Noch im Dezember dieses Jahres soll das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump losgehen. Ihm wird vorgeworfen, sein Amt missbraucht zu haben, indem er in einem Telefongespräch am 25. Juli den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bedrängt habe, ihm Vorteile bei der anstehenden Präsidentschaftswahl 2020 zu verschaffen. Die New York Times brachte in diesem Zusammenhang die Meldung, dass der Anwalt von Trump, Rudolph W. Giuliani, den in Wien festsitzenden ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch in der Sache um Hilfe gebeten habe. Dadurch kam der Fall Firtasch wieder zurück ins öffentliche Bewusstsein. Warum hält sich der Gas- und Düngemittel-Oligarch eigentlich in Wien auf? Erster Grund: Seit 2005 macht er hier Geschäfte. Zweiter Grund: 2014 wurde er in Wien fstgenommen. Er ist nur auf Kaution frei. Wir haben die Anklage der US-Justiz, die diese Festnahme verursacht hat, aus den Originalakten rekonstruiert. Zusätzlich veröffentlichen wir in in einem weiteren Beitrag eine Chronologie des Falls Firtasch – zur besseren Orientierung in den mitunter verwirrenden Seitensträngen dieses Aufsehen erregenden Falles. Von Tano Bojankin und Sebastian Reinfeldt.
Festnahme auf offener Straße
März 2014: Es war eine der spektakuläreren Festnahmen der Wiener Polizei, als Beamte vom Büro für organisierte Kriminalität und der Cobra den ukrainischen Oligarchen in der österreichischen Hauptstadt auf offener Straße anhielten und mitnahmen. Eine ganze Woche lang musste der Beschuldigte in der Wiener Josefstadt im Gefängnis verbringen. Dann kam er für eine Rekordkaution von 125 Millionen Euro frei. Seitdem residiert er in der Gloriettegasse im 13. Wiener Gemeindebezirk. Bezahlt wurde die enorme Kaution von dem Putinvertrauten, Milliardär und Chef des russischen Judoverbands, Vasily Anisimov.
Eine Tasche von Vuitton zu viel
Festgenommen wurde Firtasch bei seinem Wien-Aufenthalt nur deshalb, weil die Bawag Alarm ausgelöst hatte. Firtaschs Frau hatte in der Wiener Innenstadt auf ihrer Einkaufstour bei Louis Vuitton in der Tuchlauben eine Tasche mit Kreditkarte bezahlt. Der Name auf der Karte fiel der Bank, die sich im Besitz der US-Investmentfonds Cerberus und Golden Tree befindet, auf. Sie reagierte und informierte die Behörden.
Der Grund der Festnahme war ein internationaler Haftbefehl aufgrund einer beim United States District Court for the Northern District of Illinois (Chigago, USA) durch eine von der Grand Juries erhobenen Anklage wegen Bestechung in Millionenhöhe hochrangiger indischer Beamter und Politker. Sie sollen Geld im Gegenzug zu Bergbaulizenzen erhalten haben. Das Ziel war der der Abbau des Rohstoffs Titan, der im Flugzeugturbinenbau eingesetzt wird.
Titan für die Firma Boeing
Dabei ging es um ein gemeinsames Geschäft von Firtasch mit den in Chicago ansässigen Boeing-Werken. Die Zuständigkeit des US-Gerichts ist deshalb entstanden, weil die Bestechungsgelder von einer US-Firma Firtaschs über sein weit verzweigtes Firmennetzwerk in Österreich und der Schweiz nach Indien transferiert worden sind.
Dass für die Absprachen Mobiltelefone verwendet wurden, die in den USA registriert waren, ist ein weiterer Grund für die Zuständigkeit der US-Behörden.
In Summe wurden 18,5 Millionen Dollar Bestechungsgelder gezahlt, so die Anklage. Über indische (Textil-)firmen gingen die Gelder dann weiter an den damaligen – mittlerweile verstorbenen – Regierungschef des indischen Teilstaates Andhra Pradesh, den Chief Minister Y S Rajasekhara Reddy sowie an dessen engen Freund und damaligen Kabinettschef, den Abgeordneten des indischen Parlaments K. V. P. Ramachandra Rao.
Trotz der dokumentierten Bestechungszahlungen kam das Geschäft mit dem Titanabbau nie zustande. Die Gründe dafür sind öffentlich nicht bekannt.
Landesübliche Bestechung mit 18,5 Millionen Dollar
In einem Präsentationsslide eines Evaluierungsberichtes von McKinsey für die Firma Boeing wird das Vorgehen Firtaschs analysiert: Die Bothli Trade AG, die zur Firtasch-Gruppe gehört,
hat indische Entscheidungsträger identifiziert und eine Strategie entwickelt, um ihren Einfluss zu gewinnen.
Diese Strategie beinhaltet, dass in „Infrastruktur“ investiert wird und dass das Benutzen von Bestechungsgeldern „im traditionellen bürokratischen Prozess“ respektiert wird. McKinsey nennt auch die Namen der ausgewählten Entscheidungsträger und ordnet diese Informationen dem Businessplan der Firtasch-Firma Bothli AG (BTAG im Ausschnitt des Slides) zu.
Das Geschäftsmodell des ukrainischen Oligarchen
Das Firtasch-Geschäftsmodell, so wie es aus der Anklageschrift hervorgeht, stellt sich folgendermaßen dar: Um profitable Geschäfte zu tätigen, baut der ukrainische Oligarch ein Netz von Firmen und Sub-Firmen auf, die über den ganzen Globus verteilt registriert sind. Neben Österreich und der Schweiz sind Steuerparadiese wie Zypern, die British Virgin Islands und die Seychellen beliebte Netzwerkknotenpunkte.
Um dann die Geschäfte ungestört abwickeln zu können, werden zugleich gute Kontakte auf der politischen Ebene des Ziellandes aufgebaut. Dabei fließt Geld – mal auf legale Weise, mal aber auch auf illegale Weise wie am Beispiel Indiens. Es bleibt aber die Tatsache, dass bei Firtasch immer ansehnliche Summen im Spiel sind, die dorthin gelangen, wo die politische Macht zuhause ist.
Es steht viel auf dem Spiel
Laut Anklage droht im Falle einer Verurteilung – neben langjährigen Haftstrafen – die Beschlagnahme des gesamten Vermögens von Dmytro Firtasch. Im Anhang der Anklage werden über 160 Firmen aus dem Imperium des ukrainischen Oligarchen aufgeführt. Davon befinden sich alleine in Österreich vierzehn Firmen (ihre Namen und der aktuelle Stand der Dinge sind in der Chronologie aufgeführt) sowie Dutzende Bankkonten in verschiedenen Ländern. In Österreich betrifft dies unter anderem die Raiffeisenbank. Da im Falle einer Verurteilung der Zeitpunkt der Anklageerhebung als Stichtag gilt, wären auch Gelder und Vermögenswerte, die Firtasch zwischenzeitlich an Dritte übertragen hat, von der Beschlagnahme betroffen.
Es steht also viel auf dem Spiel. Und das nicht nur für Firtasch persönlich, sondern auch für sein gesamtes geschäftliches und politisches Umfeld.
Kontakte zur politischen Macht: Das bedeutet in Österreich zur ÖVP
Seit 2014 vertreten drei Anwaltskanzleien den ukrainische Oligarchen in Österreich, angeführt von der Kanzlei des Ex-FPÖ Justizministers Dieter Böhmdorfer. Für die Litigation-PR (das bedeutet: gesteuerte Öffentlichkeitsarbeit im Interesse des Mandanten) wurde Daniel Kapp engagiert, der längst-dienende Pressesprecher einer österreichischen Bundesregierung und frühere Pressesprecher von Ex-ÖVP Chef Josef Pröll. Weiters wurde zur Förderung der politischen Landschaft die Agentur zur Modernisierung der Ukraine (AMU) in Wien ins Leben gerufen. Dem Verein steht Ex-ÖVP Finanzminister und Ex-ÖVP Chef Michael Spindelegger vor. Auch sein Stellvertreter im Verein kommt aus den Reihen der ÖVP. Bis zur Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019 nominierte die ÖVP die Justizminister Österreichs. Das waren von 2013 bis 2017 Wolfgang Brandstetter und später Josef Moser.
2016 und 2019: Weitere Anklagen gegen Firtasch
2016 kam ein weiteres Ausliefungsbegehren hinzu. Diesmal in Form eines europäischen Haftbefehls aus Spanien. Ein solcher wird innerhalb der EU normalerweise ohne eine weitere Prüfung ausgeführt. In dieser Anklage geht es nicht um Bestechung, sondern um Geldwäsche in Spanien durch Dmytro Firtasch für die Organisation des weltweit gesuchten russischen Mafiabosses Semion Moglijewitsch, (SMO).
Auch dieser Fall hängt vorläufig. Denn dem zuständigen österreichischen Gericht, dem Wiener OLG für Strafsachen, war die spanische Anklage nicht konkret genug. Dabei müsste sich eigentlich auch die österreichische Staatsanwaltschaft mit Firtasch beschäftigen. Denn dessen Ex-Frau Maria Kalynovsky hat im März 2019 über ihre Anwälte eine Sachverhaltsdarstellung wegen Erpressung und schweren Betrugs über 5 Milliarden (!) Euro eingebracht. Sie wirft ihrem Ex-Mann vor, dass er im Zuge der Scheidung wesentliche gemeinsame Vermögenswerte verheimlicht hat bzw. diese zuvor versteckt haben soll.
Warum hält sich Firtasch immer noch in Wien auf?
Sowohl dem Ersuchen aus dem US-Verfahren als auch dem Auslieferungsbegehren aus Spanien wurde in Österreich bislang nicht statt gegeben. Die ganze Zeit lebt Firtasch in seiner herrschaftlichen Villa in der Gloriettegasse 10 in Wien-Hietzing und geht ohne Einschränkungen seinen Geschäften nach. So gründete er noch im Sommer 2019 neue Firmen, etwa in der Slowakei:
Am 25. Juni 2019 hat der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) schlußendlich dem Auslieferungsbegehren in die USA stattgegeben. Auch Justizminister Clemens Jabloner hat keine Einwände erhoben. Der Fall schien entschieden. Aber Firtasch lebt immer noch in Wien. Warum?
Alles nur eine große politische Verschwörung?
Die Verteidigungslinie des österreichischen Anwaltsteams und der Litigation-PR war von Anfang an, das Verfahren in den USA als „politisch motiviert und initiiert“ darzustellen mit dem angeblichen Ziel, Firtasch aus der ukrainischen Politik zu entfernen. Auch diese Karte zückten sie nach der OGH-Urteilsverkündung im Sommer 2019 wieder. Es gebe neue Beweise. Mit deren Vorlage streben die Anwälte an, dass das gesamte österreichische Auslieferungsverfahren neu aufgerollt wird. Doch: Was sollen diese neuen Beweise sein? Zentral dabei scheint eine Eidesstattliche Erklärung des ehemaligen ukrainischen Generalstaatsanwalts Wiktor Schokin zu sein, in der dieser sich – und Firtasch – als unschuldige Opfer einer politischen Intrige sieht. Die Erklärung enthält alle Merkmale einer klassischen Verschwörungtheorie.
Schokin: Der Korruptionsjäger der Ukraine, der wegen Korruption entlassen wurde
Das Auslieferungsbegehren stammt von einem unabhängigen amerikanischen Gericht und blieb auch bei veränderter politischer Konstellation bis heute aufrecht. Der Sachverhalt, der der Anklage zugrunde liegt, ist eigentlich nicht kompliziert und auch detailreich dokumentiert.
Wiktor Schokins Glaubwürdigkeit hingegen ist grundlegend in Zweifel zu ziehen. Er wurde aufgrund massiver Korruptionsvorwürfe auf Druck der Europäischen Union, der Weltbank und aller anderen internationalen Geldgeber der Ukraine, sowie nach Kritik von Anti-Korruptions-Watchdogs wie Transparency International und der ukrainischen Organisation Nashi Groshi im Jahr 2016 als Generalstaatsanwalt der Ukraine abgesetzt.
Wir dokumentieren und verlinken das Schokin-Statement hier. Dabei sind wir der Auffassung, dass beim Durchlesen des Textes klar erkennbar ist, dass und wie diese fabriziert wurde. Er enthält Verschwörungstheorien, für die es keinerlei Beweise oder Evidenzen gibt.
Es stellt sich daher die dringliche Frage: Warum sitzt Firtasch immer noch in Österreich fest?
Fotocredit Titelbild: Es handelt sich um die Hietzinger Villa von Firtasch. Das Bild ist aus Googlemaps.
1 Gedanke zu „Warum sitzt der ukrainische Oligarch Dmytro Firtasch seit 2014 in Wien fest?“