„Wien/Brüssel (APA) – Die EU-Kommission ist mit dem eingereichten Entwurf von Österreichs Energie- und Klimaplan (NEKP) grundsätzlich einverstanden. Wie aus der offiziellen Bewertung hervorgeht, werden keine großen Änderungen eingefordert. In einigen Punkten muss Österreich aber nachbessern.“Diese Meldung wurde via der Nachrichtenagentur APA am Dienstag, 18. Juni 2019 um 6 Uhr in der Früh abgesetzt. Ihr Inhalt entsprach nicht den Tatsachen. Es war ein letztlich untauglicher Versuch, die Klimapolitik der türkis-blauen Vorgängerregierung in eine positives Licht zu rücken. Die Recherchen von Sebastian Reinfeldt zum Entstehen dieser Falschmeldung geben einen interessanten Einblick in die Funktionsweise heimischer, post-demokratischer Politik: Framing geht vor Fakten.
Der sachliche Hintergrund: Nationaler Energie- und Klimaplan
Um die Klima-Ziele der europäischen Klima-Union zu erreichen, muss jedes Mitgliedsland einen Nationalen Energie- und Klimaplan erstellen. Dabei geht es unter anderem darum, dass die Treibhausgasemissionen deutlich gesenkt werden und dass der Anteil erneuerbarer Energiequellen erhöht wird. Das Ziel ist eine „dekarbonisierte“ Wirtschaft. Das bedeutet: Wir sollen so leben, arbeiten und produzieren, dass wir so gut wie keine fossilen Brennstoffe wie Öl, Kohle und Gas mehr verbrennen. Jedes Mitgliedsland muss sich überlegen, wie es schnellstmöglich diese Ziele erreichen kann und der EU-Kommission ihre Pläne vorab zur Bewertung vorlegen. Der österreichische Vorschlag der ÖVP-FPÖ-Vorgängerregierung vom Dezember 2018 war von Organisationen wie Greenpeace und Global2000, aber auch von den österreichischen Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern im Vorfeld als unzureichend kritisiert worden.
Einverstanden? Das kann doch nicht stimmen!
Umso überraschter mussten alle Interessierten reagieren, als die APA am frühen Dienstagmorgen die zitierte Meldung verbreitete, dass die EU-Kommission mit den österreichischen Plänen „einverstanden“ sei. „Wie kann das sein?“, war die erste Frage. „Wo steht das? und: Wie begründet die Kommission ihre Einschätzung? waren die nächsten Fragen, die sich aufdrängten. Ein erster Blick in die EU-Datenbank ergab, dass ein entsprechendes Dokument der EU-Kommission nicht aufzufinden war. Wie kam also diese Meldung zustande?
Auf der Suche nach dem Dokument
In mehreren Anrufen bei der APA habe ich also nach dem entsprechenden Dokument der EU-Kommission gefragt. Es gab keines. Woher sie die Information dann hatten, wollten sie indes nicht verraten. Das sei ein Redaktionsgeheimnis. Außerdem habe der Redakteur heute frei. Ok. Aber die EU-Kommission selber muss doch von dem Dokument wissen, auf das sich die Meldung bezieht. Die Kommission hat in Österreich ein Büro. Dort rief ich an. Der freundliche Herr am Telefon erläuterte mir, dass ja auf ORF eh schon stehen würde, dass die Kommission einverstanden sei. Mittlerweile hatte der ORF tatsächlich die APA-Meldung übernommen (und inzwischen wieder gelöscht, was selten vorkommt): „Haben Sie denn das entsprechende Dokument?“ „Nein.“ „Wie kann ich an das Dokument kommen?“ Sie bekommen einen Rückruf“. Ok.
Wettlauf um Aufmerksamkeit war eröffnet
Der Rückruf kam, aber sehr spät. Der Zuständige hatte leider eine Schülerführung. In der Zwischenzeit hat Rudi Anschober von den Grünen schon in einer Presseaussendung auf die EU-Kommission geschimpft, weil sie den Klimaplan gut geheißen habe. Zitat:
Offensichtlich gibt sich die EU-Kommission mit Zielen zufrieden, verzichtet aber weitgehend auf die Festlegung von Maßnahmen, Zeitplänen und Finanzierungsplänen. So kann aber Klimaschutz in der EU nicht funktionieren und bleibt eine Seifenblase. So lenkt die Kommission die EU noch tiefer in die Klimakrise
Der Wettlauf um mediale Aufmerksamkeit war somit eröffnet, die Parteien standen nun unter Druck, schnell auf die Meldung zu reagieren, dass die EU-Kommission einverstanden sei, obwohl niemand das entsprechende Dokument kannte und es auch nicht kennen konnte. Es war nämlich noch nicht erhältlich.
Die Meldung am Morgen war schlicht falsch
Schließlich habe ich mich direkt an die EU-Kommission in Brüssel gewandt und dort erfahren, dass sie um 12 Uhr eine Pressekonferenz zum Thema abhält. Im Zuge dessen werden alle Dokumente veröffentlicht. Was dann auch tatsächlich geschah. Mit keinem Wort steht in der Bewertung des Entwurfs des Nationalen Klimaplans Österreichs, dass die Kommission mit diesem „einverstanden“ sei. Ihre Kritik ist zwar diplomatisch formuliert, aber sie deckt sich im wesentlichen mit den Anmerkungen der Expertinnen und Experten. Der türkis-blaue Klimaplan war und ist ungenügend. Die Empfehlungen, ihn bis Ende des Jahres umzuarbeiten, sind weitreichend. Die Meldung von 6 Uhr früh war also schlicht falsch.
Wie kann das passieren?
Die Meldung war falsch. Sie war abgesetzt worden, um die erwartbare Kritik an der unzureichenden Klimapolitik Österreichs abzumildern. Der Spin war: Grundsatzlich einverstanden, aber… Eine mögliche Erklärung dafür: Der Pressesprecher der ehemaligen Nachhaltigkeitsministerin ist weiterhin im Amt. Es wäre sein Job, vermeintliche Erfolge der früheren Ministerin zu verkaufen. Stellen wir uns nur vor, die APA-Meldung von Frühmorgens wäre in Zeiten der Message-Control abgesetzt worden und bis 12 Uhr noch mehrfach verstärkt worden. Von Ö3 bis hin zur Kronenzeitung wäre bis mindestens 12 Uhr die falsche Aussagen gelaufen. Die tatsächliche Kritik der EU wäre somit schlicht neutralisiert worden. Die Tatsachen wären verdreht worden – und die Kritikerinnen und Kritiker, obwohl sie Recht gehabt hätten, stünden im Meckereck. Insofern sind die Umstände der Aufklärung dieser Falschmeldung lehrreich.
Einige Aussagen der EU-Kommission zum Nationalen Energie- und Klimaplan
Aus den Empfehlungen der EU-Kommission:
Die EU-Kommission empfiehlt Österreich
(zum Thema Treibhausgas-Reduktion) 1: die von ihm für den Bau- und den Verkehrssektor geplanten Maßnahmen zu ergänzen, um das für 2030 angestrebte Ziel einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um 36 % gegenüber 2005 für Sektoren, die nicht unter das Emissionshandelssystem der EU fallen, zu erreichen
(zum Thema Energieeinsparungen) 3: seine Beiträge zu überprüfen und zusätzliche Politiken und Maßnahmen zu bestimmen, die bis 2030 weitere Energieeinsparungen bewirken könnten, da die Anstrengungen verstärkt werden müssen, um das Energieeffizienzziel der Union für 2030 zu verwirklichen; seinen nationalen Beitrag klarzustellen und ihn sowohl als Primär- als auch als Endenergieverbrauch anzugeben; seine vorläufigen Angaben zu den nach 2020 umzusetzenden Politiken und Maßnahmen näher zu begründen, für die ein Zeitplan für die Umsetzung, klare Ziele und erwartete Auswirkungen und Einsparungen in den endgültigen integrierten nationalen Energie- und Klimaplan aufgenommen werden sollten.
(fossile Energie) 4: konkrete Ziele für die Diversifizierung von Erdöl- und Erdgasquellen sowie für die Versorgung aus Drittländern, die Verringerung der Abhängigkeit von Energieeinfuhren und die Verbesserung der Resilienz und Flexibilität des nationalen Energiesystems festzulegen
(Gas-Versorgung) 6: die regionale Zusammenarbeit, einschließlich Konsultationen mit Nachbarländern, sowohl im Hinblick auf den Abschluss als auch die Umsetzung des integrierten nationalen Energie- und Klimaplans fortzusetzen, vor allem im Rahmen der hochrangigen Gruppe für die Erdgas-Verbindungsleitungen in Mittel- und Südosteuropa (CESEC) und des Pentalateralen Energieforums, insbesondere in Anbetracht der Rolle Österreichs als regionale Drehscheibe für Gas und angesichts des österreichischen Ziels, den Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen im Elektrizitätssektor auf 100 % zu steigern.
(Subventionen auf fossile Energie) 8: alle Subventionen für Energie‚ darunter vor allem Subventionen für fossile Brennstoffe, und ergriffenen Maßnahmen sowie Pläne, diese Subventionen auslaufen zu lassen, aufzuführen.
(Kampf gegen Energiearmut) 10: Gerechtigkeits- und Fairnessaspekte bei der Energiewende besser zu integrieren;
das Konzept für die Bekämpfung der Energiearmut weiterzuentwickeln, unter anderem durch Bereitstellung zusätzlicher Informationen über bestehende und mögliche Maßnahmen, Pläne zur Verringerung der Energiearmut und deren erwartete Wirkung.
Das ist so wunderschön beschrieben 🙂
Fragwürdig.
du (und andere) versuchen das so darzustellen als wäre das ein spezifisch öster. problem und die österr. regierung in besonderem verzug.
so eine empfehlung bekommen alle länder,
österreich bekam 10 emfehlungen , deutschland 11,
und empfehlungen sind empfehlungen.
„grundsätzlich einverstanden“ zu schreiben ,ist daher wohl zulässig
Ich glaube es geht eher darum, dass man als Kommunist ein Problem damit hat, wenn es für die normale Bevölkerung den Eindruck macht, dass die EUdSSR irgendetwas von einem (noch) souveränen Nationalstaat lobt.
Für Kommunisten gilt folgende einfache Regel:
Nationalstaat böse!
EUdSSR super!
Alles andere darf und kann nicht sein…