Freunderlwirtschaft, Lobbyismus, Kleinkorruption und ein Gspusi – Die Causa Österreichische Staatsdruckerei [Update]

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By Tano Bojankin

In Österreich sind Unternehmen durch die Coronakrise in ihrer Existenz bedroht. Einnahmen von 90.000 Euro würden derzeit für viele richtig viel Geld bedeuten. Das österreichische Innenministerium gab diesen Betrag aus, nur damit eine europaweite Ausschreibung genau auf ein einziges Unternehmen hin geschrieben wird. Als dies gelang, schanzten sie dem (überraschenderweise) einzigen Anbieter einen Auftrag über 25 Millionen Euro jährlich zu. Alles völlig rechtskonform und unbefristet – versteht sich. Wegen der Planungssicherheit. Bei dem Unternehmen handelt es sich um eine private Druckerei, die den wohlklingenden Namen Österreichische Staatsdruckerei GmbH trägt.
Um diese Causa zu verstehen, rekapitulieren wir den Status dieses Unternehmens in den Jahren vor 2000 und stellen ihm zwei weitere österreichische Unternehmen des Ausweis- bzw. Sicherheitsdrucks gegenüber. Denn es gab, so wie eigentlich immer, Alternativen zur Auftragsvergabe an die Staatsdruckerei. Eine Recherche von Tano Bojankin (mit Unterstützung von Sebastian Reinfeldt) zu einem Fall, der alle typisch österreichischen Ingredienzien bei politischen Geschäften enthält: Freunderlwirtschaft, Lobbyismus, Kleinkorruption und ein Gspusi, das mitschneidet. [Update vom 17. Juli 2022: In der Angelegenheit gibt es wieder ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Republik. Auch die erneute Ausschreibung entspricht nicht den EU-Vorschriften. Darüber berichten wir. Außerdem haben wir die Überschrift geändert.]


Mitspieler eins: Austria Card GmbH

Die Austria Card GmbH geht auf die 1873 von Josef Eberle im 8. Wiener Gemeindebezirk gegründet traditionsreiche Druckerei Eberle zurück. Das Unternehmen war seit den 1980er-Jahren auf die Produktion von Eurocheques und das Bedrucken zugekaufter Eurocheque-Plastikkarten spezialisiert. Dieses Segment wurde durch technologische Entwicklungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr unbedeutend. Seit 1984 wurde begonnen, selbst entwickelte Plastikkarten zu produzieren. 1993 vollzog man den Wechsel von der Magnet- zur Chipkartentechnologie. 1994 wurde das Unternehmen von der Österreichischen Nationalbank übernommen. Unter dem neuen Firmennamen Austria Card GmbH wurde es Spezialist für eine Vielzahl chipbasierter Applikationen: Elektronischer Zahlungsverkehr, Identifikationssysteme, SIM-Karten für den Mobilfunk sowie Software für Chipkartenbetriebssysteme und Personalisierungsanlagen. Der Hochsicherheitsdruck war ein weiterer Geschäftsbereich. 1999 zählte die 100%ige Nationalbanktochter Austria Card zu den auch technologisch weltweit führenden Anbietern – nicht nur im Bankkarten-, sondern auch im Identitätskartenbereich mit 230 Mitarbeitern und Produktionsstandorten in mehreren Ländern. Bei internationalen Ausschreibungen gewann die Austria Card beispielsweise die Aufträge zur Produktion des dänischen und des tschechischen Scheckkartenführerschein sowie des schwedischen Scheckkartenpersonalausweises. In Österreich wurde von der Austria Card die österreichische Polizei und Gendarmerie mit Ausweisen ausgestattet.

Mitspieler zwei: Österreichische Banknoten- und Sicherheitsdruck GmbH (OeBS)

1998 gliederte die Österreichische Nationalbank ihr Sicherheitsdruckzentrum in der Wiener Garnisongasse in die Österreichische Banknoten- und Sicherheitsdruck GmbH (OeBS) aus. Kolpierte Kosten des Zentrums, das im selben Jahr neu eröffnet wurde: 330 Millionen Euro. Diese 100%ige Nationalbanktochter ist als einer von 10 Standorten in Europa für den Druck der Eurobanknoten zuständig. Aufgrund der Gründungsstatuten und entsprechend technischen Ausstattung und Kapazitäten war ursprünglich angestrebt, auch Sicherheitsdruck wie Ausweise hier auszuführen.


Der Österreichische Banknoten- und Sicherheitsdruck in der Wiener Garnisongasse


Mitspieler drei: Österreichische Staatsdruckerei (OeSD)

Die Österreichische Staatsdruckerei GmbH (OeSD) geht auf die 1804 gegründete k.k. Hof- und Staatsdruckerey zurück. Diese wurde gegründet, um den wachsenden Bedarf an behördlichen Formularen, Gesetzesblättern und anderen Behördendrucken zu decken. Deren Stempel- und Briefmarken hatten einen exzellenten internationalen Ruf. Für den eigenen Verlag wurden zahlreiche Bücher – auch Schulbücher und seit den 1930er-Jahren auch die Wiener Zeitung – hergestellt. 1981 wurde mit dem Staatsdruckereigesetz die Staatsdruckerei aus der Hoheitsverwaltung herausgelöst und so ein eigener Wirtschaftskörper geschaffen. Das Staatsdruckereigesetz als eine Art Behördenorganisationsgesetz regelt auch, für welche Druckerzeugnisse des Staates diese herangezogen werden muss. 1995 wurde die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindliche private Rollen-Offset Druckerei Strohal erworben. Der Wirtschaftskörper Österreichische Staatsdruckerei wurde 1997 in eine Aktiengesellschaft (Österreichische Staatsdruckerei AG) umgewandelt und die im Eigentum des Bundes stehenden Aktien zwecks Privatisierung der Österreichischen Industrieholding Aktiengesellschaft (ÖIAG) übertragen. Mitte 1999 wurde die Firmenbezeichnung der Österreichischen Staatsdruckerei AG auf Print Media Austria AG geändert. Im September 1999 erfolgte die Abspaltung und Übertragung des Teilbetriebes Wert- und Sicherheitsdruck auf die neu gegründete Österreichische Staatsdruckerei GesmbH (OeSD).


Die Österreichische Staatsdruckerei GmbH (OeSD) ist eine private Sicherheitsdruckerei mit Sitz in in der Tenschertstrasse in Wien.

Die Privatisierung der Österreichischen Staatsdruckerei

1999 waren die Produktionsanlagen der Österreichischen Staatsdruckerei GmbH (OeSD) teilweise veraltet und der denkmalgeschützte Standort in Wien am Rennweg logistisch suboptimal. Nach einer Rechnungshofprüfung erwogen auf Empfehlung des Rechnungshofes die ÖIAG, die Österreichische Nationalbank sowie die Österreichische Staatsdruckerei GmbH eine Verlagerung der Staatsdruckerei-Produktion (Sicherheitsdruck) in die neuerrichtete Druckerei der Österreichische Banknoten- und Sicherheitsdruck GmbH (OeBS) in der Garnisongassse. Nationalbankpräsident Alfred Wala deponierte namens der OeBS GmbH ein Kaufangebot für die Staatsdruckerei GmbH bei der OIAG. Da nicht klar war, ob das Staatsdruckereigesetz – welches eine gewinnträchtige Grundausauslastung garantiert und zu diesem Zeitpunkt den Hauptwert des Unternehmens ausmachte – nach einem Kauf weiterhin aufrecht sein würde, war die Nationalbank aus kaufmännischer Vorsicht in der Höhe des Angebotes beschränkt.

Und dann gingen die Unterlagen verloren

Im Dezember 2000 wurde die Staatsdruckerei GmbH von der ÖIAG an zwei branchenfremde aber politiknahe österreichische Unternehmer verkauft. Vier Monate später – im Mai 2001 – wurde das Staatsdruckereigesetz (in einem Budgetbegleitgesetz) novelliert. Diese Novelle bestätigte das Monopol der OeSD für Sicherheitsdruckerzeugnisse der Republik durch eine Art Erstanbotsrecht. Die Staatsdruckerei-Produktion übersiedelte vom Rennweg in die ehemalige Formulardruckerei der Strohal-Druck in der Tenschertstrasse.

Wer welche Entscheidungen bei der Privatisierung der Österreichischen Staatsdruckerei getroffen hatte (beziehungsweise wer für diese verantwortlich war), ist nicht mehr nachvollziehbar. Der Grund: Sämtliche Unterlagen der Privatisierungen der 2000er-Jahre sollen bei der Übersiedlung der ÖIAG von der Kantgasse in die Dresdnerstrasse verloren gegangen sein.

Rechtswidrige Vergaben von öffentlichen Aufträgen an die privatisierte Österreichische Staatsdruckerei

In weiterer Folge wurden von der Republik Österreich ohne Ausschreibung Aufträge für Sicherheitsdruckerzeugnisse an das zu 100 % privatisierte Unternehmen vergeben – immer mit der gleichlautenden Begründung:

Es ist im Staatsdruckereigesetz festgeschrieben, dass ein derartiger Auftrag von der Staatsdruckerei ausgeführt werden muss.

Dass diese Priviligierung durch das Staatsdruckereigesetz aber durch den EU-Beitritt und die Privatisierung der Staatsdruckerei obsolet geworden ist, wurde dabei beharrlich negiert.

So ging der Auftrag des Innenministeriums für den Personalausweis in Scheckkartenformat (2002) ohne Ausschreibung an die Staatsdruckerei. Hergestellt wurden diese dann von der Austria Card als Sublieferant der Staatsdruckerei. Mit derselben Begründung wurden die bis 2005 von der Austria Card hergestellten Polizeiausweise vom Innenministerium ebenfalls ohne Ausschreibung an die Staatsdruckerei vergeben. Die Geschäftsführung der Austria Card hatte übrigens von dem Auftragsentzug aus den Medien erfahren. Für die im selben Jahr eingeführten neuen biometrischen Reisepässe wurde die Austria Card vom Ministerium erst gar nicht zur Angebotslegung eingeladen, obwohl diese einen eigenen biometrischen Pass (samt Software und Chip) entwickelt hatte – Stückpreis 10-12 Euro, so schrieben Michael Nikbaksh und Martin Staudinger im profil vom 21. März 2005. Titel ihrer Recherche: Teurer Reisespaß! Der Auftrag „für Integratorleistungen“ für den biometrischen Reisepass ging vom Innenministerium direkt – und ohne Ausschreibung – an die Staatsdruckerei. Diese kauft die einzelnen Teile des Reisepasses bei verschieden Herstellern (das Herzstück des Passes, den anspruchsvollen Chip, anfänglich bei Siemens, später bei Giesecke & Devrient), integriert (assembliert) diese Teile zum fertigen Reisepass und personalisiert sie anschließend – Stückpreis: 28 Euro.


Die Nationalbanktochter Austria Card entwickelte einen biometrische Reisepass – wurde aber vom Ministerium gar nicht erst zur Angebotslegung eingeladen.

Ebenfalls 2005 hat auch das Verkehrsministerium (BMVIT) den Auftrag für die neuen Scheckkartenführerscheine direkt – und ohne Ausschreibung – an die Österreichische Staatsdruckerei (OeSD) vergeben.

Die Nationalbanktochter Austria Card wird schließlich verkauft

Im internationalen Geschäft ist es ein eklatanter Wettbewerbsnachteil, gar keine Referenzen am Heimatmarkt zu haben. Die Austria Card GmbH wurde seit 2000 durch die ausschreibungslosen Direktvergaben an die Österreichische Staatsdruckerei (OeSD) de facto von Aufträgen durch die Republik Österreich ausgeschlossen. Diese Vergaben erfolgten –  branchenunüblich – mit langjährigen Lieferverträgen. Da aufgrund dieser Umstände keine Änderung in den nächsten Jahren zu erwarten war, wollte die Nationalbank seit 2005 die Austria Card GmbH verkaufen. Die Österreichische Staatsdruckerei GmbH gab dabei ihr Interesse an einem Ankauf bekannt. Doch 2007 wurde die Austria Card GmbH an die griechische Inform P. Lykos S.A verkauft.

Der Rechnungshof rügt die andere Nationalbanktochter Österreichische Banknoten- und Sicherheitsdruck

In seinem Prüfbericht von 2005 kritisierte der Rechnungshof den mangelnden Erfolg der anderen Nationalbanktochter – Österreichische Banknoten- und Sicherheitsdruck GmbH (OeBS) – bei der Akquise von Sicherheitsdruckerzeugnissen. Die Errichtung der OeBS erfolgte unter anderem auch mit dem Ziel, durch Diversifizierung in das Geschäftsfeld Sicherheitsdruck (Pässe, Ausweise u.a.) einzusteigen. Die Tatsache, dass mit Hilfe des Staatsdruckereigesetzes die OeBS von der Republik von Auftragsvergaben ausgeschlossen wurde, war den Prüfern nicht bekannt. In weiterer Folge bemühte sich die staatliche OeBS in diesem Geschäftsfeld darum, Subaufträge der privaten Österreichischen Staatsdruckerei zu erhalten.

Direktvergabe des Zulassungsscheines – Beschwerde zwecklos

Im Juli 2009 erfolgte eine weitere ausschreibungslose Vergabe für den neuen Scheckkartenzulassungsschein durch das BMVIT an die Österreichische Staatsdruckerei GmbH. Die Vergabe wurde nicht einmal bekannt gemacht. Als die Austria Card 2010 von der Vergabe erfahren hatte, legte sie dagegen Beschwerde beim Bundesvergabeamt ein. Da eine Beschwerde nur sechs Monate nach Zuschlag eingebracht werden kann, wurde diese vom Amt als verfristet zurückgewiesen.

Bei gleicher EU-Richtlinie: Der Scheckkartenzulassungsschein kostet hier 19 Euro, dort 4 Euro 20

Die Österreichische Staatsdruckerei erhielt – in einer Verordnung festgesetzt (sic!) – für jeden Scheckkartenzulassungsschein 19 Euro. Der slowakische Scheckkartenzulassungsschein kostet beispielsweise (laut dortigem Innenministerium) im Einkauf bei Hewlett Packard (HP Slowakia) nur 4,20 Euro. Die Kriterien und Standards beider Ausweise basieren dabei auf ein und derselben EU-Richtlinie.

Im Dezember 2010 schloss die Österreichische Staatsdruckerei GmbH einen Rahmenvertrag für die Lieferung von Karten mit oder ohne Chip sowie Chipkarten für Österreich durch die deutschen Firmen Gieseke & Devrient GmbH, Gemalto GmbH sowie durch die Schweizer Firma Trüb AG.

Vertragsverletzungsverfahren und ein Urteil gegen die Republik Österreich

Seit 2010 prüfte die Europäische Kommission deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich wegen der ausschreibungslosen Vergaben an die Österreichische Staatsdruckerei GmbH. 2015 brachte die EU-Kommission schließlich eine Klage gegen die Republik Österreich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein. Im Juni 2017 erfolgte die mündliche Verhandlung vor dem EuGH. Am 20. März 2018 wurde die Republik Österreich verurteilt. Demnach ist die Republik Österreich verpflichtet, sämtliche gesetzliche Bevorzugungen der privaten Österreichischen Staatsdruckerei zu beseitigen sowie die Aufträge für Reisepässe, Führerscheine etc. neu bzw. erstmals auszuschreiben.

In dem Urteil heißt es: Die Republik verstößt gegen ihre unionsrechtlichen Verpflichtungen,

indem sie Dienstleistungsaufträge über die Herstellung von Reisepässen mit Chip, Notpässen, Aufenthaltstiteln, Personalausweisen, Führerscheinen im Scheckkartenformat und Zulassungsbescheinigungen im Chipkartenformat ohne vorherige Ausschreibung auf Ebene der Europäischen Union unmittelbar an die Österreichische Staatsdruckerei GmbH vergeben hat und indem sie nationale Vorschriften beibehalten hat, nach denen die öffentlichen Auftraggeber diese Dienstleistungsaufträge ohne vorherige Ausschreibung auf Unionsebene unmittelbar an diese Gesellschaft vergeben müssen.

Das Urteil gegen Österreich könnte Vorteile haben

Obwohl es widersprüchlich klingen mag, könnte diese Verurteilung von Vorteil für die Republik  und von Vorteil für den österreichischen Steuerzahler sein. Mit einer sauberen Neuausschreibung der Vergaben für Ausweise könnte zukünftig ein zweistelliger Millionen-Euro-Betrag für das Budget eingespart werden – und dies jährlich.

Konjunktiv, könnte. Im April 2019 wurden die Bestimmungen des Staatsdruckereigesetzes, die eine bevorzugte Beauftragung der Österreichischen Staatsdruckerei GmbH regeln, aufgehoben. Seit damals darf die Staatsdruckerei auch nicht mehr das Hoheitszeichen der Republik – das Bundeswappen – führen.

Indes: Nach dem Urteil beginnen die Ausschreibungstricks

Zwar wurde im Juli 2018 ein europaweites Vergabeverfahren für alle bisher von der Republik Österreich an die Staatsdruckerei vergebenen Aufträge eingeleitet. Die Anforderungen der Vergabebedingungen entsprachen aber wegen der Betriebstätte, Fertigungsstruktur sowie Fertigungstiefe genau denen der Österreichischen Staatsdruckerei. Auch eine gemeinsame Ausschreibung von eh allem, nämlich vom Zeugnisformular bis zum Reisepass, ist eher branchenunüblich. Eine Begünstigung wird dabei vom Innenministerium gar nicht in Abrede gestellt. Begründet wurde diese Vorgangsweise wegen „des Zeitdrucks und der drohenden Strafzahlungen„. Diese Ausschreibung wurde auch nicht mit der EU-Kommission akkordiert, um eine eventuelle neuerliche Klage zu vermeiden.
Zur Erstellung der Leistungsbeschreibung der Ausschreibung sowie die Festlegung von „Eignungs-, Auswahl-, Qualitäts- und Zuschlagskriterien“ wurde vom Innenministerium ein Dienstleister zugezogen. Von der Einbindung dieses Dienstleisters wurde weder das Verkehrs- noch das Aussenministerium informiert, obwohl die Ausschreibung auch für die Dokumente und Ausweise beider Ministerien maßgeblich war. Die Kosten für diesen externen Dienstleister betrugen 89.336,- Euro.

Wer ist ID Consult International?

Dieser Dienstleister – ID Consult International – wird wohl der (nicht im Handelsregister eingetragene) Einzelunternehmer Carl-Michael-Heueveldop sein.Heueveldop war 2007 zentral verantwortlich bei der SAFE ID Solutions AG, als diese gemeinsam mit der Staatsdruckerei die Ausschreibung für den Lichtensteinschen e-Pass gewann. Zumindest aus diesem Projekt heraus gab es also schon eine geschäftliche Nahebeziehung zur Staatsdruckerei.
Trotz der anfänglichen Eile wegen der angeblich drohenden Strafzahlungen erfolgte erst zwischen Weihnachten und Neujahr 2019/20 der Zuschlag zur Sicherheitsdruck / Ausweisvergabe – eineinhalb Jahre nach der Ausschreibung! Die Staatsdruckerei war tatsächlich die einzige Bewerberin und bekam diesen Auftrag über jährlich 25 Millionen Euro mit unbegrenzter Laufzeit und Kündigung erst nach frühestens fünf Jahren.

Beiräte und Beraterinnen: von Ernst Strasser bis zur Kabinettschef-Geliebten

Auffallend ist, dass überproportional viele (ehemalige) höhere Bedienstete aus dem Innenministerium seit 2000 Anstellungen oder Berateraufträge von der Staatsdruckerei bekamen. Prominentestes Beispiel ist der ehemalige Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), der ein jährliches Beiratssalär von 100.000 Euro von der Staatsdruckerei bezog. In Erinnerung ist noch, wie der damalige EU-Parlamentarier Ernst Strasser Österreich international blamierte. Er berichtete Journalisten, die er für potentielle Klienten für seine Lobbytätigkeit hielt, in weinseliger Atmosphäre, dass und wie er 2010 im Auftrag der Staatsdruckerei wegen deren EU Vergabeverfahren interveniert hatte. Dabei habe er EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier direkt angesprochen „und so getan, als sei mein Interesse ein politisches“.



 2010: Ernst Strasser (ÖVP) erzählt, wie er sich für die Staatsdruckerei eingesetzt hat.


Sogar die Geliebte und Kurzzeit-Ehefrau des damaligen Kabinettchefs des Innenministers, Christoph Ulmer, bekam von der Staatsdruckerei lukrative Berateraufträge. Ulmer selber war, so wie Ernst Strasser und auch manch anderer aus dieser politischen Sphäre, im Beirat der Staatsdruckerei vertreten – Apanage selbstverständlich inklusive .

Der Schaden für die Republik, der durch dieses Vergabekonstrukt bis dato angelaufen ist, beträgt mehrere Hundert Millionen Euro. Die Urheber und deren Profiteure sollten von den zuständigen Behörden ausgeforscht und entsprechend zur Verantwortung gezogen werden.

[Update Juli 2022] Erneutes Vertragsverletzungsverfahren: Die Republik hält die EU-Kommission am Schmäh

Obwohl es sich um einen millionenschweren Skandal handelt, segelt die Angelegenheit in Österreich unter dem öffentlichen Radar. Jedenfalls leitet die EU-Kommission im Juni 2021 ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren ein. Darüber informiert sie die Bundesregierung und schickt ein entsprechendes Schreiben nach Wien. Im August 2021 antwortete die Bundesregierung.

Es folgten monatelange Verhandlungen, wie diese Antwort auf eine Semiosis-Nachfrage belegt.

Österreich hat auf unser Mahnschreiben geantwortet. Die Kommission wertet die Antwort aus. […] Um einen produktiven Austausch in einer Atmosphäre des Vertrauens zu ermöglichen, können wir den Fortgang des Vertragsverletzungsverfahrens nicht weiter kommentieren.

Mail vom 26. August 2021

Wie die Kleine Zeitung nun am 15. Juli 2022 berichtet, hat die EU-Kommission die Republik Österreich im Sommer 2022 erneut gemahnt, die EU-Vergaberegeln für öffentliche Aufträge einzuhalten. In einem entsprechenden Schreiben heißt es, insbesondere die Vergabe von Druckdienstleistungen für den Sicherheitsdruck an die Österreichische Staatsdruckerei sei nicht im Einklang mit europäischen Vorschriften gewesen, erklärte die Brüsseler Behörde.

Das zweite Mahnschreiben deutet darauf hin, dass die Republik die EU-Kommission in dieser Sache am Schmäh gehalten hat.

Wir fragen uns aber: Cui bono? In wessen Interesse?

Anmerkung [17. Juli 2022]: Aufgrund von Hinweisen haben wir die erste Überschrift Der Balkan beginnt nicht am Rennweg, sondern bereits in der Herrengasse geändert. Selbstverständlich sind wir nicht der Meinung, dass Freunderlwirtschaft, Lobbyismus, Kleinkorruption eine Erfindung „des Balkans“ ist. Die von uns intendierte Anspielung auf die kolportierte Aussage Metternichs geht in dieser Zuschreibung verloren. Wir entschuldigen uns für die Unachtsamkeit.


Recherchen wie diese sind aufwändig und kosten auch Geld. Über Spenden freuen wir uns in Zeiten wie diesen ganz besonders.

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Titelfoto: Google-Maps. Alle Fotos im Text stammen vom Autor.

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