Aus Liebe zur Ukraine: Was wurde aus der „Agentur zur Modernisierung“ des Landes?

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By Sebastian Reinfeldt

Nun hat ein österreichisches Gericht die bereits bewilligte Auslieferung in die USA doch noch aufgeschoben. Seit März 2014 lebt der ukrainische Oligarch Dimitry Firtash in Österreich. Allerdings nicht freiwillig. Aufgrund eines Haftbefehls aus den USA hatten ihn österreichische Beamte verhaftet. Für eine Kaution von 125 Millionen Euro (!) ist er auf freiem Fuß. Seitdem arbeitete Firtash intensiv daran, gute Kontakte ins politische Establishment Österreichs aufzubauen. Strategisch hat er sich dabei auf die Partei konzentriert, die praktisch ununterbrochen an den Schalthebeln der Macht sitzt: Die ÖVP. Die kann allerdings bei der derzeitigen Expertenregierung Bierlein kaum helfen. Ein Relikt seiner Bemühungen ist die Agentur zur Modernisierung der Ukraine. Was ist aus diesem im Februar 2015 gegründeten Verein eigentlich geworden? Sebastian Reinfeldt berichtet über seine nächste Recherche zum Einfluss Russlands auf die österreichische Politik.


Auf der Suche nach dem Agentur-Büro

Im 5. Stock eines repräsentativen Gebäudes im ersten Wiener Gemeindebezirk befand sich das Büro der Agentur für die Modernisierung der Ukraine. Heute gehen dort Forschende der Universität Wien ein und aus. Die Klinische Psychologie des Kindes und Jugendalters residiert in der Renngasse 6 – zusammen mit dem Forschungsprojekt Maripoldata. Dieses Team sammelt Daten über die Artenvielfalt der Meere und stellt die Informationen den politisch Verantwortlichen zur Verfügung.

2015 hatte – mit buntem „Glitzern“, wie die Neue Zürischer Zeitung damals schrieb – die Agentur in den Räumlichkeiten hinter der Tür zu TOP 504 ein Reformprogramm für die Ukraine ausgearbeitet. Der Output dieses Unterfangens wurde still und leise schubladisiert. Auch die Räumlichkeiten wurden 2018 aufgegeben. Nun findet sich der Verein in einer Seitenstraße im 19. Gemeindebezirk. Ruhig gelegen. Kein Firmenschild weist auf seine Existenz hin. Das  Klingelzettelchen verweist auf die Firma des Vereins-Kassiers. Nichts deutet allerdings darauf hin, dass dieser Verein noch seinem Zweck gemäß arbeitet.

Rückblick: Ein Reformprogramm in 200 Tagen

Herbst 2015: In wenigen Monaten stampfte eine Gruppe hochrangiger ehemaliger Politiker  mit einem Team aus der Industriellenvereinigung ein Reformprogramm für die Ukraine aus dem Boden. In Auftrag gegeben wurde es von der kurz zuvor gegründeten Agency for der Modernisation of Ukraine (AMU) (Agentur für die Modernisierung der Ukraine). Diese wiederum wurde (und wird?) vom ukrainischen Oligarchen Firtash finanziert. Die Vorschläge von damals bestechen nicht gerade durch ihren Inhalt. Vielmehr durch die bekannten Namen, die sie unterbreitet haben – allesamt europäische Spitzenpolitiker. Mit dabei waren: der frühere Vizepräsident der Europäischen Kommission, Günter Verheugen (EU-Integration), die beiden früheren Premierminister Polens, Wlodzimir Cimoszewicz (Anti-Korruption) und Waldemar Pawlak (Wirtschaft), der deutsche Universitätsprofessor Otto Depenheuer für Verfassung, der frühere Generalstaatsanwalt Englands Lord Macdonald für Rechtsstaatlichkeit, der frühere ÖVP-Vizekanzler und ehemalige Finanzminister Österreichs, Michael Spindelegger, für Steuern und Finanzen sowie die beiden Mediziner Paul Vogt und Illya Yemets für Gesundheit. Ursprünglich mit im politischen Promi-Team vorgesehen waren der deutsche Ex-Finanzminister Peer Steinbrück und Bernard Kouchner, Ex-Außenminister Frankreichs und Mitgründer von Ärzte ohne Grenzen. Doch beide sagten ab, kurz nachdem ihre Namen öffentlich bekannt geworden waren.

Nicht mehr aktiv – aber auch nicht gelöscht

Das Programm stellte sich als geduldiges Papier ohne politischen Nutzen heraus. Es wurde zwar publik gemacht. Verwirklicht werden wird es aber wohl nie. Noch keine ukrainische Regierung hat jemals daran gedacht, es umzusetzen. Die Agentur ist seit Veröffentlichung öffentlich nicht mehr in Erscheinung getreten. Die Homepage https://www.amukraine.org/ wurde still gelegt. Der Link zum Text des damals groß angekündigten Reformprogramms ist tot. Aufgelöst wurde die Agentur allerdings nicht.

Eine erkennbare politische Nähe zur ÖVP

Die Agentur weist eine politische Nähe zur ÖVP auf. Ihr Präsident war und ist Michael Spindelegger, obwohl er mittlerweile eine Reihe weiterer beruflicher Verpflichtungen übernommen hat. Unter anderem ist er Mitglied im Aufsichtsrat der Industrieliegenschaftsverwaltung AG. Ende 2015 war daher öffentlich spekuliert worden, ob die Agentur gänzlich liquidiert wird. Das wäre logisch gewesen, denn Spindelegger übernahm nach Programmveröffentlichung die Leitung des International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) in Wien. Weitere Aktivitäten in Richtung der Ukraine waren nicht mehr zu erwarten.

Das Agentur-Netzwerk

Personell getragen wurde das Projekt durchwegs von Personen aus der ÖVP. Neben Spindelegger und dem Personal aus der Industriellenvereinigung werkte dort Bernhard Schragl als Pressesprecher. Schragl kommt aus dem ÖVP-Umfeld der reformfreudigen liberalen Julius Raab Stiftung in Wien-Meidling. Nach seinem eher skurrilen Interview mit der NZZ im Oktober 2015 über die Zukunft der Agentur folgte er seinem Chef Spindelegger ins Centre for Migration Policy Development. Auch dort übernahm er die Medienarbeit.

Die Vereinskollegen: ein Männerbund

Der jetzt bestehende Verein ist ein Kollegium, das aus christ-sozialen und christ-demokratischen Männern besteht. Im Vorstand sitzen Michael Spindelegger, Udo Brockhausen und Johannes Kasal. Die drei Personen sind zu zweit vertretungsberechtigt und von 2017 bis 2021 erneut bestellt worden.
Johannes Kasal war wirtschaftspolitischer Referent der ÖVP. Er wurde von Spindelegger in diese Funktion geholt. Seine Firma, die jwc Beteiligungs GmbH, hatte seit ihrer Gründung 2014 niemals Mitarbeiter. So steht es jedenfalls im Firmenbuch. Für 2015 weist die Firma laut Bilanz einen Gewinn von 145.000 Euro aus.

Bilanzauszug_jwc_2015

Dieser wird in den Folgejahren weiter geführt. Kasal selbst scheint die Firma nur noch nebenher zu betreiben, denn er arbeitet mittlerweile bei der Unternehmensberatung Spencer Stuart.
Udo Brockhausen, der Dritte im Bunde, kommt aus dem Umfeld des Agentur-Mitbegründers, des deutschen CDU-Politikers Karl-Georg Wellmann. Dieser ist ein Vertreter der „alten“, filzigen Berliner CDU. „Altgedient und bestens vernetzt“ – so betitelte die Berliner Zeitung ein Portrait des Politikers. Brockhausen wiederum ist der Schatzmeister seines CDU-Kreisverbands in Berlin-Dahlem.

Die Agentur bleibt eine leere Hülle

Doch zurück zur Modernisierungsagentur. Die Erklärung für ihr Weiterbestehen liest sich skurril. Spindelegger erläuterte 2018 gegenüber der Rechercheplattform Addendum, dass dafür Urheberrechtsgründe ausschlaggebend seien:

Die AMU setze aktuell „keinerlei“ Aktivitäten: „Sie hält ausschließlich die Rechte an der 2015 erstellten Reformagenda (…), weshalb der Verein aus Urheberrechtsgründen auch weiter aufrechterhalten wird.“ Einnahmen gebe es daraus keine. „Die besondere Relevanz für das Aufrechterhalten der Urheberrechte besteht darin, dass auch von staatlicher Seite der Ukraine Reformvorschläge erarbeitet werden und eine bloße Kopie ohne Hinweis auf die von AMU erarbeiteten Lösungsansätze vermieden werden soll.“ Spindelegger gibt an, selbst keinerlei Zahlungen aus der AMU zu erhalten.

Der Oligarch und Finanzier der Agentur, Firtash, ist russlandfreundlich. Er hat bei schwindeligen Gasedeals mit GAZPROM gut verdient, so wird berichtet. Sehr gut sogar. Sein Einfluss auf die momentane ukrainische Politik scheint indes gering zu sein. Das Reformprogramm für dieses Land, das in Wien ausgearbeitet wurde, interessiert dort niemanden. Für wen soll der Schutz von Urheberrechten dieses überholten Vorschlags heute noch relevant zu sein? Warum also besteht diese Agentur weiterhin?


Weitere Recherchen zum Thema:

In bester russischer Gesellschaft. Aus Liebe zur Macht (Teil 1)

Die SPÖ in bester russischer Gesellschaft. Aus Liebe zur Macht

In bester russischer Gesellschaft. Die ÖVP-Liebe zur Macht – und ihre Fails (Teil 3)

 

5 Gedanken zu „Aus Liebe zur Ukraine: Was wurde aus der „Agentur zur Modernisierung“ des Landes?“

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