Am Donnerstag treffen die SpitzenkandidatInnen der sechs Parlamentsparteien zum letzten Mal vor einem Millionenpublikum aufeinander. Die große „Elefantenrunde“ des ORF bildet den Höhepunkt einer umfassenden Berichterstattung der heimischen Medienlandschaft. Doch eine von sieben kandidierenden Listen wurde von den Medien systematisch ignoriert. Dieser Ausschluss von sogenannten Kleinparteien könnte im Herbst auch für die Grünen zum Verhängnis werden. Die Hintergründe einer demokratiepolitisch fragwürdigen Usance beleuchtet Klemens Herzog.
Es ist ein kühler Maitag auf der Wiener Mariahilfer Straße. Dennoch bilden sich Schlangen vor den italienischen Eissalons. Hinter einem Stand, der mit Europafahnen behängt ist, stehen einige junge Menschen, die sich für die offizielle Wahlmobilisierungskampagne der Europäischen Union engagieren. Unter dem Motto „dieses Mal wähle ich“ werden allen voran Jung- und Erstwählerinnen zum Wählen motiviert. Auf einem Stehtisch ist eine Art Glücksrad aufgebaut. Zu gewinnen gibt es nichts, aber wenn man dreht, bleibt der Zeiger bei einer der sechs Parteien ÖVP, SPÖ, FPÖ, GRÜNE, NEOS oder JETZT stehen – Wahlorientierung nach Zufallsprinzip. Als ich die junge Frau hinter dem Stand fragte, wieso am Glücksrad nur sechs Parteien abgebildet sind, wo doch sieben kandidieren, entschuldigte sie sich mit den Worten: „Ja, die hatte leider keinen Platz mehr“. Sie nimmt damit vieles vorweg, was im Folgenden etwas genauer beleuchtet wird.
Ausschluss ist kein Skandal – oder doch?
Der mediale Ausschluss von sogenannten „Kleinparteien“ (grob umrissen siend dies Parteien, die nicht im Nationalrat vertreten sind) ist in Österreich gängige Praxis. Dieser Exklusionsmechanismus zieht sich durch alle relevanten Medien und wird von kaum jemanden hinterfragt. Nachzufragen wieso die Berichterstattung ist, wie sie eben ist, ist in etwa wie zu fragen: „Wieso ist der Himmel blau?“. Es geht in diesem Text um das Nachdenken über etwas Allgegenwärtiges und damit Unscheinbares.
Bei der anstehenden Europawahl sticht der eingeübte Exklusionsmechanismus jedoch manchen erstmals ins Auge. Denn von sieben kandidierenden Listen wird nur eine Liste in dieser Form benachteiligt.
Sämtliche TV-Konfrontationen und sogenannte „Elefantenrunden“ auf ORF, PULS4, ATV, Servus TV, oe24.at laufen ohne Beteiligung der siebten Liste ab. Ein Millionenpublikum wird im Glauben gelassen, dass nur sechs Listen kandidieren. Beispielshaft lud der Privatsender PULS 4 Ende April unter dem Titel Jeder gegen Jeden zum Duell der sechs SpitzenkandidatInnen. Vergeblich suchte man jedoch die siebente Spitzenkandidatin Katerina Anastasiou. Im Zeitungsbereich spielt sich Vergleichbares ab. So titelt Wolfang Fellners Boulevardblatt, EU-Wahl: Alle Kandidaten im Österreich-Check ohne die siebte Kandidatin abzubilden oder gar zu erwähnen. Es sind dies nur wenige Beispiele von unzählbar vielen – der Ausschluss einer Liste zieht sich wie ein roter Faden durch die Berichterstattung und Einladungspolitik. Trotz aller inhaltlichen Unterschiede sind sich hier Boulevardmedien, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, bürgerliche Qualitätsmedien und (links)liberaler Blätterwald weitgehend einig.
Deutliches Ungleichgewicht
Eine Auswertung zur Berichterstattung in österreichischen Tages- oder Wochenzeitungen und Monatsmagazinen zeigt eine deutliches Ungleichgewicht zu Gunsten der Parlamentsparteien. Während der FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky in 802 Texten erwähnt wird, wird die KPÖ-Listenerste Katerina Anastasiou bloß in 27 Texten erwähnt. Noch größer wird das Ungleichgewicht, wenn auch die Präsenz der Listenzweiten und die Präsenz der Listenplätze drei bis zehn einbezogen wird. Hier steht die ÖVP mit über 2000 Texten eindeutig an der Spitze.
Natürlich ist eine gewisse Gewichtung im Rahmen der redaktionellen Berichterstattung absolut nachvollziehbar und auch legitim. Parteien, die bereits in Gremien vertreten sind oder deren Mitglieder bereits Funktionen ausüben sind eher Gegenstand der Berichterstattung. Ihre Handlungen und inhaltlichen Positionierungen haben mehr Einfluss auf die Gesetzgebung. Ebenso macht es einen Unterschied, ob die Parteien für die Pressearbeit ein Millionenbudget und einen bezahlten MitarbeiterInnenstab haben oder nur einige tausend Euros und ehrenamtliche HelferInnen. Ich plädiere nicht dafür, dass alle Parteien und KandidatInnen die gleiche Sendezeit erhalten sollen. Problematisch ist die Exklusion jedoch bei Formaten, die dezidiert eine Orientierungsfunktion für die WählerInnen haben. Insbesondere sind hier TV-Duelle, Podiumsdiskussionen, KandidatInnenportraits oder Programm- und Positionsvergleiche zu nennen. Auch hier werden „Kleinparteien“ systematisch ausgeschlossen.
Warum das so ist, wollte ich von den Verantwortlichen wissen. Nicht alle haben auf meine Anfragen geantwortet.
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk (ORF)
Der ORF nimmt als Leitmedium eine besondere Rolle ein. Im Gegensatz zu privaten Medien, die mehr oder weniger nur ihren eigenen Ansprüchen genügen müssen, unterliegt die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dem ORF-Gesetz. Dieses verpflichtet unter anderem zu „Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung“. Die Sendungen des ORF haben nicht nur die größte Reichweite. Auch dient seine Einladungspolitik als oft zitierte Referenzpunkt anderer Medien.
Ich wollte daher vom ORF wissen, warum eine von sieben kandidierenden Parteien zu den wichtigsten Informationssendung nicht eingeladen wurde (namentlich zu den Sendungen „Zwei im Gespräch“, „Report Spezial“ und „Diskussion der SpitzenkandidatInnen“).
Antwort des Kundenservice:
„Wie Sie bereits wissen, lädt der ORF zu seinen EU-Wahl-Diskussionsformaten die Spitzenkandidatin bzw. Spitzenkandidaten der im EU-Parlament bzw. Parlament vertretenen Parteien ein. Diese Vorgehensweise wurde von Seiten des ORF bereits bei anderen Wahlen – beispielsweise der Nationalratswahl – festgelegt und ist rechtlich abgesichert.“
Den rechtlichen Aspekt will ich etwas später beleuchten. Als erstes muss bei dieser floskelhaften Antwort nachgehakt werden. Denn diese oder eine ähnlich lautende Antwort schickten mir viele Medien zurück: Inkludiert werden Parteien, die im zu wählenden Gremium oder im Nationalrat (in Klubstärke) vertreten sind. Exkludiert werden Parteien, die diese Voraussetzung nicht erfüllen. Die Antwort liefert jedoch keine Begründung; sie beschreibt nur das ohnehin Offensichtliche. Die interessantere Frage ist daher: Warum wird genau dieses Exklusionskriterium gewählt? Welche Rolle spielt es, ob eine Partei im Nationalrat ist oder nicht?
Antwort des Kundenservice:
Aufgrund seines breitgefächerten Programmauftrags kann allerdings nur eine begrenzte Sendezeit für themenbezogene Formate zur Verfügung gestellt werden. Eine Miteinbeziehung sämtlicher Kleinparteien in alle Diskussionssendungen würde den zeitlichen Rahmen sprengen. Der ORF hat sich daher für die bereits geübte und seit Jahren bewährte Einladungs-Praxis entschieden. Wir bitten um Verständnis, dass wir unabhängig von der Anzahl der tatsächlich antretenden Kleinparteien keine Ausnahme dieser Vorgangsweise vornehmen.
Wir erfahren hier schon etwas mehr; nämlich das eine „Miteinbeziehung sämtlicher Kleinparteien […] den zeitlichen Rahmen springen würde“. In ein ähnliches Horn stößt auch ORF-Moderator Martin Thür auf Nachfrage via Twitter.
„Irgendwo muss man einfach eine Grenze ziehen und natürlich sind jene, die es nicht mehr schaffen unglücklich darüber. Das ist ja klar. Bei der Nationalratswahl sind 16 Parteien angetreten. Die kann man nicht alle gleichwertig in der Sendezeit behandeln“. Weiters: „Bei 16 Parteien wären es bei der Nationalratswahl 120 Duelle gewesen. Das geht schlicht nicht“.
Auch hier werden also Probleme bei der Programmplanung und Formatgestaltung als Hauptgrund vorgebracht, wieso kandidierende Parteien ungleich behandelt werden. Mit einem ähnlich gelagerten Argument antwortet mir der Privatsender PULS 4 auf die Frage wieso bei den TV-Konfrontation eine von sieben Listen nicht eingeladen wurde.
Ausrede: Enge Terminplanung
Die Planung einer so umfangreichen TV-Sendung beginnt nicht erst 20 Tage davor, sondern sollte zu diesem Zeitpunkt bereits großteils abgeschlossen sein. Zu Planungsbeginn im Herbst war nicht absehbar, wie viele Parteien und Kandidaten antreten werden – es hätten genauso gut 9 oder 10 sein können, was natürlich erheblichen Einfluss auf das Sendungskonzept hat. Wir haben uns deshalb entschieden, mit jenen Listen zu planen, die die genannten, formalen Kriterien (mit Mandaten im EU-Parlament oder im Nationalrat vertreten) erfüllen.
In der Tat ist der Fristenlauf relativ dicht. Die Wahlvorschläge werden spätestens 44 Tage vor dem Wahltermin eingereicht. Nicht im Parlament vertretene Parteien müssen dabei 2600 beglaubigte Unterstützungserklärungen vorlegen. Erst 31 Tage vor der Wahl ist absolut sicher, welche Parteien zur Wahl antreten. Diese Frist schreibt die Wahlordnung, vor. Leider hat sich der Gesetzgeber um die Fernsehformatkompatibilität wenig Gedanken gemacht.
Zwei weitere Reaktionen beschreiben, wie die Exklusionskriterien der TV-Sender auch in andere Bereiche ausstrahlen.
Der ORF macht die Regeln
Auf Nachfrage, wieso bei einer programmvergleichenden „Orientierungshilfe für Unentschlossene“ nur sechs Parteien verglichen werden, reagiert die Tageszeitung Die Presse wie folgt:
„wir haben uns auf die Parlamentsparteien beschränkt, inklusive Grüne, die ja noch im Bundesrat und im EU-Parlament vertreten sind. Dieselbe Auswahl hat übrigens auch der ORF für seine TV-Duelle getroffen.“
Eine Nachfrage beim Verbindungsbüro des Europarlaments in Österreich, das in Kooperation mit der Universität Wien eine Podiumsdiskussion mit sechs der sieben SpitzenkandidatInnen organsierte wurde wie folgt beantwortet:
eine Festlegung der PodiumsdiskutantInnen im Vorhinein ist bei jeder Veranstaltung aus Gründen der Organisation, insbesondere der immanenten zeitlichen Beschränkungen, notwendig. Die Veranstalter haben sich bei ask EP auf die auch für die in Hörfunk und Fernsehen angewendeten Kriterien festgelegt.
Auch bei der Tageszeitung Der Standard habe ich nachgefragt wieso eine Liste bei wesentlichen Teilen der Berichterstattung nicht berücksichtigt wird:
„Das ist tatsächlich immer eine schwierige Entscheidung. Wir haben uns letztlich für jene sechs Listen entschieden, die in den meisten Umfragen abgetestet werden und denen – zumindest eine kleine – Chance auf einen Einzug ins EU-Parlament eingeräumt wird.“
Das ewige Framing: Klein- und Kleinstparteien
Anders argumentiert man bei der Wiener Zeitung auf Nachfrage wieso beim Wahlhelfer (ein Orientierungstool ähnlich der wahlkabine.at) eine kandidierende Partei ausgespart wurde.
„…tatsächlich haben wir nach diesem Prinzip in den letzten Jahren immer wieder sämtliche Listen auf dem Stimmzettel bei unseren Wahlhelfern (die wir schon seit über zehn Jahren machen) berücksichtigt. Inhaltlich war das nicht immer zielführend, weil natürlich nicht alle Klein- und Kleinstparteien ein ausgereiftes und detailliertes europapolitisches Programm haben. Tatsächlich haben diese Kleinparteien dann auch stets die Orientierung für die Bürger als Ergebnis des Wahlhelfers beeinträchtigt.
Ich hätte in den letzten Wochen noch bei viel mehr Medien nachfragen können. Denn es ist die absolute Ausnahme, dass alle antretenden Listen gleichwertig berücksichtigt wurden. Viele Anfragen blieben auch unbeantwortet. Dennoch liefern die angeführten Beispiele einen brauchbaren Überblick, wie die Ausschlüsse von sogenannten „Kleinparteien“ begründet werden.
Dürfen die denn das?
Die Hierarchisierung in „Kleinpartei“ und „Parlamentspartei“ ist in den Köpfen vieler MedienmacherInnen und auch MedienkonsumentInnen durch jahrelange Wiederholung eingebrannt. Eine legistische Grundlage gibt es dafür nicht. Ein Blick in die Wahlordnung verrät, dass vom wahlrechtlichen Standpunkt keine Hierarchisierung der Kandidaturen/Wahlvorschläge vorgenommen wird. Einzig die Reihenfolge am Stimmzettel richtet nach den Ergebnissen bei der letzten Wahl (Paragraph 36 Absatz 3 EuWO). Es wird jedoch nicht zwischen Parteien unterschieden, die im Nationalrat vertreten sind oder nicht. Vor der Wahlordnung sind also alle erfolgreich eingereichten Kandidaturen gleichwertig. Ganz anders sieht das die heimische Medienlandschaft. Diese zieht, wie ausführlich beschrieben, eine nachträgliche Hierarchisierung ein.
Die exklusive Einladungspolitik des ORF ist rechtlich gedeckt
Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, dass private Medien alle antretenden Parteien in ihrer Berichterstattung berücksichtigen müssen. Über wen sie wie berichten, können sie im Rahmen der Pressefreiheit, der journalistischen Sorgfaltspflichten, des sonstigen geltenden Rechts und in Übereinstimmung mit ihren eigenen Grundsätzen frei bestimmen. Die Frage ist daher keine rechtliche, sondern eine demokratiepolitische. Einzig der ORF hat einen gesetzlich festgelegten Auftrag zu erfüllen. Im ORF-Gesetz sind Objektivität und eine Unparteilichkeit der Berichterstattung festgeschrieben. Die Einladungspolitik des ORF und seine Wahlberichterstattung waren deshalb des Öfteren Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen. Beschwerdeführer waren dabei stets Parteien, die von der Exklusion betroffen waren. Am weitreichendsten war dabei sicher das Engagement der NEOS, die ihre Nichteinladung zu den TV-Duellen vor der Nationalratswahl 2013 über drei Instanzen bis zum Verwaltungsgerichtshof bekämpften. Dieser entschied zwei Jahre später, als die NEOS längst im Parlament vertreten waren, dass die exklusive Einladungspolitik des ORF rechtlich gedeckt ist. Damit prolongierte sich eine Spruchpraxis, die sich zumindest bis 1987 (https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_10128790_87B00446_00/JFT_10128790_87B00446_00.html) zurückverfolgen lässt. Bemerkenswerter weise war es ausgerechnet die FPÖ, für die der ORF eine bisher einmalige Ausnahme vollzog. Im Vorfeld der Nationalratswahlen 2006 war im Zuge der FPÖ/BZÖ-Spaltung die freiheitliche Partei nicht mehr mit Klubstärke im Parlament vertreten. Der ORF kündigte ursprünglich an, den bisherigen Regeln treu zu bleiben knickte dann aber doch ein. Der damalige Informationsdirektor Gerhard Draxler begründete dies wie folgt: „Um jeden Zweifel an Objektivität und Ausgewogenheit auszuräumen“ werde er von der „seit Jahrzehnten geübten Praxis ausnahmsweise“ abweichen und auch die FPÖ, die keinen Klubstatus hat, zu den TV-Konfrontationen einladen.
Und die „demokratische Öffentlichkeit“?
Ich bin der Meinung: Solche Ausnahmen sollten zur Regel werden. Denn wer die Hürde auf den Stimmzettel nimmt, ist rechtlich wählbar. Das gilt für die KPÖ gleichermaßen, wie für alle anderen Parteien. Ob eine Partei auch moralisch und inhaltlich wählbar ist, haben die Wähler und Wählerinnen zu entscheiden; nicht die Chefredaktionen und Sendungsverantwortlichen. Dies einzufordern ist die Aufgabe einer demokratischen Öffentlichkeit. Weder Medien, die diese exklusive Praxis seit Jahren ausüben, noch etablierte politische Parteien, die vom Ausschluss der Konkurrenz profitieren, werden diese Aufgabe übernehmen.
Die Antworten der Medien sind meist nicht vollständig zitiert, sondern nur auszugsweise, jedenfalls aber nicht sinnverfälschend, wiedergegeben.