Das karge Gehalt dieser Männer war gewissermaßen von der Laune der Vorgesetzten abhängig. Dies gilt auch für die Diensteinteilung. Sie erfolgt nämlich via WhatsApp. Als Beleg haben wir einige Screenshots der virtuellen Dienstpläne zur Verfügung gestellt bekommen. Einen davon dokumentieren wir.
Dienstplan via WhatsApp
Man wurde praktisch über einen Chat-Kanal eingestellt. Eine Person fügte eine Verpackerin oder einen Verpacker der „Chat-Gruppe“ hinzu. Via WhatsApp erfolgte die Diensteinteilung. Hier wurden auch wichtige Informationen und Anweisungen verbreitet. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer standen ihren Chefs 24/7 zur Verfügung, oft wussten sie erst 12 Stunden vorher, ob sie am nächsten Tag arbeiteten, wo sie das tun und wie lange sie an dem Tag beschäftigt sein würden.
Ein Ausschluss aus der WhatsApp-Gruppe kam somit einer Kündigung gleich. Und sie erfolgte ganz formlos.
Diese WhatsApp-Gruppe ist – abgesehen von der Anmeldung beim zuständigen Versicherungsträger – der einzige „Beweis“ für ihre Arbeit. Unser geschwärzter Auszug aus einer solchen Gruppe zeigt einen Freitag im Jahr 2019. Das orange Feld links oben betrifft das Lager der Spedition Gebrüder Weiss, in dem unter anderem Lieferungen für Nespresso und BIPA abgewickelt werden. Darüber hinaus teilte der Plan die Mitarbeiter für Einsätze bei Texsped, LKW Walter und Henkel ein. Damit ist auch offensichtlich, dass diese Verpackerinnen und Verpacker verliehen werden. Und an wen.
Keine Zeitaufzeichnung, keine Transparenz
Ansonsten verfügten die Arbeiterinnen und Arbeiter lange Zeit über keine schriftlichen Arbeitsverträge, in denen Mindestlohn, Arbeitszeiten, Tätigkeiten, Ansprüche oder sonstiges vermerkt sind. Erst als sich herumgesprochen hatte, dass wir recherchieren und nachfragen, gab es plötzlich nachgereichte Arbeitsverträge. Doch dazu später.
Die Angestellten wussten de facto daher nicht einmal, welche Kündigungsfristen für sie gelten. Eigene Zeitaufzeichnungen nach einem Verfahren, das die Firma bereitstellt, waren bei der Verleih-Firma Inschasi nicht vorgesehen. Jeder und eine Jede machte persönliche Aufzeichnungen – oft handschriftlich, um irgendetwas in der Hand zu haben. Arbeitsrechtlich gilt das als Zeitaufzeichnung. Die dort vermerkten Stunden tauchten allerdings in den Abrechnungen nicht auf. Hin und wieder gab es statt Über- oder Mehrstunden halt ein Goodie, wenn man lieb war und keine kritischen Fragen stellte. Aber nur dann.
Angestellt bei Einzelunternehmen, verliehen an große Konzerne
Nach Innen herrschte Günstlingswirtschaft. Nach Außen hin, bei den beteiligten Unternehmen, wurde ein intransparentes Geflecht von Auftraggebern, Zwischen-Auftragsnehmern und Auftraggebern geknüpft. Die Beschäftigten kannten sich nicht aus, für wen sie tatsächlich arbeiteten. Denn ihre Chefs disponierten sie. In einer Lagerhalle schufteten sie unter einem Dach für jeweils verschiedene Damen und Herren. Und diese reichten sowohl ihre Verantwortung als auch ihre (Fürsorge-) Pflichten als Arbeitgeber gerne wie eine heiße Kartoffel herum.
Zu Beginn unserer Recherchen gab es da nur eine Firma, die verlieh: die Inschasi Verpacker e.U, eine Einpersonenunternehmung. Die eine Person kann darin schalten und walten, wie er oder sie will. Allerdings ist er oder sie persönlich haftend. Mahmoud Inschasi, der namensgebende Einzelunternehmer, ist in der Branche kein unbeschriebenes Blatt. Denn bereits 2013 wurde die Zeitung Die Presse bei einer Reportage über „Wiens neue Sklaven“ auf ihn aufmerksam.
2013: Wiens neue Sklaven im Lager des Henkel-Konzerns (Die Presse)
Bei „Josi“, einem Tageszentrum für Wohnungslose, erfuhren sie von einem gewissen Mahmoud. Mahmoud mag Bodybuilding, posiert auf den Fotos seines Facebook-Profils vor großen Autos der Marken Mercedes und BMW. Seine Handynummer machte unter der Hand bei den Gästen von „Josi“ die Runde.
Wer anrief, den las er am vereinbarten Treffpunkt mit dem Auto auf. Dann ging es ins Zentraleuropa-Lager des Henkel-Konzerns. 16,5 Milliarden Euro Umsatz machte das Unternehmen 2012 weltweit. Im Lager war – neben Valéria und Verónika – eine Heerschar ungarischer Arbeiterinnen mit dem Umverpacken und Versenden von Waschpulver, Parfum und anderen Gütern beschäftigt. Für Großpackungen und Sonderangebote im Supermarkt. Am Ende des Monats gab es das „Gehalt“ bar auf die Hand. 800 Euro für über 160 Stunden Arbeit. Valéria hat jede geleistete Stunde, jeden ausbezahlten Euro sauber in ihrem Notizbuch vermerkt. Der Mindestlohn, der ihr laut Kollektivvertrag eigentlich zustehen würde, beträgt allerdings 1074,48 Euro. Exklusive der Abgaben des Arbeitgebers.
Auf den Papieren, die sie von ihrem Chef bekam, steht etwas anderes (Verónika hat nicht einmal das). Nicht nur, dass anstatt Mahmoud, dessen Nachnamen sie durch Zufall erfuhr, eine gewisse Edit F. als Dienstgeberin aufscheint. F. führt mit ihren Arbeiterinnen also Arbeiten durch, die die Firma Henkel eigentlich an den Logistikdienstleister Texsped aus Wiener Neudorf vergeben hat.
Seit 2015 im Fokus: Asylberechtigte
So war das 2013. Die Berichte der Männer, die bis vor kurzem bei der Inschasi e.U.-gearbeitet haben, ähnelten dem, was damals beschrieben worden war. Seit der Presse-Reportage hat sich an den Arbeitsabläufen offenbar kaum etwas geändert. Nur, dass die Betroffenen jetzt angestellt sind.
Auch 2019 wurden die „neuen Sklaven“ als Lagerarbeiter an die Spedition Gebrüder Weiss, an Texsped und an Henkel verliehen. Einige trugen bei der Arbeit im Lager sogar eine Gebrüder Weiss um den Hals, erzählen sie. Das sei dann einfacher so. Doch gibt es in der Branche mittlerweile noch mehr Inschasis: Unternehmen mit demselben Geschäftsmodell, unter anderem Namen.
Bäumchen wechsel dich!
Wir erfuhren, dass die Betroffenen seit September 2019 nicht mehr bei Inschasi arbeiteten. Der Mann habe sich nämlich aus dem Geschäft zurückgezogen – bis auf weiteres. Über die Gründe wird spekuliert. Es ist von Gerichtsverfahren die Rede, die die Arbeiterkammer gegen ihn führe. Es mag auch sein, dass unsere Recherchen und Nachfragen ruchbar wurden.
Bei Texsped und den Gebrüder Weiss ist nun eine weitere Subfirma im Spiel. Die meisten Ex-Inschasi-Mitarbeiter sind nämlich mit ihrem Chef in eine andere Lagerhalle in Wien gewandert: Im Henkel-Zentrallager in Meidling stehen sie nunmehr bei der Ondrusekova e.U unter Vertrag. Sie bietet ihren Auftraggebern – neben den anerkannten Geflüchteten – Frauen aus Ungarn und der Slowakei als Personal an. Die Einzelunternehmerin heißt Zuzana Ondruseková.
Der Einzelunternehmer Mahmoud I. fungiert dort als Vorarbeiter, so wurde uns von den Betroffenen erzählt. Aber nur zum Schein. Denn in Wahrheit bleibt nämlich alles in der Familie.
Zwei Firmen unter derselben Adresse
Die Dokumente der An- und Ummeldung der Mitarbeiter vom September 2019 weisen für die Firmen Inschasi und Ondrusekova dieselbe Mailadresse und dieselbe Telefonnummer aus.
Praktischerweise wohnen die beiden Einzelunternehmer(innen) auch unter einem Dach im fünften Wiener Gemeindebezirk. Im Firmenbuch steht diese Adresse als Firmensitz. Und zwar in der mutmaßlichen Privatwohnung der beiden. Ihre Namen stehen jedenfalls auf dem Klingelschild einer Wohnung in einem Gemeindebau in Margareten.
Der Firmenchef namens Mahmoud Inschasi ist der erwähnte Mahmoud I. im zitierten Auszug aus der Presse-Reportage von 2013. Die Beschäftigten, mit denen wir sprachen, haben ihn wieder erkannt. Hinzu kommt, dass er seinen Facebook-Account, der ebenfalls in der Presse von 2013 Erwähnung fand, weiterhin bespielt. Dort finden sich weiterhin Fotos eines Mannes, der ganz offensichtlich cool aussehen möchte. Und viele Kommentar-Küsschen seiner (offenbar nicht nur Geschäfts-) Partnerin Zusana Ondruseková.
Eine moderne Form der Leibeigenschaft
Die meisten Männer sind also mit ihrem Ex-Firmenchef ins Henkel-Zentrallager umgezogen. Sie sind nunmehr bei der Firma seiner mutmaßlichen Lebensgefährtin angestellt. Aber wer macht nun den alten Job im Lager der Gebrüder Weiss? Bei denen steht ein neuer Zwischen-Händler unter Vertrag: Die Abuaudeh KG, eine Firmen-Neugründung. Ihr Chef heißt laut Firmenbuch Hazem Abu Audeh. Seine Kommanditgesellschaft wurde am 29. August 2019 ins Leben gerufen. Hazem Abu Audeh haftet dort unbeschränkt. Seine Frau fungiert laut Firmenbuchauszug als Co-Kommandistin. Im Fall des Falles steht sie mit lediglich 100 Euro gerade. Es handelt sich also um ein weiteres Familien-Einzel-Unternehmen in der Wiener Logistik.
Dienstverträge, die nur ein Stück Papier sind
Auch dieser Abu Audeh.Hazem ist kein Unbekannter. Er tauchte bereits im oben dokumentierten WhatsApp-Screenshot von Inschasi auf. Damals wirkte er als Vorarbeiter bei Texsped. Doch im Unterschied zu seinem vorherigen Zulieferer von Arbeitskräften, der Firma Inschasi, schreibt seine neu gegründete KG die entwürdigenden Arbeitsbedingungen in Dienstverträgen fest. Diese Dienstverträge müssen zwar von allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unterschrieben werden. Aber nicht alle erhalten auch ein Duplikat. Trotz mehrmaliger Nachfrage wird ihnen ihr eigener Arbeitsvertrag vorenthalten. Auch die Firma von Ondrusekova besteht plötzlich auf (teilweise rückdatierte) Arbeitsverträge. Auch sie „vergisst„, diese unterschrieben den Beschäftigten auszuhändigen.
Der Kollektivvertrag gilt in den Lagerhallen nicht
In fehlerhaftem Deutsch steht im Dienstzettel der Abuaudeh KG der Lohn für die (offiziell) 120 Stunden Arbeit im Monat zu lesen: Er beträgt ganze 989,66 Euro brutto. Eine Kollektivvertragsbindung wird ausdrücklich ausgeschlossen. On top enthält der Vertrag eine sechsmonatige Konkurrenzklausel: Um für den Hungerlohn schuften zu dürfen, müssen sich die Beschäftigten verpflichten, sechs Monate nach Ende des Arbeitsvertrags nirgendwo anders in der Branche zu arbeiten. Eine solche Vereinbahrung ist, bei einem so niedrigen Gehalt, arbeitsrechtlich unwirksam. Doch welcher Asylberechtigte kennt schon die Details des österreichischen Arbeitsrechts? Somit begründet eine solche Konkurenzklausel eine vertragliche Form der Leibeigenschaft, ohne entsprechendes Entgelt. Und ohne einen erkennbaren sachlichen Grund.
Die Profiteure: Gebrüder Weiss und Henkel
Von diesem System profitieren allerdings nicht nur die genannten Leihfirmen. Diese liefern ja billige und – zwangsweise – willige Arbeitskräfte an ihre Auftraggeber, in diesen Fällen: die Firmen Gebrüder Weiss im niederösterreichischen Maria Lanzendorf und an das Zentrallager von Henkel in Meidling. Bei dem letztgenannten Weltunternehmen wird laut Homepage unter dem Stichwort Partner und Lieferanten deutlich gemacht, nach welchen Kriterien diese ausgewählt werden:
Für langfristige Geschäftsbeziehungen wählen wir Lieferanten aus, bei denen wir großes Potenzial sehen bezüglich Innovation, Optimierung von Herstellungskosten und Logistikprozessen.
Ein weiterer Zwischenhändler in der Szene: Die Trans-Service-Team Austria GmbH
Ob die Firma TST (Trans-Service-Team Austria GmbH) nach eben diesen Richtlinien ausgewählt worden ist? Mit ihr betritt ein weiterer Subunternehmer das Wiener Logistik-Universum. Offiziell firmiert TST als „Co-Packing-Unternehmen“ bei Henkel. Im Auftrag von Henkel nimmt TST nämlich die Dienste von Ondrusekova e.U. in Anspruch. Dort arbeiten also die Ehemaligen aus der derzeit inaktiven Inschasi e.U., unter ihrem Ex-Chef als Vorarbeiter. Unter den von uns recherchierten Arbeits- und Lohnbedingungen verpacken die Arbeiterinnen und Arbeit für TST im Lager von Henkel Produkte dieser Firma.
… ist eine juristische Hülle
Die Mutterfirma von TST Austria sitzt in Worms im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz. Sie ist dort ein großer Logistik-Player. Geleitet wird das Unternehmen von Frank Schmidt, zusammen mit seiner Frau. Interessant ist, dass laut Medienberichten 57 Verwandte von Frank Schmidt bei ihm beschäftigt waren beziehungsweise sind. Daher wird der Firmenboss in Zeitungsberichten auch kurzerhand als „Clan-Chef“ bezeichnet.
Die österreichische Tochtergesellschaft ist eine juristische Hülle. Aufschlussreich dafür ist etwa das Protokoll der „Generalversammlung der Trans-Service-Team Austria GmbH“ vom 7. November 2018, das uns vorliegt. Anwesend: Ein Österreicher namens Martin M., der von TST-Austria- Geschäftsführer Frank Schmidt eine Vollmacht nur für diese Generalversammlung erhalten hat.
An der Generalversammlung nimmt also dieser Bevollmächtigte teil. Er vertritt den Geschäftsführer. Und ein Notar, der alles protokolliert und beglaubigt. Zwar liest sich das Ergebnis wie das einer wichtigen Sitzung, doch es war nur eine einzelne Firmen-Person physisch anwesend, die laut Protokoll durchaus zutreffend alle relevanten Entscheidungen „einstimmig“ gefällt hat.
Die Gebrüder Weiss
Die andere Firma, die von diesen Bedingungen profitiert, ist die Spedition Gebrüder Weiss in Maria Lanzendorf bei Wien. Sie wiederum gehört zum Firmengeflecht der Gebrüder Weiss, jenem privaten Speditionsunternehmen, das sich vollständig im Besitz der Familien Senger-Weiss und Jerie befindet.
Bekannt ist, dass die Senger-Weiss GmbH den Wahlkampf von Sebastian Kurz mit insgesamt 50.000 Euro unterstützt hatte. Einer der Gesellschafter der Senger-Weiss GmbH ist Wolfram Senger-Weiss. Ein Name der so in den Dokumenten von Sebastian Kurz‘ Projekts Ballhausplatz auftaucht.
Das ist in Summe und im Vergleich zu den anderen Großspendern der ÖVP nicht so viel. Dennoch basiert der gute spendierte Umsatz der Firmengruppe offenbar darauf, dass in ihren Lagerhallen Menschen zu Bedingungen arbeiten, die Österreicherinnen und Österreicher so wohl kaum akzeptieren würden – und arbeitsrechtlich auch nicht akzeptieren müssen.
Wer vertritt die Interessen dieser Beschäftigten?
Die Machenschaften der Firmen, gepaart mit einer Politik, deren Ziel es die letzten Jahre war, Menschen, die sich am österreichischen Arbeitsmarkt schwer tun, zu stigmatisieren und sanktionieren, führen im Ergebnis zu einem Aushebeln arbeitsrechtlicher Errungenschaften. Es entsteht ein zweiter Arbeitsmarkt, an dem das österreichische Arbeitsrecht und Errungenschaften, für die Gewerkschaften jahrzehntelang gekämpft haben, nicht mehr zu existieren scheinen.
Für uns, die das hier Dargestellte monatelang recherchiert haben, stellen sich zwei Fragen: Wer vertritt eigentlich die Interessen der Betroffenen? Was passiert, wenn dieser zweite Arbeitsmarkt größer wird und seine Auswirkungen nicht mehr „nur“ Migrantinnen und Migrannten umfasst, sondern wenn dies auch Österreicherinnen und Österreicher zugemutet wird?
Ein Logistikdienstleister der sich Leihmitarbeitern bedient um die Auftragsschwankungen seiner Kunden besser ausgleichen zu können, als es Betriebsvereinbarung/Kollektiv mit eigenem Personal zulässt, kann wahrscheinlich überprüfen ob ein Leihmitarbeiter eine Arbeitserlaubnis hat und ob er angemeldet ist. Aber wie soll ein Auftraggeber im Zeitalter von Datenschutz überprüfen ob die Leiharbeiterfirma den Lohn korrekt abrechnet, insbesondere wenn die Mitarbeiter bei verschiedenen Firmen eingesetzt werden.