Diese Recherche könnte auch den Titel tragen: Auf der Suche nach den verschwundenen Testergebnissen. Denn in Tirol werden in Sachen Coronavirus/COVID-19 zwar Reihenuntersuchungen in Wintersportregionen sowie in Alters- und Pflegeheimen angestellt. Die Ergebnisse finden sich aber nicht in den statistischen Angaben des Landes wieder. Nur so kann die Geschichte funktionieren, die die Landesregierung erzählen möchte: Das Schlimmste sei überstanden. Nun gehe es an den Aufbau. Im Sommer kommen die Gäste aus Deutschland wieder. Und für alles andere: Schwamm drüber. Von Sebastian Reinfeldt [Aktualisierung am 18.4. 14:45 mit der Antwort der Landesregierung]
Die Story der Landesregierung: nur positive Trends in Tirol
Positiver Trend in Tirol: Seit Tagen unter einem Prozent Zuwachsrate, meldet die Tiroler Tageszeitung am Freitagnachmittag. Wir haben mittlerweile den 19. April 2020. Das COVID-19 Virus, Corona genannt, zieht durch Europa. Die Infektionsraten gehen derzeit zurück. Besonders in den Ländern, die relativ früh einen Lockdown vollzogen haben: In Europa sind das Österreich und Norwegen.
Infektionsraten weltweit. Quelle: Financial Times
In den übrigen Ländern zeigt sich dieser Effekt ebenfalls. Zeitverzögert wirken die Einschränkungen des Alltags der Vielen. Also auch in Tirol. Das Tiroler Ziel steht fest und es hat mit dem Tourismus zu tun. Immerhin meint Landeshauptmann Platter auf einer seiner täglichen Pressekonferenzen jüngst:
Wir haben die Sommersaison noch nicht aufgegeben.
Alles gut also?
Wird nun alles gut? Mitnichten. Denn die Erfolgsmeldungen, die die Tiroler Tageszeitung hier berichtet, kommen offenbar durch einen Trick zustande. Reihenweise tauchen Testergebnisse in der Statistik erst gar nicht auf.
COVID-19 ist eine meldepflichtige Virusinfektion. Das bedeutet: Positive Testergebnisse müssen von den zuständigen Bezirksbehörden, etwa den Amtsärzten, gemeldet werden. Die Zahl der negativ verlaufenen Tests geben die Labors selbst bekannt. Also müssten alle Corona-Infektionen in das bundesweite Meldesystem eingespeist werden und dann im Amtlichen Dashboard des Bundes und dem des Landes Tirol aufscheinen. Eigentlich. Denn im Falle Tirols werden die Ergebnisse der Sonder-Testreihen, die in Ischgl, in St. Anton, in Sölden und in den Alten- und Pflegeheimen Tirols durchgeführt werden, offenbar in der Statistik nicht mitgezählt.
Corona-Testreihen in den Tiroler Hotspots ergeben: Das Virus ist dort noch aktiv
In den “Tiroler Hotspots” (das sind die Tourismus-Gemeinden St. Anton am Arlberg, Ischgl im Paznauntal und Sölden im Ötztal) werden speziellen Testreihen durchgeführt. Dabei ist von Interesse, ob dort die Infektionsketten weiterhin aktiv sind. Oder anders gesagt: Ob das Virus dort noch umgeht. Um eine Antwort zu bekommen, sind genau 2.854 Tests durchgeführt und ausgewertet worden. Die Ergebnisse waren deutlich:
Bei rund 19 Prozent der Personen in Ischgl und rund 13 Prozent in St. Anton konnten Bestandteile des Coronavirus nachgewiesen werden,
so ein Bericht des Bayrischen Rundfunk dazu von vor einer Woche. Das Corona-Virus geht also weiterhin um. Die Sommersaison rückt damit in weite Ferne.
Kein signifikanter Anstieg in der Statistik erkennbar
Ebenso in Sölden. Im Laufe des vergangenen Wochenendes drangen nämlich die Ergebnisse aus derselben Testreihe an die Öffentlichkeit. Die Labors konnten in Sölden bei rund vier Prozent aller Testungen Bestandteile des Coronavirus nachweisen. Allerdings waren die Infizierten im Ort breit gestreut. Es gibt dort also nicht einen einzelnen Infektionsherd, der isoliert werden könnte.
Mittelt man diese Resultate (4 Prozent Infizierte in Sölden, 19 Prozent in Ischgl und 13 Prozent in St.Anton), dann kommt ein Durchschnitt von rund 12 Prozent positiver Tests in den Orten heraus. Weil wir die regionale Verteilung nicht genau kennen (da bislang nichts dazu veröffentlicht wurde), setzen wir den Durchschnitt vorsichtig niedrig bei 10 Prozent an. Das ergibt eine Zahl von rund 290 positiven Tests, die im Zuge dieser Test-Reihen in den Wintersportorten entstanden sind. Das bedeutet aber: Irgendwann im Verlauf der letzten Woche müsste auch in der Tiroler Gesamtstatistik ein Anstieg um rund 290 positiv Getestete nachvollziehbar sein. Das ist aber nicht der Fall.
Ganz im Gegenteil: In den Ergebnissen, die in den Presseaussendungen des Landes übermittelt werden, nehmen die Zahlen der positiv Getesteten in Tirol seit 12.4. kontinuierlich ab. Nach Bundesrechnung steigen die Zahlen leicht an, und zwar um rund 30 Personen durchschnittlich pro Tag. Diese Diskrepanz erklärt sich dadurch, dass der Bund die Zahl aller jemals positiv Getesteten aufführt, ohne die Gesunden davon abzuziehen. Tirol zieht diese gleich ab. Eine sinkende Kurve sieht schon rein optisch viel besser aus. Für die Sommersaison.
Insgesamt deutet der Verlauf der registrierten Tiroler Infizierten jedoch darauf hin, dass die Testergebnisse aus Paznaun, Ischgl und Sölden nicht in die Statistik einfließen. So jedenfalls unsere Interpretation. Da die Tests offenbar als Rachenabstriche (PCR) durchgeführt werden und also eine akute Infektion anzeigen, müssten die Ergebnisse direkt ins Meldesystem eingespeist worden sein. Eigentlich.
Gegenbeispiel: Screenings in Sölden vom Mittwoch
Dass es auch anders und nachverfolgbar geht, zeigt ein Beispiel vom Mittwoch dieser Woche. Da rückte ein weiteres Screeningteam nach Sölden aus, berichtet der dortige Bürgermeister Ernst Schöpf (ÖVP). Es hat gezielt 67 zusätzliche Testungen durchgeführt. Dabei sind zwei neue positive Fälle gefunden worden, die ins System eingemeldet wurden. In Summe lag Sölden mit Stand vorgestern Nachmittag somit bei 39 aktiv positiv Getesteten. Dieser Anstieg ist nachvollziehbar.
Auch die Testergebnisse aus den Alters- und Pflegeheimen sind statistisch nicht nachvollziehbar
Es sieht so aus, dass die Ergebnisse der 2.854 Reihentests in der Fall-Statistik nicht erfasst werden. Dieses Vorgehen lässt sich auch am Beispiel der Testreihen in den Alters- und Pflegeheimen nachvollziehen. Dort wurde tirolweit sogar 6.196 mal getestet. Vergangenen Donnerstag gab die Landesregierung dann bekannt, dass es bei 100 BewohnerInnen positiv Ergebnisse gegeben habe. Davon befinden sich aktuell 31 Personen in Krankenhäuser. Zwei Drittel der Tests waren bis dahin ausgewertet. 136 positive Ergebnisse gab es beim Personal. Die Betroffenen seien alle in Heimquarantäne. In diesem Zusammenhang ist es nicht ganz eindeutig, ob es sich dabei um neue Test handelt oder ob bereits bestehende Tests miterfasst worden sind. Jedenfalls liest sich die Mitteilung des Landes dazu so, als ob tatsächlich 6196 mal neu getestet worden wäre und nicht einfach bestehende Ergebnisse aufaddiert wurden.
Die Ergebnisse der Reihentests in den Altersheimen (insgesamt 236 positive Testergebnisse nämlich) lassen sich ebenfalls in den offiziellen Statistiken nicht nachvollziehen. Im Gegenteil: Die Zahl er Neuinfektionen sinkt dort weiterhin drastisch. Trotz positiver Testergebnisse, die am Donnerstag bekannt gegeben wurden. Passen diese etwa nicht ins Storyboard des Landes?
Nachfragen bei den zuständigen Institutionen und Behörden ergeben: Schweigen
Der Semiosisblog hat am Donnerstag an die MedUni Innsbruck (sie verfügt über das größte Labor in Tirol), an die AGES, an das Bundesministerium Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und an die Tiroler Landesregierung Fragen gesendet und um Aufklärung über den Verbleib der positiven Testergebnisse in der Statistik gebeten. Dabei lauteten unsere Fragen etwa:
Sind die Ergebnisse aus dem Paznauntal mittlerweile vollständig ausgewertet? Wie sind die Ergebnisse? Werden die positiven Testergebnisse noch in das Meldesystem eingetragen – oder ist dies bereits geschehen? Für Sölden wurde berichtet, dass bei rund 4 Prozent aller Testungen Bestandteile des Coronavirus nachgewiesen werden konnten. Bleibt es bei diesem Resultat?
Die MedUni, das Gesundheitsministerium und die AGES verweisen in ihren Antworten unisono auf die Tiroler Landesregierung bzw. auf die Tiroler Landessanitätsdirektion. Sie seien zuständig. Die AGES interessiert sich sowieso in erster Linie dafür, Infektionsketten zu recherchieren, antwortet ihr Pressesprecher Roland Achatz. Und die Presse- und Öffentlichkeitsabteilung der Landesregierung stellte noch am Donnerstag in einer Mail eine Antwort in Aussicht. Seitdem schweigt sie.
Selbstverständlich werden immer alle Testungen und Ergebnisse in den Statistiken und im Dashboard umgehend eingetragen
Kurz nach Veröffentlichung kam eine Reaktion der Tiroler Landesregierung. Der Kern der Antwort, die per Mail einlangte, ist:
Selbstverständlich werden immer alle Testungen und Ergebnisse in den Statistiken und im Dashboard umgehend eingetragen. Dies betrifft selbstredend auch die Ergebnisse der Schwerpunkttestungen aus den Quarantänegebieten sowie aus den Alten- und Pflegeheimen. Ergo: Auch diese Ergebnisse spiegelt das Dashboard des Landes aktuell wider.
Eine Kopie der von uns aus den offiziellen Zahlen erstellten Tabelle findet sich zum Anschauen und Nachrechnen auf Google Sheets. Unser Titelbild ist ein Screenshot der Homepage der Tiroler Tageszeitung.
Sehr geehrter Herr Reinfeldt, als positiv getestete Zillertal Skifahrerin (Rückkehr am 12.3), verfolge ich seit den Zeiten meiner Quarantäne Ihre Artikel mit großem Interesse. Danke ihnen dafür !!!!!! Wir hatten das Internet vor unserer Abfahrt abgesucht nach Informationen über das Zillertal, aber da war nichts zu finden, deshalb fühlten wir uns einigermaßen sicher. Das es sich bis heute um einen solchen „Sumpf“ handelt, bestärkt mich nur um Tirol in den nächsten Jahren einen großen Bogen zu machen, Schade eigentlich, aber auch als Tourist möchte ich nicht verkackeiert werden und ob ich meine Leben riskiere entscheide ich gerne selber ! Danke für Ihre Arbeit, bitte recherchieren Sie weiter !
Kleiner Hinweis: Auch ein konstanter Anstieg der Fallzahlen von 0,3 Prozent ist ein exponentielles Wachstum!