Christian Kern soll in den Verwaltungsrat der staatlichen Russischen Eisenbahnen (RZhD) berufen werden. Das berichtet jedenfalls die russische Agentur Interfax und daraufhin weitere russische und österreichische Medien. Sie berufen sich dabei auf eine informelle Quelle in Regierungskreisen und aus der Transportindustrie. Der ehemalige ÖBB-Chef kehrt also möglicherweise zurück in die Eisenbahnbranche. Ein ukrainischer Blogger fragt indes zurecht: „Um ehrlich zu sein, es gibt auf der ganzen Welt viele exzellente „Eisenbahner“. Warum also Kern?“ Mit dieser Recherche versucht Sebastian Reinfeldt eine Antwort: Die Kontakte der SPÖ zu Putin waren, und sind intensiv und institutionalisiert: Sie verlaufen über die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft und über ein deutsches Dialogforum mit Büro in Wien. Mittendrin der ehemalige Chef der russischen Staatsbahnen – und ein weiterer roter Ex-Kanzler: Alfred Gusenbauer. (Teil 2 unserer Serie über den Einfluss russischer Politik in Österreich.)
Update 24. Februar 2022: Der Standard berichtet, das Kern seinen Aufsichtsratsposten mit sofortiger Wirkung zurücklegt. „Ich habe heute in den Morgenstunden die Organe der Joint Stock Company Russian Railways RDZ darüber informiert, dass ich mein Mandat im Direktorium mit sofortiger Wirkung zurücklege“, sagt Kern dem STANDARD. „Seit heute Nacht ist die RZD tatsächlich Teil einer Kriegslogistik geworden. Ich bedauere das zutiefst.“
Eine späte Einsicht.
Die Vorgeschichte: Kern reist 2017 mit Gefolge nach St. Petersburg
Damit ließ er aufhorchen: Anfang Juni 2017 flog der damalige Kanzler Christian Kern zum Petersburger Wirtschaftsforum. Er war damit Teil „der“ Propagandaveranstaltung des geborenen Petersburgers Wladimir Putin. Mit ihm im Flugzeug: Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl, der Vorstandsvorsitzender des österreichischen Mineralölkonzerns OMV, Rainer Seele und Ex-Magna-CEO und derzeitiger Verwaltungsratschef von Russian Machines, Siegfried Wolf. Alle Genannten (inklusive des Kanzlers) standen während des Forums dem russischen Propagandasender Sputniknews Rede und Antwort (siehe die Links zu den Personen). In ihren Statements sprachen sie sich brav für die schrittweise Aufhebung der EU-Sanktionen aus. Kern etwa wird im Sputnik-Interview wie folgt zitiert:
Wir wissen natürlich, dass diese Sanktionen für unsere Wirtschaft sehr nachteilig sind, das kostet uns fast 0,3 Prozent von unserem Bruttoinlandsprodukt – das ist schon erheblich. Vor dem Hintergrund sind wir ja der Meinung, dass wir hier eine verstärkte Zusammenarbeit aufsetzen müssen, um hier eine Zukunftsperspektive, die auf Kooperation beruht, zu entwickeln.“
Es kamen gute Geschäfte zustande
Verstärkte Zusammenarbeit bedeutet: Geschäfte. In den Medien war spekuliert worden, dass Kern sich für die Verlängerung der Breitspurbahn nach Wien einsetzen wolle. Vielleicht hat er das auch getan, und seine kommende Aufsichtsratstätigkeit hat diesen Grund. Konkret zustande kam in St. Peterburg ein Abkommen zwischen der OMV und Gazprom, das mehrere Absichterklärungen enthielt: Bei verflüssigtem Gas (LNG) will man an der Schwarzmeerküste zusammenarbeiten. Außerdem vereinbarten die beiden Konzerne, im Iran (!) kooperieren zu wollen. Eine entsprechende Erklärung zwischen OMV und Gazprom-Öltochter Gazprom Neftegaz ist in St. Petersburg unterschrieben worden.
Gusenbauer geht voran
In seinem Russland-Engagement hat Kern einen bekannten Vorgänger und Förderer: 2008 erhält Alfred Gusenbauer den Preis „Dialogue of Civilizations„. Überreicht wurde die hohe Auszeichnung von Wladimir Jakunin, dem Präsidenten des World Public Forums. So steht es in der Pressemitteilung. Dieser Mann war damals indes bereits Chef der staatlichen russischen Eisenbahnen. Er hatte schon zu dieser Zeit (auch) eine politische Mission.
2014 nimmt der österreichische Ex-Kanzler an einem weiteren Forum teil. In Griechenland, auf Rhodos. Organisiert wird es jährlich von Jakunins World Public Forum ‚Dialog of Civilizations (WPF)‘. Auch Gusenbauer äußerte sich auf diesem Forum zu den Russland-Sanktionen der EU, die kurz zuvor aufgrund der Annexion der Krim durch Russland beschlossen wurden:
Sanktionen sind kein Weg aus der Krise, sondern sie führen tiefer in die Krise.
Kultur, Politik – und viele gute Kontakte: Dialog of Civilizations
Die Organisation, die solche Events organisiert, hat mittlerweile ihren Sitz in Berlin. Auf Deutsch nennt sie sich „Forschungsinstitut ‚Dialog der Zivilisationen‘“ (DOC). Sie verfügt auch über ein Wiener Büro. Mit-gegründet wurde das DOC vom ÖVP-Politiker und ehemaligen Generalsekretär des Europarates, Walter Schwimmer. Das Gesicht nach Außen ist allerdings der ehemalige Chef der staatlichen russischen Eisenbahnen, Wladimir Jakunin. Im Aufsichtsrat dieser NGO mit besonderer Nähe zu Putin sitzt aber auch SPÖ-Netzwerker Alfred Gusenbauer. Mit den interkulturellen Dialogen lässt sich offenbar gutes Geld verdienen.
Wer ist Wladimir Jakunin?
Von 2005 bis 2015 war Wladimir Jakunin für die staatlichen russischen Eisenbahnen verantwortlich. Bereits im März 2014, kurz nach dem Einmarsch auf der Krim, landete er auf der Sanktionsliste der USA und Australiens, weil er zum ganz engen Zirkel um Putin gehört. Seine Freundschaft zum russischen Machthaber stammt aus gemeinsamen KGB-Tagen. Außerdem war er Teil der berühmten Datschen-Kooperative Osero, deren Mitglieder mit Putins Machtübernahme an Macht und Einfluss gewonnen haben – und reich wurden, sehr, sehr reich.
Dieses Foto (und weitere Aufnahmen) von Jakunins 2000m2-Anwesen bei Moskau hat der Blogger und Oppositionspolitiker Alexei Nawalny 2013 veröffentlicht. Das Grundstück verfügt ihm zufolge sogar über einen eigenen Lagerraum nur für Pelzmäntel. Nawalny wirft Jakunin zudem Korruption vor.
Familiengeschäfte mit Hotels und Eisenbahnen in Wien
Ein Beispiel dafür führt nach Österreich: Mit Österreich und seiner Kultur ist Jakunin (und seine Familie) nicht nur ideell verbunden. Bis Februar 2019 war der Investment-Fonds seines Sohnes Andrej Jakunin Mehrheitseigentümer des Radission Blue Hotels in Schönbrunn. Die Investition wurde über einen Raiffeisen-Kredit finanziert und hat binnen 5 Jahren rund 10 Millionen Gewinn gemacht. Das berichtet jedenfalls der Standard. Gute Geschäfte machte Andrej Jakunin aber auch mit Papa Wladimir Jakunin. Nachdem Andrejs Investmentfonds VIY Greater Europe Hospitality ins Leben gerufen war, kooperierte er mit den staatlichen Eisenbahnen beim Aufbau einer Hotelkette in Russland und eines Logistikanbieters im Europa-Asien-Handel. Das wurde als inner-familiärer Handel erledigt.
Russisch-österreichische Geschäfte mit Eisenbahnen
Die meisten russischen Geschäfte mit den österreichischen Eisenbahnen sind politisch der SPÖ zuzurechnen. Im Schnittpunkt steht immer wieder Alfred Gusenbauer. Er übernahm Ende Juli 2009 einen angeblich unbezahlten Aufsichtsratsposten bei der Alpine Holding GmbH, legte diesen aber schon 10 Monate später wieder zurück. Daraufhin heuerte er bei Österreichs größtem Baukonzern, der STRABAG AG, an. Für gutes Geld. In Gusenbauers Zeit bei der Alpine, die später insolvent ging, fällt die Gründung eines Joint Venture mit den staalichen russischen Eisenbahnen im Jänner 2010. Jakunin war damals persönlich in Wien, um den Vertrag zu unterschreiben.
Das Joint Venture mit dem Zweck der „Akquisition, Angebotserstellung und Abwicklung von Infrastrukturprojekten auf dem Gebiet der russischen Föderation, in Österreich und dritten Ländern“ existiert bis heute. Nunmehr heißt es „rsrs-austria“; der Alpine-Anteil wurde von Molinari Management übernommen. Dahinter steckt der Schweizer Molinari-Eisenbahnkonzern. Der russische Anteil (50 Prozent) blieb unverändert.
Gusenbauers Netzwerk und seine Eisenbahnkontakte
Alfred Gusenbauer ist geschäftsführender Alleingesellschafter der Gusenbauer Projektentwicklung & Beteiligung GmbH. Weiterhin verbunden ist er mit dem Mitgründer dieser Firma, dem Anwalt Leopold Specht. Dieser verfügt über ausgezeichente Beziehungen nach Russland zur Oligarchin und Ehefrau von Juri Luschkow, Elena Baturina. Sie ist Russlands reichste Geschäftsfrau mit einem geschätzten Vermögen von 1,2 Mrd. Dollar. Specht steht politisch der SPÖ nahe und war bis 2018 im Aufsichtsrat der Österreichische Bundesbahnen-Holding Aktiengesellschaft und der Austro Control. Über die Cudos Capital AG sind Specht und Gusenbauer geschäftlich gut verbunden.
Die „Habsburg Group“ unterstützt den pro-russischen Präsidenten der Ukraine
Die Anklageschrift von US-Sonderermittlers Robert Mueller gegen den früheren Trump-Wahlkampfmanager Paul Manafort hatte einen Österreichbezug. Manafort soll unter anderem Millionen Dollar eingesetzt haben, um im Auftrag der vorherigen pro-russischen Regierung der Ukraine für diese zu lobbyieren. In den USA, aber auch in Europa.
Hinter den Kulissen habe, so der Mueller Bericht, eine Gruppe die Fäden gezogen, die mit deutlich historischer Anspielung “Hapsburg group” genannt wird. Mit dabei ein früherer “Kanzler” aus der Region des ehemaligen Habsburger Reichs. Tatsächlich war Ex-Kanzler Gusenbauer im Jahr 2013 in den USA unterwegs, um für die Sache des damaligen Präsidenten zu lobbyieren. Das ergibt sich aus einer FARA-Meldung des US-Lobbyingunternehmens Mercury Public Affairs.
Schweizer Bahnen für die ÖBB
2016 lobbyierte Gusenbauer erfolglos für die Schweizer Stadler-Rail bei der Beschaffung von 300 ÖBB-Nahverkehrszügen. Der Auftrag ging dann doch an Bombardier. Die Westbahn (hier ist ja die STRABAG beteiligt, bei der Gusenbauer im Aufsichtsrat sitzt) fährt mit Doppelstockzügen aus der Schweiz. In Zukunft könnten diese doch noch von der ÖBB übernommen werden. Die Westbahn steigt nämlich auf Züge aus chinesischer Produktion um und will die alten Garnituren verkaufen.
Möglicherweise hat Gusenbauer unterstützt
Somit gibt es eine Kette von Indizien, die mit guten Gründen vermuten lassen, dass SPÖ-Ex-Kanzler Gusenbauer SPÖ-Ex-Kanzler Kern dabei unterstützt hat, den Job im Aufsichtsrat der russischen Staatsbahnen zu ergattern. Drehpunkt dabei könnte der ehemalige Chef der russischen Staatsbahnen sein, mit dem Gusenbauer beruflich mehrfach verbunden war und – bis heute – ist. Da Wladimir Jakunin aus dem engsten Putin-Umfeld kommt, könnte er seinen Einfluss geltend gemacht haben.
Jakunin will die spirituellen Fundamente der russischen Gesellschaft stärken
Politisch gesehen ist der russische Ex-Eisenbahner ein seltsamer Zeitgenosse. Seine interkulturellen Dialoge haben eine klare Mission. So ließ er etwa eine Konferenz, das „Internationale Forum ‚Mehrkindfamilien und die Zukunft der Menschheit‚“, in Moskau organisieren. Bei dieser Veranstaltung im September 2014 durfte der Wiener FPÖ-Politiker und Russland-Freund Johann Gudenus seine Thesen zur „mächtigen Homosexuellenlobby in Europa“ vorstellen.
Jakunin betreibt neben dem DOC noch weitere Stiftungen, darunter die Istoki-Foundation. Ziel dieser Vereinigung ist nicht der Dialog, sondern die spirituelle Stärkung im Sinne der orthodoxen Kirche. Wörtlich:
die spirituellen Fundamente der russischen Gesellschaft zu stärken sowie die moralische Erziehung, die auf den Prinzipien der orthodoxen Religion und auf den ehrwürdigen Beispielen der russischen Geschichte und Kultur beruhen.
Die Istoki-Stiftung ist mit dem DOFC Endowment Fund, der die NGO-Aktivitäten Wlademir Jakunins und Alfred Gusenbauers finanziert, personell direkt verbunden. Jakunin steht beiden Organisationen vor, und seine Kollegin Ekaterina Gerus ist in beiden für das Fund-Raising zuständig.
Alles in allem ist das Jakunin-Imperium eine seltsame Gesellschaft für Sozialdemokraten, sollte man meinen. Aber politische Positionen und Haltungen sind offenbar nur unbedeutendes Kleingeld bei der roten Liebe zur russischen Macht.
24. Februar 2022: Christian Kern legt sein Aufsichtsratsmandat zurück
Gegenüber der Zeitung Der Der Standard verteidigt Christian Kern sein Engagament für die russischen Staatsbahnen. Er habe den Job als Branchenkenner angenommen. Nunmehr, im Zuge des Angriffs Russlands auf die Ukraine, sei ihm klar geworden, dass die Staatsbahnen Teil der russischen Kriegsmaschinerie seien. Das wolle er nicht unterstützen. Kern heute:
Meine Gedanken sind bei den Opfern dieser sinnlosen Aggression.
2 Gedanken zu „Die SPÖ in bester russischer Gesellschaft. Aus Liebe zur Macht (Update 24. Februar 2022)“