Die FPÖ ist nicht plötzlich eine andere Partei geworden

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By Sebastian Reinfeldt

Ohne die Spende des Attentäters von Christchurch an die Identitären wäre nicht klar geworden, dass all ihre Worte, Aktionen, Videobotschaften, Plakate, Flyer und Tweets Folgen haben können. Tödliche Folgen. Gleiches gilt, mit anderen Vorzeichen, für die FPÖ. Gestern noch wurde sie als rechte, aber doch demokratische Partei angesehen. Heute erscheint die FPÖ als ein fixer Knotenpunkt in rechtsextremen Netzwerken, zu denen auch die Identitären gehören. Vieles, das nunmehr in den Leitmedien diskutiert wird, ist seit Jahren bekannt. Es wurde recherchiert und wissenschaftlich analysiert. Doch hat es kaum jemanden interessiert. Deshalb können die Betroffenen jetzt ihr Spiel von Distanzierung, Nicht-Distanzierung und Abstreiten spielen. Eigentlich ist die Sache aber klar: Das gehörte alles zusammen – in der Tiefe. Eine Recherche zu den rechtsextremen Netzwerken der FPÖ und den geteilten Ideologien von Sebastian Reinfeldt.


Im Oktober 2016 kamen sie alle zusammen

Am 29. Oktober 2016 trafen sich in Linz die selbst ernannten Verteidiger Europas. Bereits die Zusammensetzung der Veranstalter des Kongresses macht klar, wie die Vernetzung funktioniert. Organisiert wurde der Kongress  von der Burschenschaft Arminia Czernowitz, in der FPÖ-Mitglieder aktiv sind oder waren, darunter Michael Raml (bis März 2019 FPÖ-Bundesrat) und nunmehr Stadtrat in Linz sowie Markus Hein, nunmehr Vizebürgermeister in Linz. Mit-Veranstalter war das „Brückenmedium für unterschiedliche Spektren der extremen Rechten„, Info-Direkt. Durch den Kongress-Saal verliefen keine roten Linien. Im Gegenteil: Ob identitär, Neo-Nazi, freiheitlich, deutsch-national, rechtsextrem und anti-imperialistisch – jeder konnte dazugehören. Woher wir diese Dinge wissen? Sie standen in der Zeitung. Ein Journalist der Wiener Zeitung, Werner Reisinger, war damals im Saal und hat ausführlich berichtet.

Kickel 2016: „Ich distanziere mich von den Distanzierungen“

Im Artikel der Wiener Zeitung vom November 2016 findet sich eine genaue Beschreibung der Reden und Ziele des Kongresses:

Über eine Viertelstunde spricht Herbert Kickl. Man müsse schon verstehen, dass auf ihm ganz groß das Logo „Tagespolitik“ prange, erklärt sich der FPÖ-Generalsekretär. Es klingt wie eine Rechtfertigung. In seiner Rede finden sich fast alle thematischen Stränge, die den Kongresstag dominieren. Auch ein bisschen Wahlkampf darf nicht fehlen. Der „mieselsüchtige linke Flügel im Parlament“ könne nicht die Zukunft Europas sein, ebenso wenig die „Mainstreammedien“, die „mediale Stalinorgel“. Der „Gesinnungsfaschismus“ habe den „Kongress der ganz normalen Leute“ nicht verhindern können. Alexander Van der Bellen? Der „Last-Minute-Patriot“ sei der „Kulminationspunkt politischer Heuchelei“, aber als „Tagespolitiker“ werde man eben „ins Rechtfertigungseck verbannt“: „Ich distanziere mich von den Distanzierungen.“

Kickl in Linz: „Der Widerstand muss von uns überall mit der gleichen Vehemenz geführt werden“

Er distanzierte sich von den Distanzierungen. Derzeit nutzen FPÖ-Politiker die öffentlich geforderten Distanzierungen, um ihre Themen – unter anderen Vorzeichen – weiterhin in die öffentliche Diskussion zu bringen. Aus den ideologischen Kellern hoch in den ORF, sozusagen. Kickl nochmals im O-Ton 2016:

„Wir müssen diesen Kampf offensiv aufnehmen und dürfen uns hier keinen Millimeter zurückdrängen lassen, genauso wie wir uns hier nicht zurückdrängen lassen, wenn wir uns versammeln wollen zu einer Diskussionsveranstaltung, wo wir untereinander unter Gleichgesinnten treffen und wo wir unsere Positionen austauschen wollen und sie dann auch in weiterer Folge wieder hinaustragen. Der Widerstand muss von uns überall mit der gleichen Vehemenz geführt werden.“

Kickl der Einheizer und Ideologe

Der Mann, der so spricht, ist ein rechter Ideologe. Als damaliger Generalsekretär der einflussreichsten und altgedientesten rechtspopulistischen Partei Europas, der FPÖ, gibt er dem Kongress die Richtung vor: Die Vernetzung verschiedenster Organisationen unter einem Dach, mit dem Ziel, den „Widerstand“ zu organisieren. Mit der FPÖ als parlamentarischem Arm, der die Tagespolitik übernimmt. Die spannende Leerstelle ist die Frage, wogegen sich dieser Widerstand denn richten soll. Diese mit den Gedanken aus den Vor- und Nachreden zu füllen, bleibt den Zuhörenden überlassen. Und auch, was konkret zu tun ist, bleibt offen. Eminent müssen die Taten aber schon sein, wenn das Wort Widerstand irgendeinen Sinn machen soll.

Der Kreis der Redner

Vor Kickl hat der deutsche völkische Antiimperialist Jürgen Elsässer, Herausgeber des Magazins „Compact“, gesprochen. Er habe in Linz „Asyl“ für Positionen gefunden, die in Deutschland nicht möglich seien, im – so wird er in der Wiener Zeitung zitiert – „Reich der Finsternis„. Damit meinte er Deutschland. Außerdem sprachen und diskutierten in Linz Roland Hofbauer, Chefredakteur von alles roger?, Felix Menzel (Blaue Narzisse), Philip Stein (Ein Prozent, Jung Europa Verlag), Manuel Ochsenreiter (zuerst!), Maram Susli, Thomas Bachheimer (Goldstandardinstitut und bachheimer.com), Eva Maria Barki, Jan Ackermeier (Info Direkt), Alexander Malenki (Laut Gedacht), Bernhard Tomaschitz (Zur Zeit), Alexander Surowiec (Fass ohne Boden) und Walter Asperl (unzensuriert.at).

Der Kreis der identitären Zuhörer

Wer saß damals im Publikum? Kurz gesagt, das Who is Who der rechten Szene. Zu den bereits Genannten gesellten sich führende Köpfe der Identitären, die FPÖ-Funktionäre ja plötzlich nicht mehr kennen wollen oder dürfen. Teilgenommen haben unter anderem Patrick Lenart, Leiter der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) und Mitglied der Akademischen Fliegerschaft Wieland-Staufen. Lenart saß bereits im Dezember 2015 mit HC Strache beim Abendessen in Spielfeld. Ferner jener Identitäre, der die Spende erhalten hat, Martin Sellner – Leiter der IBÖ und Mitglied der US! Barden zu Wien. Dann die rechte Verschwörungstheoretikerin Maram Susli sowie Dominik Steizinger, Leiter der Identitären in Salzburg. Aus der Steiermark waren Luca Kerbl und Jörg Fittus angereist, aus Wien kamen Philipp Huemer, Fabian Rusnjak,  Maximilian Mrak, Edwin Hintersteiner, Christoph Haberberger und Jan Pawlik. Letztgenannter ist übrigens FPÖ-Bezirksrat in Wien-Penzing.

Geselliges Beisammensein von FPÖ mit Identitären
Geselliges Beisammensein von FPÖ und Identitären, Spielfeld (Las Legas ) Dezember 2015

Das rechte Netzwerk: „Für jeden findet sich etwas“

Beim Rundgang durch das Foyer des Kongresses beobachtete der Journalist:

Das Magazin „Alles roger?“ von Roland Hofbauer („Das Querformat für Querdenker“) teilt sich den Stand mit der rechtsextremen „Aktionsgemeinschaft für demokratische Politik“ (AFP), die ihre „Kommentare zum Zeitgeschehen“ anbietet. Bei „Info Direkt“ werden Honig, Säfte und Dinkelmehl aus Bio-Anbau feilgeboten. „Kaufen sie drei Ausgaben, und bekommen sie eine unserer neuen Jutetaschen geschenkt“, wirbt die Zeitschrift „Umwelt und aktiv“ um Kundschaft. Die „Sezession“ von Götz Kubitschek, ein zentrales Organ der deutschen Neuen Rechten, erfreut sich großen Interesses. Im Nebenzimmer verkauft die Identitäre Bewegung ihre „Phalanx Europa“-Merchandise-Produkte. Egal ob umweltbewegter Heimatschützer, identitärer Aktivist, deutschnationaler Burschenschafter oder einfach nur empörter Wutbürger – für jeden findet sich etwas.

Das einigende Band: Gegen Migration, gegen den „großen Austausch“

Dass Personen sich treffen, miteinander reden und Geschäfte machen, zeigt soziologisch betrachtet soziale Netzwerke auf. Was über diese persönlichen Begegnungen, die zweifelsohne auf dem Kongress wichtig waren, hinaus geht, sind die ideologischen Schnittpunkte, die politisch Bestand hatten und haben. Einige ideologische Schlüsselwörter, um den Widerstand der Verteidiger Europas zu charakterisieren, seien daher erläutert. Alle drehen sich um die verbindende Erzählung dieser Gruppen, Parteien und Medien:

Gegen Migration

Gegen Migration. Sie wird von identitärer Seite formuliert und in Medien-Aktionen ins Bild gesetzt. Am Rande der Donnerstagsdemo im März 2019, nach dem Anschlag von Christchurch, riefen sie nochmals den Schlüsselbegriff des Attentäters, der ihn mit der identitären Bewegung verbindet, in Erinnerung: Der sogenannte große Austausch.

Screenshot Identitären Homepage
Screenshot Identitären Homepage

ProBorder

ist ein Kampfbegriff der Identitären Bewegung. Er setzt einen polemischen Gegenpol zum linksradikalen „No Border, No Nation„, das Identitäre regelmäßig bei Gegendemonstrationen zu ihren Veranstaltungen hören müssen. In seiner Funktion als Innenminister verwendete Herbert Kickl „ProBoarder“ als Bezeichnung für eine polizeiliche Grenzschutzübung im Juni 2018, bei der Flüchtlinge „abgewehrt“ werden sollten.

Invasoren

Als „Invasoren“ werden im identitären Sprachgebrauch geflüchtete Menschen bezeichnet. Seine ursprünglichen Bedeutung nach meint der Ausdruck ein „feindliches Einrücken von militärischen Einheiten in fremdes Gebiet“. Die FPÖ hat diesen Begriff von den Identitären übernommen: Norbert Hofer sprach in seinem Bundespräsidenten-Wahlkampf 2016 in einem Standard-Interview wörtlich von „Invasoren“.

Hofer: Ja, auch der Präsident hat das Recht auf klare Worte. „Invasoren“ bedeutet „Eindringlinge“ – das sind Menschen, die, wie im Sommer, unregistriert die Grenze überschreiten.

Auch HC Strache benutzte diese Bezeichnung. Und der Attentäter von Christchurch in der Rechtfertigung seines Massenmordes.

Planmäßige Migration

Dass Österreich dem UN-Migrationspakt nicht zugestimmt hat, ist der größte realpolitische Erfolg der Identitären bislang. Die Übersetzung des Identitären-Chefs Martin Sellner  formte die argumentative Grundlage der österreichischen Ablehnung des Paktes. Er manipulierte die englische Formulierung „regular migration“ aus dem Titel des Migrationspakts. Das bedeutet „reguläre Migration“ (so der korrekte, offizielle Ausdruck) und beschreibt einen geregelten Zugang. Sellner machte daraus, unrichtigerweise, „planmäßige Migration“. Das soll die rechtsextreme These untermauern, der UN-Pakt sei Teil eines weltweiten Umsiedlungsplans. Die FPÖ hat diese (falsche) Übersetzung dankbar aufgegriffen: In dem Antrag auf Ablehnung des Dokuments im österreichischen Kabinett taucht dann ebenfalls die identitäre Übersetzung „planmäßig“ auf. Verfasst hat das Dokument das von der FPÖ geführte Außenministerium.

Geregelte und planmäßige Migration
Ministerrats-Dokument zum UN-Migrationspakt

Der Große Austausch

Martin Lichtmesz ist der Chefideologe der neuen rechtsextremen Bewegung im deutschsprachigen Raum. Er arbeitet eng mit Sellner zusammen und übersetzte das Pamphlet von Renaud Camus: „Revolte gegen den Großen Austausch“ ins Deutsche. In Folge wurde der Slogan vom „Großen Austausch“ zum Schlachtruf der Identitären Bewegung. 2014 starteten die Identitären eine Online-Kampagne dazu. „Der Große Austausch“ [im Original: „The Great Replacement“] war auch der Titel der absurden Rechtfertigung des Neuseeland-Terroristen. Dabei ist „der Große Austausch“ eine moderne Variante des NS-Begriffs der „Umvolkung. 2004 sprach Johann Gudenus, damals Chef des Rings Freiheitliches Jugend und heute FPÖ-Klubobmann im Nationalrat, noch direkt von einer „systematischen Umvolkung“. Der Inhalt und die begriffliche Spur zum Nationalsozialismus bleibt allerdings gleich.

Netzwerk und gemeinsames Wording bis heute

Heute publiziert Manifest-Übersetzer Martin Lichtmesz gemeinsam mit der FPÖ im „Freilich Magazin“. Das Magazin wird vom DÖW als Nachfolgeblatt der mittlerweile eingestellten rechtsextremen „Aula“ betrachtet. Das vom freiheitlichen Heinrich Sickl herausgegebene Magazin kann im Onlineshop (phalanx Europa) von Martin Sellner erworben werden.

Bis in den März 2019 hinein teilte die FPÖ personell und ideologisch die Aussagen des „Großen Austausches“: So lud die Freiheitliche Akademie für den 14. März 2019 zur Podiumsdiskussion anlässlich der Präsentation des Buches „Feindliche Übernahme“ von Thilo Sarrazin. Der ehemalige SPD-Politiker diente als Stichwortgeber. Geleitet wurde die Diskussion von Burschenschaftler Maximilian Krauss. Diskussionsbeiträge kamen von Vizekanzler HC Strache, von FPÖ-Europaabgeordneten Harald Vilimsky und von „Islamexpertin“ Laila Mirzo, die auch schon am Linzer Kongress teilgenommen hatte. Strache wird von den Medien mit folgenden Aussagen zitiert:

Wir stehen vor der entscheidenden Frage der Rettung oder des Untergangs Europas. Es gehe darum die „aufgeklärte Gesellschaft zu retten“.

Finanzierung der rechten Netzwerkmedien: FPÖ im Info-Direkt von März 2019

Ein weiterer Beleg dafür, dass diese Netzwerke, die 2016 in Linz zusammengeführt wurden, bis heute halten, ist die aktuelle Ausgabe der Brückenzeitschrift Info-Direkt vom März 2019. In der Ausgabe werden Martin Sellner, der Theoretiker der rechten Apartheid-Ideologie, Alain de Benoist, sowie der freiheitliche Spitzenkandidat zur AK-Wahl, Gerhard Knoll, interviewt. Aus dem Kongress-Netzwerk schreibt ferner Philipp Stein. Die Themen reichen von der Kritik an der EU (in mehreren Artikeln) bis zur Abrechnung mit NGOs. Bebildert ist der Artikel mit einem Konterfei von Herbert Kickl, geschrieben wurde er von Steffen Richter.

In der Ausgabe des Magazins finden sich überdies zwei bezahlte Anzeigen von FPÖ-Politikern. Zum einen von Gerhard Knoll, zum anderen von der Stadt Linz. Auf ihr prangt ein Foto von FPÖ-Politiker Detlev Wimmer (siehe unser Titelbild). Die Linzer Netzwerke aus 2016  halten.

Info-Direkt 2019: Anzeige FPÖ
Info-Direkt 2019, Anzeige der FPÖ: Gerhard Knoll (Freiheitliche Arbeitnehmer)

 

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